Keine rückwirkende Satzungsänderung wegen Kostensteigerung

Gericht

OVG Münster


Art der Entscheidung

Urteil


Datum

03. 06. 1996


Aktenzeichen

9 A 2473/93


Leitsatz des Gerichts

  1. Im Laufe des Rechnungsjahres auftretende Kostensteigerungen rechtfertigen - unabhängig davon, ob sie erheblich sind und voraussehbar waren - unter keinen Umständen die Notwendigkeit rückwirkender Satzungsänderungen aus zwingenden Gründen des allgemeinen Wohls.

  2. 2. Die Gemeinde ist weder durch Bundes- noch durch Landesrecht auf die Ausgestaltung der Abfallbeseitigungsgebühr als (antizipierte) Jahresgebühr festgelegt, sondern kann im Rahmen ihres satzungsgeberischen Ermessens in ihrer Gebührensatzung auch kleinere Zeiträume als ein Jahr, etwa ein Quartal, wählen.

  3. 3. Dem Grundsatz der Periodengerechtigkeit ist in diesem Fall genügt, wenn die jahresbezogenen Kosten gleichmäßig auf die dann maßgebenden kürzeren Zeitintervalle aufgeteilt werden.

  4. 4. Die im Rahmen des "Intervallsystems" verbleibenden Unwägbarkeiten bewegen sich unterhalb der Schwelle der zwingenden Gründe des allgemeinen Wohls und sind daher von der Gemeinde zu tragen.

Tatbestand

Zum Sachverhalt:

Der Kl. ist Eigentümer bzw. Miteigentümer bebauter Grundstücke, von denen seit Jahresbeginn 1990 Hausmüll durch die städtische Müllabfuhr abgefahren wird. Zu Beginn des Jahres 1990 wurde der Kl. durch Grundbesitzabgabenbescheide auf der Grundlage der seinerzeit geltenden Abfallbeseitigungssatzung 1990 zu Abfallbeseitigungsgebühren herangezogen. Mit Änderungssatzung vom 29. 8. 1990 beschloß der Rat der Stadt u.a. erhöhte Gebührensätze für Abfallbehälter ab dem 1. 9. 1990. Als Grund für die Erhöhung der bisher geltenden Gebührensätze wurden in der der Änderungssatzung zugrundeliegenden Gebührenbedarfsberechnung u.a. unerwartete Kostensteigerungen bei den Deponiekosten, den Kosten für die Verwertung/Beseitigung der Reststoffe aus dem MHKW, den Personalkosten und Material- und Werkstattkosten sowie ein gleichzeitiger Rückgang von Nebenerlösen genannt. Die Änderungssatzung wurde am 31. 8. 1990 im Amtsblatt der Stadt bekanntgemacht. Entsprechend der neu festgesetzten Gebührensätze zog der Bekl. den Kl. zu Nachforderungen heran. Der nach erfolglosem Vorverfahren erhobenen Klage gab das VG wegen unzulässiger Rückwirkung der Änderungssatzung statt. Die hiergegen von dem Bekl. eingelegte Berufung blieb erfolglos.

Entscheidungsgründe

Aus den Gründen:

Die allein zur Rechtfertigung der Gebührennachforderung in Betracht kommende Änderungssatzung ist wegen ihrer unzulässigen Rückbewirkung von Rechtsfolgen (Rückwirkung) nichtig und damit unwirksam.

Der Senat teilt im Ergebnis die Ansicht des VG, daß Kostensteigerungen grundsätzlich nicht als zwingende Gründe des allgemeinen Wohls, die im vorliegenden Fall allein eine Rückwirkung rechtfertigen könnten, in Betracht kommen; eines Eingehens auf die von dem Bekl. in den Vordergrund gestellte Frage der Unvorhersehbarkeit der Kostensteigerungen bedarf es daher nicht mehr.

Stellt die Rechtsordnung der Gemeinde ein wirksames und handhabbares Instrument zur Verfügung, mit dem sie den durch die Leistungserbringung verursachten, prognostizierten Finanzbedarf abdecken und darüber hinaus etwaige im Laufe des Rechnungsjahres auftretende, unerwartete Kostensteigerungen weitgehend zeitnah berücksichtigen kann, entfällt von vornherein die Notwendigkeit rückwirkender Satzungsänderungen aus zwingenden Gründen des allgemeinen Wohls. So liegt der Fall hier. Dem allgemeinen Interesse an einer möglichst vollständigen und zeitnahen Umlegung aller in dem Rechnungsjahr angefallenen Kosten auf die jeweiligen Benutzer kann durch eine entsprechende Ausgestaltung der Gebührensatzung von vornherein Rechnung getragen werden, so daß nachträgliche Korrekturen mit Rückwirkung nicht erforderlich sind.

