Keine Hinweispflicht des Reisebüros auf Einreisebestimmungen

Gericht

LG Kleve


Art der Entscheidung

Berufungsurteil


Datum

10. 08. 2000


Aktenzeichen

6 S 85/00


Leitsatz des Gerichts

Die Verpflichtung eines Reisebüros den Kunden über die geltenden Einreisebestimmungen des Ziellandes (Visumpflicht) aufzuklären besteht bei der Vermittlung einer Pauschalreise nicht.

Tatbestand

Zum Sachverhalt:

Der Kl. buchte bei dem Bekl. zu 1, der ein Reisebüro betreibt, eine Pauschalreise nach Goa in Indien für den Zeitraum vom 4. 2. bis 19. 2. 1999. Reiseveranstalter war die Bekl. zu 2. Dem Kl. lag bei der Buchung der entsprechende von der Bekl. zu 2 herausgegebene Katalog vor. Weder bei der Buchung noch bei dem Erhalt der Reiseunterlagen wurde der Kl. persönlich auf die Notwendigkeit eines Visums für die Einreise nach Indien hingewiesen. In dem Katalog befinden sich im Preisteil zwei Hinweise auf die Visumpflicht und zwar einmal unter der Rubrik „Was Sie wissen sollten“, „Das Wichtigste in Kürze“ unter dem Reiseziel Indien. Hier ist in der Spalte Passvisum für Bürger der BRD unter Fettdruck hervorgehoben „Visum erforderlich!“ Des Weiteren befindet sich auf Seite 112 des Preisteils des Katalogs, der sich auf Indien bzw. Goa bezieht, in der Spalte Allgemeine Hinweise der Satz: „Zur (Einreise) nach Indien benötigen Deutsche Staatsbürger einen Reisepass, der noch mindestens sechs Monate über den geplanten Aufenthalt in Indien hinaus gültig ist und ein Visum, das unbedingt vor Reiseantritt in ihrem Heimatland ausgestellt sein muss. Da der Kl. nicht im Besitz eines Visums war, wurde er am 4. 2. 1999 am Abflug verhindert, die Reise wurde storniert, die Reiserücktrittskostenversicherung erstattete einen Betrag von 2054 DM. Den restlichen Reisepreis von 6260 DM verlangt der Kl. von den Bekl. Er ist der Auffassung, beide Bekl. hätten gegen ihre Aufklärungspflicht verstoßen. Sie hätten ihn ungefragt über die Notwendigkeit eines Visums aufklären müssen. Insofern handele der Bekl. zu 1 als Erfüllungsgehilfe der Bekl. zu 2.

Das AG hat die Klage abgewiesen. Die Berufung des Kl., mit der er nur noch die Bekl. zu 1 in Anspruch nehmen will, hatte keinen Erfolg.

Entscheidungsgründe

Aus den Gründen:

Indem der Bekl. es unterlassen hat, den Kl. auf den für Indien geltenden Visumzwang hinzuweisen, hat der Bekl. nicht gegen seine Pflichten bei der Vermittlung einer Pauschalreise nach Indien verstoßen. Jedenfalls bei der Vermittlung einer solchen Pauschalreise ist das vermittelnde Reisebüro nicht verpflichtet, von sich aus den Reisenden über die für ihn geltenden Einreisebestimmungen des Zielstaates aufzuklären. Aus dem Gesetz lässt sich eine solche Verpflichtung nicht herleiten.

§ 2 der Verordnung über die Informationspflichten von Reiseveranstaltern vom 14. 11. 1994 (BGBl I, 3436; nachfolgend: InfVO) ist im vorliegenden Fall nicht einschlägig. Denn diese auf § 651a V BGB beruhende Rechtsverordnung betrifft lediglich das Vertragsverhältnis zwischen dem Reisenden und dem Reiseveranstalter i.S. von § 651a I BGB. Für das Verhältnis zwischen dem Reisenden und dem die Reise vermittelnden Reisebüro statuiert § 2 der InfVO keine Pflichten des Reisebüros.

Eine Aufklärungspflicht im oben genannten Sinne ergibt sich auch nicht aus dem unter Heranziehung des Grundsatzes von Treu und Glauben (§ 242 BGB) zu ermittelnden Inhalt des Vermittlungsvertrages, den das Reisebüro mit dem Reisekunden schließt. Dagegen spricht bereits, dass § 2 InfVO dem Reiseveranstalter und nicht dem Reisebüro die Pflicht auferlegt, auf die Einreisebestimmungen hinzuweisen.

