Freier Zugang zu den Toiletten einer Gaststätte

Gericht

OLG Düsseldorf


Art der Entscheidung

Rechtsbeschwerde


Datum

19. 03. 1991


Aktenzeichen

5 Ss (OWi) 392/90 - (OWi) 159/90 I


Leitsatz des Gerichts

  1. Es ist Sache des Tatrichters, den Inhalt einer Auflage festzustellen, die mit der Schankerlaubnis erteilt worden ist.

  2. Der freie Zugang zu den Toiletten in einer Gaststätte muss stets gewährleistet sein.

  3. Wird die Tür der Toilette in einer Gaststätte, wenn auch aus beachtenswerten Gründen, verschlossen gehalten und ist der Schlüssel hierzu - etwa nur für weibliche Gäste - nur an der Theke auf Verlangen erhältlich, ohne dass hierauf durch sichtbare Hinweise aufmerksam gemacht wird, so ist der Zugang zur Toilette unzumutbar erschwert und damit unzulässig behindert.

Tatbestand

Auszüge aus dem Sachverhalt:

Das AG hatte gegen den Betroffenen wegen vorsätzlicher Zuwiderhandlung gegen §§ 28 I Nr. 2, 5 I GaststG eine Geldbuße von 100 DM festgesetzt. Hiergegen wendet sich der Betroffene mit der Rechtsbeschwerde, deren Zulassung er beantragt. Er rügt die Verletzung materiellen Rechts.

Das OLG hat die Rechtsbeschwerde zugelassen, weil es geboten erschien, die Nachprüfung des Urteils zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zu ermöglichen (§ 80 I Nr. 1 OWiG). Das Rechtsmittel hatte jedoch keinen Erfolg.

Entscheidungsgründe

Auszüge aus den Gründen:

Das AG hat festgestellt:

Der Betroffene ist Geschäftsführer einer Schankwirtschaft in Düsseldorf, die nahezu ausschließlich von männlichen Gästen besucht wird. In der diese Schankwirtschaft betreffenden Gaststättenerlaubnis der Stadt D. vom 14. 3. 1988 ist gem. § 5 I GaststG folgende Auflage erteilt:

"Die im Grundrissplan ausgewiesenen Gäste-Toilettenanlagen müssen stets in voll betriebsfertigem Zustand gehalten werden. Sie sind nach Geschlechtern getrennt und entsprechend beschildert mit Handwaschvorrichtungen und Wasserspülung zu unterhalten... Die Aborte dürfen nicht durch Münzautomaten oder ähnliche Einrichtungen versperrt oder nur gegen Entgelt zugänglich sein..."

Die Toilettenanlage in der Gaststätte besteht aus einem Vorraum und zwei jeweils nach Geschlechtern getrennten Toilettenräumen. In diesen befinden sich jeweils zwei räumlich abgetrennte und mit verschließbaren Türen versehene Sitzaborte. Der Betroffene hielt zumindest seit dem 2. 2. 1990 die Tür zur Damentoilette verschlossen, weil er befürchtete, dass der von der Theke aus nicht kontrollierbare und selten benutzte Raum der Damentoilette zu homosexuellen Handlungen der fast ausschließlich männlichen Gäste oder zum Zwecke des Drogenkonsums bzw. Drogenhandels missbraucht werden könnte. Der Schlüssel zur Damentoilette wurde neben anderen Schlüsseln an der Rückseite der Bar hängend aufbewahrt. Er war durch einen Anhänger als Toilettenschlüssel gekennzeichnet. Ein sonstiger Hinweis auf den Schlüssel und seine Benutzungsmöglichkeit, etwa durch ein in der Gaststätte angebrachtes Schild, war nicht vorhanden. Weibliche Gäste erhielten den Schlüssel auf Nachfrage ausgehändigt und durften ihn sich auch selbst nehmen.

Die Erwägungen des AG zum Schuldspruch sind im Ergebnis rechtsbedenkenfrei. Die Feststellungen belegen, dass der Betroffene als nach § 9 II 1 Nr. 1 OWiG verantwortlicher Betriebsleiter der Gaststätte vorsätzlich einer Auflage nach § 5 I Nr. 1 GaststG nicht bzw. nicht vollständig nachgekommen ist und dadurch eine Ordnungswidrigkeit nach § 28 I Nr. 2 GaststG begangen hat.

