Abrissverfügung und Nutzungsuntersagung für „Bevölkerungsbauwerk“

Gericht

VG Weimar


Art der Entscheidung

Urteil


Datum

25. 04. 2001


Aktenzeichen

1 K 3816/99


Leitsatz des Gerichts

  1. Der Umstand, dass ein zu DDR-Zeiten errichteter Schwarzbau durch die „Verjährungsfrist“ des § 11 III DDR-BevölkerungsbauwerkeVO 1984 „geschützt“ war, ist kein von der Baubehörde beim Erlass einer Abrissverfügung oder Nutzungsuntersagung im Rahmen des intendierten Ermessens zu berücksichtigender Ausnahmefall.

  2. Der ehemals von § 11 III DDR-BevölkerungsbauwerkeVO Begünstigte kann nach Außer-Kraft-Treten der Vorschrift den Maßnahmen der Bauaufsichtsbehörde (Nutzungsuntersagung, Abrissverfügung) auf Grund geänderter Rechtslage keine besonders geschützte Position entgegenhalten.

Tatbestand

Zum Sachverhalt:

Der Kl. ist Eigentümer des in G., F., Flur, Flurstück gelegenen Grundstücks. Am 4. 5. 1977 genehmigte ihm der Rat der Stadt G. die Errichtung einer Gartenlaube mit einer Grundfläche von ca. 24 qm (Abstellraum, Küche und Wohnzimmer = 19 qm Wohnfläche).

Die Zustimmung der Staatlichen Bauaufsicht war am 18. 3. 1977 auf den Bauantragsunterlagen erteilt worden. Nach eigenen Angaben errichtete der Kl. in Abweichung von den genehmigten Unterlagen ein vollständig unterkellertes Gebäude mit ca. 32 qm Grundfläche. In den Jahren 1983/1984 erweiterte er das Gebäude um einen Anbau mit den Außenmaßen 8,3 m x 3,8 m (Wohn- und Schlafzimmer) und nach 1990 um einen weiteren Anbau mit den Maßen 5,6 m x 2,4 m bzw. 3,5 m (Flur und Windfang). Ein bereits 1980 aufstehendes Nebengebäude baute er in dieser Zeit zu einer Doppelgarage aus. Genehmigungen liegen für die Erweiterungs- und Umbaumaßnahmen nicht vor. Seit dem 20. 3. 1980 ist er dort mit seinem Hauptwohnsitz gemeldet. Ausweislich des in der Behördenakte vorhandenen Luftbildes liegt das streitbefangene Gebäude unmittelbar an einer von Nord-West nach Süd-Ost verlaufenden Landstraße. In nördlicher Richtung schließen sich an das Grundstück des Kl. von Nord-West bis Nord-Ost Felder an. Südöstlich befindet sich ein weiteres mit Gebäuden bebautes Grundstück. Südlich dieses Grundstücks befindet sich eine entlang der Ortsstraßen verlaufende, straßenbegleitende Bebauung mit Wohnhäusern. Auf der gegenüberliegenden Seite der Landstraße setzen sich Felder fort. Der Flächennutzungsplan weist für die betroffene Fläche die Nutzung als „Landwirtschaft“ aus. Das Grundstück ist erschlossen. Auf Grund einer Anzeige gab die Untere Bauaufsichtsbehörde der Stadt G. dem Kl. Gelegenheit zur Stellungnahme zu den ungenehmigten Baumaßnahmen. Am 25. 8. 1998 reichte der Kl. einen nachträglichen Bauantrag für die Umnutzung sowie Erweiterung des Hauptgebäudes und des Nebengebäudes ein. Die Gemeinde lehnte die Zustimmung zu dem Vorhaben mit Stellungnahme vom 20. 10. 1998 ab. Mit Bescheid vom 15. 2. 1999 versagte die Untere Bauaufsichtsbehörde die Erteilung der begehrten Baugenehmigung mit der Begründung, dass das im Außenbereich gelegene Vorhaben die unerwünschte Verfestigung einer Splittersiedlung befürchten lasse.

