Leinenzwang für Hunde in städtischen Anlagen
Gericht
OLG Hamm
Art der Entscheidung
Berufungsurteil
Datum
03. 12. 1987
Aktenzeichen
4 Ss OWi 971/87
Dem in der Ordnungsbehördlichen Verordnung zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung im Stadtgebiet Essen geregelten allgemeinen Leinenzwang für Hunde zur Benutzung städtischer Anlagen steht weder das Grundrecht des Hundehalters auf freie Entfaltung seiner Persönlichkeit noch das höherrangige bundesrechtliche Tierschutzgesetz entgegen.
Zum Sachverhalt:
Das AG hat den Betroffenen durch das angefochtene Urteil vom Vorwurf eines
Verstoßes gegen § 11 II 2 der Ordnungsbehördlichen Verordnung zur
Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung im Stadtgebiet Essen
vom 7. 5. 1975 aus Rechtsgründen freigesprochen. § 11 hat folgenden
Wortlaut:
§ 11. (1) Wer auf Straßen, in Waldungen oder in Anlagen Hunde mit
sich führt, hat dafür zu sorgen, daß diese weder Personen noch Tiere gefährden
noch Sachen beschädigen können.
Bissigen Hunden ist außerhalb eingefriedigter
Grundstücke ein Maulkorb anzulegen.
(2) Auf Spielplätzen, Liegewiesen und
Friedhöfen dürfen Hunde nicht mitgeführt werden. In anderen Anlagen sind Hunde
an kurzer Leine zu führen. In Waldungen besteht Leinenzwang, wenn er wegen des
Wildbestandes durch entsprechende Hinweisschilder vorgeschrieben ist.
Der
Freispruch erfolgte aus Rechtsgründen, da nach Meinung des AG das in § 11 II 2
der Verordnung enthaltene Gebot eine Verhaltensvorschrift für den Hundehalter
darstelle, die unausgewogen sei, gegen das Übermaßverbot verstoße und zudem in
Widerspruch zu den Bestimmungen des höherrangigen bundesrechtlichen
Tierschutzgesetzes stehe, mithin rechtswidrig und unwirksam sei.
Auf die
Rechtsbeschwerde der StA hin verurteilte das OLG den Betroffenen zu einer
Geldbuße von 50 DM.
Aus den Gründen:
... Sinn der Vorschrift des § 11 II 2 ... der
Verordnung ist es, den Anspruch des Erholung und Entspannung suchenden Menschen,
in städtischen Anlagen nicht von Hunden belästigt zu werden, durchzusetzen und
den Menschen vor frei umherlaufenden Hunden, und zwar unabhängig davon, ob es
sich um große oder kleinere Tiere handelt, zu schützen. Dieser Schutz gilt
insbesondere Kindern und älteren Menschen, aber auch Sportlern wie Radfahrern
oder auch Joggern sowie nicht zuletzt auch aus den verschiedensten Gründen in
bezug auf Hunde ängstlichen Menschen. Der Schutz des Menschen vor Belästigungen
durch Hunde wird nicht etwa - wie das Ag meint - durch § 11 I 1 der Verordnung
schon ausreichend gewährleistet. Während diese eher generalklauselartige
Regelung den Menschen und auch andere Tiere vor Gefährdungen sowie Sachen vor
Beschädigungen schützen soll, umfaßt § 11 II 2 der Verordnung darüber hinaus den
Schutz vor - auch durch den Maulkorbzwang bei bissigen Hunden nicht erfaßten -
Belästigungen. Eine solche Regelung ist auch sinnvoll und erforderlich, da
selbst gut erzogene und dann in der Regel gehorsame Hunde insbesondere bei
Kindern und ohnehin empfindlichen Menschen auch in diesen Fällen Angst und
Unbehagen hervorrufen können, wenn sie sich frei bewegen und auf den Besucher
einer Anlage zulaufen um beispielsweise nur einmal "schnuppern" zu wollen. Durch
einen solchen weder bissigen noch sonst ungehorsamen Hund geht daher zwar
möglicherweise keine Gefährdung von Menschen, jedoch eine bisweilen nicht
unerhebliche Belästigung aus. Die Vorschrift ist unter diesen Umständen im
Rahmen der dem Menschen dienenden öffentlichen Sicherheit und Ordnung notwendig
sowie angemessen und verstößt auch nicht gegen den Grundsatz der
Verhältnismäßigkeit. Der Leinenzwang in öffentlichen Anlagen ist insoweit noch
die mildere Maßnahme gegenüber dem generellen Mitführverbot, wie es auf
Spielplätzen und Liegewiesen gilt (vgl. VGH Mannheim, Urt. v. 31. 1. 1980 - I
1996/79).