1. Es existiert noch keine gefestigte Rechtsprechung zu dieser Frage.

Bisher hat, soweit ersichtlich, ausschließlich das LG Frankfurt a.M. (NJW-RR 1999, 1145 = RRa 1999, 55) entschieden, dass das Reisebüro nicht verpflichtet sei, von sich aus auf die Einreisebestimmungen für das Zielland hinzuweisen. Der eigentliche Tätigkeitsbereich des Reisebüros besteht in der Vermittlung des Reisevertrages. Die Visumpflicht berühre jedoch in erster Linie dessen Durchführung und sei daher Sache des Reiseveranstalters.

Soweit sich der Kl. auf den BGH (BGH, NJW 1985, 1165 = LM § 651f BGB Nr. 8) bezieht, stammt die Entscheidung zum einen aus der Zeit vor dem In-Kraft-Treten der InfVO, zum anderen hat der BGH in dieser Entscheidung nur die Pflicht des Reiseveranstalters, über Einreisebestimmungen zu informieren, festgelegt. Über eine Pflicht des vermittelnden Reisebüros ist in dieser Entscheidung nichts ausgesagt. Entsprechendes gilt für die Entscheidung des LG Frankfurt a.M. (NJW-RR 1998, 196), die ebenfalls die Haftung des Reiseveranstalters (wegen einer falschen Auskunft durch das Reisebüro) betrifft. Im vorliegenden Berufungsverfahren wird jedoch nicht mehr die Reiseveranstalterin in Anspruch genommen, sondern nur noch der Bekl., der das Reisebüro betreibt. Das LG Mönchengladbach (NJW-RR 1986, 561) hat die Haftung eines Reisebüros für eine falsch mitgeteilte Abreisezeit bejaht. Daraus lässt sich für den vorliegenden Rechtsstreit nichts herleiten, weil der Bekl. keine falsche Auskunft erteilt, sondern lediglich einen Hinweis unterlassen hat. Die vom Kl. zitierte Entscheidung des AG Hannover (NJW-RR 1993, 381) ist für den vorliegenden Streitfall ebenfalls nicht einschlägig. Das Gericht hat eine Hinweispflicht des Reisebüros für den Fall bejaht, dass sich der Zielflughafen außerhalb des Staates befindet, in dem das Reiseziel liegt. Das AG Berlin-Mitte hält das Reisebüro nicht für verpflichtet, über Einreisebestimmungen in das außereuropäische Ausland aufzuklären, wenn der Reisende keine Pauschalreise, sondern eine oder mehrere Reiseleistungen bucht (NJW-RR 1996, 1400). Ein vergleichbarer Fall liegt nicht vor.

Allerdings wird in der Literatur überwiegend eine Pflicht des Reisebüros zur - ungefragten - Aufklärung über Einreisebestimmungen angenommen (Tempel, NJW 1996, 1625 [1633ff.]; NJW 1999, 3657ff.; ders. RRa 1999, 56 m.w.Nachw. [57]; Führich, ReiseR, 3. Aufl., Rdnr. 577), weil der Reisende auf die besondere Sachkunde des Reisebüros vertraue. Für unterlassene Aufklärung hafte das Agentur-Reisebüro wegen Verschuldens bei den Vertragsverhandlungen (culpa in contrahendo) und das freie Reisebüro wegen schuldhafter Verletzung des Reisevermittlungsvertrages (positive Vertragsverletzung). Die Aufklärung über die Einreisebestimmungen des Zielstaates gehöre zum Kernbereich der Vertragspflichten eines Reisebüros.

2. Die Kammer schließt sich der vorstehend skizzierten Ansicht des LG Frankfurt a.M. (NJW-RR 1999, 1145 = RRa 1999, 55) an. Der Inhalt der vertraglichen Beziehungen zwischen dem Reisekunden und dem eine Pauschalreise vermittelnden Reisebüro begründet - auch unter Berücksichtigung des Vertrauens des Reisenden auf die Sachkunde des Reisebüros und der Verkehrsauffassung - keine Pflicht des Reisebüros, ungefragt über die Einreisebestimmungen des Zielstaates aufzuklären.

