Pflicht des Richters, vor Erteilung des Erbscheins von Amts wegen die zur Feststellung der Tatsachen erforderlichen Ermittlungen zu eranstalten und die geeignet erscheinenden Beweise aufzunehmen

Gericht

BGH


Art der Entscheidung

Revisionsurteil


Datum

11. 10. 1990


Aktenzeichen

IX ZR 114/89 (Celle)


Tatbestand

Zum Sachverhalt: Die Kl. nimmt das bekl. Land als Dienstherrn des Richters R (Vorsitzenden des Landwirtschaftsgerichts des AG S) und den Bekl. zu 2 als Notar auf Schadensersatz aus Amtspflichtverletzung in Anspruch. Der im Jahr 1932 verstorbene Großvater der Kl., D, besaß einen Hof in I. Im Jahre 1939 wurde der Hof im Wege der Erbauseinandersetzung auf seinen älteren Sohn H, einen Onkel der Kl., übertragen. Dieser errichtete am 23. 4. 1942 in Rußland ein handschriftliches Testament mit folgendem Wortlaut: "Sollte ich in diesem Kriege fallen, so soll meine Mutter J, geb. K mein gesamtes Vermögen von mir erben." Die Vorsilbe des Wortes "...vermögen" ist mit Kugelschreiber unkenntlich gemacht. H galt seit Anfang 1943 als vermißt. Sein Bruder A, der Vater der am 22. 4. 1941 geborenen Kl., ist am 5. 8. 1944 gefallen. Nach dem Kriege bewirtschaftete die Großmutter der Kl. B den Hof zusammen mit einem Ehepaar S. Am 14. 5. 1976 bat sie den Bekl. zu 2, die Todeserklärung ihres Sohnes H, die Eröffnung des Testaments und die Erteilung eines Erbscheins und Hoffolgezeugnisses für sie zu beantragen. Der Bekl. zu 2 nahm die entsprechenden Anträge auf. Nachdem H für tot erklärt und das Testament eröffnet war, stellte der Vorsitzende des Landwirtschaftsgerichts S, Richter am AG R, am 25. 2. 1977 einen Erbschein mit Hoffolgezeugnis aus, wonach H allein von seiner Mutter beerbt worden und diese auch Hoferbin ist. Mit einem vom Bekl. zu 2 beurkundeten Kaufvertrag vom 17. 3. 1977 verkaufte B den Hof an die Eheleute S. Am selben Tage ließ sie vom Bekl. zu 2 ein Testament beurkunden, in dem sie die Kl. zu ihrer Alleinerbin einsetzte. B starb am 29. 1. 1981. Auf Betreiben der Kl. hat das Landwirtschaftsgericht mit Beschluß vom 29. 3. 1984 den Erbschein mit Hoffolgezeugnis vom 25. 2. 1977 eingezogen und ausgesprochen, daß H nur hinsichtlich seines hoffreien Vermögens von seiner Mutter beerbt worden ist, während die Kl. Hoferbin des Hofes in I. ist. Eine gegen die Eheleute S gerichtete Klage der Kl. auf Zustimmung zur Eintragung der Kl. als Hofeigentümerin ist rechtskräftig abgewiesen. Mit der vorliegenden Klage hat die Kl. Zahlung von 527218,26 DM nebst Zinsen als Ersatz für den Verlust des Hofes und die Kosten des Vorprozesses verlangt. Das LG hat das bekl. Land zur Zahlung von 433 300 DM nebst einem Teil der verlangten Zinsen verurteilt und die Klage im übrigen abgewiesen. Das BerGer. hat die Klage gegen das bekl. Land insgesamt abgewiesen und die Klage gegen den Bekl. zu 2 für dem Grunde nach gerechtfertigt erklärt. Mit der Revision verfolgt die Kl. die Klage gegen das Land weiter, während der Bekl. zu 2 die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils erstrebt. Beide Rechtsmittel hatten Erfolg.

Entscheidungsgründe

Aus den Gründen: I. Revision der Kl.

Das BerGer. hat die Abweisung der Klage gegen das bekl. Land im wesentlichen wie folgt begründet:

Der Richter am AG R habe bei der Erteilung des Erbscheins mit Hoffolgezeugnis vom 25. 2. 1977 seine Amtspflichten nicht verletzt. Er hätte zwar die Manipulation des vorgelegten Testaments erkennen können und müssen. Der Erbscheinsantrag habe aber auch die erforderlichen Angaben enthalten, um den Erbschein und das Hoffolgezeugnis auf gesetzliches Erbrecht zu stützen. Dem Nachweis der gesetzlichen Erbfolge habe die vom Bekl. zu 2 entgegengenommene eidesstattliche Versicherung der B gedient, wonach andere in Betracht kommende Erben nicht vorhanden seien. Die Manipulation an dem Testament hätte den Richter zwar veranlassen können, weitere Ermittlungen zu möglichen Abkömmlingen anzustellen. Er habe jedoch an der Gründlichkeit der Ermittlungen des Bekl. zu 2 im Zusammenhang mit der eidesstattlichen Versicherung nicht zu zweifeln brauchen. Im übrigen sei nicht ersichtlich, mit welchen Ermittlungen der Richter auf die Existenz der Kl. als Erbin gestoßen wäre.

