Nachbarklage gegen Bolzplatz
Gericht
VGH München
Art der Entscheidung
Berufungsurteil
Datum
18. 01. 1993
Aktenzeichen
2 B 91.15
Zur Nachbarklage gegen einen Bolzplatz, der auch von Erwachsenen zum Fußballspiel benutzt wird, auf einer für Ball- und Bahnspiele in einem Bebauungsplan ohne Lärmschutzvorkehrungen zugunsten der Nachbarn festgesetzten öffentlichen Grünfläche.
Zum Sachverhalt:
Die Kl. wünschen Veränderungen an einem benachbarten Bolzplatz, durch dessen Lärm sie sich gestört fühlen. Die Klage hatte vor dem VG Erfolg. Die Berufung der Bekl. wies der VGH zurück.
Aus den Gründen:
Das VG hat zu Recht dem Hauptantrag der Kl. stattgegeben, die beiden Tore und das nördliche Ballfanggitter zu entfernen.
Die beanstandeten baulichen Anlagen sind baurechtlich nicht genehmigt, so daß sie wegen der Emissionen, die ihre Nutzung auslöst, auch heute noch Gegenstand von Abwehransprüchen der Kl. sein können. Für einen solchen Nachbarstreit ist der Verwaltungsrechtsweg nach § 40 I VwGO gegeben. Die von den Kl. verfolgten Ansprüche sind öffentlichrechtlicher Natur, weil die Einwirkungen auf ihre Grundstücke aus der Nutzung einer öffentlichen Grünfläche zu Erholungszwecken herrühren, welche die Bekl. in Wahrnehmung ihres Auftrags zur Daseinsvorsorge nach Art. 83 BayVerf, Art. 57 I BayGO geschaffen und aus diesem Grund im Bebauungsplan festgesetzt hat. Die Streitigkeit steht in einem öffentlichrechtlichen Planungs- und Funktionszusammenhang und ist damit öffentlichrechtlicher Natur (vgl. BVerwGE 79, 254 = NJW 1988, 2396 = NVwZ 1988, 918 L; BVerwGE 81, 197 (199) = NJW 1989, 1291 = NVwZ 1989, 556 L; VGH München, BayVBl 1987, 398; NVwZ 1989, 269; VGH Kassel, NVwZ-RR 1989, 175).
Den Kl. steht aus § 1004, 906 I, § 823 II BGB i. V. mit § 3 I, II, V Nr. 1, § 22 I 1 Nr. 1 BImSchG ein Anspruch gegen die Bekl. zu, daß diese die beiden Tore und das Ballfanggitter entfernt. Diese baulichen Anlagen (vgl. Art. 2 I 1 BayBauO) ermöglichen nämlich Nutzungen der den Anwesen der Kläger gegenüberliegenden Grünflächen, welche die Kl. erheblich und damit unzumutbar beeinträchtigen. Die bauliche Anlage und ihre Nutzung bilden rechtlich eine Einheit (BVerwGE 68, 360 (369) = NJW 1984, 1771 = NVwZ 1984, 582 L, 582 L = ZfBR 1986, 47; NVwZ 1987, 1078 (1079); NVwZ RR 1989, 340; NVwZ 1991, 267 = BauR 1991, 49; NVwZ-RR 1991, 231 = ZfBR 1991, 83; NVwZ 1991, 980 = BauR 1991, 435).
Erhebliche Beeinträchtigungen i. S. von § 3 I, § 22 I 1 Nr. 1 BImSchG sind immer wesentlich i. S. von § 906 I BGB, weil sich diese Begriffe decken (BVerwGE 79, 254 = NJW 1988, 2369 = NVwZ 1988, 918 L = BayVBl 1989, 20 (21); BVerwGE 81, 197 (200) = NJW 1989, 1291 = NVwZ 1989, 557 L; NVwZ 1991, 886 = DÖV 1991, 883; BGHZ 111, 63 = NJW 1990, 2465 = DVBl 1990, 771 (772)).
Bei Lärm wird die Zumutbarkeitsschwelle überschritten, wenn die Störung oder Belästigung erheblich i. S. von § 3 I, § 22 I 1 Nr. 1 BImSchG ist (BVerwGE 52, 122 (126) = NJW 1978, 62; BVerwGE 68, 58 = NVwZ 1984, 509; BVerwGE 68, 62 (67) NJW 1984, 989 = NVwZ 1984, 306 L; BVerwGE 79, 254 = NJW 1988, 2368 = NVwZ 1988, 918 L = BayVBl 1989, 20; BVerwGE 81, 197 = NJW 1989, 1291 = NVwZ 1989, 577 L = DVBl 1989, 463; NVwZ 1991, 64 (65)).