Nach erfolglosem Durchlaufen des Widerspruchsverfahrens erhob der Kl. Klage, die das VG abwies.

Entscheidungsgründe

Aus den Gründen:

Die zulässige Klage ist unbegründet. Die angegriffenen Nrn. 2-7 und 9 des Bescheides vom 15. 2. 1999 i.d.F. des Widerspruchsbescheids vom 27. 9. 1999 sind rechtmäßig und verletzen den Kl. nicht in seinen Rechten, § 113 I VwGO.

Die dem Kl. in Nr. 5 aufgegebene Beseitigung der nach 1980 errichteten Anbauten sowie der Garage ist rechtmäßig. Nach § 77 I 1 ThürBauO kann die Bauaufsichtsbehörde eine teilweise oder vollständige Beseitigung anordnen, wenn die bauliche Anlage in Widerspruch zu öffentlich-rechtlichen Vorschriften errichtet oder geändert wurde und auf andere Weise keine rechtmäßigen Zustände geschaffen werden können - das Vorhaben also nicht genehmigungsfähig ist. Dies ist hier der Fall. Das streitgegenständliche Gebäude steht in Widerspruch zu öffentlich-rechtlichen Vorschriften, weil seine Errichtung genehmigungspflichtig war, aber keine Baugenehmigung vorliegt. Auf die dem Kl. im Jahr 1977 erteilte Zustimmung des Rates der Stadt G. kann sich der Kl. nicht mehr mit Erfolg berufen, da er abweichend von der Zustimmung zur Errichtung einer ca. 24 qm großen Gartenlaube ein vollständig unterkellertes Gebäude mit ca. 32 qm Grundfläche und damit etwas anderes, von der Zustimmung nicht gedecktes - ein so genanntes „aliud“ - errichtet hat. Hierfür bedurfte es jedoch nach § 3 II Spiegelstrich 1, Abs. 1 der zum Zeitpunkt der Errichtung geltenden Verordnung über die Verantwortung der Räte der Gemeinden, Stadtbezirke, Städte und Kreise bei der Errichtung und Veränderung von Bauwerken der Bevölkerung vom 22. 3. 1972 - DDR-BevölkerungsbauwerkeVO 1972 (GBl DDR II, Nr. 26) der Zustimmung, die jedoch fehlt. Ob der in den Jahren 1983/1984 erweiterte Anbau zustimmungsbedürftig war, kann daher dahinstehen, weil bereits das bestehende Gebäude von keiner Zustimmung gedeckt war. Auf die hypothetische und im Übrigen nicht belegte Behauptung des Klägerbevollmächtigten, dem Kl. hätte zu DDR-Zeiten eine Genehmigung erteilt werden müssen, kommt es nicht an. Ein nach Art. 19 Einigungsvertrag (EinigungsV) fortbestehender Verwaltungsakt liegt nicht vor.

Das Vorhaben ist auch nicht genehmigungsfähig. Es steht in Widerspruch zu den Anforderungen des materiellen Baurechts; es verstößt gegen bauplanungsrechtliche Vorschriften. Seine Zulässigkeit richtet sich nach §§ 29, 35 BauGB, denn das Grundstück des Kl. befindet sich im Außenbereich. Es liegt weder im Geltungsbereich eines gem. § 30 BauGB qualifizierten Bebauungsplans noch in einem im Zusammenhang bebauten Ortsteil i.S. des § 34 BauGB. Trotz seiner „Nähe“ zu der in südöstlicher Richtung gelegenen „G. Siedlung“ nimmt das Grundstück des Kl. nicht an deren Bebauungszusammenhang teil. Es entspricht - ebenso wie das süd-östlich gelegene Flurstück - bereits auf den ersten Blick nicht der „baulichen Systematik“ der Siedlung. Dies ergibt sich sowohl aus der über die ortstypische Größe hinausgehenden Größe des Grundstücks, der Lage der auf dem Grundstück des Kl. errichteten baulichen Anlage unmittelbar an der Landstraße und dem Umstand, dass sich das Vorhaben hinter der Bebauungslinie befindet, die sich aus der letzten Hausreihe der „G. Siedlung“ ergibt. Das Grundstück ist vielmehr den dahinter liegenden Feldern und damit dem Außenbereich zugeordnet.