1. Nach § 5 I Nr. 1 GaststG können Gewerbetreibenden, die einer Erlaubnis bedürfen, jederzeit Auflagen zum Schutze der Gäste gegen Ausbeutung und gegen Gefahren für Leben, Gesundheit oder Sittlichkeit erteilt werden. Das ist hier geschehen. Die in der Gaststättenerlaubnis der Stadt D. vom 14. 3. 1988 aufgrund von § 5 I GaststG hinsichtlich der Gäste-Toilettenanlagen erteilte Auflage bezweckt den Schutz der Gäste gegen Gefahren für Gesundheit oder Sittlichkeit.

2. Das AG hat dieser Auflage unter anderem die Bedeutung beigemessen, dass die nach Geschlechtern getrennten Spülaborte für jeden männlichen und weiblichen Gast jederzeit frei zugänglich sein müssten, das heißt, dass der Zutritt zu den Aborten für jeden Gast ohne weiteres möglich sein müsse. Es hat dies insbesondere aus der Bestimmung gefolgert. "Die Aborte dürfen nicht durch Münzautomaten oder ähnliche Einrichtungen versperrt oder nur gegen Entgelt zugänglich sein".

Demgegenüber vertritt der Betroffene die Auffassung, der zitierten Bestimmung sei lediglich zu entnehmen, dass der Zugang zur Toilette nicht von der Entrichtung eines besonderen Entgelts abhängig gemacht werden dürfe; dies zeige die Formulierung der Bestimmung, weil darin von "Münzautomaten" und von "Entgelt" die Rede sei; daher seien auch unter den in der Auflage genannten "ähnlichen Einrichtungen" nur solche zu verstehen, bei denen dem Gast für die Benutzung der Toilette ein besonderes Entgelt abverlangt werde.

Die von dem AG vorgenommene Auslegung der Auflage lässt keinen Rechtsfehler erkennen.

a) Den Inhalt eines Verwaltungsaktes - vorliegend der genannten Gaststättenerlaubnis - festzustellen, ist Sache des Tatrichters. Ebenso ist Tatfrage, ob ein Verwaltungsakt mit Nebenbestimmungen versehen ist, an deren Nichtbeachtung Rechtsfolgen geknüpft sind. Grundsätzlich ist das RechtsbeschwGer. an die Auslegung des Tatrichters gebunden, wenn die Erwägungen, auf denen sie beruht, rechtsfehlerfrei sind und Umstände berücksichtigen, die ihr entgegenstehen könnten (Senat, VRS 78, 312 = MDR 1990, 571 = VM 1990, 53 = NZV 1990, 363 und Senat VRS 79, 131 = ZfS 1990, 216 jew. m. w. Nachw.).

aa) Der Wortlaut der genannten Bestimmung zwingt nicht zu der Annahme, dass - wie der Betroffene meint - nur die Benutzung der Toilette gegen Entrichtung eines besonderen Entgeltes ausgeschlossen sein soll. Für diesen Fall hätte es nämlich der Erwähnung von "Münzautomaten" und "ähnlichen Einrichtungen" nicht bedurft. Das bloße Verbot der Erhebung eines besonderen Entgelts für die Benutzung der Toiletten hätte vielmehr genügt. Die in der Auflage genannten Münzautomaten und die Forderung eines Entgeltes sind lediglich die in der Praxis am häufigsten vorkommenden Beispielsfälle für einen nur eingeschränkten Zugang zu Toilettenanlagen. Unter dem Begriff "ähnliche Einrichtungen" können daher auch solche verstanden werden, die den freien Zutritt versperren, ohne dass das Hindernis durch Zahlung eines Entgeltes behoben werden muss.

Der Wortlaut nötigt auch nicht, als "ähnliche Einrichtungen" nur an den Türen oder Zugängen zusätzlich angebrachte mechanisch oder elektronisch funktionierende Automaten anzusehen. Es verstößt nicht gegen Sprach- oder Denkgesetze (BGHSt 21, 371 (372) = NJW 1968, 309 = LM § 130 StGB § 130), unter "ähnlichen Einrichtungen" vielmehr alle Vorkehrungen zu verstehen, die den freien Zugang zu den Aborten auf irgendeine Weise versperren oder behindern.

bb) Die von dem AG vorgenommene Auslegung der Auflage verstößt auch nicht gegen deren Sinn und Zweck, Gäste vor Gefahren für Gesundheit oder Sittlichkeit zu bewahren. Sie liegt vielmehr bei Beachtung des hergebrachten Rechts nahe, das durch langjährige Anwendung einen fest umrissenen Inhalt erhalten hat.

