Abwehrrecht des Nachbarn gegen Nutzung eines Schulsportplatzes zu außerschulischen Zwecken
Gericht
VGH Mannheim
Art der Entscheidung
Berufungsurteil
Datum
13. 01. 1988
Aktenzeichen
3 S 3157/86
Zu den Abwehrrechten des Nachbarn eines Schulsportplatzes im Hinblick auf dessen außerschulische Nutzung als Spiel- und Bolzplatz durch Kinder und Jugendliche.
Zum Sachverhalt:
Die Kl. wünschen von der Bekl., daß sie die Nutzung eines städtischen Schulsportplatzes zu außerschulischen Zwecken verhindert. Sie sind Erbbauberechtigte eines Grundstücks, das mit einem eingeschossigen Wohnhaus, einem Bungalow in L-Form, bebaut ist. Östlich des Grundstücks verläuft ein etwa 2 m breiter Fußweg, jenseits dessen, in der nördlichen Hälfte, hinter einem 4 m breiten Busch- und Baumgürtel und einem 5 m hohen Ballfangzaun der Schulsportplatz liegt, der 50 m breit und 85 m lang ist und im Jahre 1971 von der Bekl. angelegt worden ist. Am östlichen Ende des Platzes ist ein festes Tor aufgestellt. Unterhalb des Ballfangzaunes an der westlichen Begrenzung ist eine grüne Tafel der Stadtverwaltung mit folgender Inschrift angebracht: "Spielruhe 13.00Uhr bis 14.00Uhr und ab 20.00Uhr sowie an Sonn- und Feiertagen, Stadtverwaltung". Am östlichen Zugang zum Schulsportplatz befindet sich gleichfalls eine Tafel mit folgendem Wortlaut: "Während des Schulsports ist der Sportplatz freizuhalten. Spielruhe von 13.00Uhr bis 14.00Uhr und ab 20.00Uhr sowie an Sonn- und Feiertagen. Das Befahren des Platzes mit Motorfahrzeugen ist untersagt. Stadt Freiburg i. Br.". Der Schulsportplatz ist Teil des Grundstücks Flst. Nr. 8513, auf dem sich außerdem, südlich des Platzes, mehrere Gebäude, darunter drei Schulgebäude und eine Turnhalle befinden. Schulgrundstück und Grundstück der Kl. liegen im Geltungsbereich des Bebauungsplans "L.-Süd". Danach ist das Schulgelände als allgemeines Wohngebiet und Fläche für den Gemeinbedarf mit dem Eintrag "A.-Schule", einem Schulgebäude als Bestand, drei weiteren Schulgebäuden und einem "Haus der Begegnung" ausgewiesen. Die im Westen, Norden und Nordosten angrenzenden Grundstücke einschließlich des der Kl. liegen im reinen Wohngebiet.
Die Kl. haben Klage erhoben und beantragt, die Bekl. zu verurteilen, die Nutzung des Schulsportplatzes als Ballspielplatz zu außerschulischen Zwecken durch eine verschließbare Absperrung zu verhindern. Klage und Berufung blieben erfolglos.
Aus den Gründen:
Die Klage ist zulässig. Insbesondere ist der Verwaltungsrechtsweg gegeben (§ 40 I VwGO). Zwar wenden sich die Kl. hier nicht mit einer Anfechtungsklage gegen eine Baugenehmigung; sie erstreben auch nicht mit einer Verpflichtungsklage den Erlaß einer Nutzungsuntersagung durch die Baurechtsbehörde. Vielmehr wollen sie mit ihrer Klage die Lärmimmissionen der außerschulischen Nutzung eines Sportplatzes als öffentlicher Einrichtung der Bekl. abwehren. Doch auch dieses Begehren ist öffentlichrechtlicher Natur. Da die Bekl. im Rahmen der Daseinsvorsorge schlicht hoheitlich tätig wird, soweit sie einen Sportplatz der Allgemeinheit, insb. Kindern und Jugendlichen der Umgebung, als öffentlichen Spiel- und Bolzplatz zur Nutzung überläßt, handelt es sich ebenfalls um eine öffentlichrechtliche Streitigkeit, für die auch der Verwaltungsrechtsweg gegeben ist. Die vorliegende Leistungsklage ist jedoch unbegründet. Wie das VG zutreffend dargelegt hat, steht den Kl. der geltend gemachte Anspruch nicht zu.