Im Außenbereich ist das Gebäude nach § 35 BauGB jedoch nicht genehmigungsfähig. Das zu Wohnzwecken genutzte Gebäude unterfällt nicht der Privilegierung des § 35 I BauGB. Es ist auch nicht nach § 35 II BauGB zulässig. Nach dieser Vorschrift können sonstige Vorhaben im Einzelfall zugelassen werden, wenn ihre Ausführung oder Benutzung öffentliche Belange nicht beeinträchtigt und die Erschließung gesichert ist. Die Erschließung des Grundstücks ist zwar offenbar gesichert. Das Gebäude beeinträchtigt jedoch öffentliche Belange gem. § 35 III Nr. 7 BauGB, denn es lässt die Erweiterung einer Splittersiedlung befürchten. Splittersiedlungen sind grundsätzlich unzulässig, wenn sie eine zusammenhanglose oder unorganische Streubebauung darstellen. Das streitbefangene Gebäude ist - wie dargelegt - kein Bestandteil der im Zusammenhang bebauten „G. Siedlung“, sondern stellt - ebenso wie das benachbarte Gebäude - eine von der geschlossenen Ortslage abgesetzte, unorganische Streubebauung dar. Es verstößt gegen die Anforderungen an eine geordnete Siedlungsstruktur.

Die bauordnungsrechtliche Verfügung ist auch nicht ermessensfehlerhaft und wahrt den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Eine gerichtliche Überprüfung der Ermessensausübung ist gem. § 114 VwGO nur eingeschränkt möglich. Das Gericht darf nur überprüfen, ob die Behörde ihr Ermessen dem Zweck der Ermächtigung entsprechend ausgeübt und dabei die gesetzlichen Grenzen eingehalten hat. Dabei wird unter anderem geprüft, ob die Behörde alle wesentlichen entscheidungsrelevanten Gesichtspunkte beachtet hat, oder - umgekehrt - nicht einschlägige Gesichtspunkte berücksichtigt worden sind.

Das den Bauaufsichtsbehörden beim Erlass von Abrissverfügungen eingeräumte Ermessen ist von der Besonderheit geprägt, dass das öffentliche Interesse grundsätzlich das Einschreiten gegen baurechtswidrige Zustände gebietet. Daher macht die Behörde im Regelfall von ihrem Ermessen in einer dem Zweck des Gesetzes entsprechenden Weise Gebrauch, wenn sie die Nutzung rechtswidrig errichteter Anlagen untersagt, weil nur so die Rechtsordnung wiederhergestellt werden kann. Dem Ermessen ist in diesen Fällen daher die Tendenz eigen, die der Natur der Sache nach gebotene Pflicht zum Einschreiten zu verwirklichen. Das behördliche Ermessen wird durch die Normen eröffnet, um in Ausnahmefällen zu ermöglichen, von dem an sich gebotenen Einschreiten abzusehen, wenn dies nach den konkreten Umständen opportun ist (so genanntes intendiertes Ermessen vgl. OVG Weimar, st. Rspr., z.B. zur Nutzungsuntersagung LKV 1997, 370 = ThürVBl 1997, 16 [18]; ThürVBl 1998, 137 [138]; LKV 1999, 279 = ThürVBl 1999, 19 [22]). Die Bekl. ist ihrer Pflicht zum Einschreiten gegen baurechtswidrige Zustände mit der angegriffenen Beseitigungsverfügung nachgekommen, da - wie bereits festgestellt - die tatbestandlichen Voraussetzungen der formellen und materiellen Illegalität der baulichen Anlage vorliegen. Die Behörde ist auch zu Recht davon ausgegangen, dass kein von dem im Regelfall gebotenen Einschreiten abweichender Ausnahmefall vorliegt.

