Keine Pflicht zur Abnahme der Lohnsteuer bei Pauschallohnsteuerverfahren
Gericht
BAG 3. Senat
Art der Entscheidung
Revisionsurteil
Datum
22. 06. 1978
Aktenzeichen
3 AZR 156/77
Es gibt keinen gesetzlichen Grundsatz, dass der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer die Lohnsteuer abnehmen muss, wenn er sich für das Pauschallohnsteuerverfahren entscheidet (Bestätigung von BAG AP Nr. 10 zu § 38 EStG).
Die Pauschalbesteuerung des Tariflohnes verstößt jedenfalls dann nicht gegen § 4 Abs. 1 und 3 TVG, wenn der Arbeitnehmer jederzeit die Einzelbesteuerung seines Lohnes verlangen kann.
Auszüge aus dem Sachverhalt:
Die Bekl. betreibt ein Reinigungsunternehmen. Die Kl. war bei ihr vom 6. 1. bis 31. 5. 1975 als Arbeiterin mit Reinigungsarbeiten bis zu 20 Stunden wöchentl. beschäftigt. Beide Parteien sind an die für das Gebäudereinigungshandwerk geltenden TVe gebunden. Im übrigen richtete sich das Arbeitsverhältnis nach einem ArbVertrag vom 23. 1. 1975. Darin wird zum ArbEntgelt folgendes bestimmt:
"Der Lohn regelt sich nach dem jeweiligen Lohntarif für gewerbl. Arbeitnehmer im Gebäudereinigerhandwerk. Zur Zeit beträgt der Stundenlohn 4,78 DM netto."
Dieser Nettolohn war im Pauschallohnsteuerverfahren aus dem maßgebenden Tarifstundenlohn von 5,30 DM brutto errechnet worden. Die Bekl. erhöhte ihn im gleichen Berechnungsverfahren mit Wirkung vom 1. 5. 1975 auf 5,13 DM netto, weil der Tarifstundenlohn auf 5,68 DM brutto angehoben worden war. Die Pauschalversteuerung gemäß § 40a EStG war mit dem zust. FinA abgestimmt und von der Kl. und allen vergleichbaren Teilzeitarbeitnehmern gebilligt worden. Wenn die betroffenen Arbeitnehmer ihre Lohnsteuerkarte vorlegten, konnten sie nach einer betriebl. Regelung verlangen, dass ihr Lohn von der folgenden Abrechnungsperiode an individuell versteuert werde. Von dieser Möglichkeit hat die Kl. keinen Gebrauch gemacht.
Die Kl. hat die Ansicht vertreten, sie könne den Tariflohn ohne jeden Abzug beanspruchen. Schuldner der Pauschallohnsteuer sei allein der Arbeitgeber (§ 40a Abs. 4 EStG i. Verbindung m. § 40 Abs. 3 EStG). Eine Abwälzung der Steuerschuld auf die Arbeitnehmer sei nach geltendem Steuer- und Tarifrecht unzulässig. Im vorliegenden Rechtsstr. hat die Kl. die Lohn- und Kirchensteuer für die Monate April und Mai 1975 geltend gemacht. Sie hat beantragt, die Bekl. zu verurteilen, an sie 64,45 DM nebst 4 % Zinsen seit Rechtshängigkeit (20. 10. 1975) zu zahlen.
Die Bekl. hat Klageabweisung beantragt und erwidert, sie habe den Tarifstundenlohn ordnungsgemäß abgerechnet und ausgezahlt. Im Verhältnis zum FinA habe sie zwar gemäß § 40 Abs. 3 EStG die pauschale Lohnsteuer übernehmen müssen, das sei jedoch im Verhältnis zu ihren Teilzeitarbeitnehmern bedeutungslos. Mit diesen sei vielmehr ausdrückl. vereinbart worden, dass sie die auf den Tariflohn entfallenden Steuern tragen müssen. Eine Einzelbesteuerung hätte für die Kl. keine Vorteile gebracht. Im übrigen sei sie nicht gehindert gewesen, ihre Lohnsteuerkarte vorzulegen und Einzelbesteuerung zu verlangen.
Die Kl. ist in beiden Vorinstanzen unterlegen. Die Revision der Kl. blieb erfolglos.
Auszüge aus den Gründen:
Die Bekl. hat den Lohnanspruch der Kl. ordnungsgemäß abgerechnet. Sie ist nicht verpflichtet, die Pauschallohnsteuer für die Kl. zu übernehmen.
1. Die Parteien haben keine Nettolohnvereinbarung getroffen.
a) Wie das LAG zutreffend ausgeführt hat, steht der Kl. nach dem ArbVertrag vom 23. 1. 1975 der jeweilige Tariflohn zu. TVe enthalten grundsätzl. Bruttobeträge, die entsprechenden Löhne und Gehälter sind also von den Arbeitnehmern zu versteuern. Etwas anderes kann zwar tarifvertragl. vorgesehen werden (BAG AP Nr. 2 zu § 1 TVG Tarifverträge: Metallindustrie [zu Leitsatz 2]), eine solche Regelung bildet aber in der derzeitigen Tarifpraxis eine Ausnahme, die hier nicht vorliegt.
