Tariflicher Urlaub bei Beschäftigungsverbot wegen Schwangerschaft
Gericht
BAG 9. Senat
Art der Entscheidung
Revisionsurteil
Datum
09. 08. 1994
Aktenzeichen
9 AZR 384/92
Hat der Arbeitgeber zu Beginn des Urlaubsjahres den Erholungsurlaub zeitlich festgelegt, so besteht keine Verpflichtung zur anderweiten Neufestsetzung, wenn die Arbeitnehmerin danach schwanger wird und für die vorgesehene Urlaubszeit ihre Beschäftigung verboten ist.
Mit der Festlegung des Urlaubszeitraums entsprechend den Wünschen der Arbeitnehmerin hat der Arbeitgeber als Schuldner des Urlaubsanspruchs das Erforderliche nach § 7 Abs. 1 BUrlG getan. Wird die Freistellung nachträglich unmöglich, wird der Arbeitgeber von der Freistellungsverpflichtung nach § 275 BGB frei, soweit die Unmöglichkeit nicht auf krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit beruht (§ 9 BUrlG).
Auszüge aus dem Sachverhalt:
Die Parteien streiten darüber, ob der Bekl. zur Abgeltung des
Urlaubsanspruches aus dem Jahre 1990 verpflichtet ist.
Die 1963 geborene Kl. wurde von dem Bekl. als Bäckerin in der
Fünf-Tage-Woche montags bis freitags beschäftigt. Das
Arbeitsverhältnis bestand vom 17. 11. 1986 bis 15. 5. 1991. Ihr
monatl. Festlohn betrug zuletzt 2900 DM brutto. Beide Parteien
sind kraft Organisationszugehörigkeit tarifgebunden. In dem
zwischen den Bäckerinnungs-Verbänden Rheinland und
Westfalen-Lippe einerseits und der Gewerkschaft
Nahrung-Genuß-Gaststätten, Landesbezirk Nordrhein-Westfalen,
andererseits abgeschlossenen Manteltarifvertrag vom 10. 3. 1989
(kurz: MTV) ist folgende Regelung getroffen:
"§ 11: Urlaub
1. Soweit im folgenden nichts anderes bestimmt ist, gelten für den Urlaub die Bestimmungen des Bundesurlaubsgesetzes.
2. Jeder Arbeitnehmer hat in jedem Kalenderjahr einmal Anspruch auf bezahlten Erholungsurlaub.
3. a) Der Urlaub für jugendl. Arbeitnehmer richtet sich nach dem Jugendarbeitsschutzgesetz. Jugendl. Arbeitnehmer sind die Beschäftigten, die zu Beginn des Kalenderjahres noch nicht 18 Jahre alt sind.
b) Der Urlaub für die übrigen Arbeitnehmer beträgt jährl. ab 1989
im 1. Jahr | 26 Werktage |
nach 2 Jahren ununterbr. Betriebszugeh. | 27 Werktage |
nach 4 Jahren ununterbr. Betriebszugeh. | 29 Werktage |
...
Maßgebl. ist das Lebensalter bei Beginn des Kalenderjahres. Stichtag für die Berechnung der Betriebszugehörigkeit ist der 2. 1. des jeweiligen Jahres. ...
...
5. Als Werktage gelten alle Kalendertage, die nicht Sonn- oder gesetzl. Feiertage sind.
..."
Anfang 1990 legten die Parteien einvernehml. den größten Teil
des Jahresurlaubs der Kl. vom 27. 8. bis zum 22. 9. 1990 fest. Am
22. 3. 1990 wurde festgestellt, daß die Kl. schwanger war. Das
Staatl. Gewerbeaufsichtsamt Hagen teilte dem Bekl. am 12. 4. 1990
mit, daß die Kl. nicht als Bäckerin beschäftigt werden dürfe.
Nach Einstellung der Arbeit zahlte der Bekl. bis zum 3. 10. 1990
den Lohn fort. Die Kl. wurde am 18. 11. 1990 entbunden. Zum 14.
1. 1991 trat sie den Erziehungsurlaub an. Das Arbeitsverhältnis
endete aufgrund der Eigenkündigung der Kl. zum 15. 5. 1991. Nach
erfolgloser mündl. Geltendmachung hat die Kl. mit der am 12. 6.
1991 erhobenen Klage ursprüngl. die Urlaubsabgeltung für 29
Urlaubstage geltend gemacht, später jedoch auf 24,17 Tage
beschränkt.
Die Kl. hat zuletzt beantragt, den Bekl. zu verurteilen, an die
Kl. 3235,16 DM brutto nebst 4 % Zinsen seit dem 12. 6. 1991 zu
zahlen.
Der Bekl. hat beantragt, die Klage abzuweisen.