Der allgemeine öffentlichrechtliche Abwehranspruch, der dem § 1004 BGB nachgebildet ist (vgl. auch Art. 19 IV GG), soll hier nicht nur eine gegenwärtige Beeinträchtigung beseitigen, sondern vor allem künftige Beeinträchtigungen abwehren. Es handelt sich daher um einen Unterlassungsanspruch. Dabei ist es unschädlich, wenn der Antrag nicht ausdrücklich als Unterlassungsbegehren formuliert, sondern wie hier auf eine "Verhinderung" gerichtet ist, wenn nur in der Sache ein Verhalten begehrt wird, daß sich als Unterlassung darstellt. Das ist hier der Fall, da die Kl. erreichen möchten, daß die Bekl. ihren Schulsportplatz nicht weiterhin außerschulisch mitnutzen (und dadurch die Kl. stören) läßt.
Der geltend gemachte Unterlassungsanspruch dient der Abwehr einer konkret drohenden Verletzung eines rechtlich geschützten Freiheitsbereichs und setzt voraus, daß ein Träger öffentlicher Gewalt in Ausübung schlicht hoheitlicher Tätigkeit jemanden in seinen subjektiv öffentlichen Rechten oder rechtlich geschützten Interessen widerrechtlich beeinträchtigt und weitere Beeinträchtigungen zu besorgen sind. Zu den subjektiv öffentlichen Rechten gehören alle absoluten Rechte, insb. das Eigentum, aber auch Leben und Gesundheit der Nachbarn nach Maßgabe der sie schützenden einschlägigen Vorschriften des Baurechts einschließlich des in einigen dieser Vorschriften enthaltenen Rücksichtnahmegebots, soweit ihm im Einzelfall drittschützende Wirkung zukommt. Denn auch das Rücksichtnahmegebot dient, soweit es drittschützend ist, letztlich dem Schutz des Eigentums und der Gesundheit des Nachbarn (in diesem Sinne schon Urteil des Senats, VBlBW 1983, 25 und im wesentlichen ebenso Urteile des VGH Mannheim, BRS 42 Nr. 39; Urt. v. 16. 2. 1987 - 8 S 1920/86; NVwZ 1986, 62 und VBlBW 1987, 167 sowie des OVG Münster, NVwZ 1984, 530 = BauR 1984, 152 und BauR 1986, 77; für einen auf die Beseitigung einer Kläranlage gerichteten Anspruch vgl. auch Urteil des BVerwG, NJW 1984, 817 und für den Fall des Baus einer tiefer gelegenen Straße unmittelbar neben dem Grundstück des Kl. Urteil des BVerwG, NJW 1985, 1481).
Baurechtliche Vorschriften, die das Eigentum einschließlich der anderen absoluten Rechte wie das Erbbaurecht, Leben oder Gesundheit der Kl. schützen, werden indes nicht verletzt.