§ 3 S. 2 des ArbVertrages der Parteien beziffert allerdings den Stundenlohn der Kl. mit "zur Zeit ... 4,78 DM netto". Dabei handelt es sich aber nur um einen klarstellenden Hinweis, wie das LAG überzeugend ausgeführt hat. Die Kl. sollte ledigl. erkennen können, welcher Betrag nach Ansicht der Bekl. auf der Grundlage des damals maßgebenden TV auszuzahlen war. Es blieb ihr unbenommen, die Abrechnung der Bekl. zu beanstanden und eine andere steuerl. oder sozialversicherungsrechtliche Behandlung zu verlangen. Auch wurde kein bestimmtes Steuerabzugsverfahren im Vertrag bindend vorgeschrieben. Nach den Feststellungen des LAG wusste und billigte die Kl. zwar, dass ihr Lohn pauschal versteuert wurde, insoweit blieben jedoch beide Parteien frei. Die Kl. konnte - wenn ihr das vorteilhaft erschien - unter Vorlage ihrer Steuerkarte verlangen, dass der Lohnsteuerabzug in ihrem Falle nach den allgemeinen Vorschriften der § 39b-39d EStG vorgenommen wurde. Dieses Recht war auch mit dem Betriebsrat ausgehandelt worden.
Bei dieser Vertragslage besagt die Erwähnung des tarifl. Nettolohnes nur, dass im Verhältnis zwischen den Parteien die Kl. die Pauschalsteuer tragen muss. Das hat das LAG zutreffend erkannt.
b) Die Revision greift die Auslegung des LAG nicht an. Diese lässt auch keinen Auslegungsfehler erkennen, und von ihr ist daher für die Revisionsinstanz auszugehen.
Irreführend ist es, wenn in der RevBegründung mehrfach von einer "Nettolohnvereinbarung" gesprochen wird. Eine solche liegt nach der Auslegung des LAG gerade nicht vor. Kennzeichnend für Nettolohnvereinbarungen ist, dass nur der auszuzahlende Betrag vertragl. festgelegt wird und der Bruttobetrag, der für die Lohnsteuer und die Sozialversicherungsbeiträge maßgebend ist, daraus errechnet werden muss. Diesen Weg haben die Parteien vermieden.
2. Es gibt keinen gesetzl. Grundsatz, dass der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer die Lohnsteuer abnehmen muss, wenn er sich für das Pauschallohnsteuerverfahren entscheidet.
a) Die Kl. beruft sich auf § 40 Abs. 3 EStG. Danach hat der Arbeitgeber die pauschale Lohnsteuer zu übernehmen. Er ist Schuldner der pauschalen Lohnsteuer. Bei der Einkommenssteuer und beim Lohnsteuer-Jahresausgleich des Arbeitnehmers bleiben der pauschalbesteuerte Arbeitslohn und die pauschale Lohnsteuer außer Betracht. Dadurch entsteht ein Besteuerungsverfahren eigener Art, in das der Arbeitnehmer nicht eingeschaltet ist. Im steuerrechtl. Schriftt. wird von einer Besteuerung mit dem Charakter einer "Objektsteuer" (Altehoefer-Schwarz, Steuerrecht und Arbeitsverhältnis, 1978, S. 268; Nissen, Forkel - Komm., § 40 EStG, RdNr. 49) und von einer "Arbeitgeber- oder Betriebssteuer" (Oeftering-Görbing, Das gesamte Lohnsteuerrecht, § 40 EStG, Anm. 21) gesprochen. Daraus will die Kl. ableiten, dass eine Abwälzung der Pauschalsteuer auf die Arbeitnehmer unzulässig sei. Die Rechtsansicht der Kl. überschätzt die Reichweite des Steuerrechts und verkennt den Sinn der steuerrechtl. Arbeitgeberhaftung.
Wie das BAG bereits entschieden hat (AP Nr. 10 zu § 38 EStG), ist zwischen dem öffentlichrechtl. Steuerschuldverhältnis und dem privatrechtl. Arbeitsverhältnis scharf zu unterscheiden. Die Übernahme der Steuerschuld gegenüber dem FinA bedeutet nicht, dass der Arbeitgeber auch im arbeitsrechtl. Innenverhältnis die Lohnsteuer tragen muss. Vielmehr bleibt es bei dem Grundsatz, dass die Lohnsteuer im Zweifel vom Arbeitnehmer selbst zu tragen ist. An dieser Rechtspr. ist festzuhalten. Die Neuf. der §§ 40, 40a EStG durch das Einkommensteuer-Reformgesetz von 1975 sollte nach einhelliger Ansicht nur die bish. bewährte Verwaltungspraxis in das Einkommensteuergesetz einbeziehen (vgl. Oeftering-Görbing, a.a.O., § 40 Anm. 1; besonders eingehend: Felix-Korn, BB 1976, 546 m. zahlr. Nachw.).
