Fehlender Sicherungsschein für Gewinner einer Reise
Gericht
OLG München
Art der Entscheidung
Berufungsurteil
Datum
23. 12. 1999
Aktenzeichen
6 U 4175/99
Macht der Gewinner einer ausgelobten Reise von der gebotenen Möglichkeit Gebrauch, gegen Entgelt jemanden zur vollen Belegung des zu beziehenden Doppelzimmers mitzunehmen, so muss vom Reiseunternehmer ein Sicherungsschein für das Insolvenzrisiko für beide Reiseteilnehmer übergeben werden.
Die Vorschrift des § 651k III und IV BGB ist keine wettbewerbsneutrale Vorschrift. Ein Verstoß hiergegen ist gleichzeitig eine wettbewerbswidrige Handlung i.S. des § 1 UWG.
Der Kl. ist ein Verbraucherschutzverband. Die Bekl. betreibt ein Reisebüro. Sie befasst sich mit der Veranstaltung von Busreisen, insbesondere sog. Incentive-Reisen. Im Rahmen ihrer Tätigkeit versendet die Bekl. Gewinnmittlungen an private Endverbraucher und teilt diesen dabei mit, sie hätten an einem Preisrätsel eines großen deutschen Unternehmens ohne Glück teilgenommen. Nicht gezogene Teilnehmerkarten mit der richtigen Lösung seien den C-Hotels, einer der größten Hotelvereinigungen der Toskana, zur Verfügung gestellt worden. Im Rahmen einer zeitlich begrenzten Aktion zur Förderung des toskanischen Fremdenverkehrs habe in Viareggio eine Nachverlosung unter diesen Einsendungen stattgefunden. Dabei habe er eine wunderschöne Toskanareise gewonnen. Mit der Durchführung dieser Reise sei die Bekl. betraut worden. Die Gewinnbenachrichtigung enthält - wie etwa im Falle des Zeugen F - verschiedene Hinweise. Zunächst wird mitgeteilt, dass mit der Durchführung dieser Reise das Reisebüro M, die Bekl., betraut worden sei und der Gewinn konkrete Leistungen beinhalte, Übernachtung im halben Doppelzimmer mit Frühstück in einem guten 3-Sterne-Hotel der C-Hotelgruppe im Raum Viareggio, etc. Ferner wird der Gewinner unterrichtet, dass er, falls er nicht alleine reisen wolle, jemanden mitnehmen könne. Weiter heißt es: „Personen in Ihrer Begleitung können folgende Buchung zum Sonderpreis vornehmen, wobei die mitreisenden Personen alle Leistungen erhalten wie oben aufgeführt: - eine Begleitperson mit Ihnen im Doppelzimmer: 488 DM; - eine zweite sowie jede weitere Person mit Ihnen im Mehrbettzimmer: 385 DM; - mitreisende Kinder bis 16 Jahren im Zimmer der Eltern: 242 DM; - sollten Sie ein Einzelzimmer wünschen: Aufpreis 120 DM; - Sicherungsschein.“ Der Gewinnbenachrichtigung ist eine Reiseanmeldung beigefügt, in der der Endverbraucher die von ihm gewünschte Reiseart ankreuzen und buchen kann. Der Zeuge F füllte die Reiseanmeldung für sich und seine Ehefrau aus und erhielt daraufhin unter dem 19. 3. 1998 eine Buchungsbestätigung für die Reise vom 2. 5.-6. 5. 1998, in der für ihn selbst als Reisepreis 0 DM und für seine mitreisende Ehefrau 485 DM als zu zahlender Reisepreis ausgewiesen wurden. Ferner beinhaltet die Buchungsbestätigung folgende Mitteilung: „Bitte überweisen Sie den Rechnungsbetrag spätestens 14 Tage vor Reiseantritt. Den Sicherungsschein erhalten Sie zusammen mit der Mitteilung über die genaue Einstiegsstelle und Uhrzeit ca. 3 Wochen vor Reiseantritt.“ In einem weiteren Schreiben vom 17. 4. 