Arbeitsunfall auf dem Weg zur Nachtruhe im Hotel
Gericht
BSG
Art der Entscheidung
Revisionsurteil
Datum
04. 08. 1992
Aktenzeichen
2 RU 43/91
Zum Versicherungsschutz während einer Dienstreise nach einer abgrenzbaren eigenwirtschaftlichen Tätigkeit im Hotel auf dem Weg zur Nachtruhe.
Auszüge aus dem Sachverhalt:
Die Bet. streiten um die Entschädigung eines Unfalls als Arbeitsunfall, den der Kl. am 13. 4. 1984 während einer Dienstreise erlitten hat. Der Kl. nahm als Außendienstmitarbeiter an einem „Basisseminar Verkaufstraining" im Hotel H. in E. teil. Am 12. 4. 1984 endete die Seminartätigkeit um 18.00 Uhr. Im Anschluß an das Abendessen fand in den Räumen der hoteleigenen Kegelbahn gegen 20.30 Uhr eine vom Seminarleiter organisierte gemeinsame Kegelveranstaltung statt, für die die Firma ein 30-Liter-Faß Bier zur Verfügung stellte und die sie gegenüber der bekl. Berufsgenossenschaft als einen in ihrem Auftrag vom Seminarleiter organisierten geselligen „Abschlußabend“ mit Kegeln bezeichnete. Gegen 23.00 Uhr hatten die Seminarteilnehmer „die Lust am Kegeln verloren"; einige von ihnen, u. a. auch der Seminarleiter, begaben sich zur Nachtruhe auf ihre Zimmer. Der Kl. und etwa fünf weitere Teilnehmer setzten sich in einem Aufenthaltsraum des Hotels zusammen und tranken ihre restlichen Getränke. Nach Angaben des Kl. unterhielten sie sich überwiegend über Ablauf und Inhalt des Seminars. Gegen 1.30 Uhr begab sich der Kl. zu der nicht mehr besetzten Hotelrezeption, um dort die Zimmerschlüssel zu holen. Der Kl. nahm seinen Schlüssel. Auf der Treppe zu seinem Zimmer stürzte er und verletzte sich. Die Bekl. lehnte Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung ab, weil sowohl das Kegeln als auch das anschließende Zusammensitzen mit den Kollegen nicht durch betriebliche Tätigkeiten geprägt gewesen sei.
Das SG hat die Bekl. verurteilt, dem Kl. unter Anerkennung des Unfalls vom 13. 4. 1984 als Arbeitsunfall wegen der Folgen dieses Unfalls Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung zu gewähren. Das LSG hat die Berufung der Bekl. zurückgewiesen. Ihre Revision führte zur Aufhebung und Zurückverweisung.
Auszüge aus den Gründen:
II. ... Nach § 548 I 1 RVO ist Arbeitsunfall ein Unfall, den ein Versicherter bei einer der in den §§ 539, 540 und 543 bis 545 RVO genannten Tätigkeit erleidet. Dies erfordert zunächst eine sachliche Verbindung mit der im Gesetz genannten versicherten Tätigkeit und dem Beschäftigungsverhältnis (§ 539 I Nr. 1 RVO), den sog. inneren Zusammenhang, der es rechtfertigt, das betreffende Verhalten der versicherten Tätigkeit zuzurechnen (s. BSGE 63, 273 (274) = NZA 1988, 893; BSG, SozR 2200§ 548 Nr. 95; SozR 3-2200 § 539 Nrn. 5 und 9). Dazu muß die Betätigung des Versicherten, bei der sich der Unfall ereignet hat, mit dem Beschäftigungsverhältnis in einem rechtlich wesentlichen Zusammenhang stehen. Ein derartiger Zusammenhang wird zwar am Ort der auswärtigen Beschäftigung (auf Dienst- oder Geschäftsreisen) in der Regel eher anzunehmen sein als am Wohn- oder Betriebsort. Nach ständiger Rechtsprechung des BSG ist aber auch auf Dienstreisen der Unfallversicherungsschutz nicht schon deshalb ohne weiteres gegeben, weil sich der Reisende in einer fremden Stadt aufhalten muß. Der Versicherungsschutz entfällt jedenfalls, wenn der Reisende sich rein persönlichen, von der Betriebstätigkeit nicht mehr beeinflußten Belangen widmet (BSG, Urt. v. 22. 9. 1966 - 2 RU 16/65). Auf Geschäftsreisen besteht für Wege nach und von der Essenseinnahme Versicherungsschutz nach § 548 I RVO. Diese Wege stehen im inneren Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit, die den Versicherten in die fremde Stadt geführt hat (BSGE 50, 100 (101); 63, 273 (274) = NZA 1988, 893).