Ob Emissionen in diesem Sinne erheblich sind, ist in einer wertenden Gesamtbetrachtung aller maßgeblichen Umstände der konkreten Situation zu würdigen, wobei die Gebietsart, die tatsächlichen Verhältnisse und die bestehenden rechtlichen Vorschriften die Schutzwürdigkeit wie Schutzbedürftigkeit mitbestimmen. Soweit nicht normative Regelungen erlassen sind, sind technische Regelwerke, die unter sachverständiger Beratung der Fachöffentlichkeit erarbeitet worden sind, als Orientierungsrahmen mit heranzuziehen (BVerwGE 55, 250 = NJW 1978, 1450, 2409 L (Horn) = DVBl 1978, 591; BVerwGE 77, 285 = NJW 1987, 2886 = NVwZ 1987, 1080 L = BayVBl 1987, 662; BVerwGE 79, 254 (260) = NJW 1988, 2396 = NVwZ 1988, 918 L; BVerwGE 81, 197 (205) = NJW 1989, 1291 = NVwZ 1989, 557 L; NVwZ 1991, 881 = BayVBl 1991, 310 (312, 313); NVwZ-RR 1991, 456 = ZfBR 1991, 131 (132); NJW 1992, 327 = NVwZ 1992, 263 L = BayVBl 1992, 58; NJW 1992, 2779 = NVwZ 1992, 1186 L = DVBl 1992, 1234; BGHZ 111, 63 = NJW 1990, 2465 = DVBl 1990, 771 (772)).
Die Anwesen der Kl. liegen in einem durch Bebauungsplan festgesetzten reinen Wohngebiet. Der Bebauungsplan setzt ihren Anwesen gegenüber eine öffentliche Grünfläche fest, auf der nach den in der zeichnerischen Darstellung des Planes verwendeten Zeichen Ball- und Bahnspiele erlaubt sind. Das in der Rubrik "Hinweise" des Bebauungsplans ebenfalls aufgeführte Zeichen für "Bolzplatz" ist in der Grünfläche nicht eingetragen. Damit ist normativ durch den Bebauungsplan festgelegt, daß auf der Grünfläche allgemeine Ballspiele zulässig sind, nicht jedoch das für einen Bolzplatz typische Fußballspiel, das wegen des Krafteinsatzes der Spieler sowie wegen der Zurufe von Spielern und Zuschauern unvermeidbar mit erheblichem Lärm verbunden ist. Der Bekl. ist einzuräumen, daß es nach der Rechtsprechung (vgl. BVerwG, NVwZ 1992, 884 = DÖV 1992, 709 = BayVBl 1992, 411) nicht grundsätzlich ausgeschlossen ist, einen Bolzplatz neben einem reinen Wohngebiet festzusetzen; jedoch muß ein derartiger Bebauungsplan dann auch die Frage behandeln, wie schutzbedürftige Anlieger vor erheblichem Lärm des Bolzplatzes geschützt werden. Dazu zwingen § 1 V 2 BauGB, der in Nr. 3 nicht nur die Freizeit- und Erholungsbelange der sporttreibenden Bevölkerung, sondern mit den allgemeinen Anforderungen an gesunde Wohnverhältnisse (Nr. 1) auch die Belange der Nachbarn schützt, wie auch das Prinzip gerechter Belangabwägung (§ 1 VI BauGB). Wenn der Bebauungsplan Nr. 1394 diesen Konflikt nur in der Weise behandelt, daß er als Abgrenzung zwischen den Anwesen der Kl. und der Grünfläche neun Mostbirnenbäume festsetzt, die nicht gegen Spiellärm schützen, dann muß er, um nicht insoweit wegen einer unzureichend gelösten, aber lösungsbedürftigen Frage (teilweise) nichtig zu sein, dahingehend ausgelegt werden, daß nur wohngebietverträgliches allgemeines Ballspiel erlaubt ist, nicht aber lärmintensives Fußballspiel (vgl. BVerwGE 81, 197 (209) = NJW 1989, 1291 = NVwZ 1989, 557 L).