Ob de lege lata allerdings eine Gebührensatzung zulässig ist, nach der die Gebühren erst nach Ablauf des Leistungszeitraums und den für diesen Zeitraum nachträglich festgestellten Bemessungsgrößen erhoben werden, wie dies das VG unter Bezugnahme auf das Urteil des erkennenden Senats vom 31. 8. 1990 (9 A 2736/88) angedeutet hat, begegnet schon im Hinblick auf die landesrechtliche Vorschrift des § 2 I 2 NWKAG rechtlichen Bedenken. Nach der genannten Regelung spricht viel dafür, daß auch der Gebührensatz in der Gebührensatzung bereits zu Beginn des Veranlagungszeitraums festgelegt sein muß. Unerwartete Kostensteigerungen könnten dann nicht über eine Erhöhung des Gebührensatzes aufgefangen werden, ohne daß damit wiederum die Frage der Rückwirkung aktuell würde. Ob diese Bedenken letztlich durchschlagen, braucht der Senat aus Anlaß des vorliegenden Falles nicht zu entscheiden. Der Gemeinde sind noch andere Gestaltungsmöglichkeiten gegeben, die einen Konflikt mit § 2 I 2 NWKAG oder etwa mit dem Grundsatz des Vertrauensschutzes ausschließen und zudem rückwirkende Satzungsbestimmungen bei unerwarteten Kostensteigerungen entbehrlich werden lassen.

Die Gemeinde ist weder durch Bundes- noch durch Landesrecht auf die Ausgestaltung der Abfallbeseitigungsgebühr als Jahresgebühr festgelegt, sondern kann im Rahmen ihres satzungsgeberischen Ermessens in ihrer Gebührensatzung auch kleinere Zeiträume als ein Jahr, etwa ein Quartal, wählen. Dabei geht der Senat davon aus, daß hinsichtlich der nach wie vor notwendigen Gebührenkalkulation dem Grundsatz der Periodengerechtigkeit genügt ist, wenn die jahresbezogenen Kosten gleichmäßig auf die dann maßgebenden kürzeren Zeitintervalle aufgeteilt werden. Praktikabilitätsgesichtspunkten im Hinblick auf die gebührensatzbezogenen Anforderungen des § 2 I 2 NWKAG kann in diesem Fall dadurch Rechnung getragen werden, daß in der Gebührensatzung zu Beginn des Rechnungsjahres auf der Grundlage der Gebührenkalkulation die Gebührensätze für alle in dem Rechnungsjahr vorgesehenen Zeitintervalle im voraus festgesetzt werden und damit für jeden Benutzer (zunächst) feststehen. Treten dann in einem Zeitintervall - ausnahmsweise - nicht kalkulierte, unerwartete Kostensteigerungen auf, ist es der Gemeinde bei effektiver Überwachung der Kostenentwicklung und unter Ausschöpfung der nach der Gemeindeordnung für den Erlaß von Satzungen bestehenden Handlungsspielräume (vgl. § 60 NWGO i.d.F. der Bek. v. 14. 7. 1994, NWGV, 666) weitgehend möglich, diese Kostensteigerungen für das Folgeintervall durch eine Änderungssatzung mit einem entsprechend erhöhten Gebührensatz aufzufangen. Vertrauensschutz zugunsten des Gebührenpflichtigen steht dieser Änderung nicht entgegen, weil die Gebühr für das Folgeintervall vor dessen Beginn noch nicht entstanden ist und das Vertrauen des Gebührenpflichtigen lediglich vom Zeitpunkt der Entstehung der Abgabe an während des laufenden Intervalls Schutz vor einer nachträglichen Erhöhung der Abgabe genießt (vgl. OVG Münster, Urt. v. 31. 8. 1990 - 9 A 2736/88, S. 15 u. 16 d. Entscheidungsabdr. m.w.Nachw.).