Bereits in dem Runderlass über die "Anforderungen, welche in baulicher und gesundheitlicher Beziehung an die Gast- und Schankwirtschaften zu stellen sind" des Preußischen Ministeriums des Innern vom 26. 8. 1886 und 1. 3. 1890 (MBliV 1886, 182; 1890, 51) war angeordnet, dass der Zugang zu den Toiletten "niemals" behindert werden darf. In einem Rechtsstreit vor dem Reichsverwaltungsgericht war die Fortgeltung des genannten Runderlasses zwar bezweifelt worden. In seinem Urteil vom 8. 4. 1943 (DR 1943, 1016) hat das Reichsverwaltungsgericht aber die Auffassung vertreten, die Bestimmung, dass der Zugang zu den Abtritten "nie" behindert sein darf, enthalte eine so selbstverständliche Forderung, dass sie auch dann gelten müsste, wenn eine förmliche Vorschrift dieses Inhalts nicht vorhanden wäre.

Das BVerwG hat in seinem Urteil vom 13. 3. 1973 (GewArch 1973, 139) unter Hinweis auf die oben genannte Entscheidung des Reichsverwaltungsgerichts ausgeführt: Die Auffassung, dass eine Gaststätte mit nur eingeschränkter Zugänglichkeit der Aborte den nach § 4 I Nr. 2 GaststG zu stellenden Anforderungen an die Eignung der zum Betrieb des Gewerbes bestimmten Räume nicht entspreche, stimme mit den bisherigen Anschauungen überein. Die allgemeine Ermächtigung der Länder in § 4 III 1 GaststG (siehe unten), zur Durchführung des Absatzes 1 Nr. 2 Mindestanforderungen an Lage, Beschaffenheit, Ausstattung und Einteilung von Gaststättenräumen zu bestimmen, decke ein landesrechtliches Verbot, die - notwendigen - Aborte durch Münzautomaten oder ähnliche Einrichtungen zu versperren oder nur gegen ein besonderes Entgelt zugänglich zu machen. Eine besondere gesetzliche Ermächtigung an die Länder zum Erlass einer Vorschrift über den unbehinderten Zugang zu den Aborten einer Gaststätte sei darüber hinaus nicht erforderlich.

Die Auffassung des AG, das in der Auflage der Stadt D. enthaltene Verbot bezwecke den unbehinderten Zugang zu den Toiletten schlechthin, stimmt hiernach mit der überkommenden Rechtsauffassung und Rechtspraxis überein.

b) Der Inhalt, der der hier in Rede stehenden Auflage nach der Auslegung des AG zukommt, ist genügend bestimmt. Die Auslegung ist im übrigen auch mit dem Gesetzlichkeitsprinzip (Art. 103 II GG) vereinbar. Es verlangt Erkennbarkeit und Vorhersehbarkeit der Sanktionsandrohung durch den sich am Wortlaut und seinem möglichen Sinn orientierenden Normadressaten (BVerfGE 25, 269 (285) = NJW 1969, 1059; BVerfGE 47, 109 (120 ff.) = NJW 1978, 933; BVerfGE 64, 389 (393) = NJW 1984, 225 = NStZ 1983, 509; BVerfGE 71, 109 (115) = NJW 1986, 1671 = NVwZ 1986, 631 L). Daß der Wortlaut der Auflage der von dem AG vorgenommenen Auslegung nicht entgegensteht, vielmehr sein Sinn diese Auslegung nahelegt, ist bereits ausgeführt.

3. Die Stadt D. als die für die Erteilung der Gaststättenerlaubnis (§ 2 I GaststG) zuständige Behörde durfte gem. § 5 I Nr. 1 GaststG die strittige Auflage erteilen, auch wenn die u. a. aufgrund des § 4 III 1 GaststG erlassene Gaststättenverordnung des Landes Nordrhein-Westfalen (NJWGaststVO) eine entsprechende Bestimmung nicht (mehr) enthält.