1998 teilte die Bekl. dem Zeugen F u.a. die Einstiegsstelle für die Reise mit und übersandte einen Sicherungsschein. Dieser Sicherungsschein der R-Versicherung enthielt deren „Bürgschaft“ und war laut Aufdruck „nur für 1 Person gültig“. Er enthielt in entsprechend vorgesehenen Zeilen weder eine Ausfüllung der Bezeichnung des Reisenden noch eine Buchungsnummer, noch das Reisedatum. Auf der Rückseite waren Bedingungen abgedruckt. Danach war pro Person ein Sicherungsschein erforderlich. Der Reisende konnte Leistungen aus diesem Sicherungsschein nur beanspruchen, wenn der Versicherung folgende Unterlagen im Original vorliegen: der Sicherungsschein, die Buchungsbestätigung des Reiseveranstalters, die Rechnung des Reiseveranstalters und der Zahlungsnachweis usw. Nachdem der Zeuge F die Reise aus anderen Gründen storniert hatte, erhielt er im Juni 1998 von der Bekl. eine neuerliche Gewinnmitteilung, diesmal für eine Reise nach Südtirol/Gardasee. Die Reise für den Gewinner war wiederum kostenlos, eine Begleitperson erhielt die Buchung zum Sonderpreis von 498 DM angeboten, jede weitere mitreisende Person zum Sonderpreis von 385 DM. Sofern der Gewinner nicht in einem Doppelzimmer übernachten wolle, habe er für die gesamte Reise einen Einzelzimmer-Aufpreis von 160 DM zu zahlen. Im Übrigen waren die Bedingungen identisch mit denen der Toskana-Reise. Die Bekl. war und ist stets im gesetzlich vorgeschriebenen Umfang versichert und zwar bis zum 30. 6. 1998 bei der R-Versicherung und seit dem 1. 7. 1998 beim G.
Der Kl. hat geltend gemacht, nicht nur die eventuelle Begleitperson, also der zahlende Mitreisende, sondern auch der Gewinner der Reise habe Anspruch auf einen Sicherungsschein i.S. des § 651k BGB. Mit Annahme des Reisegutscheins erwerbe der Gewinner einen Anspruch auf Aushändigung eines Sicherungsscheins, denn er stehe als Gewinner einem zahlenden Reisegast gleich. Das Vorenthalten eines solchen Sicherungsscheines gegenüber dem Gewinner verstoße gegen § 651k IV BGB und sei unlauter im Sinne des Wettbewerbsrechts.Gem. § 1 UWG habe die Bekl. diese Benachteiligung des Gewinners zu unterlassen. Der Kl. hat beantragt, die Bekl. zu verurteilen, es zu unterlassen, im geschäftlichen Verkehr zu Zwecken des Wettbewerbs an namentlich benannte private Endverbraucher im Zusammenhang mit der Veranstaltung einer mehrtägigen öffentlichen Pauschalreise, z.B. einer 5-tägigen Reise nach Italien, bei der der Gewinner der Reise eine weitere Person gegen Zahlung des vollen Reisepreises mitnehmen darf, von dem Gewinner den Reisepreis für den Mitreisenden anzufordern, ohne zuvor für jede Person einen Sicherungsschein i.S. des § 651k BGB auszuhändigen, z.B. die Aushändigung nur eines für eine Person geltenden Sicherungsscheins für zwei Personen.
Das LG hat die Klage abgewiesen. Die Berufung des Kl. hatte Erfolg.
Die Bekl. handelt durch Nichtübersendung des zweiten Sicherungsscheins wettbewerbswidrig gem. § 1 UWG.
1. Der Kl. ist als Verbraucherschutzverein zur Geltendmachung des Unterlassungsanspruchs gemäß § 13 II Nr. 3 UWG befugt.
2. Die Bekl. hat gemäß § 651k III und IV BGB einen Sicherungsschein auch bei einer für den Reisenden, abgesehen von Nebenkosten, ohne Zahlung eines Reisepreises gebuchten Reise, z.B. einer gewonnenen Reise, auszustellen.
3. Es kann dahingestellt bleiben, ob es sich im Falle des Zeugen F selbst wirklich um eine unentgeltlich durchgeführte Reise handelte. Denkbar ist auch, das Entgelt als durch den Auslober der Reise bezahlt anzusehen mit der Folge, dass bei Insolvenz des Reiseveranstalters das Entgelt unmittelbar vom Gewinner der Reise selbst zurückverlangt werden kann.