Das hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand.
1. Wie bereits das LG zutreffend festgestellt hat, hat der Amtsrichter bei der Erteilung des Erbscheins und Hoffolgezeugnisses seine Amtspflicht verletzt. Der Richter - und nicht der Notar - ist nach § 2358 BGB vor Erteilung des Erbscheins verpflichtet, von Amts wegen die zur Feststellung der Tatsachen erforderlichen Ermittlungen zu veranstalten und die geeignet erscheinenden Beweise aufzunehmen. Art und Umfang der Ermittlungen im Verfahren der Freiwilligen Gerichtsbarkeit richten sich nach der Lage des Einzelfalles. Der Grundsatz der Amtsermittlung (§ 12 FGG) verpflichtet das Gericht, alle zur Aufklärung des Sachverhalts dienlichen Beweise zu erheben (BGHZ 40, 54 [57] = NJW 1963, 1972 = LM § 2361 BGB Nr. 4).

a) Aufgrund des Testaments durfte der Amtsrichter den Erbschein nicht ohne weitere Nachprüfung erteilen. Denn das Testament wies mit der Unkenntlichmachung der Vorsilbe des Wortes "...vermögen" eine derart auffällige Veränderung auf, daß der Verdacht einer Fälschung nahelag. Ohne eine Klärung der Frage, ob die Durchstreichung von der Hand des Erblassers stammte, war das Testament keine ausreichende Grundlage für eine Erteilung des Erbscheins zugunsten der darin benannten Großmutter der Kl. Das räumt letztlich auch das bekl. Land ein, wenn es geltend macht, der Richter habe von einer Untersuchung bezüglich der Testamentsverfälschung abgesehen, weil nach seiner Prüfung B auch die gesetzliche Erbin des Hofes und des hoffreien Vermögens gewesen sei.

b) Auch aufgrund gesetzlicher Erbfolge durfte der Erbschein jedoch nicht ohne weitere Nachprüfung erteilt werden. Bezüglich der gesetzlichen Erben lautet die eidesstattliche Erklärung: "Andere - mit Ausnahme der nachstehend unter Angabe der Gründe des Wegfalls angegebenen - Personen, durch welche die vorgenannte Erbin von der Erbfolge ausgeschlossen oder ihr Erbteil gemindert werden würde, sind und waren nicht vorhanden." Eine eidesstattliche Erklärung des Antragstellers genügt in der Regel nicht als Nachweis der für die Erteilung eines Erbscheins erforderlichen Tatsachen (BGHZ 8, 183 [188] = NJW 1953, 264 = LM § 23 WBG Nr. 1). Hier kommt hinzu, daß die eidesstattliche Erklärung lediglich formelhaft den Wortlaut des Gesetzes wiedergibt. Eine solche Erklärung ist keine ausreichende Grundlage für eine Erteilung des Erbscheins aufgrund gesetzlicher Erbfolge (vgl. Promberger, in: MünchKomm, 2. Aufl., § 2354 Rdnr. 17; Prausnitz, in: FormKomm, 22. Aufl., Rdnr. 6701 Anm. 5).

Im vorliegenden Fall wäre zumindest eine konkrete Versicherung dahingehend erforderlich gewesen, daß die beiden Brüder H und A kinderlos verstorben sind. Schon wegen des Fehlens einer entsprechenden eindeutigen eidesstattlichen Erklärung der Großmutter hätte der Amtsrichter den Erbschein nicht erteilen dürfen. Außerdem mußte die auffällige Unkenntlichmachung der Vorsilbe des Wortes ":..vermögen" den Richter veranlassen, eigene Ermittlungen darüber anzustellen, ob noch gesetzliche Erben vorhanden waren. Die Veränderung an dem Text des Testaments mußte den Verdacht erwecken, daß hier gesetzliche Erben oder Hoferben benachteiligt werden sollten. Schon eine Anfrage bei dem zuständigen Standesamt hätte zu der Erkenntnis geführt, daß der Bruder A des Erblassers verheiratet war und ein Kind, nämlich die Kl., hatte.