Das ArbG hat die Klage als unbegründet abgewiesen. Das LAG hat
auf die Berufung der Kl. das Urt. des ArbG entspr. abgeändert.
Die vom LAG zugelassene Revision des Bekl. hat im wesentl.
Erfolg.
Auszüge aus den Gründen:
1. Die Kl. hat nur einen Anspruch auf Urlaubsabgeltung für 2,5 Arbeitstage in Höhe von 334,63 DM brutto.
a) Nach dem zutreffenden Ausgangspunkt des LAG ist bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses während des Erziehungsurlaubes der vom Arbeitgeber noch nicht gewährte Urlaub abzugelten, § 17 Abs. 3 BErzGG. Zu dem abzugeltenden Urlaub gehört nach § 17 Abs. 2 BErzGG der dem Arbeitnehmer zustehende Urlaub, den dieser vor Beginn des Erziehungsurlaubs nicht oder nicht vollständig erhalten hat; denn die Inanspruchnahme des Erziehungsurlaubs soll nicht zum Verfall des Erholungsurlaubs führen (Senatsurt. vom 28. 7. 1992 - 9 AZR 340/91 - AP Nr. 3 zu § 17 BErzGG [1b der Gründe], [für die Amtl. Samml. bestimmt]).
b) Bei Antritt des Erziehungsurlaubs am 14. 1. 1991 stand der Kl. Resturlaub für 2,5 Arbeitstage aus dem Urlaubsjahr 1990 zu.
aa) Der zustehende Jahresurlaub überstieg den für 20
Arbeitstage in der Zeit vom 27. 8. bis 22. 9. 1990 festgesetzten
Urlaubszeitraum. Aufgrund ihres Alters und der Dauer ihrer
Betriebszugehörigkeit hatte die Kl. nach § 11 Abs. 3b MTV einen
Anspruch auf 27 Werktage Urlaub.
Soweit das ArbG und LAG 29 Werktage zugrundegelegt haben, sind
sie fehlerhaft von einer vierjährigen ununterbrochenen
Betriebszugehörigkeit der Kl. ausgegangen. Sie haben die tarifl.
Stichtagsregelung des § 11 Abs. 3b Satz 3 MTV übersehen. Die
Dauer der Betriebszugehörigkeit wird vom Stichtag 2. 1.
berechnet. Für die am 17. 11. 1986 eingestellte Kl. war für das
Urlaubsjahr 1990 deshalb erst das dritte Jahr der
Betriebszugehörigkeit vollendet.
bb) Da die Kl. in der Fünf-Tage-Woche von montags bis
freitags beschäftigt worden ist, muß der nach Werktagen
bemessene tarifl. Urlaubsanspruch in Arbeitstage umgerechnet
werden (vgl. BAG 54, 141 = AP Nr. 30 zu § 13 BUrlG). Wegen des
Fehlens einer tarifl. Umrechnungsregelung sind dazu Werktage und
Arbeitstage rechnerisch so in Beziehung zueinander zu setzen,
daß die Gesamtdauer des Urlaubs durch die Zahl 6 geteilt und mit
der Zahl der 5 Arbeitstage pro Woche multipliziert wird.
Rechnerisch ergeben sich daraus (27 : 6 x 5 =) 22,5 Arbeitstage.
Der errechnete Bruchteil des Resturlaubs ist weder ab- noch
aufzurunden. Die für den Teilurlaub in § 5 Abs. 2 BUrlG
geltende gesetzl. Aufrundungsregel ist nicht anwendbar, weil es
sich hier um Bruchteile von Vollurlaubstagen handelt. Aus
denselben Erwägungen hat der Senat die Anwendung der
Rundungsregel auf Bruchteile von Zusatzurlaub abgelehnt
(Senatsurt. vom 19. 4. 1994 - 9 AZR 478/92 - AP Nr. 3 zu § 1
BUrlG Treueurlaub).
c) Die bei der Festsetzung des Urlaubs nicht berücksichtigten 2,5 Resturlaubstage sind nicht mit Ablauf des Jahres 1990 untergegangen.
aa) Nach § 7 Abs. 3 Satz 2 BUrlG findet eine Übertragung des
Resturlaubs auf das nächste Kalenderjahr statt, wenn in der
Person des Arbeitnehmers liegende Gründe dies rechtfertigen.
Für die Übertragung bedarf es dazu keiner Handlung des
Arbeitnehmers. Rechtfertigen in der Person des Arbeitnehmers
liegende Gründe die Übertragung des Urlaubs, vollzieht sich die
Übertragung von selbst, so daß kraft Gesetzes der Urlaub des
Vorjahres dem Urlaub des nachfolgenden Jahres hinzugerechnet wird
(BAG 56, 53 = AP Nr. 15 zu § 7 BUrlG Übertragung; BAG 56, 340 =
AP Nr. 41 zu § 7 BUrlG Abgeltung).