4. Auch selbst bei im Wesentlichen unentgeltlich durchgeführter Reise ist ein Sicherungsschein zu übergeben. Die Versicherungspflicht, die auf einer Forderung der Europäischen Union in der Richtlinie 90/314/EWG über Pauschalreisen beruht und ihre nationale Übernahme in § 651k BGB gefunden hat, soll nämlich nicht nur einen Verlust des Reisepreises abdecken, sondern auch etwaige Aufwendungen, die dem Reisenden für die Rückreise entstehen (§ 651k I Nr. 2 BGB). Solche können im Versicherungsfall auch dem Gewinner einer ansonsten im Wesentlichen unentgeltlichen Reise entstehen und müssen von ihm getragen werden. Also besteht auch hier ein Bedürfnis, den Verbraucher über seine Rechte mittels des Sicherungsscheins aufzuklären.
5. Für die richtlinienkonforme Auslegung des § 651k BGB ist das Urteil des EuGH v. 15. 6. 1999 von Bedeutung. Auf den dort beurteilten, ganz ähnlich gelagerten Fall einer gewonnenen Reise, war Art. 7 der Richtlinie über Pauschalreisen (Richtlinie 90/314/EWG) anwendbar, wonach der Reiseveranstalter nachweisen muss, dass im Falle der Zahlungsunfähigkeit oder des Konkurses die Erstattung gezahlter Beträge und die Rückreise des Verbrauchers sichergestellt sind. Hierzu sprach der EuGH aus, „dass Art. 7 auch dann Anwendung findet, wenn die Gegenleistung, die der Käufer zu erbringen hat, nicht zur Abdeckung des Gesamtwerts der Reise oder nur zur Abdeckung eines einzigen Bestandteils der Reise bestimmt ist“ (Erwägungsgrund Nr. 30).
6. Über diese Überlegungen hinaus hat die Bekl. auch aus anderen Gründen einem Gewinner, wie dem Zeugen F, einen Sicherungsschein zu übergeben. Der Zeuge F buchte die Reise so, wie es wohl auch vom Auslober des Gewinns in erster Linie gewünscht war: Er nahm zum vollen Preis eine weitere Person mit. Die Reise war für ihn vertraglich mithin nicht unentgeltlich, weshalb er erst Recht Anspruch auf Sicherstellung des Insolvenzrisikos für beide Teilnehmer und den Nachweis hierüber durch den Sicherungsschein hatte. Dieser Anspruch war angesichts der beiden Reiseteilnehmer mit dem nur für eine Person gültigen Sicherungsschein nicht ausreichend erfüllt. Der Zeuge F konnte daher leicht zu der Meinung kommen, seine eigene Reisebeteiligung sei nicht versichert und er habe im Ernstfall keine Chance, Erstattung zu bekommen.
7. Ob die Bekl. aus ihrer Handlungsweise einen unmittelbaren oder mittelbaren Vorteil ziehen kann, was sie bestreitet, bleibt gleichgültig. Die Vorschrift des § 651k III und IV BGB ist keine wettbewerbsneutrale Vorschrift. Sie dient zwar nicht unmittelbar dem Wettbewerbsverhalten unter den Reiseveranstaltern. Sie dient jedoch dem Verbraucher bei seiner Beteiligung am Geschäftsleben und am Wettbewerbsverhalten der Anbieter. Indem sie ihn in seinen Interessen schützt, regelt sie gleichzeitig das Wettbewerbsverhalten und hat unmittelbar wettbewerbsregelnden Charakter. Ein Verstoß hiergegen ist gleichzeitig eine wettbewerbswidrige Handlung i.S. des § 1 UWG. Es bedarf daher nicht des Rückgriffs auf ein bewusstes und planmäßiges Verhalten der Bekl. zur Bejahung eines Verstoßes gegen § 1 UWG, obwohl angesichts der hartnäckigen Verteidigung ihrer rechtswidrigen Verhaltensweise durch die Bekl. im Prozessverlauf auch dieses anzunehmen ist.
8. Die Handlungsweise der Bekl. berührt wesentliche Belange der Verbraucher (§ 13 II Nr. 3 UWG). Die Aufklärung der Verbraucher durch den Sicherungsschein ist - zumal in der Anfangsphase des Bestehens der gesetzlichen Regelung - von erheblicher wirtschaftlicher Bedeutung für die Verbraucher und kann nicht mehr als Bagatelle betrachtet werden.
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