Wie in den Gaststättenverordnungen anderer Bundesländer (vgl. Baden-Württemberg § 9 VI, Berlin § 6 VI, Bremen § 5 VI, Hamburg § 7 V, Hessen § 8 VI, Niedersachsen § 7 VI, Rheinland-Pfalz, § 8 VI, Schleswig-Holstein § 6 VI) war auch in § 8 VI 3 NRWGaststV vom 20. 4. 1971 (GVNRW S. 119) vorgeschrieben, dass die notwendigen Aborte nicht durch Münzautomaten oder ähnliche Einrichtungen versperrt oder nur gegen Entgelt zugänglich sein dürfen. Mit den §§ 5 bis 15 NRWGaststVO ist die genannte Vorschrift durch Art. I der Verordnung zur Änderung der Gaststättenverordnung vom 21. 2. 1984 (GVNRW S. 196) aufgehoben worden. Eine gleichlautende Bestimmung findet sich heute in § 27 I der aufgrund des § 102 I Nr. 2 NRWBauO erlassenen Gaststättenbauverordnung von Nordrhein-Westfalen - NRWGaststBauVO - vom 9. 12. 1983 (GVNRW 1984, S. 4; für Bayern siehe § 24 I und das Saarland § 39 III der jeweiligen GaststBauVO).

Daß der ungehinderte Zugang zu den notwendigen Toilettenanlagen einer Gaststätte in Nordrhein-Westfalen seitdem nur im bauordnungsrechtlichen und damit landesrechtlichen Zusammenhang geregelt ist, hinderte die Stadt D. nicht, bei Erteilung der Gaststättenerlaubnis vom 14. 3. 1988 die entsprechende Auflage bereits auf die allgemeine bundesrechtliche Norm des § 5 I GaststG zu stützen. Denn diese sieht in Nr. 1 jederzeit Auflagen zum Schutze der Gäste gegen Gefahren für Gesundheit oder Sittlichkeit vor (vgl. BVerwG, GewArch 1973, 139 (140)).

4. Das Verbot, den Zugang zu den Gästetoiletten zu beschränken, verlangt schließlich einem Gastwirt nichts Unzulässiges oder Unverhältnismäßiges ab. Es verstößt insbesondere nicht gegen Art. 12 I GG, denn es beeinträchtigt die Ausübung des Gaststättengewerbes nur ganz geringfügig (BVerwG, GewArch 1973, 139).

5. Dadurch, dass der Betroffene die Tür zur Damentoilette in der von dem AG festgestellten Weise verschlossen gehalten hat, ist er der nach § 5 I GaststG erteilten Auflage nicht bzw. nicht vollständig nachgekommen.

a) Das bloße Verschließen der Toilette stellt allerdings noch keinen Verstoß gegen die Auflage dar, wenn beachtenswerte Gründe hierfür bestehen und im übrigen der freie Zugang für die zur Benutzung dieser Toilette berechtigten Gäste ausreichend gewährleistet ist. Beachtenswerte Gründe waren nach den Feststellungen des AG für den Betroffenen gegeben, da er befürchtete, dass der von der Theke aus nicht kontrollierbare und selten benutzte Raum der Damentoilette zu homosexuellen Handlungen der fast ausschließlich männlichen Gäste oder zum Zwecke des Drogenkonsums bzw. Drogenhandels missbraucht werden könnte.

b) Dennoch hat er den freien Zugang zur Damentoilette in einer Weise beschränkt, die mit der erteilten Auflage nicht vereinbar ist. Der ungehinderte Zugang wäre in einer mit dieser Auflage noch zu vereinbarenden Weise gewährleistet gewesen, wenn etwa in der Gaststätte deutlich sichtbare Hinweisschilder auf den an der Theke befindlichen Schlüssel angebracht gewesen wären. Dies war aber nicht der Fall. Dass nur wenige weibliche Gäste die Gaststätte besuchten und zum Teil um die Handhabung des Schlüssels wussten, machte solche Hinweise nicht entbehrlich. Denn die betreffende Auflage bezweckt generell den Schutz aller Gäste, auch solcher weiblichen Gäste, die das Lokal aufsuchen, ohne mit den dortigen Gepflogenheiten vertraut zu sein. Mit Recht hat das AG den Standpunkt vertreten, dass für einen solchen weiblichen Gast, der die Toilette verschlossen vorfindet und erst von sich aus die Zutrittsmöglichkeit erforschen muss, der Zugang unzumutbar erschwert und damit im Sinne der erteilten Auflage unzulässig behindert ist.

Der Betroffene hat in Kenntnis aller maßgebenden tatsächlichen Umstände und damit vorsätzlich gehandelt. Ein etwaiger Irrtum über die rechtliche Reichweite der Auflage wäre ein Verbotsirrtum. Dafür, dass ein solcher unvermeidbar gewesen wäre, fehlen Anhaltspunkte.

Rechtsgebiete

Verwaltungsrecht