Zuzugestehen ist, daß eine vollständige Erfassung und Umlegung etwaiger unerwarteter Kostensteigerungen auch mit dem oben dargelegten "Intervallsystem" nicht gewährleistet ist, da innerhalb des Intervalls auftretende Kostensteigerungen nicht mehr aufgefangen werden können; jedoch wird schon durch die Reduzierung des Prognosezeitraums auf das gegenüber dem Rechnungsjahr wesentlich kürzere Zeitintervall, etwa das Quartal, das Prognoserisiko soweit vermindert, daß sich die finanziellen Auswirkungen der verbleibenden Unwägbarkeiten in ihrer Quantität grundsätzlich unterhalb der Schwelle der zwingenden Gründe des allgemeinen Wohls bewegen und daher von der Gemeinde zu tragen sind.

Gründe, die einer sowohl vom Verwaltungs- als auch finanziellen Aufwand her praktikablen Handhabung dieses Systems entgegenstehen, sind nicht ersichtlich.

Die Gebührenerhebung selbst kann - wie bisher - durch einen Bescheid am Jahresanfang erfolgen, in dem etwa die erste Quartalsgebühr bereits festgesetzt und auf die übrigen Quartalsgebühren nach § 6 IV NWKAG Vorausleistungen oder insgesamt lediglich Vorausleistungen erhoben werden. Dabei können ggf. auch bisher quartalsweise festgelegte Zahlungstermine als solche bestehen bleiben. Erforderlich bleibt danach ein Bescheid über die endgültige Gebührenfestsetzung, der aber im Regelfall mit dem für das Folgejahr zu erlassenden Gebührenbescheid zusammengefaßt werden kann.

Das "Intervallsystem" führt entgegen der Auffassung des Bekl. nicht zu Problemen bei der Endabrechnung, da spätestens mit Beginn des letzten Intervalls sämtliche umlegungsfähigen Kosten der Rechnungsperiode feststehen und abgerechnet werden können.

Soweit der Bekl. darauf hinweist, daß die Bescheide bei unterschiedlichen Gebührensätzen am Jahresanfang und nachträglich und bei anderen Veränderungen im Laufe des Jahres nicht mehr zu verstehen wären, sei darauf hingewiesen, daß es in der Verantwortung des Bekl. liegt, die Bescheide lesbar zu gestalten, und eine verständliche Aufteilung der Bescheide hinsichtlich der einzelnen Gebühren nach Erhebungsjahr, Art der Erhebung (etwa als Vorausleistung), Gebührenmaßstab und Gebührensatz sowie des Gebührenbetrages bei den heute gegebenen Möglichkeiten der Textverarbeitung ohne weiteres zu realisieren ist. Daß, wie der Bekl. behauptet, das Intervallsystem nur für Abfall-, Entwässerungs- und Straßenreinigungsgebühren einheitlich eingeführt werden könne, ist nicht in dem Intervallsystem selbst, sondern allenfalls in der Organisation der bisherigen Gebührenerhebung des Bekl. begründet, mithin also nicht system-, sondern individuell bedingt; entsprechendes gilt hinsichtlich der von dem Bekl. angesprochenen kostenintensiven Umstellung der ADV, die nur deshalb erforderlich würde, weil der Bekl. bislang lediglich die "antizipierte Gebührenerhebung" auf der Basis einer Jahresgebühr praktiziert hat. Es versteht sich von selbst, daß individuell vorgenommene Organisationsdispositionen bei der hier allein gebotenen abstrakten Bewertung der verwaltungstechnischen Handhabbarkeit des Intervallsystems außer Betracht zu bleiben haben.

Entscheidet sich der Satzungsgeber vor diesem Hintergrund gleichwohl nicht für das Intervallsystem, sondern für das bisherige System der "antizipierten Gebührenerhebung" auf der Grundlage der Jahresgebühr und tritt dann tatsächlich eine unerwartete Kostensteigerung ein, ist diese nicht unvorhersehbare Folge eines nach dem Gesetz zwingend vorgegebenen Gebührenerhebungssystems, sondern unmittelbare Konsequenz der in Kenntnis des Prognoserisikos getroffenen Entscheidung des Satzungsgebers. Es geht nicht an, lediglich die Vorteile des Systems der "antizipierten Gebührenerhebung", nämlich die Umlegung möglichst aller im Rechnungsjahr voraussichtlich entstehenden Kosten bereits zu Jahresbeginn, in Anspruch zu nehmen, aber gleichzeitig das diesem Gebührenerhebungssystem immanente Prognoserisiko im Falle seiner Verwirklichung durch rückwirkende Satzungsänderungen vermeiden zu wollen.

Rechtsgebiete

Verwaltungsrecht

Normen

NWKAG §§ 2 I 2, 6 IV