Kundenwiderspruch gegen Tarifänderung und Kündigungsrecht des Mobilfunknetzbetreibers
Gericht
OLG Düsseldorf
Art der Entscheidung
Berufungsurteil
Datum
21. 02. 1997
Aktenzeichen
22 U 149/96
Nr. 15.1 der „Bedingungen für den Mobilfunkdienst C“, in der eine Kündigung des Vertrags zum Schluss eines jeden Werktags mit einer Frist von sechs Werktagen vorgesehen ist, ist nach § 9 I ABGB unwirksam.
Wenn der Kunde einer Tarifänderung durch den Dienstanbieter gem. Nr. 11 der „Bedingungen für den Mobilfunkdienst C“ widerspricht, kann dieser aus wichtigem Grund kündigen, sofern die Tarifänderung der Billigkeit entspricht.
Der Kl. ist Kunde der Bekl. im Mobilfunkdienst C. Die „Bedingungen für den Mobilfunkdienst C“ (Stand 1. 1. 1994) bestimmten in Nr. 11, dass u.a. Änderungen der Preise dem Kunden schriftlich mitgeteilt werden und als genehmigt gelten, wenn der Kunde ihnen nicht schriftlich widerspricht. Der Widerspruch muss innerhalb eines Monats nach Zugang der Mitteilung eingegangen sein. Außerdem heißt es in Nr. 15.1: „Das Vertragsverhältnis ist für beide Vertragspartner zum Schluss eines jeden Werktags kündbar. Die Kündigung muss der DeTeMobil oder dem Kunden mindestens sechs Werktage vor dem Tag, an dem sie wirksam werden soll, schriftlich zugehen ..." Unter dem 15. 12. 1994 teilte die Bekl. dem Kl. mit, dass ab 1. 2. 1995 für die Rufumleitung ein Entgelt erhoben wird. Der Kl. widersprach dem am 2. 1. 1995. Mit am 22. 2. 1995 zugegangenem Schreiben kündigte die Bekl. das Vertragsverhältnis zum 10. 3. 1995.
Der Kl. begehrte die Feststellung, dass das Vertragsverhältnis über den C–Netzanschluß durch die Kündigung der Bekl. nicht zum 10. 3. 1995 aufgelöst worden ist. Seine Klage blieb in beiden Instanzen ohne Erfolg.
Der Kl. hat zunächst mit der Deutschen Bundespost Telekom einen Mobilfunkvertrag geschlossen. In dieses Vertragsverhältnis ist die Bekl., eine ehemals von der Deutschen Bundespost Telekom beherrschte Tochtergesellschaft, im Wege der Vertragsübernahme eingetreten. Zutreffend hat das LG ausgeführt, dass der Kl. auf das Schreiben der Deutschen Bundespost Telekom vom 14. 2. 1994, mit welchem ihm die Übertragung des Vertrags auf die Bekl. mitgeteilt worden war, das Vertragsverhältnis fortgesetzt und damit der Vertragsübernahme durch die Bekl. konkludent zugestimmt hat. Die Bekl. hat indes den Mobilfunkvertrag mit Schreiben vom 20. 2. 1995 wirksam gekündigt. Das Kündigungsrecht der Bekl. ergibt sich allerdings nicht aus Nr. 15.1 der „Bedingungen für den Mobilfunkdienst C“ (Stand: Januar 1994 ). Zwar sind die Bedingungen der Bekl. Vertragsbestandteil geworden, weil der Kl. sie mit Schreiben der Deutschen Bundespost Telekom vom 14. 2. 1994 erhalten und durch die Fortsetzung des Vertrags akzeptiert hat. Jedoch verstößt die Klausel 15.1 S. 1 gegen § 9 I AGBG. Der Wortlaut der Klausel erlaubt es der Bekl., das Vertragsverhältnis ohne sachlich gerechtfertigten Grund zum Schluss jeden Werktags zu beenden. Dies verstößt gegen ihren gesetzlichen Kontrahierungszwang, der sich aus § 7 FAG i.d.F. des Gesetzes zur Neuordnung des Postwesens und der Telekommunikation vom 14. 9. 