Nach der Geburt ihres Kindes am 18. 11. 1990 bestand für die Kl.
das achtwöchige Beschäftigungsverbot für Wöchnerinnen nach §
6 Abs. 1 Satz 1 MuSchG. Deshalb konnte sie aus persönl. Gründen
nicht bis zum Ablauf des Kalenderjahres 1990 von ihrer
Arbeitspflicht zum Zwecke der Urlaubserteilung befreit werden, so
daß der Resturlaub auf das Kalenderjahr 1991 übertragen worden
ist.
bb) Die nach § 7 Abs. 3 Satz 3 BUrlG bestehende Beschränkung der Übertragung auf die ersten 3 Monate des folgenden Kalenderjahres wird hier durch § 17 Abs. 2 BErzGG verdrängt. Dem liegt die Erwägung zugrunde, daß durch die Inanspruchnahme von Erziehungsurlaub der restl. Erholungsurlaub nicht verloren gehen soll (Wiegand, BErzGG, Stand März 1987, § 17 Rz 8; Grüner/Dalichau, BErzGG, Stand Juni 1994, § 17 Anm. III; Stevens-Bartol, BErzGG, 2. Aufl., § 17 Anm. 4).
d) Ausgehend von dem unstreitigen arbeitstägl. Entgelt von 133,85 DM brutto beträgt die Urlaubsabgeltung für 2,5 Arbeitstage 334,63 DM brutto.
2. Die Kl. hat keinen weitergehenden Abgeltungsanspruch; denn der durch die Festsetzung vom 27. 8. bis 22. 9. 1990 konkretisierte Urlaubsanspruch ist ersatzlos untergegangen.
a) Der Urlaubsanspruch der Kl. ist durch die zeitl.
Festsetzung nicht erfüllt worden.
Mit der Festsetzung der Arbeitsbefreiung zum Zwecke des
Erholungsurlaubs vom 27. 8. bis 22. 9. 1990 hat der Bekl. die ihm
als Schuldner obliegende erforderl. Leistungshandlung i. S. des
§ 243 Abs. 2 BGB vorgenommen. Damit die Verpflichtung zur
Urlaubserteilung nach § 362 Abs. 1 BGB erlischt, genügt jedoch
nicht die Vornahme der erforderl. Leistungshandlung, sondern es
muß auch der Leistungserfolg eintreten.
Nach dem Vortrag des dafür darlegungspflichtigen Bekl. muß
davon ausgegangen werden, daß infolge des mutterschutzrechtl.
Beschäftigungsverbotes die ursprüngl. beabsichtigte Befreiung
von der Arbeit zum Zwecke des Erholungsurlaubs nicht eingetreten
ist. Dies wäre nur dann möglich gewesen, wenn die Kl. vertragl.
verpflichtet und tatsächl. in der Lage gewesen wäre, andere
nicht vom mutterschutzrechtl. Beschäftigungsverbot erfaßte
Tätigkeiten auszuüben (vgl. BAG 56, 340, 345 = AP Nr. 41 zu §
7 BUrlG Abgeltung [4b der Gründe]; BAG 64, 88, 90 = AP Nr. 15 zu
§ 47 BAT [I 1 der Gründe]). Dafür sind keine Tatsachen
vorgetragen.
b) Dennoch stehen der Kl. diese Urlaubstage nicht mehr zu.
Das LAG hat angenommen, die von den Parteien einvernehml.
getroffene Festlegung der Urlaubszeit vom 27. 8. bis 22. 9. 1990
sei rechtsunwirksam, weil der Urlaub in der festgelegten Zeit
tatsächl. nicht hätte abgewickelt werden können. Dem kann
nicht gefolgt werden.
Der Arbeitgeber hat als Schuldner von Freistellungsansprüchen
das zu seiner Leistung Erforderl. mit der Festlegung des
Urlaubszeitraums (§ 7 Abs. 1 BUrlG) getan. Wird die Freistellung
nachträgl. unmöglich, ohne daß der Arbeitgeber die
Unmöglichkeit zu vertreten hat, so wird er nach § 275 Abs. 1
BGB von der Freistellungsverpflichtung frei. Nach der Rechtspr.
des Senats ist der durch die Leistungshandlung konkretisierte
Anspruch des Arbeitnehmers gemäß § 243 Abs. 2, § 275 Abs. 1,
§ 300 Abs. 2 BGB ersatzlos untergegangen (BAG Urt. vom 15. 6.
1993 - 9 AZR 65/90 - AP Nr. 3 zu § 1 BildungsurlaubsG NRW = DB
1993, 2237).