Nach den bindenden Feststellungen des LSG (§ 163 LSG) hatte der Kl. am Unfalltag gegen 19.30 Uhr zu Abend gegessen. Das Ende dieses Abendessens war zumindest mit Beginn der gemeinsamen Kegelveranstaltung auf 20.30 Uhr bestimmt. Es kann offen bleiben, ob das Kegeln als betriebliche Gemeinschaftsveranstaltung im Sinne der Rechtsprechung des Senats angesehen werden kann (s. BSGE 1, 179 (182) = NJW 1956, 526 L; BSG, SozR 2200§ 548 Nr. 69; Brackmann, Hdb. d. Sozialversicherung, 11. Aufl., § 482k m. w. Nachw.) oder aus anderen Gründen im inneren Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit des Kl. stand (s. BSGE 8, 48 (92) = NJW 1958, 1558). Jedenfalls mit dem Ende des Kegelns hatte sich der Kl. für den Rest des Abends rein persönlichen, der Betriebstätigkeit nicht mehr zuzurechnenden Verrichtungen zugewandt.
Die zweieinhalbstündige Unterhaltung des Kl. mit den Teilnehmern ist nicht der betrieblichen Tätigkeit zuzurechnen. Dieses Zusammensein im Aufenthaltsraum des Hotels diente lediglich der Pflege kollegialer Beziehungen untereinander. Eine nur geringe Anzahl der Teilnehmer des Fortbildungslehrganges nahm an dem Gespräch im Aufenthaltsraum des Hotels teil. Der Lehrgangsleiter hatte sich bereits zur Nachtruhe begeben. Die Gespräche über dienstliche Belange, Ablauf und Inhalt des Seminars lassen keine andere Beurteilung dieses Zusammenseins zu. Die Gewohnheit, bei solchen privaten Zusammenkünften auch über die Bildungsveranstaltung, insbesondere über Lehrplanthemen zu sprechen, genügt für sich allein nicht, um ein solches Beisammensein dem versicherungsrechtlich geschützten Dienstbereich zuzurechnen. Wollte man allein durch die Gesprächsthemen eine inneren Zusammenhang mit der betrieblichen Tätigkeit als gegeben erachten, wäre jede Unterhaltung - gleich wo und unter welchen Umständen sie stattfindet -, sofern sie sich nur auf betriebliche Vorgänge bezieht, als Betriebstätigkeit anzusehen; dadurch würde aber eine sinnvolle Abgrenzung zwischen betrieblicher und persönlicher Sphäre schlechthin unmöglich gemacht (BSG, Urt. v. 26. 1. 1983 - 9b/8 RU 38/81 - HV-Rundschreiben VB 38/83; BSG, SozR 2200§ 548 Nr. 21).
Allerdings hat das BSG in seiner Entscheidung vom 30. 7. 1958 (BSGE 8, 48 (52) = NJW 1958, 1558) in einem halbstündigen Aufenthalt im Hotelspeisesaal im Anschluß an eine versicherte Tätigkeit nicht eine eindeutige und nachhaltige Hinwendung zu abgrenzbaren eigenwirtschaftlichen Tätigkeiten im Hotel erblickt; es hat vielmehr die Unterbrechung des Rückweges von der versicherten Tätigkeit einer „kurzen Erfrischungspause" gleichgestellt. Anders ist jedoch im vorliegenden Fall der zweieinhalbstündige Aufenthalt des Kl. zu beurteilen. Nicht nur, daß er den Zeitrahmen gegenüber der genannten Entscheidung um zwei Stunden überschritt, so dauerte auch die Zusammenkunft bis in die frühen Morgenstunden des nächsten Tages.