1994 (BGBl I, S. 2325) ergibt. Nach § 7 I FAG hat jedermann gegen Zahlung der Gebühren das Recht auf Zulassung zu einem ordnungsgemäßen Gespräch auf den für den öffentlichen Fernmeldeverkehr bestimmten Anlagen. Der sich daraus ergebende Kontrahierungszwang der Diensteanbieter im Bereich des Mobilfunks würde indes weitgehend leer laufen, wenn diese sich von geschlossenen Verträgen ohne Angabe von Gründen beliebig lösen könnten. Zwar könnten die betroffenen Netzteilnehmer auf andere Diensteanbieter zurückgreifen. Für eine gewissen Zeit müssten sie jedoch auf die benötigten Funktelefondienste verzichten, ohne die Vertragsbeendigung veranlasst oder sich darauf eingerichtet zu haben. Vor diesem Hintergrund benachteiligt die Klausel 15.1 die Netzteilnehmer der Bekl. unangemessen entgegen den Grundsätzen von Treu und Glauben (vgl. Wolf/Horn/Lindacher, AGBG, 3. Aufl., § 9 Rdnr. T 16). Die durch die Unwirksamkeit der Klausel entstandene Lücke kann nicht im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung (§§ 133, 157 BGB) geschlossen werden. Eine ergänzende Vertragsauslegung muss ausscheiden, wenn ganz unterschiedliche Gestaltungsmöglichkeiten zur Ausfüllung der Regelungslücke in Betracht kommen und sich nicht feststellen lässt, welche Regelung die Parteien getroffen hätten (vgl. BGHZ 107, 273; BGHZ 93, 358). So verhält es sich hier. Es lässt sich nicht absehen, welche Kündigungsrechte die Parteien vereinbart hätten, wenn sie von der Unwirksamkeit der Klausel 15.1 Kenntnis gehabt hätten. Es wären verschiedene Regelungen in Betracht gekommen, z.B. außerordentliche Kündigungsrechte bei bestimmten Vertragsverstößen des Kl. und/oder ordentliche Kündigungsrechte mit laufzeitabhängigen Fristen, ohne dass sich auch nur ungefähr abschätzen ließe, welche Regelungen die Parteien im einzelnen gewählt hätten.
Indes gilt der Grundsatz, dass Dauerschuldverhältnisse aus wichtigem Grund gekündigt werden können. Ein wichtiger Grund liegt vor, wenn die Fortsetzung des Vertrags unter Berücksichtigung aller Umstände und unter Abwägung der Interessen der Vertragsparteien für den Kündigenden nicht zumutbar ist (vgl. BGHZ 41, 104 (108); BGH, NJW 1989, 1482 (1483)). Ein solches Kündigungsrecht ist hier auf Seiten der Bekl. anzunehmen. Nachdem der Kl. den neuen Preisen für die Rufumleitung im Inland widersprochen hatte und Einigungsversuche gescheitert waren, war ihr ein Festhalten am Vertrag nicht länger zumutbar. Die Bekl. betätigt sich im Massengeschäft der Telekommunikation. An ihr Funknetz sind etwa 700000 Teilnehmer angeschlossen. Daraus ergibt sich ihr anerkennenswertes Interesse an der Gleichbehandlung aller Kunden. Es leuchtet ein, dass die Kunden tarifliche Ungleichbehandlungen nicht akzeptieren würden. Zu ungleichen Tarifen würde es alsbald kommen, wenn jeder Kunde die Fortsetzung des Vertrags zu den beim Vertragsschluss geltenden Preisen verlangen könnte. Soweit die Bekl. ihre Kunden in unterschiedliche Tarifgruppen (Privatpersonen/Firmen usw.) einteilt, hat sie auch dann ein berechtigtes Interesse daran, die Kunden innerhalb der jeweiligen Tarifgruppe gleich zu behandeln. Außerdem steht sie im Wettbewerb mit anderen Diensteanbietern und ist deshalb darauf angewiesen, auf deren Leistungs– und Preispolitik sowie auf allgemeine Kostensteigerungen und sonstige Marktveränderungen flexibel reagieren zu können. Dazu wäre sie nicht in der Lage, wenn sie neue Leistungs– und Preisgestaltungen gegenüber ihren Kunden nicht oder erst nach langjährigen Gerichtsverfahren durchsetzen könnte. Sie wäre dann nicht wettbewerbsfähig.