Ein dem Einschreiten entgegenstehender Ausnahmefall ist nur dann anzunehmen, wenn in eine besonders schutzwürdige Position eingegriffen wird. Dies ist vorliegend nicht der Fall. Die vom BVerwG aus Art. 14 GG entwickelten Grundsätze des Bestandsschutzes sind vorliegend bereits deshalb unanwendbar, weil das Grundgesetz im Beitrittsgebiet erst zum 3. 10. 1990 in Kraft getreten ist und keine Art. 14 GG entsprechende verfassungsrechtliche Norm in der ehemaligen DDR gegolten hat. Es kann daher dahinstehen, ob Bestandsschutz nur dann begründet wird, wenn und weil eine schutzwürdige legale Eigentumsausübung vorliegt (vgl. BVerwG, BauR 1972, 152; NJW 1975, 550 = BRS 28 Nr. 37), was vorliegend bereits äußerst fraglich ist.

Ein Ausnahmefall ergibt sich auch nicht aus der Gesetzeslage, wie sie in der DDR von 1985 bis 1990 vorübergehend gegolten hat. Gem. § 11 III DDR-BevölkerungsbauwerkeVO vom 8. 11. 1984 (GBl DDR I, 433) durfte eine Auflage gem. I Nr. 3 (zum Abriss) nicht mehr erteilt werden, wenn seit der Fertigstellung des illegal errichteten Bauwerks fünf Jahre vergangen waren. Das für die Erteilung einer Abrissauflage nach der BevölkerungsbauwerkeVO zuständige „Organ“ dürfte demnach nach Ablauf der Frist an dem Erlass einer Auflage gehindert gewesen sein. Insoweit hält die Kammer nicht an ihrer Auffassung fest, dass trotz des Ablaufs der in § 11 III DDR-BevölkerungsbauwerkeVO genannten Frist von fünf Jahren die Beseitigung rechtswidriger baulicher Anlagen noch möglich war (VG Weimar, Urt. v. 14. 3. 2001 - 1 K 4270/99.We). Für die Durchsetzung des im „Handbuch für die ehrenamtlichen Beauftragten der Staatlichen Bauaufsicht zur Beratung der Bürger bei der Errichtung und Veränderung von Bauwerken vom Ministerium für Bauwesen Staatliche Bauaufsicht“, 3.Aufl. Februar 1984, S. 48.6 geforderten unverzüglichen und entschädigungslosen Abrisses des nicht zustimmungsfähigen Bauwerkes nach Ablauf der Fünfjahresfrist fehlte es - soweit ersichtlich - an einer gesetzlichen Grundlage. Die Beseitigung eines Gebäudes durch die Staatliche Bauaufsicht kam nach Ablauf der Fünfjahresfrist der Bevölkerungsbauwerke-Verordnung nur noch nach § 12 II DDR-VO über die Staatliche Bauaufsicht 1981 bei „Gefahr für das Leben oder die Gesundheit von Menschen oder zur Vermeidung volkswirtschaftlicher Schäden“ in Betracht. Die in § 28 I Nr. 3 DDR-Verordnung über die Staatliche Bauaufsicht vom 1. 10. 1987 (GBl DDR I, 249) eingeräumte Abrisskompetenz bezog sich nicht auf die der Verordnung über Bevölkerungsbauwerke unterliegenden Gebäude, sondern nur auf die in § 14 und § 16 der Vorschrift genannten Bereiche, zu denen die Bevölkerungsbauwerke nicht zählten.

