Amtshaftung wegen unzureichenden Vorgehens gegen Hundehalter

Gericht

LG Köln


Datum

23. 03. 1999


Aktenzeichen

5 O 387/98


Leitsatz des Gerichts

Bei der Prüfung der Frage, ob ein Hund ein gefährlicher Hund im Sinne der nordrhein-westfälischen Verordnung über die Zucht,die Ausbildung, das Abrichten und das Halten gefährlicher Hunde (NWGefHuVO) ist, sind strenge Anforderungen zu stellen.

Tatbestand

Zum Sachverhalt:

Am 16. 3. 1996 gegen 21 Uhr wurde der damals 14 Jahre alte Kl., der zu diesem Zeitpunkt mit anderen Kindern in der Nähe seines Wohnhauses in der X-Straße in Köln spielte, von dem Kampfhund „Dutch„ in den linken Unterschenkel gebissen. Dabei hatte der Kl. das Tier nicht gereizt. Dieses war vielmehr unvermittelt hinter ihm hergelaufen. Bei dem Hund handelt es sich um einen Staffordshire-Mischlings-Rüden, der zu diesem Zeitpunkt etwa 1½ Jahre alt war. Er gehörte Herrn A und wurde zum Zeitpunkt des Vorfalls von dessen Schwester unangeleintund ohne Maulkorb ausgeführt. Der Kl. erlitt einen massiven Weichteilausbiß. Es mußte eine Hauttransplantation durchgeführt werden. Er befand sich in der Zeit vom 16. 3. 1996 bis 19. 4. 1996 in stationärer Krankenhausbehandlung. Im Rahmen der postoperativen Nachbehandlung suchte er 15 mal seinen Hausarzt in der Zeit vom 23. 4 1996 bis 28. 5. 1996 auf.

Frau A wurde am 5. 6. 1996 vom AG Köln wegen fahrlässiger Körperverletzung verurteilt. Sie und ihr Bruder A wurden außerdem vom AGKöln durch Versäumnisurteil vom 13. 6. 1997 verurteilt, als Gesamtschuldner an den Kl. 4240 DM - davon 4000 DM als Schmerzensgeld - nebst Zinsen zu zahlen. Nach erfolglosen Vollstreckungsversuchen aus diesem Urteil gaben beide Schuldner eidesstattliche Versicherungen hinsichtlich ihrer Vermögensverhältnisse ab. Bereits am 26. 10. 1995 hatte die Bekl. aufgrund eines Vorfalls vom 5. 10. 1995 eine Ordnungsverfügunggegenüber dem Hundehalter A erlassen, wonach der Kampfhund u.a. nur noch angeleint und mit Maulkorb versehen ausgeführt werden durfte. Am 5. 10. 1995 war der Hund gegen 19.30 Uhr zusammen mit einem weiteren Hund von A ausgeführt worden. Die beiden Tiere hatten zunächst begonnen, miteinander zu kämpfen. Dann hatten die Hunde einen Mann - Herrn K - angegriffen und diesem Bißwunden zugefügt, aufgrund derer er sich instationäre Krankenhausbehandlung hatte begeben müssen. Die genauen Umstände dieses Geschehens sind streitig. Nach den Angaben von Herrn K - auf die der Kl. sich stützt - hätten ihn die Hunde unvermittelt angegriffen. Herrn A zufolge - so die Bekl. - habe Herr K dagegen ihn und die Hundemit einem Knüppel angegriffen. Die Hunde hätten sich daraufhin lediglich verteidigt. Die Hunde waren am 12. 10. 1995 und am 23. 10. 1995 amtstierärztlich daraufhin untersucht worden, ob sie als gefährlich einzustufen seien. Die Amtstierärztin empfahl bezüglich beider Tiere einen Leinen- undMaulkorbzwang auszusprechen, bis der Vorfall vom 5. 10. 1995 endgültig geklärt sei. Hierauf erfolgte die oben angegebene Ordnungsverfügung vom 26. 10. 1995. Bei einer Außenkontrolle am 14. 11. 1995 wurde ein ordnungsgemäßes Verhalten von Herrn A festgestellt. Die ausgeführten Hunde waren angeleint und trugen einen Maulkorb. Der Kl. ist der Meinung,die Ordnungsverfügung vom 26. 10. 1995 sei nicht weitgehend genug und daher rechtsfehlerhaft. Der Bekl. hätte bereits nach dem Vorfall vom 5. 10. 1995 bekannt sein müssen, daß es sich bei dem Hund um einen gefährlichen Hund i.S. von § 1 NWGefHuVO gehandelt habe. Die Bekl. hätte daher nach § 6 der NWGefHuVO das Halten dieses Tieres untersagen müssen.

Das LG hat einen Anspruch des Kl. aus Amtspflichtverletzung des Bekl.bejaht.

Entscheidungsgründe

Aus den Gründen:

Die Klage ist begründet. Dem Kl. steht ein Anspruch auf Zahlung von Schmerzensgeld in Höhe von 4000 DM gem. §§ 839 I 1, 847 BGB i.V. mit Art. 34 GG gegenüber der Bekl. zu.

Die Bekl. hat in Ausübung eines öffentlichen Amtes eine ihr gegenüber dem Kl. obliegende Amtspflicht verletzt. Die Bekl. hättenach dem Vorfall vom 5. 10. 1995 Herrn A das Halten des Staffordshire-Mischlings-Rüden „Dutch„ gem. § 6 NWGefHuVO untersagen müssen. Bei dem Hund handelte es sich um einen gefährlichen Hund i.S. von § 1b NWGefHuVO, da er sich als bissig erwiesen hatte.