Demgegenüber konnte der Kl. bei Vertragsschuss nicht auf eine Preisstabilität vertrauen. Der Mobilfunkvertrag war auf unbestimmte Zeit geschlossen. Es lag auf der Hand, dass aufgrund allgemeiner Kostensteigerungen und veränderter Gegebenheiten auf einem sich öffnenden Markt der Telekommunikation Preisänderungen unvermeidlich sein würden. Der Kl. musste daher jederzeit mit neuen Preisen rechnen. Zwar führt die Vertragsbeendigung in seinem Falle zu einem wirtschaftlichen Verlust, soweit sich die Anschaffungskosten für seine Endgeräte, die nur für das C–Netz der Bekl. verwendbar sind, bis zur Wirksamkeit der Kündigung noch nicht amortisiert haben sollten. Das Risiko eines hierdurch entstehenden Verlusts war für ihn jedoch von vorneherein erkennbar. Da vorauszusehen war, dass die Preise der Bekl. nicht für alle Zeit gelten würden, war er nicht gehindert, gerade diesen Gesichtspunkt beim Vertragsschluss zu berücksichtigen.
Die Abwägung der beiderseitigen Interessen ergibt, dass der Bekl. ein Kündigungsrecht zuerkannt werden muss. Dies wäre nur anders zu beurteilen, wenn ihre neuen Preise unbillig wären. Denn für eine Kündigung zur Durchsetzung eines der Billigkeit widersprechenden Tarifs könnte ihr kein rechtfertigendes Interesse zugesprochen werden. Letzteres ist jedoch nicht anzunehmen. Tarife der Daseinsvorsorge, auf deren Inanspruchnahme der andere Vertragsteil im Bedarfsfall angewiesen ist, sind grundsätzlich der Billigkeitskontrolle der Gerichte gem. § 315 III BGB unterworfen (vgl. BGHZ 115, 311; Palandt/Heinrichs, BGB, 56. Aufl., § 315 Rdnr. 4 m.w. Nachw.). Das gilt auch für die Dienste der Telekommunikation, unabhängig davon, ob sie von der Telekom AG (als Nachfolgerin der Deutschen Bundespost Telekom) oder deren Tochtergesellschaften oder von sonstigen Unternehmen angeboten werden, denen das Mobilfunkmonopol verliehen worden ist. Indes kann nicht festgestellt werden, dass der von der Bekl. ab dem 1. 2. 1995 eingeführte Tarif der Billigkeit widerspricht. Der Kl. behauptet selbst nicht, dass die neuen Preise insgesamt unbillig seien. Vielmehr beanstandet er lediglich die Preise für die Rufumleitung im Inland. Dass die Bekl. für die Rufumleitung ein Entgelt erhebt, erscheint jedoch sachlich gerechtfertigt. Die Rufumleitung auf einen anderen Telefonanschluß ist eine zusätzliche Leistung der Bekl., die der Kl. in Anspruch nimmt. Seine Kritik, die Bekl. sei dazu übergegangen, für ein und dieselbe Leistung doppelte Gebühren zu verlangen, ist nicht berechtigt. Bereits in dem Anruf und der daraufhin hergestellten Verbindung zwischen dem Anrufer und dem Mobiltelefonanschluß des Kl. liegt eine Leistung, für die der Anrufer ein Entgelt in Höhe von 1,14 DM pro Minute (Normaltarif) zu zahlen hat. Die zweite, von dem Kl. abgerufene Leistung besteht darin, die Verbindung zu dem von ihm bestimmten Endgerät herzustellen. Auch dafür ist es nicht unangemessen, ein Entgelt zu verlangen. Im Wirtschaftsleben gilt der Grundsatz, dass Leistungen vergütet werden. Insoweit erweist sich der Umstand, dass der Kl. die Rufumleitung im Inland bis zum 1. 2. 1995 unentgeltlich in Anspruch nehmen durfte, als Ausnahme, auf deren Fortgeltung er berechtigterweise nicht vertrauen konnte. Darauf hat bereits das LG zutreffend hingewiesen. Die Einführung eine Entgelts für die Rufumleitung im Inland nach vorausgegangener Gebührenfreiheit erscheint nach alledem nicht unbillig. Dies gilt auch für die Höhe des Entgelts.
