Mehrwertsteuerersatz durch Kaskoversicherer auch bei Nichtreparatur

Gericht

BGH


Art der Entscheidung

Revisionsurteil


Datum

30. 01. 1985


Aktenzeichen

IV a ZR 109/83 (Düsseldorf)


Leitsatz des Gerichts

Auch wenn der Versicherungsnehmer das unfallgeschädigte Fahrzeug selbst repariert oder von privater Hand oder gar nicht reparieren lässt, hat der Kaskoversicherer wie der Schädiger im Schadensrecht den Mehrwertsteuerbetrag zu zahlen, der als allgemeiner Kostenfaktor zu den sachverständig errechneten Wiederherstellungskosten gehört.

Tatbestand

Auszüge aus dem Sachverhalt:

Als Kaskoversicherer will die Bekl. der Kl. nicht den Mehrwertsteuerbetrag zahlen, der auf die von einem Sachverständigen errechneten Wiederherstellungskosten für das unfallgeschädigte Fahrzeug der Kl. entfällt. Die Kl. ist nicht zum Vorsteuerabzug berechtigt. Sie behauptet, für die Reparatur den gesamten geschätzten Betrag einschließlich Mehrwertsteuer aufgewendet zu haben. Die Bekl. bestreitet die Reparatur durch einen umsatzsteuerpflichtigen Unternehmer und die Höhe der Zahlungen.

Die Vorinstanzen haben der Klage stattgegeben. Auch die zugelassene Revision der Bekl. hatte keinen Erfolg.

Entscheidungsgründe

Auszüge aus den Gründen:

I. Das BerGer. lässt dahinstehen, in welcher Weise das Fahrzeug repariert wurde und welche Zahlungen die Kl. aus diesem Anlas tatsächlich erbrachte. Es ist der Ansicht, die Kl. habe - wie sich aus § 13,7 der Allgemeinen Bedingungen für die Kraftfahrtversicherung - AKB -, 55 VVG ergebe - in jedem Fall einen Anspruch auf Erstattung der nach dem Reparaturkostengutachten kalkulierten Mehrwertsteuerbeträge.

Diese zählten zu den „erforderlichen Kosten der Wiederherstellung“ (§ 13 V AKB). Das sei unzweifelhaft, wenn der Versicherungsnehmer die Mehrwertsteuer bei Reparatur des Fahrzeugs tatsächlich tragen müsse. Wie im Schadensersatzrecht sei dem nicht zum Vorsteuerabzug berechtigten Versicherungsnehmer die Mehrwertsteuer auch dann zuzusprechen, wenn eine Reparatur unterbleibe, in Eigenarbeit oder von privater Hand ausgeführt werde. Insoweit sei eine einheitliche Betrachtungsweise geboten. Die Revision hält bereits die vom VI. Zivilsenat des BGH in ständiger Rechtsprechung vertretene Auffassung für verfehlt, wonach gem. § 249 S. 2 BGB dem nicht zum Vorsteuerabzug berechtigten Geschädigten die kalkulierte Mehrwertsteuer auf die Reparaturkosten auch dann zu ersetzen ist, wenn eine Wiederherstellung nicht oder in Eigenarbeit vorgenommen wird. Zumindest könnten die zu § 249 S. 2 BGB entwickelten Grundsätze nicht auf die Bemessung der Kaskoentschädigung nach § 13 V AKB übertragen werden. Die Kaskoversicherung sei als Eigenschadensversicherung dem Solidargedanken besonders verpflichtet und erfordere sowohl eine besondere Kooperationsbereitschaft des Versicherungsnehmers als auch eine damit korrespondierende besondere Schadensminderungspflicht.