Soweit das AG der Ansicht ist, daß dem besonderen Schutz der Kinder bereits durch die Vorschrift des § 11 II 1 der Verordnung Rechnung getragen worden ist, wodurch Hunde von Spielplätzen ausnahmslos fernzuhalten sind, verkennt es, daß sich das Recht der Kinder auf ein freies Spielen und Bewegen nicht etwa nur auf Spielplätze beschränken kann, sondern sich auch auf andere Grünanlagen und öffentliche Einrichtungen erstreckt. Soweit damit etwa der Bewegungsdrang eines Hundes, der unangeleint herumläuft, nicht in Einklang zu bringen ist, hat dieser zurückzustehen, was bei richtiger Einschätzung der damit angesprochenen unterschiedlichen Werte keiner weiteren Darlegung bedarf.
Die genannte Vorschrift verstößt auch nicht gegen höherrangiges Bundesrecht, etwa die Bestimmungen des Tierschutzgesetzes. Zwar ist es zutreffend, daß auch Rechtsverordnungen den Bestimmungen des Tierschutzgesetzes genügen müssen (BGH, NJW 1987, 1833 (1834)) und daß insbesondere großen Hunden ein ausgesprochenes Bewegungsbedürfnis nicht abgesprochen werden kann, doch bedeutet dies nicht, daß Hundehalter gegen die Bestimmungen des Tierschutzgesetzes verstoßen, wenn ihre Tiere dem Leinenzwang in öffentlichen Anlagen unterliegen. Vielmehr müssen die Tiere auch Einschränkungen ihrer Bewegung hinnehmen, wobei das Bewegungsbedürfnis von Tieren rechtlich keineswegs an den Freiheitsrechten des Menschen gemessen werden darf. Nicht der Staat oder die Gemeinde hat dem Bürger von vornherein das artgerechte Halten von Tieren zu ermöglichen, sondern der Bürger darf zunächst nur solche Tiere halten, für deren artgerechte Haltung er auch einstehen kann, worauf die Generalstaatsanwaltschaft zutreffend hingewiesen hat. Dementsprechend ist der Tierhalter für die Einhaltung tierschutzrechtlicher Bestimmungen verantwortlich. Tiere besitzen darf danach nur, wer sie auch artgerecht und den Bestimmungen des Tierschutzgesetzes entsprechend halten kann. Daraus folgt, daß der Hundehalter verantworten muß, ob er das Tier, gemessen an Wohnungsbeschaffenheit und Wohnanlage, artgerecht halten kann. Der Tierhalter darf nur solche Hunde besitzen, die nach Art, Rasse und Größe diesem Umfeld und seinen Möglichkeiten entsprechen. Ist dies nicht möglich, muß auf das Halten eines solchen Hundes letztlich verzichtet werden. Im übrigen verkennt das AG, daß nur der Tierhalter gem. § 18 I Nr. 1 TierschutzG ordnungswidrig handelt, der einem Wirbeltier ohne vernünftigen Grund erhebliche Schmerzen, Leiden oder Schäden zufügt, wovon kaum auszugehen sein dürfte, wenn ein Hund lediglich in öffentlichen Anlagen angelehnt geführt werden muß.
Letztlich verstößt der Leinenzwang in öffentlichen Anlagen auch dann nicht gegen das Grundrecht der freien Entfaltung der Persönlichkeit gemäß Art. 2 I GG, wenn es, wie im erstinstanzlichen Urteil festgestellt, außerhalb von öffentlichen Anlagen im Stadtgebiet von Essen kaum ausreichendes Gelände gibt, einen Hund frei laufen zu lassen. Der Freiheit des einzelnen, einen Hund zu halten und diesen frei herumlaufen zu lassen, steht nämlich die Freiheit der übrigen Menschen, sich an öffentlichen Orten frei und ohne Belästigungen bewegen zu können, zumindest gleichwertig gegenüber. Da die allgemeine Handlungsfreiheit jedoch von vornherein nur unter dem Vorbehalt der Nichtverletzung der Rechte anderer sowie der verfassungsmäßigen Ordnung gewährleistet ist (vgl. BVerfGE 34, 369 (378) = NJW 1973, 1451), verletzten Beschränkungen aufgrund von Vorschriften, die wie vorliegend formell und materiell der Verfassung gemäß sind, nicht das Grundrecht aus Art. 2 I GG.
Kanzlei Prof. Schweizer Rechtsanwaltsgesellschaft mbH © 2020
Impressum | Datenschutz | Cookie-Einstellungen