§ 40 Abs. 3 EStG verfolgt keine arbeitsrechtl. Ziele. Wie das LAG zutreffend erkannt hat, geht es dem Gesetzgeber ledigl. um eine Straffung und Vereinfachung des Abrechnungsverfahrens. Wenn man einen Durchschnittssteuersatz zulässt und vom Arbeitgeber die dafür erforderl. Aufzeichnungen verlangt, ist es nur folgerichtig, das Steuerschuldverhältnis allein mit dem Arbeitgeber abzuwickeln. Deshalb wird dem FinA verwehrt, den Arbeitnehmern in Anspruch zu nehmen. Das zwingt weiterhin dazu, die Pauschalsteuer auch bei der Einkommensteuererklärung und beim Lohnsteuer-Jahresausgleich nicht zu berücksichtigen. Hingegen ist das zivilrechtl. Verhältnis zwischen dem Arbeitgeber und dem Arbeitnehmer als Lohngläubiger und Lohnschuldner für das Steuerrecht bedeutungslos.
c) Etwas anderes kann die Kl. auch nicht aus einem Urteil des BSG entnehmen, das sich mit der sozialversicherungsrechtl. Behandlung von pauschalbesteuerten Löhnen befasst (Urt. vom 12. 11. 1975 - 3/12 RK 8/74 - AR-Blattei "Teilzeitarbeit: Entscheidung 5"). Danach ist der Pauschalsteuerbetrag für die Berechnung des versicherungspflichtigen Einkommens nicht zum ausgezahlten Lohn des Arbeitnehmers hinzuzurechnen. Das BSG begründet das mit dem Vereinfachungszweck, dem das Pauschallohnsteuerverfahren dient. Dieser Zweck werde vereitelt, wenn in jedem Einzelfall die unterschiedl. Vor- und Nachteile des Pauschallohnsteuerverfahrens für die Berechnung des Sozialversicherungsbeitrags ermittelt werden müssten. Zwar könnten im Einzelfall geringe Beitragsausfälle entstehen, das sei jedoch hinzunehmen.
Die Rechtspr. des BSG erlaubt keine Rückschlüsse in dem von der Kl. angedeuteten Sinne. Zu den zivilrechtl. Beziehungen zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer nimmt sie nicht Stellung, vielmehr wird insoweit auf die Rechtspr. des BAG (AP Nr. 10 zu § 38 EStG) Bezug genommen.
3. Schließl. verstößt der ArbVertrag der Parteien auch nicht gegen die zwingende Wirkung eines TV (§§ 4 Abs. 1 und 3 TVG). Auch insoweit ist der Begründung des LAG in allen Punkten beizutreten.
a) Es kann dahingestellt bleiben, ob ein Lohntarifvertrag den Grundsatz einschließt, dass die für jeden Arbeitnehmer günstigste Form der Besteuerung gewählt werden muss. Selbst wenn man das unterstellt, kann die Klage keinen Erfolg haben. Das Pauschallohnsteuerverfahren ist nämlich keineswegs immer ungünstiger als die Einzelbesteuerung nach den allgemeinen Vorschriften der § 39b-39d EStG. Je nach den Familienverhältnissen, den sonstigen Einkünften und dem Verdienst des Ehemannes kann das Pauschallohnsteuerverfahren günstiger sein (vgl. auch BSG, a.a.O., 2. Fortsetzungsblatt Abs. 3). Deshalb hätte die Kl. vortragen müssen, weshalb und in welchem Umfange sie durch das Pauschallohnsteuerverfahren benachteiligt wurde. Entsprechende Fragen des LAG hat sie nicht beantwortet, so dass in tatsächl. Hinsicht davon auszugehen ist, dass sie sich jedenfalls im Streitzeitraum nicht verschlechtert hat.
b) Die Revision hält eine Vergleichsrechnung für entbehrl. Nach ihrer Ansicht sind das Pauschallohnsteuerverfahren und alle Nettolohnvereinbarungen generell unzulässig, wenn sie sich auf den Tariflohn in einem tarifgebundenen Arbeitsverhältnis beziehen. Sie führten nämlich zu einer Verwischung der Grenzen zwischen dem tarifl. Mindestlohn und denkbaren steuerlichen Vergünstigungen. Aus Gründen der Rechtssicherheit seien deshalb solche Klauseln nur "im übertariflichen Raum" zulässig, selbst wenn der Arbeitnehmer im Einzelfall wirtschaftl. nicht schlechter gestellt sei.
Auch diese Frage muss der Senat nicht abschließend klären. Der Revision ist immerhin zuzugeben, dass eine Realisierung des Tariflohns erschwert und die Rechtsstellung des Arbeitnehmers verschlechtert sein könnte, wenn er sich auf ein bestimmtes Lohnsteuerabzugsverfahren festlegen müsste, ohne die Vor- und Nachteile im einzelnen und für die Zukunft abschätzen zu können. Aber nach den Feststellungen des LAG ist eine solche vertragliche Bindung weder beabsichtigt gewesen noch eingetreten. Vielmehr konnte die Kl. im Rahmen des geltenden Steuerrechts jederzeit frei entscheiden, wie der Lohnsteuerabzug künftig vorgenommen werden sollte. Da der ArbVertrag der Parteien keine Festlegung enthielt, kann er auch nicht zu einer Schmälerung tarifl. Ansprüche geführt haben.
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