II. Das BerGer. hat zutreffend entschieden.

1. In allen Fällen einer Beschädigung, die nicht zu einem Totalschaden am versicherten Fahrzeug führt, hat der Versicherungsnehmer gem. § 13 V AKB einen Anspruch auf Ersatz der erforderlichen Kosten der Wiederherstellung. Hierunter sind die finanziellen Aufwendungen zu verstehen, die von einer ordentlichen Werkstatt im Rahmen der üblichen Vergütung für die Reparatur des Fahrzeugs zu erbringen sind (Bruck-Möller-Johannsen, VVG Bd. V 2, 8. Aufl., Fahrzeugvers. J 138 S. F 218 unten; Stiefel-Hofmann, AKB, 12. Aufl., § 13 Rdnr. 51). Etwas anderes gilt im Schadensrecht (vgl. BGHZ 54, 82), wenn der Geschädigte selbst eine Werkstätte unterhält, die nur zur Instandsetzung der eigenen Fahrzeuge bestimmt ist; ein solcher Fall liegt hier nicht vor. Werkstätten werden in aller Regel von umsatzsteuerpflichtigen Unternehmern betrieben. Daneben gibt es keinen für die Vielzahl der Versicherungsnehmer offenen Markt nicht mehrwertsteuerpflichtiger Reparaturbetriebe. Regelmäßig muss demnach der Versicherungsnehmer zur Wiederherstellung des Fahrzeugs in einer Werkstätte Preise zahlen, welche die Mehrwertsteuer umfassen. Der Mehrwertsteueranteil ist trotz getrennter Ausweisung als leistungsbezogene Abgabe auf den Verbrauch ein allgemeiner Kostenfaktor, der in den Preis der Leistung Eingang gefunden hat (BGHZ 61, 56 (58 f.)). Er ist demnach als Teil der erforderlichen Kosten der Wiederherstellung gem. § 13 V AKB zu erstatten (Wussow, WI 1982, 185). Dass der Versicherungsnehmer sich dieselben Leistungen beschaffen könnte, ohne letztlich den Mehrwertsteuerbetrag tragen zu müssen, weil er selbst eine Reparaturwerkstätte unterhält oder zum Vorsteuerabzug berechtigt ist (vgl. zum Schadensrecht: BGH, LM § 249 (Cb) BGB Nr. 17) kommt hier nicht in Betracht; bei der Kl. liegen diese besonderen Umstände nicht vor.

2. Die Leistungspflicht des Versicherers ist i. R. des § 13 V AKB nicht davon abhängig, ob und in welchem Umfang eine Wiederherstellung erfolgt. Nach allgemeiner und zutreffender Auffassung setzt die Kaskoentschädigung eine vorherige Durchführung der Reparatur nicht voraus (RG, JW 1928, 1744, BGH, VersR 1961, 723; Bruck-Möller-Johannsen, VVG, S. F 217; Prölss-Martin, VVG, 23. Aufl., § 13 AKB Anm. 3c; Stiefel-Hofmann, AKB, § 13 Rdnr. 46). Der Versicherungsnehmer ist demnach hier hinsichtlich der Verwendung der Versicherungsleistung in seiner Disposition grundsätzlich frei. Die Höhe der Entschädigung richtet sich allein nach den erforderlichen Kosten. Diese lassen sich durch Gutachten sorgfältig ausgewählter Sachverständiger ermitteln. Mit der Ausgestaltung des Versicherungsschutzes in § 13 V AKB lässt sich eine nachträgliche Änderung des Entschädigungsbetrages wegen einer bestimmten Entscheidung des Versicherungsnehmers über die Verwendung der Mittel oder über den vom Gutachten vorausgesetzten Standard der Schadensbehebung nicht vereinbaren (vgl. auch: Selb, in: Festschr. f. Klingmüller, 1974, S. 441, 445; Prölss-Martin, VVG, § 55 Anm. 2 A). Der nicht zum Vorsteuerabzug berechtigte Versicherungsnehmer hat deshalb auch dann Anspruch auf Erstattung der Wiederherstellungskosten einschließlich des darin enthaltenen Mehrwertsteuerbetrages, wenn er die Reparatur nicht oder von privater Hand durchführen lässt (überwiegende Meinung, in der Rechtspr. zuletzt LG Osnabrück, DAR 1984, 332; in der Literatur Medicus, DAR 1982, 352, 353 ff.; Bruck-Möller-Johannsen, VVG S. F 218; Prölss-Martin, VVG, § 55 Anm. 2 A; Bauer, Kraftfahrversicherung, 2. Aufl., Rdnr. 745). Mit dem feststehenden Schadensumfang und der Dispositionsfreiheit des Geschädigten sind hier - unabhängig von der Verschiedenheit des allgemeinen und des versicherungsrechtlichen Schadensbegriffes (vgl. Bruck-Möller, VVG, § 55 Anm. 14 ff.) - dieselben Gesichtspunkte maßgebend, die auch im Schadensrecht zur Erstattung der Mehrwertsteuerbeträge in den Fällen führen, in denen der Geschädigte sein Fahrzeug selbst wieder instandsetzt (BGHZ 61, 56) oder auf eine Reparatur verzichtet (BGHZ 66, 239.

3. Die gegenteilige Auffassung der Revision, die auch von einem Teil der Rechtsprechung und Literatur (zuletzt OLG Frankfurt, ZfS 1984, 149; Stiefel-Hofmann, AKB, § 13 Rdnr. 52; Hofmann, DAR 1983, 374, Wussow, WI 1982, 185) vertreten wird, beachtet nur unzureichend, dass die Mehrwertsteueranteile der Reparaturkosten als allgemeiner Kostenfaktor in den Preis aufgenommen sind (vgl. oben II 1). Die Revision kann sich auch nicht auf das Bereicherungsverbot nach § 55 VVG stützen. Der Versicherungsnehmer, der sich entschließt, auf die Wiederherstellung zu verzichten, verbessert seine Stellung nicht in einer Weise, der im Verhältnis zum Versicherer Gewicht zukommt. Nach dem Bemessungsmaßstab des § 13 V AKB gleicht die Entschädigung naturgemäß nur die Einbußen aus, die der Versicherungsnehmer im Schadensfall erlitten hat.