Die Fünfjahresfrist des § 11 III DDR-BevölkerungsbauwerkeVO, die als „Verjährungsfrist“ eingestuft werden kann, hat jedoch keine berücksichtigungsfähige, besonders schutzwürdige Position zur Folge, die eine Ausnahme von der gebotenen Wiederherstellung rechtmäßiger Zustände rechtfertigte. Durch den Eintritt der „Verjährung“ zur Erteilung einer Abrissauflage wurde die bauliche Anlage weder formell noch materiell rechtmäßig. Die baulichen Anlagen blieben auch nach Ablauf der fünfjährigen Frist zustimmungspflichtig und wurden auch nicht ohne weiteres zustimmungsfähig. Eine dem Ausnahmefall des Bestandsschutzes ähnliche Situation, die eine legale Eigentumsnutzung voraussetzt, besteht daher nicht. Es ist auch keine aus sonstigen Erwägungen besonders schützenswerte Vertrauenslage entstanden. Die ohne Erteilung einer Zustimmung errichteten Gebäude sind nicht im Vertrauen auf eine geltende Gesetzeslage errichtet worden. Für die vor In-Kraft-Treten der Bevölkerungsbauwerke-Verordnung 1984 am 1. 2. 1985 errichteten Gebäude liegt dies auf der Hand. Aber auch die nach dem 1. 2. 1985 errichteten Gebäude sind nicht im Vertrauen auf die Rechtslage errichtet worden, sondern allenfalls in der Hoffnung, dass fünf Jahre verstreichen würden, ohne dass eine Auflage zum Abriss erteilt wird. Ein sich realisierendes Vertrauen in die - wenn auch gegebenenfalls systemimmanente - Untätigkeit der zur Prüfung rechtmäßiger Zustände verpflichteten Behörde stellt nach Auffassung der Kammer kein den Ausnahmefall begründendes schutzwürdiges Vertrauen dar, das seine Grundlage insbesondere nicht mehr in der geltenden Gesetzeslage findet. Die durch § 11 III DDR-BevölkerungsbauwerkeVO eingefügte „Verjährungsfrist“ ist bereits am 1. 8. 1990 durch § 11 des Gesetzes zur Einführung des Gesetzes vom 20. 7. 1990 über die Bauordnung (DDR-BauO) vom 20. 7. 1990 (GBl DDR I Nr. 50) außer Kraft getreten. Der Einwand des Klägerbevollmächtigten, bei Fortbestand der DDR hätte die Vorschrift ebenfalls weiterbestanden, trifft nicht zu, weil die Vorschrift bereits zum Zeitpunkt des Beitritts nicht mehr existierte. Es ist darüber hinaus äußerst zweifelhaft, ob einem Abrissverlangen nach Außer-Kraft-Treten der Bevölkerungsbauwerke-Verordnung unter Geltung des Rechts der ehemaligen DDR die „Verjährung“ noch hätte entgegengehalten werden können. Aber auch, wenn die Verjährungsfrist erst durch den Beitritt außer Kraft getreten wäre, stellte eine sich zu Ungunsten des Begünstigten auswirkende Änderung der Rechtslage keine per se schutzwürdige Position dar. Ein Vertrauen in das Fortbestehen einer Rechtslage gibt es grundsätzlich nicht. Gegen eine veränderte Rechtslage können sich allenfalls besonders geschützte - etwa durch verfassungsrechtlich gewährleistete Garantien wie der Eigentumsgarantie des Art. 14 GG - Positionen behaupten. Wie bereits dargelegt bestand eine solche Position nicht. Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, dass nach Untergang der DDR ein Vertrauen in den Weiterbestand von DDR-Recht nach Untergang der DDR ohnehin nicht bestehen konnte. Eine ausdrückliche Überleitungsvorschrift, wie sie etwa mit Art. 232 § 1 EGBGB geschaffen worden ist, wonach für ein vor dem Wirksamwerden des Beitritts entstandenes Schuldverhältnis das bisherige in der DDR geltende Recht maßgebend ist, ist für den vorliegenden Fall nicht geschaffen worden. Die zu DDR-Zeiten ohne Zustimmung errichteten Gebäude müssen sich daher an den geltenden rechtlichen Regelungen messen lassen und unterliegen den geltenden Eingriffsregeln, die eine „Verjährung“ des gebotenen Einschreitens gegen rechtswidrige Zustände nicht vorsehen. In dem Zusammenhang wird allenfalls die Frage der Verwirkung diskutiert. Selbst wenn man jedoch davon ausgeht, dass ein öffentliches Recht auf Einschreiten überhaupt verwirkt werden kann, liegen die Voraussetzungen nicht vor. Das Verwirken eines Rechts setzt in jedem Fall Kenntnis von der Möglichkeit der Rechtsausübung voraus. Die Bekl. hat jedoch erst im Juni 1998 Kenntnis von der rechtswidrigen baulichen Anlage und Dauerwohnnutzung erhalten. Der Ablauf von sechs Monaten bis zum Erlass der Nutzungsuntersagung und Abrissverfügung genügt den zeitlichen Anforderungen an eine Verwirkung nicht. Der Vortrag des Klägerbevollmächtigten zur Weiterwirkung der Duldung über Art. 19 EinigungsV und zur Gleichbehandlung mit dem Sachenrechtsbereinigungsgesetz begründet ebenfalls keine andere Wertung. Insoweit wird Bezug genommen auf die Ausführungen im Beschluss vom 15. 7. 1999 - 1 E 664/99. We -, denen sich die Kammer anschließt.