Ein einzelner Hundebiß gegenüber einem Menschen führt ohneweitere Begleitumstände zwar nicht zur Annahme des Tatbestandes der Bissigkeit (Nr. 4.1.2 der Verwaltungsvorschriften zur Anwendung der ordnungsbehördlichen Verordnung über die Zucht, die Ausbildung, das Abrichten und das Halten gefährlicher Hunde (NWGefHuVO). Nach einem Beißvorfall zwischen Hunden erfüllt das Spielen, Raufen und andere artgemäße Verhaltensweisen von Hunden den Tatbestand ebenfalls nur in Verbindung mit weiteren Begleitumständen (Nr. 4.1.4 VwV). Für die Ermittlung dereinzelnen Begleitumstände ist die Bekl. zuständig (Nr. 4.1.3 VwV).

Die Bekl. hat keine Maßnahmen vorgenommen, um den Vorfall vom 5. 10. 1995 aufzuklären. Sie hat insbesondere die Bet. nichtzu einer Schilderung des Vorfalls veranlaßt, obwohl die Amtstierärztin in ihrem Bericht vom 12. 10. 1995 und ihrem Bericht vom 6. 11. 1995 angab, der Hergang des Vorfalls vom 5. 10. 1995 müsse vor einer endgültigen Beurteilung ihrerseits ermittelt werden. Dies hat die Bekl. versäumt. Bei Wertung des Vorfalls vom5. 10. 1995 ist zu beachten, daß es bereits hier zu schweren Verletzungen des Herrn K - Bißwunden am gesamten Körper und insbesondere am linken Arm - aufgrund des Angriffs der beiden Hunde gekommen ist. Im Hinblick auf die erlittenen Verletzungen war eine stationäre Krankenhausbehandlung erforderlich. Bei der Einlassung des Hundehalters, Herr K habe sich im Gebüsch aufgehalten und sei mit einem Knüppel auf die Hunde losgegangen, handelt es sich um eine nicht überzeugende Einlassung, wie sie typischerweise von Hundehaltern vorgebracht wird, wenn Verletzungen durch ihre Hunde eingetreten sind. Insbesondere spricht nichts für seine Darstellung, daß eine einzelne Person auf zwei„Kampfhunde„ losgeht. Das wurde von der Bekl. bei ihrer Entscheidung vom 26. 10. 1995 nicht hinreichend berücksichtigt.

Von der Bekl. war ferner zu beachten, daß zwei Hunde in einer Wohnung gehalten wurden, die sich in einem Wohngebiet mit Hochhauscharakter befand. Ein solches Wohngebiet ist dadurchgekennzeichnet, daß sich viele Menschen dort aufhalten und ein Kontakt zwischen Hunden und Menschen unvermeidbar ist. Dem Schutz von Menschen vor gefährlichen Hunden kommt in solchenGebieten besondere Bedeutung zu.

Die Bekl. hat an die Hundehalter dabei auch besondere Zuverlässigkeitsanforderungen zu stellen. Bei Herrn A handelte es sich bei dem Vorfall am 5. 10. 1995 um einen 23 Jahre alten Hundehalter. Seine Schwester war am 16. 3. 1996 erst 17 Jahre alt. Das Halten von Kampfhunden wird bekanntermaßen in solchen Kreisen als „Statussymbol„ angesehen. Bei beiden Hunden handelt essich darüber hinaus um kräftige Tiere, die nach dem Bericht der Amtstierärztin nur von Personen ausgeführt werden sollten, die diese Hunde sicher unter Kontrolle halten konnten. Herr A hattegegenüber der Amtstierärztin zudem selbst angegeben, daß beide Hunde schon aufeinander aggressiv reagierten, so daß sie nur noch getrennt voneinander gehalten und ausgeführt werdenkonnten. Bezeichnenderweise besteht für die beiden Hunde offenbar auch keine Haftpflichtversicherung, wie dies bei verantwortungsvollen Hundehaltern üblich ist.

Aus alledem ergibt sich, daß das Ermessen der Bekl. auf Null reduziert war und nur ein Untersagen der Hundehaltung als vertretbare Maßnahme in Betracht kam. Das auf § 14 I NWOBG gestützte Anlein- und Maulkorbgebot (s. 4.1.1 VwV) war dagegen nicht ausreichend, wie der Vorfall zeigt, der Anlaß der Klage ist.

Aufgrund der erlittenen Verletzungen ist das begehrte Schmerzensgeld von 4000 DM angemessen. Der Kl. hat durch Bescheinigung von Dr. Y vom 28. 8. 1996 belegt, daß aufgrund der Hundebißverletzung am linken Unterschenkel mit großem Weichteildefekt operativ ein Hautlappen-Transplantat eingesetzt werden mußte. Es verbleibt zudem eine große Narbe, allerdings ohne eineFunktionseinschränkung.

Dem Kl. steht Ersatz in Höhe von 100 DM für Attestkosten zu. Er hat dies durch die Liquidation von Dr. Y vom 28. 8. 1996 belegt.

Für die zerrissene Hose sind 100 DM anzusetzen (§ 287 ZPO). Die Auslagenpauschale in Höhe von 40 DM ist ebenfalls begründet (§ 249 BGB, § 287 ZPO). Es besteht ein materiellrechtlicherAnspruch auf Zahlung der Kosten für Porto und Arztbesuche (vgl. BGH, NJW 1980, 119).

Der Zinsanspruch ist unter dem Gesichtspunkt des Verzugs (§§ 284ff. BGB) ab 3. 2. 1998 gerechtfertigt, nachdem die Bekl. Zahlungen abgelehnthat.

Rechtsgebiete

Verwaltungsrecht

Normen

GG Art. 34; BGB § 839; NWOBG § 14; NWGefHuVO §§ 1, 6