Auch die weiteren von den Vorinstanzen angeführten Entscheidungen des BSG führen zu keiner anderen Beurteilung. In seinem Urteil vom 30. 8. 1962 (s. SozR Nr. 57 zu § 542 RVO a. F.) hat das BSG keine Entscheidung bezüglich des Weges zur Aufnahme der Nachtruhe nach einer längeren allein privaten Interessen dienenden Verrichtung im Hotel getroffen. Die Entscheidung des Senats vom 29. 4. 1980 (BSGE 50, 100) betrifft einen anderen Sachverhalt, da dort der Versicherte auf dem Heimweg unmittelbar von der unter Versicherungsschutz stehenden Nahrungsaufnahme verunglückte, während sich der Kl. nach dem Abendessen und dem Kegelabend noch einer längeren rein privaten Interessen dienenden Verrichtung - zudem in anderen Räumen - zugewandt hatte. Das unterscheidet den hier maßgebenden Sachverhalt von dem, der der Entscheidung in BSG, SozR 2200§ 548 Nr. 63 zugrunde lag. Dort war der Versicherungsschutz auf dem Rückweg von der Nahrungsaufnahme bzw. einer dienstlichen Besprechung zu beurteilen.
Nach den Feststellungen des LSG wollte sich der Kl. auf sein Zimmer zur Aufnahme der Nachtruhe begeben. Die Nachtruhe und damit zusammenhängende Verrichtungen sind grundsätzlich dem persönlichen, vom Versicherungsschutz nicht erfaßten Bereich des Versicherten zuzurechnen (BSG, Urt. v. 22. 9. 1966 - 2 RU 16/75; BSG, SozR Nr. 5 zu § 548 RVO). Der Kl. hat sich somit von einer abgrenzbaren eigenwirtschaftlichen Tätigkeit im Hotel zur Nachtruhe und damit in einen ebenfalls der persönlichen Sphäre zuzurechnenden Bereich begeben wollen. Ein innerer Zusammenhang zur dienstlichen Tätigkeit war zu diesem Zeitpunkt nicht mehr gegeben. Auf Wegen zu eigenwirtschaftlichen Zwecken im Hotel besteht kein Versicherungsschutz (BSG, Urt. v. 22. 9. 1966 - 2 RU 16/75).
Ungeachtet des privaten Charakters einer Verrichtung kann während einer Dienst- oder Geschäftsreise innerhalb eines Hotels ein rechtlich wesentlicher innerer Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit des Reisenden auch bei einer dem privaten unversicherten Bereich angehörenden Verrichtung gegeben sein, wenn gefahrbringende Umstände den Unfall wesentlich bedingt haben, die in ihrer besonderen Eigenart dem Beschäftigten während seines normalen Verweilens am Wohn- oder Beschäftigungsort nicht begegnet wären (Brackmann, § 481 m. w. Nachw.). Allerdings genügt die Erwägung, daß dem auf einer Dienstreise befindlichen Versicherten der Unfall nicht zugestoßen wäre, wenn er zu Hause geblieben wäre, in dieser Allgemeinheit nicht, um den Versicherungsschutz zu bejahen. Vielmehr muß, wie generell in der Unfallversicherung, zu der nicht hinwegzudenkenden Bedingung noch eine nähere Beziehung zur dienstlichen Sphäre treten, welche die Annahme eines wesentlichen inneren Zusammenhangs zwischen dem Beschäftigungsverhältnis und dem Unfallereignis rechtfertigt (BSGE 8, 48 (50) = NJW 1958, 1558; BSG, SozR 2200§ 539 Nr. 110). Auf diesen Grundsätzen beruht die Rechtsprechung des BSG bei Unfällen, die sich während einer Dienstreise durch Gefahrenmomente ereignet haben, denen Versicherte durch den Aufenthalt in einem Hotel oder einer anderen Übernachtungsstätte ausgesetzt waren (s. z. B. BSGE 8, 48; 39, 180; BSG, SozR 2200§ 548 Nr. 7; BSGE 40, 265; s. auch BSG, Urt. v. 26. 1. 1983 - 9b/8 RU 38/81 - HV-Rundschreiben VB 38/83). Diese Umstände hat das LSG - aus seiner Sicht folgerichtig - nicht abschließend geprüft. Diese rechtliche Überprüfung kann der Senat mangels ausreichender tatsächlicher Feststellungen hinsichtlich der besonderen Gefahrenmomente nicht abschließend vornehmen.
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