Auszugehen ist nicht, wie Tempel (RRa 1999, 57) meint, von der Aufklärungspflicht des Reiseveranstalters, sondern vom Inhalt und Zweck des Reisevermittlungsvertrages, den der Reisende mit dem freien Reisebüro schließt. Auch in sonstigen Vermittlungsverhältnissen ist streng zwischen den Nebenpflichten des Maklers und den Pflichten zu unterscheiden, die sich aus dem vermittelten Vertrag für den Geschäftsgegner ergeben. Ziel des Reisevermittlungsvertrages ist das Zustandebringen eines Reisevertrages zwischen dem Kunden und dem Reiseveranstalter und nicht die Durchführung der Reise selbst. Letztere fällt in den primären Verantwortungsbereich des Reiseveranstalters, wie § 2 InfVO klarstellt. Die Sorgfalt des Reisebüros hat sich daher - wenn im Einzelfall keine besonderen Umstände vorliegen - auf die Auswahl des Reiseveranstalters, des Reiseziels, die Weitergabe von Sonderwünschen und auf sonstige Umstände zu erstrecken, die im Zusammenhang mit dem Zustandekommen des Reisevertrages von Bedeutung sind. Zu diesen Umständen gehören die Einreisebestimmungen des Zielstaates nicht.

Die Überlegung von Tempel (RRa 1999, 55[57]), über die Einreisebestimmungen sei deshalb aufzuklären, weil vor Abgabe des bindenden Vertragsangebots des Reisenden feststehen müsse, ob er die Einreiseerfordernisse für das Zielland erfüllen könne, verfängt nicht. Es gibt zahlreiche - aus objektiver Sicht von vornherein absehbare - Umstände, die auf Seiten des Reisenden oder des Reiseveranstalters dazu führen, dass der Reisevertrag letztlich nicht oder nicht wie vertraglich vereinbart durchgeführt werden kann (Erkrankung des Reisenden, das angebotene Hotel ist noch nicht errichtet, im Zielland herrscht Krieg pp.). Die daraus resultierenden Rechtsfolgen ergeben sich aus dem Recht der Leistungsstörungen (§§ 651cff. BGB oder den allgemeinen Vorschriften), die das Rechtsverhältnis zwischen dem Reiseveranstalter und dem Reisenden betreffen. Ein Bedarf für einen darüber hinaus gehenden Schutz des Reisenden besteht schon deshalb nicht, weil den Reiseveranstalter - jedenfalls hinsichtlich der hier relevanten Einreisebestimmungen - eine gesetzlich normierte Aufklärungspflicht trifft.

Solange der Einzelfall keine besonderen Anhaltspunkte bietet, kann auch nicht davon ausgegangen werden, dass der Reisekunde dem Reisebüro generell ein besonderes Vertrauen im Hinblick auf eine umfassende Aufklärung über alle Umstände entgegenbringt, die der Durchführung des zu vermittelnden Reisevertrages entgegenstehen. Auch wenn Reisebüros mit ihrer Sachkunde werben, nehmen sie damit lediglich das normale, ihren primären Aufgabenbereich betreffende Verhandlungsvertrauen und kein darüber hinaus gehendes, besonderes Vertrauen im Hinblick auf die Einreisebestimmungen des Ziellandes oder sonstige mit der Vertragsdurchführung in Zusammenhang stehende Umstände in Anspruch; allein die möglicherweise vorhandene Sachkunde reicht dazu jedenfalls nicht aus (LG Frankfurt a.M. NJW-RR 1999, 1145 = RRa 1999, 55).

Der Reisende darf aus der Sachkunde des Reisebüros für den Bereich der Vermittlung von Reiseleistungen nicht folgern, dass das durchschnittliche Reisebüro über die aktuellen Einreisebestimmungen sämtlicher Staaten informiert ist. Dies wäre eine - auch mit Rücksicht auf die Verkehrssitte - übersteigerte Erwartung, weil das Reisebüro einen unverhältnismäßigen Aufwand betreiben müsste, um diese Informationen vorzuhalten und stets zu aktualisieren. Dies gilt vor allem deshalb, weil die Einreisevorschriften in der Regel auf die Staatsangehörigkeit des jeweils Einreisenden abstellen. Angesichts der Vielzahl der in Frage kommenden Reisenden und ihrer möglichen Staatsangehörigkeit darf der Reisende eine derart umfassende Aufklärung nicht ohne weiteres erwarten.

Das Argument des Kl., der Bekl. müsse lediglich über die Einreisebestimmungen der Länder informiert sein, in die er selbst Reisen vermittele, führt nicht zu einem anderen Ergebnis. Da unterschiedliche Reiseveranstalter eine Vielzahl von Reisezielen in verschiedenen Staaten anbieten und das Reisebüro nicht davon ausgehen darf, dass es nur von deutschen Reisekunden besucht wird, müsste der Bekl. im Ergebnis doch über die Einreisebestimmungen sämtlicher Länder informiert sein. Ob eine gesteigerte Aufklärungspflicht bestünde, wenn der Bekl. ein spezialisierter Reisevermittler wäre, der sich auf eines oder wenige Reiseziele konzentriert, bedarf im vorliegenden Fall keiner Entscheidung.