Die Beseitigungsverfügung ist auch verhältnismäßig. Zwar wäre nach den Ausführungen kein Raum für eine - eingeschränkte - Teilabrissverfügung gewesen. Insoweit wirkt sich eine mögliche Rechtswidrigkeit jedoch zu Gunsten des Kl. aus und verletzt ihn damit nicht in seinen Rechten, § 113 I VwGO.

Die Doppelgarage stellt ebenfalls ein im Außenbereich unzulässiges und ungenehmigtes Vorhaben dar, deren Beseitigung zu Recht gefordert wurde. Die zur Durchsetzung der Abrissanordnung angedrohte Ersatzvornahme mit geschätzten Kosten in Höhe von 15000 DM ist ebenfalls nicht zu beanstanden. Sie erfüllt die gesetzlichen Voraussetzungen, §§ 43-50 ThürVwZVG.

Zu Recht hat die Bekl. dem Kl. auch die Nutzung des Gebäudes zu Dauerwohnzwecken untersagt. Dabei geht die Untersagung der Nutzung nicht wegen der Aussetzung des Sofortvollzugs durch Beschluss des OVG Weimar vom 24. 1. 2000 - Az.: 1 EO 212/00 - und der gleichzeitig erlassenen Abrissverfügung „ins Leere“. Für die Zeit zwischen der Bestandskraft der Entscheidung und der Beseitigung der baulichen Anlage besitzt sie noch einen Regelungsgehalt. Die Eingriffsbefugnis für die Nutzungsuntersagung ergibt sich aus § 77 I 2 ThürBauO. Die auf der Tatbestandsseite erforderlichen Voraussetzungen (formelle Illegalität) liegen vor. Insoweit wird zur Vermeidung von Wiederholungen auf die obigen Ausführungen und die im Beschluss des VG Weimar, 1 E 664/99. We, vom 15. 7. 1999 und des OVG Weimar, 1 EO 212/00, vom 24. 1. 2000 Bezug genommen. Über das der Bekl. eröffnete Ermessen hat sie - nach der gem. § 114 VwGO nur eingeschränkten gerichtlichen Überprüfbarkeit von Ermessensentscheidungen - pflichtgemäß entschieden. Ebenso wie bei einer Beseitigungsverfügung macht die Behörde auch bei der Nutzungsuntersagung im Regelfall von ihrem Ermessen in einer dem Zweck des Gesetzes entsprechenden Weise Gebrauch, wenn sie die Nutzung rechtswidrig errichteter Anlagen untersagt, weil nur so die Rechtsordnung wiederhergestellt werden kann. Ein Ausnahmefall liegt nach den oben angestellten Erwägungen auch dann nicht vor, wenn man davon ausgeht, dass sich der aus § 11 III DDR-BevölkerungsbauwerkeVO ergebende Schutz vor Abriss der baulichen Anlage wegen des im DDR-Recht fehlenden Rechtsinstituts der Nutzungsuntersagung auch auf die ausgeübte Nutzung bezog. Ein im Gegensatz zur Abrissverfügung sogar nur mittelbares Vertrauen in die Duldung der rechtswidrigen Nutzung kann erst recht keine den Ausnahmefall darstellende, besonders schützenswerte Position begründen. Demzufolge ist auch die Untersagung der Nutzung der Garage rechtmäßig.

Rechtsgebiete

Verwaltungsrecht

Normen

ThürBauO § 77 I; DDR-BevölkerungsbauwerkeVO § 11 III