Haftung eines Anlageberaters wegen fehlender Kenntnisse
Gericht
OLG Bamberg
Art der Entscheidung
Berufungsurteil
Datum
25. 02. 2002
Aktenzeichen
4 U 204/01
Die individuelle Beratung eines Anlageberaters muss vollständig, für den Kunden verständlich, inhaltlich richtig und sorgfältig geprüft sein. Ist der Anlageberater dazu mangels eigener Kenntnisse nicht in der Lage, muss er dies dem Kunden gegenüber offen legen. Der Kunde darf jedoch nicht jedem Angebot „blind vertrauen“.
Der Kläger war an einer Kapitalanlage interessiert gewesen und hatte sich daher umfassend vom beklagten Finanzvermittler beraten lassen. Dieser schuldete in Folge dessen eine anleger- und objektgerechte Beratung, d.h. eine auf die persönlichen Verhältnisse, Kenntnisse und Wünsche des Kunden abgestellte Empfehlung, die dessen Vorgaben, Anlageziele und Risikobereitschaft berücksichtigte. Die individuelle Beratung musste dabei vollständig, für den Kunden verständlich, inhaltlich richtig und sorgfältig geprüft sein. Ist der Anlageberater dazu mangels eigener Kenntnisse nicht in der Lage, muss er dies dem Kunden gegenüber offen legen.
Der Kläger kann vom Beklagten wegen schuldhafter Verletzung des zwischen den Parteien bestehenden, konkludent abgeschlossenen Beratungsvertrags (positive Vertragsverletzung – pVV) unter Berücksichtigung eines hälftigen Mitverschuldens (§ 254 BGB) Schadensersatz verlangen.
1. Die Parteien haben am 19.2.1998 stillschweigend einen Beratungsvertrag geschlossen.
Tritt ein Anlageinteressent an eine Bank oder einen Anlageberater heran, um über die Anlage eines Geldbetrages beraten zu werden, so wird das darin liegende Angebot zum Abschluss eines Beratungsvertrags stillschweigend durch die Aufnahme des Beratungsgesprächs angenommen (BGH v. 4.3.1987 – IV a ZR 122/85, BGHZ 100, 117 [118] = MDR 1987, 563; v. 6.7.1993 – XI ZR 12/93, BGHZ 123, 126 [128] = MDR 1993, 861). Ein derartiger Vertragsschluss ist vorliegend zwischen den Parteien erfolgt. Im Rahmen dieses konkludent abgeschlossenen Vertrags ist der Beklagte nicht nur als Anlagevermittler, sondern als Anlageberater tätig geworden. Stellung und Aufgaben eines Anlagevermittlers und eines Anlageberaters sind unterschiedlich. Ihre Pflichtenkreise decken sich nicht. Der jeweilige Pflichtenumfang kann nicht allgemein bestimmt werden, sondern nur anhand der Besonderheiten des jeweiligen Einzelfalls (BGH v. 13.5.1993 – III ZR 25/92, MDR 1993, 956 = NJW-RR 1993, 1114). Einen Anlageberater wird der Kapitalanleger im Allgemeinen dann hinzuziehen, wenn er selbst keine ausreichenden wirtschaftlichen Kenntnisse und keinen genügenden Überblick über wirtschaftliche Zusammenhänge hat. Er erwartet dann nicht nur die Mitteilung von Tatsachen, sondern insbesondere deren fachkundige Bewertung und Beurteilung. Häufig wünscht er eine auf seine persönlichen Verhältnisse zugeschnittene Beratung, die er auch besonders honoriert (BGH v. 13.5.1993 – III ZR 25/92, MDR 1993, 956 = NJW 1993, 1114). Von einer (bloßen) Anlagevermittlung ist demgegenüber dann auszugehen, wenn der Anlageinteressent deutlich macht, dass er, auf eine bestimmte Anlageentscheidung bezogen, die besonderen Kenntnisse und Verbindungen des Vermittlers in Anspruch nehmen will, und der Anlagevermittler die gewünschte Tätigkeit beginnt (BGH NJW-RR 2000, 998). Nach dieser Differenzierung ist vorliegend von einer Verpflichtung des Beklagten zur Anlageberatung auszugehen. Es ist unstreitig, dass der Kläger damals eine besondere Anlageentscheidung noch nicht ins Auge gefasst hatte. Er hat sich an den Beklagten gewandt, um von diesem über die Möglichkeit einer auf seine persönlichen Umstände zugeschnittenen Anlage beraten zu werden.