Der vom Bolzplatz ausgehende Lärm, den das durch die Tore und das Ballfanggitter mögliche Fußballspiel auslöst, ist erheblich. Für den Bolzplatz gelten nicht die Immissionsrichtwerte, welche die 18. Verordnung zur Durchführung des Bundesimmissionsschutzgesetzes (Sportanlagenlärmschutzverordnung - 18. BImSchV) vom 18. 7. 1991 (BGBl I, 1588) festsetzt. Denn ein Bolzplatz ist nicht zur Sportausübung bestimmt (§ 1 II der 18. BImSchV), die eine Betätigung entsprechend dem Regelwerk für eine bestimmte Sportart voraussetzt. Insbesondere entspricht der Platz nach seiner Größe und der Ausstattung der Tore in keiner Weise den für einen Fußballplatz geltenden Anforderungen. Maßgebend für den Bolzplatz als Freizeitanlage sind deshalb die Grenzwerte, welche die TA Lärm und die VDI-Richtlinie 2058 als Bewertungen einer sachverständigen Fachöffentlichkeit für vertretbar halten. Davon geht auch die Bekanntmachung des Bayerischen Staatsministeriums für Landesentwicklung und Umweltfragen vom 12. 8. 1988 (ALLMBl Nr. 19/1988 aus, die Hinweise zur Beurteilung der durch Freizeitanlagen verursachten Geräusche gibt.
Das Bayerische Landesamt für Umweltschutz errechnet in seinem Sachverständigengutachten vom 13. 8. 1990 am Anwesen des Kl. zu 6 Wirkpegel von 61 dB(A) und am Anwesen der Kl. zu 2 Wirkpegel von 58 dB(A). Den im reinen Wohngebiet gelegenen Anwesen der Kl. mag zwar der uneingeschränkte Schutz der dafür tragbar erachteten Richtwerte von 50 db(A) (vgl. Rubrik 3.3.1 lit. e der VDI 2058 - abgedr. bei Birkl (Hrsg.), Nachbarschutz im Bau-, Umwelt- und ZivilR, Bd. II/9; Rubrik 2.321 lit. e der TA Lärm) nicht zugute kommen, weil die Kl. auch bei nur allgemeinem Ballspiel, welches der Bebauungsplan Nr. 1394 auf der öffentlichen Grünfläche gegenüber - ihren Anwesen zuläßt, unvermeidbar mit einem gewissen Lärm rechnen müssen, der als Lebensäußerung des Spielens der Bewohner des Wohngebiets hingenommen werden muß (BVerwG, NJW 1992, 1779 = NVwZ 1992, 884 L = BayVBl 1992, 410; VGH München, NVwZ 1987, 986 = BayVBl 1987, 398 (399); Spielplätze, die Kindern und Jugendlichen eines Wohngebietes dienen, sind als sozialadäquate Ergänzungen der Wohnbebauung dort prinzipiell zulässig (vgl. § 3 III Nr. 2, § 4 II Nr. 3 BauNVO). Der auf dem Bolzplatz festgestellte Lärm mit Wirkpegeln von bis zu 61 dB(A) übersteigt jedoch erheblich das Maß dessen, was in einem Wohngebiet noch vertretbar erscheint. Dabei ist zugunsten der Kl. zusätzlich zu würdigen, daß die Hausgärten ihrer Anwesen, in denen sie sich bei guter Witterung im Freien aufhalten, nach Süden hin angelegt sind und daß sie sich in diesen Gärten nicht mehr ungestört aufhalten können, wenn auf dem benachbarten Bolzplatz unbestritten häufig Erwachsene Fußball spielen und von Zuschauern auch noch durch Zurufe angefeuert werden. Freiflächen, die als Wohngarten für Wohnhäuser benutzt werden, genießen ebenfalls Schutz vor Lärm (vgl. BVerwGE 51, 15 (33) = NJW 1976, 1760; NVwZ-RR 1991, 601 = DVBl 1991, 1142 (1149); NVwZ 1992, 885 (886)).
Mag ihr rechtlicher Lärmschutz auch nicht so weit gehen wie der von Wohnungen, weil man bei einem Aufenthalt im Freien immer mit Geräuschen rechnen muß, so wird die Grenze des dort Hinzunehmenden im vorliegenden Fall deutlich überschritten. Der Lärm, der durch das Fußballspiel Erwachsener, die dazu teilweise mit Kraftfahrzeugen anfahren, und durch Zuschauer verursacht wird, ist nicht vergleichbar mit dem, der durch Kinder und Jugendliche eines Wohngebietes auf einer für die Freizeit zur Verfügung gestellten Grünfläche üblicherweise entsteht. Weil die Tore und das Ballfanggitter für diesen für die Kl. erheblichen Lärm ursächlich sind, können die Kl. die Beseitigung der genannten Anlagen fordern.
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