So liegt der Fall hier. Wegen des vom Gewerbeaufsichtsamt am 12.
4. 1990 festgestellten und bis zum 3. 10. 1990 andauernden
Beschäftigungsverbotes nach §§ 3, 4 MuSchG ist die Anfang 1990
erklärte Befreiung von der Arbeitspflicht zum Zwecke des
Erholungsurlaubs nachträgl. unmöglich geworden, ohne daß der
Arbeitgeber nach § 276 BGB das die Unmöglichkeit
herbeiführende Beschäftigungsverbot zu vertreten hat.
c) Es besteht auch keine Verpflichtung des Bekl. zur
Neufestsetzung des unmöglich gewordenen Urlaubs.
Das LAG hat die Auffassung vertreten, Tage, an denen Schwangere
aufgrund von gesetzl. Vorschriften von der Arbeit freizustellen
sind, seien nicht auf Urlaubsansprüche anzurechnen. Insoweit
zieht das LAG eine Analogie zu der Vorschrift des § 9 BUrlG.
Dieser Auffassung tritt der Senat nicht bei. Zwar hat das BAG in
seiner älteren Rechtspr. es als angemessen angesehen, neben der
Krankheit auch in sonstigen Fällen urlaubsstörender Ereignisse,
dem Arbeitgeber die Verpflichtung zur Gewährung von Nachurlaub
aufzuerlegen, wenn in diesen Fällen der Lohn für den
Arbeitsausfall kraft Gesetzes unabdingbar weiterzuzahlen sei (BAG
Urt. vom 1. 8. 1963 - 5 AZR 59/63 - AP Nr. 1 zu § 12
ArbPlatzSchutzG und - 5 AZR 74/63 - AP Nr. 91 zu § 611 BGB
Urlaubsrecht). An dieser Auffassung ist aber später zu Recht
nicht wieder angeknüpft worden (vgl. BAG Urt. vom 11. 1. 1966 -
5 AZR 383/65 - AP Nr. 1 zu § 1 BUrlG Nachurlaub). Grundsätzl.
fallen alle urlaubsstörenden Ereignisse als Teil des persönl.
Lebensschicksals in den Risikobereich des einzelnen
Arbeitnehmers. Nur soweit der Gesetzgeber oder die TVParteien
besondere urlaubsrechtl. Normen wie § 9 BUrlG setzen, kommt die
Anwendung der allgemeinen Gefahrtragungsvorschrift des § 275 BGB
nicht in Betracht (vgl. BAG Urt. vom 9. 6. 1988 - 8 AZR 755/85 -
AP Nr. 10 zu § 9 BUrlG).
aa) Soweit im Schrifttum erwogen wird, § 9 BUrlG entspr. anzuwenden, wenn beim Arbeitnehmer tatsächl. Beeinträchtigungen wie bei einer Krankheit vorliegen (vgl. Dersch/Neumann, BUrlG, 7. Aufl., § 3 Rz 39), ist dies abzulehnen. Letztl. käme es dann immer auf eine Einzelfallprüfung an, ob die dem Beschäftigungsverbot zugrundeliegenden arbeitsplatzbezogenen Beschränkungen die betroffenen Arbeitnehmer hindern, ihren Erholungsurlaub selbstbestimmt zu gestalten. Für eine analoge Gesetzesanwendung muß jedoch die typische Vergleichbarkeit und nicht der im Einzelfall festzustellende Grad der Beeinträchtigung ausschlaggebend sein. Aus diesem Grund könnte eine analoge Anwendung nur dann in Betracht kommen, wenn typischerweise bei jedem schwangerschaftsbedingten Beschäftigungsverbot eine mit der krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit vergleichbare Beeinträchtigung vorliegt. Das trifft jedoch nicht zu.
bb) § 17 Abs. 2 BErzGG ist keine mit § 9 BUrlG vergleichbare
Sondervorschrift zur Sicherung von Urlaubsansprüchen bei
Schwangerschaft.
Nach § 17 Abs. 2 BErzGG wird nur der bei Antritt des
Erziehungsurlaubs noch zustehende Urlaub auf die Zeit nach dem
Erziehungsurlaub übertragen. So wird der Urlaub vor dem
ansonsten drohenden Verfall geschützt (BAG 68, 304 = AP Nr. 2 zu
§ 17 BErzGG). Hier war aber der Erholungsurlaub aus dem Jahr
1990 nicht wegen des Antritts des Erziehungsurlaubs im Jahr 1991
in Gefahr; sondern bei Beginn des Erziehungsurlaubs stand der Kl.
der mit Ablauf des 22. 9. 1990 untergegangene Urlaubsanspruch
nicht mehr zu.
3. Die Kl. hat gemäß §§ 291, 288 BGB Anspruch auf Prozeßzinsen.
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