Nichts anderes gilt in den Fällen, in denen die Reparaturleistungen vom Versicherungsnehmer selbst oder von privater Hand erbracht werden. Der Gedanke, hier erhalte der Versicherungsnehmer einerseits die volle tatsächliche Wiederherstellung andererseits aber auch die gar nicht angefallene, selbst in der Preiskalkulation nicht berücksichtigte Mehrwertsteuer (Köhler, in: Festschr. f. Karl Lorenz zum 80. Geburtstag, 1983, S. 349,354), beruht auf der Gleichsetzung solcher Reparaturen mit den in einer ordentlichen Werkstatt ausgeführten. Zu einer solchen Gleichsetzung sieht sich der Senat jedoch nicht in der Lage. Dabei kommt es auf die Qualität der Arbeiten im Einzelfall nicht an. Entscheidend ist vielmehr, dass für derartige, nicht der Umsatzsteuer unterliegende Reparaturleistungen kein Markt besteht, auf den der Versicherungsnehmer verwiesen werden könnte. Bereits das Ermitteln einer anderweitigen Reparaturgelegenheit bedeutet für den Versicherungsnehmer in aller Regel einen spürbaren Aufwand von Zeit und Mühe oder den Einsatz persönlicher Beziehungen. Zudem birgt die Wiederherstellung außerhalb eines normalen Reparaturbetriebes regelmäßig beachtliche Risiken in bezug auf Mängelfreiheit und Durchsetzbarkeit von Gewährleistungsansprüchen (vgl. BGH, VersR 1982, 757 (759)). Ferner kann nicht übersehen werden, dass die nachgewiesene Behebung eines Vorschadens in einer ordentlichen Werkstatt gewöhnlich den Wert eines Gebrauchtwagens beeinflusst. Alle diese Gesichtspunkte verbieten es, die Reparatur von privater Hand der Wiederherstellung gleichzusetzen, deren Kosten nach § 13 V AKB dem Versicherungsnehmer zu erstatten sind. Es handelt sich vielmehr um anderweite Dispositionen über die Entschädigung. Dabei setzt der Versicherungsnehmer in zulässiger Weise den überschießenden Barbetrag zur Kompensation der aufgezeigten Nachteile ein. Eine Bereicherung tritt nicht ein. Insoweit unterscheiden sich die hier angesprochenen Sachverhalte von jenen, in denen sich nach durchgeführter Reparatur zu dem Standard, den das Gutachten voraussetzt, die ursprüngliche Kalkulation als überhöht erweist. Nur solchen Fällen entspricht der niedrigere Betrag den erforderlichen Kosten i. S. von § 13 V AKB. Zu dem konkreten Preis bekommt der Versicherungsnehmer dort, was § 13 V AKB ihm zuspricht, nämlich die vollständige Beseitigung seines Kaskoschadens (RG, HRR 1929 Nr. 1592).

4. Unbilliges wird mit diesem Verständnis des Merkmals „erforderlich“ weder den Versicherern noch der Versichertengemeinschaft zugemutet. Eine Schadensfeststellung nach § 13 V AKB, die - der pauschalierenden Schadensfiktion vergleichbar (vgl. Medicus, DAR 1982, 357) - unabhängig von der tatsächlichen Vornahme der Reparatur und ohne Rücksicht auf die wirklich entstandenen Kosten erfolgt, liegt nicht zuletzt auch im Interesse des Versicherers (vgl. für den Haftpflichtversicherer: Köhler, S. 366). Dessen Belange bei der eigentlichen Bemessung der Entschädigung werden durch die Einschaltung von berufenen Sachverständigen hinreichend gewahrt. Das Verfahren gewährleistet zudem vielfach den raschen und deshalb kostengünstigeren Abschluss der Schadensregulierung (BGH, VersR 1961, 723). Es erspart Zweitgutachten in den Fällen, in denen der Versicherungsnehmer geltend machen könnte, die tatsächlich durchgeführte und abgerechnete Reparatur bleibe technisch und wirtschaftlich hinter einer Wiederherstellung i. S. von § 13 V AKB zurück. Eine spürbare Entlastung der Versichertengemeinschaft wäre bei Durchführung des gegenteiligen Bemessungskonzepts nicht zu erwarten.

Rechtsgebiete

Versicherungsrecht