2. Gegen die Verpflichtungen aus dem Beratungsvertrag hat der Beklagte vorliegend verstoßen.
Inhalt und Umfang der Beratungspflicht sind von einer Reihe von Faktoren abhängig, die sich einerseits auf die Person des Kunden und andererseits auf das Anlageprojekt beziehen. Die konkrete Ausgestaltung der Beratungspflicht hängt entscheidend von den Umständen des Einzelfalles ab. Zu den Umständen in der Person des Kunden gehören insbesondere dessen Wissensstand über Anlagegeschäfte der vorgesehenen Art und dessen Risikobereitschaft; zu berücksichtigen ist vor allem, ob es sich bei den Kunden um einen erfahrenen Anleger mit einschlägigem Fachwissen handelt und welches Anlageziel der Kunde verfolgt. In Bezug auf das Anlageobjekt hat sich die Beratung auf diejenigen Eigenschaften und Risiken zu beziehen, die für die jeweilige Anlageentscheidung wesentliche Bedeutung haben oder haben können (BGH v. 6.7.1993 – XI ZR 12/93, BGHZ 123, 126 [128 ff.] = MDR 1993, 861). Insgesamt schuldet der Anlageberater eine anlegergerechte und objektgerechte Beratung (OLG Bamberg v. 22.10.2001 – 4 U 62/01). Die Beratung des Kunden muss dabei richtig und sorgfältig, für den Kunden verständlich und vollständig sein; sie muss zeitnah erfolgen und alle Umstände erfassen, die für das Anlagegeschäft von Bedeutung sind. Fehlen dem Anlageberater derartige Kenntnisse, so hat er dies dem Kunden mitzuteilen und offen zu legen, dass er zu einer Beratung z.B. über das konkrete Risiko eines Geschäfts mangels eigener Information nicht in der Lage ist (BGH v. 6.7.1993 – XI ZR 12/93, BGHZ 123, 126 [129] = MDR 1993, 861).
Gegen diese in der Rechtsprechung entwickelten Verpflichtungen des Anlageberaters hat der Beklagte vorliegend bereits dadurch verstoßen, dass er dem Kläger die dann auch tatsächlich erfolgte Kapitalanlage trotz Fehlens eigener zuverlässiger Informationen als sicher hingestellt hat. Dass der Kläger vorliegend eine sichere Anlageform gewünscht hat, ist jedenfalls durch die Aussage der in erster Instanz vernommenen Zeugin … bewiesen. Der Beklagte ist dem in der Berufungsinstanz auch kaum mehr entgegengetreten; er hat sich vielmehr darauf berufen, er habe die Anlageform selbst für sicher gehalten. Dass die vom Beklagten empfohlene Geldanlage aber im hohen Maße spekulativ und alles andere als sicher war, hat nicht nur der weitere Verlauf der Ereignisse deutlich gemacht. Zur Zeit der Anlageempfehlung seitens des Beklagten waren die von den jeweiligen Aktiengesellschaften beabsichtigten Aktivitäten noch nicht, allenfalls kaum entfaltet. Die maßgeblichen Betriebseinrichtungen waren noch nicht existent, noch nicht einmal im Genehmigungsstadium. Bei dieser Sachlage und insbesondere der erheblichen Unsicherheit, ob die betreffenden Aktiengesellschaften überhaupt jemals einen aktiven Geschäftsbetrieb entwickeln werden, durfte der Beklagte eine Investition in diese Firmen jedenfalls ohne vertiefte Überprüfung (und positives Prüfergebnis) nicht als sicher darstellen. Die dem Beklagten zur Verfügung stehenden Informationen reichten nicht aus, ein derartiges – anlageentscheidendes – Urteil abzugeben. Zumindest hätte der Beklagte aber offenbaren müssen, dass er über zureichende und gesicherte Informationen nicht verfügt; auch dies hat er nicht getan.
Die hier angenommenen Pflichten treffen nach der Rechtsprechung des BGH (BGH v. 13.5.1993 – III ZR 25/92, MDR 1993, 956 = NJW-RR 1993, 1114 [1115]) bereits den Anlagevermittler. Sie sind im Falle einer – hier vorliegenden – Anlageberatung erst recht zu wahren.
3. Der Beklagte hat nicht dargetan (§ 282 BGB in entsprechender Anwendung), dass ihn ein Verschulden nicht trifft. Insbesondere kann der Umstand, dass er selbst eine entsprechende Anlage getätigt hat, den Beklagten nicht entlasten.
4. Rechtsfolge des demnach dem Grunde nach bestehenden Schadensersatzanspruches wegen positiver Vertragsverletzung ist, dass der Beklagte dem Kläger den durch die Pflichtverletzung entstandenen Schaden zu ersetzen hat, § 249 S. 1 BGB. Dies führt dazu, dass der Beklagte dem Kläger den aufgewendeten Kaufpreis mitsamt der bezahlten Provision zu erstatten hat. Der Behauptung des Klägers, er hätte die Geldanlage nicht getätigt, wenn er vom Beklagten zureichend über die Unsicherheiten der geplanten Anlageform aufgeklärt worden wäre, ist der Beklagte nicht entgegengetreten.
5. Der dem Kläger demnach zustehende Schadensersatzanspruch ist aber wegen Mitverschuldens, § 254 BGB, um die Hälfte zu kürzen. Der Kläger hat gegen die im eigenen Interesse gebotene Sorgfalt verstoßen. Er hat der Anlageempfehlung des Beklagten nahezu blind vertraut und diese in keiner Weise kritisch hinterfragt. Auch die im Prospekt enthaltenen Hinweise und Warnungen hat der Kläger nicht zum Anlass genommen, vom Beklagten weitere Auskünfte einzuholen. Hiergegen lässt sich auch nicht einwenden, der Kläger sei erst am Tag des Kaufs der Erwerbsrechte in den Besitz des Prospekts gelangt. Der Sorgfaltsverstoß seitens des Klägers liegt dann jedenfalls darin, dass er zu schnell und zu sorglos auf die unzureichende und fehlerhafte Anlageempfehlung des Beklagten reagiert hat.
Unter Würdigung aller Umstände des hier vorliegenden Falles erachtet der Senat den Verursachungs- und Verschuldensbeitrag beider Parteien für gleichgewichtig.
Dies hat (auch) zur Folge, dass die im Rahmen der Vorteilsausgleichung gebotene Rückübertragung der vom Kläger erworbenen Erwerbsrechte auf jeweils die Hälfte beschränkt ist.
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