Allerdings folgt dies nicht, wie das LG meint, aus § 2 III 2 FAG. Diese Bestimmung regelt nur die Gebührenhöhe für das Verfahren zur Verleihung der Befugnis zur Errichtung und zum Betrieb von Fernmeldeanlagen an andere als die Nachfolgeunternehmen der Deutschen Bundespost Telekom und für die Frequenzzuteilung gem. § 3 II PTRegG. Indes handelt es sich bei dem Mobilfunkvertrag der Parteien um ein Dauerschuldverhältnis mit überwiegend werkvertraglichen Elementen. Das Wesen eines Werkvertrags liegt darin, dass der Unternehmer sich gegen Entgelt zur Herbeiführung eines bestimmten Erfolgs verpflichtet. Der von der Bekl. als Betreiberin des Mobilfunknetzes im Rahmen eines Dauerschuldverhältnisses geschuldete Erfolg besteht darin, dass zwischen dem Kl. und anderen Teilnehmern auf der für den Kl. im C–Netz bereitgestellten Leitung eine Gesprächsverbindung zustandekommt und die gesprochenen Worte verständlich und verwertbar übermittelt werden (vgl. auch Palandt/Putzo, Vorb. § 535 Rdnr. 23; Wolf/Horn/Lindacher, § 9 Rdnr. T 15). Im Werkvertragsrecht gilt im Zweifel die übliche Vergütung als vereinbart (§ 632 II BGB). Für die vom Anrufer in Anspruch genommene Leistung – Verbindung zwischen seinem Anschluss und der C–Netzvermittlung hat dieser 1,14 DM pro Minute im Normaltarif zu zahlen. Auch der Kl. stellt die Üblichkeit dieser Preise nicht in Abrede. Dann ist es jedoch nicht zu beanstanden, dass für die Weiterschaltung dieses Anrufs, also für eine gleichartige Leistung ein gleich hoher Preis verlangt wird. Ohne Erfolg macht der Kl. geltend, dass mit der Rufumleitung kein zusätzlicher Verwaltungsaufwand für die Bekl. verbunden sei. Maßgebend ist, dass die Bekl. mit der Rufumleitung eine zusätzliche Leistung erbringt und das Entgelt für diese Leistung nachvollziehbar im Rahmen des üblichen liegt. Es bedarf daher keiner näheren Darlegung seitens der Bekl., dass zur Deckung der Kosten und Erzielung eines angemessenen Unternehmergewinns die Erhebung dieses Entgelts gerechtfertigt sei.
Die Bekl. hat den Mobilfunkvertrag wirksam zum 10. 3. 1995 gekündigt. Die sofortige Ausübung des Kündigungsrechts nach erklärtem Widerspruch des Kunden gegen ein Tarifveränderung benachteiligt den betroffenen Kunden nicht unangemessen. Nach der Regelung gem. Nr. 11 der Vertragsbedingungen der Bekl. werden Änderungen der Preise dem Kunden schriftlich mitgeteilt, worauf dieser innerhalb eines Monats nach Zugang der Mitteilung widersprechen kann. Der Kunde hat danach genügend Zeit, die Preisänderung der Bekl. zu prüfen und Vorkehrungen für einen Vertrag mit einem anderen Diensteanbieter zu treffen.
Im vorliegenden Fall hätte die Bekl. daher auf den Widerspruch des Kl., der die vierwöchige Widerspruchsfrist nicht einmal ausschöpfte, sogleich von ihrem Kündigungsrecht Gebrauch machen können. Wenn sie davon absah und stattdessen nochmals in Verhandlungen mit dem Kl. trat und erst nach deren Scheitern mit einer Frist von sechs Werktagen kündigte, so ist dies nicht zu beanstanden.
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