2. Auch die weiteren Voraussetzungen eines Schadensersatzanspruchs nach § 839 BGB i. V. mit Art. 34 GG gegen das bekl. Land sind gegeben. Die Amtspflicht zur sorgfältigen Prüfung des Erbscheinsantrages bestand gerade auch gegenüber der Kl. als gesetzlicher Erbin und Hoferbin. Durch die Ausstellung des unrichtigen Hoffolgezeugnisses hat die Kl. das Eigentum an dem Hof ihres Onkels verloren. Nur wegen des öffentlichen Glaubens des am 25. 2. 1977 erteilten Hoffolgezeugnisses konnten die Eheleute S das Eigentum an dem Hof von der nichtberechtigten B erwerben. Daß nicht B, sondern die Kl. Hoferbin war, wird gem. § 2365 BGB vermutet, nachdem am 29. 3. 1983 ein Hoffolgezeugnis zugunsten der Kl. erteilt worden ist. Diese Vermutung hat das bekl. Land nicht widerlegt. Es hat weder behauptet, daß die Durchstreichung in dem Testament von der Hand des Erblassers stammt, noch hat es behauptet und unter Beweis gestellt, daß der ursprüngliche Text des Testaments eine Einsetzung von B als Hoferbin enthielt. Nach Darstellung des bekl. Landes läßt sich vielmehr der ursprüngliche Text nicht mehr ermitteln, nachdem der Sachverständige O den von der Kugelschreiberpaste verdeckten mit Tinte geschriebenen Text ausgewaschen hat. Ob dort "Barvermögen" gestanden hat, wie das BerGer. meint, ist unerheblich. Da das Testament jedenfalls keine gültige Einsetzung der Großmutter als Hoferbin enthält, ist die Kl. gesetzliche Hoferbin.
Das LG hat der Kl. den von dem Sachverständigen W mit 433900DM ermittelten Wert des Hofes bis auf einen Betrag von 600 DM zugesprochen. Das bekl. Land hat gegen die Berechnung des Sachverständigen weder in erster noch in zweiter Instanz Einwendungen erhoben. Deshalb ist das Urteil des LG insoweit wiederherzustellen.

Hinsichtlich der restlichen Klageforderung ist die Klage gegen das bekl. Land dem Grunde nach gerechtfertigt. Die weitere Klage ist mit Sicherheit teilweise begründet. Denn die Kl. kann auch Erstattung der Kosten des gegen die Eheleute S geführten Prozesses verlangen. Insoweit und wegen des von der Kl. behaupteten höheren Wertes des Hofes sowie der beanspruchten höheren Zinsen muß das BerGer. noch die erforderlichen Feststellungen treffen.

II. Revision des Bekl. zu 2

Die einzige Amtspflichtverletzung des Bekl. zu 2 sieht das BerGer. darin, daß der Notar sich bei der Beurkundung des Veräußerungsvertrages und des Testaments am 17. 3. 1977 nicht daran erinnert hat, daß die Großmutter der Kl. ihm am 14. 5. 1976 bei der Aufnahme der eidesstattlichen Erklärung die Existenz der Kl. verschwiegen hatte, während sie diese nunmehr zu ihrer Alleinerbin einsetzte. Ihm hätte sofort klar sein müssen, daß der Erbschein mit Hoffolgezeugnis auf unrichtigen Personenstandsangaben beruht habe. Deshalb hätte er seine Betreuungstätigkeit in dieser Sache umgehend einstellen und das Landwirtschaftsgericht von der Existenz der Kl. unterrichten müssen. Dagegen wendet sich die Revision des Bekl. zu 2 mit Recht.

Das BerGer. überspannt die Anforderungen an das Gedächtnis eines Notars bei weitem. Die Aufnahme des Erbscheinsantrages vom 14. 5. 1976 war eine Routineangelegenheit. Auffallend war lediglich die an dem Testament vorgenommene Durchstreichung, nicht aber die Erklärung der Ast. über die gesetzlichen Erben. Als der Bekl. zu 2 später erneut mit der Angelegenheit befaßt wurde und nunmehr davon erfuhr, daß B eine Enkelin hatte, mußte er sich nicht mehr daran erinnern, welche Angaben B am 14. 5. 1976 über das Vorhandensein gesetzlicher Erben gemacht hatte. Es bestand für ihn auch keine Veranlassung, sich den früheren Aktenvorgang noch einmal anzusehen.

Damit erweist sich auch hinsichtlich der gegen den Bekl. zu 2 gerichteten Klage das Urteil des LG als zutreffend.

Rechtsgebiete

Verwaltungsrecht

Normen

GG Art. 34; BGB §§ 839, 2358