Die Inanspruchnahme eines besonderen Vertrauens lässt sich auch nicht mit den gewöhnlichen Begleitumständen begründen, die zum Abschluss des Reisevermittlungsvertrages führen. Der an einer Pauschalreise interessierte Kunde sucht das Reisebüro in der Regel nicht deshalb auf, weil er auf die Sachkompetenz des Vermittlers vertraut und sich daher nicht der Mühe eigener Erkundigungen unterzieht. Er schaltet das Reisebüro - jedenfalls bei den hier interessierenden Pauschalreisen - in aller Regel deshalb ein, weil die meisten Pauschalreisen ohne ein Reisebüro überhaupt nicht buchbar sind und weil das Reisebüro den sofortigen Zugriff auf die aktuellen Preise und die Überprüfung der Buchbarkeit (freie Plätze) hat. Allgemeine Informationen über das Zielland oder das ausgewählte Hotel werden dabei lediglich nebenbei und auf Anfrage erteilt.

In Ermangelung eines besonderen Vertrauens, das dem Reisebüro erkennbar entgegengebracht wird, haftet auch das Agentur-Reisebüro aus den vorstehend aufgeführten Gründen nicht selbstständig neben dem Reiseveranstalter für die Aufklärung über Einreisebestimmungen des Zielstaates, wenn keine besonderen Umstände des Einzelfalls eine andere Beurteilung rechtfertigen. Es kann daher dahinstehen, ob der Bekl. ein freies Reisebüro oder eine Agentur betreibt.

3. Besondere Umstände, die im vorliegenden Fall zu einem anderen Ergebnis führen, sind weder vorgetragen noch ersichtlich.

Der Kl. hat vorgetragen, er habe dem Bekl. wegen der guten Erfahrungen aus der Vergangenheit (der Kl. hatte bereits mehrere Fernreisen über den Bekl. gebucht) eine besonderes Vertrauen entgegengebracht. Damit beschreibt der Kl. jedoch allenfalls seine einseitige Erwartungshaltung. Dass er sich bei dem Bekl. in guten Händen geführt haben mag, begründet kein über das bloße Verhandlungsvertrauen hinaus gehendes Vertrauen.

Der Kl. hat nicht vorgetragen, dass er von dem Bekl. eine umfassende Beratung ausdrücklich verlangt habe; ein solches Verlangen ergibt sich auch nicht aus den mitgeteilten Umständen. So hat der Kl. insbesondere nicht nach den Einreisebestimmungen für Indien gefragt oder seine diesbezügliche Unkenntnis auf sonstige Weise offenbart. Der Kl. trägt zwar vor, bei der Buchung habe ein halbstündiges Gespräch zwischen den Parteien stattgefunden; es fehlt jedoch an der Mitteilung eines entsprechenden über das Heraussuchen von Preisen und die Überprüfung freier Buchungsplätze hinaus gehenden Gesprächsinhalts. Der Kl. beschränkt sich auf die Darlegungen, die Ehefrau des Bekl., die ihn bedient habe, habe auf Grund seiner Wünsche den Preis genannt und überprüft, ob für ihn, den Kl., noch ein Platz frei sei. Aus diesem Gespräch ergab sich für den Bekl. nicht, dass der Kl. ein erhöhtes Vertrauen in ihn setzte oder Aufklärung über Einreisebestimmungen erwartete. Es bedarf daher keiner Entscheidung, ob das Reisebüro verpflichtet ist, auf konkretes Befragen eine zutreffende Auskunft zu erteilen und ob die Übergabe eines Reiseprospekts, der diese Angaben enthält, als Beantwortung einer solchen Frage ausreicht.

Ob andere Reiseveranstalter - wie der Kl. vorträgt - durch ein gesondertes Schriftstück auf die jeweiligen Einreisebestimmungen hinweisen, ist für die Entscheidung dieses Rechtsstreits nicht von Bedeutung. Selbst wenn dies allgemein üblich wäre, kann dies eine Pflicht des Reisebüros nicht begründen.

Rechtsgebiete

Reiserecht

Normen

BGB § 275; positive Forderungsverletzung