Das Vorliegen einer unanfechtbaren Baugenehmigung steht dem geltend gemachten Unterlassungsanspruch nicht von vornherein entgegen. Dabei kann offenbleiben, ob ein Nachbar, wenn ein Bauvorhaben für eine bestimmte Nutzung baurechtlich unanfechtbar genehmigt ist, noch die Unterlassung der von dieser Nutzung verursachten Immissionen als widerrechtlich fordern kann (grds. verneinend Urt. des VGH Mannheim, BRS 42 Nr. 39 und im Ergebnis ähnlich Urt. des VGH München, NVwZ 1987, 986 = BauR 1987, 543; bejahend offenbar Urt. des BGH v. 17. 12. 1982, BauR 1983, 233 mit beachtlicher Kritik von Johlen, BauR 1984, 134). Denn eine Baugenehmigung für den Schulsportplatz liegt nicht vor. Die nur nachrichtliche Übernahme des Schulsportplatzes in dem dem Bauantrag für die Turnhalle beigefügten Lageplan vom 6. 3. 1969 al "Hartplatz 50/85" bedeutet noch nicht, daß auch die Errichtung des Schulsportplatzes hätte genehmigt werden sollen. Dies widerspräche auch der Ansicht der Bekl. selbst, daß es für den Sportplatz einer Genehmigung nicht bedurft habe. Das trifft freilich nicht zu. Der Hartplatz war und ist eine bauliche Anlage (§ 2 I BadWürttBauO aller Fassungen), der jedenfalls wegen des 5 m hohen Ballfangzauns und wohl auch wegen des festen Tors schon im Jahre 1971 genehmigungspflichtig war (§§ 87 und 89 I BadWürttBauO F. 1964). Auch die für die Genehmigungsbedürftigkeit i. S. des § 29 BBauG (= § 29 BauGB) erforderliche bodenrechtliche Relevanz war gegeben.
Eine widerrechtliche Beeinträchtigung des Erbbaurechts oder der Gesundheit der Kl. kommt hier allein bei Verletzung des Rücksichtnahmegebots in Betracht, soweit ihm nachbarschützende Wirkung zukommt (zum Inhalt dieses Gebots vgl. besonders Urteile des BVerwG, BRS 32, Nr. 155, BRS 38 Nr. 186 und BRS 40 Nr. 4 und Nr. 198). Denn die Errichtung und Nutzung des Schulsportplatzes widerspricht nicht den Festsetzungen des Bebauungsplans, gegen dessen Gültigkeit Bedenken nicht bestehen (vgl. § 30 BBauG und heute ebenso § 30 BauGB). Vor allem lassen die Festsetzungen "Fläche für den Gemeinbedarf", "Albert-Schweitzer-Schule", "Turnhalle" und zweier weiterer Schulgebäude nicht die erforderliche Bestimmtheit vermissen. Insgesamt lassen sie auch die Errichtung eines Schulsportplatzes zu, obwohl ein solcher nicht ausdrücklich eingezeichnet ist (vgl. Urt. des OVG Berlin, ZfBR 1986, 290). Der Schulsportplatz ist Bestandteil der Schule, die ihrerseits eine im allgemeinen Wohngebiet allgemein zulässige Anlage für kulturelle Zwecke darstellt (§ 4 II BauNutzVO). Die Größe des ausgewiesenen Geländes und der vorgesehenen Schulgebäude ließ auch von vornherein die Anlegung eines Schulsportplatzes der vorliegenden Abmessungen zu. Diese kulturelle Zweckbestimmung des Platzes steht im Vordergrund. Auch wegen seiner noch beschränkten Größe von insgesamt 50 x 85 m und wegen des Vorhandenseins nur eines festen Tors ist eine andere Beurteilung, etwa als Anlage für sportliche Zwecke, auch nicht geboten, soweit der Platz außerhalb des Schulbetriebs von den Kindern und Jugendlichen aus der Umgebung als Spiel- und Bolzplatz mitbenutzt wird. Im übrigen hätte im allgemeinen Wohngebiet auch eine Anlage für sportliche Zwecke ausgewiesen werden dürfen (vgl. § 4 III Nr. 3 BauNutzVO und dazu Fickert-Fieseler, BauNutzVO, 5. Aufl., Vorb. zu §§ 2-9, Rdnr. 11; zur Zulässigkeit von Bolzplätzen in allgemeinen Wohngebieten vgl. auch VGH München, NVwZ 1987, 986 = BauR 1987, 543; VGH Mannheim, BauR 1984, 151; OVG Münster, BRS 46 Nr. 46 und OVG Hamburg, NJW 1986, 2333 = NVwZ 1986, 847 L = BRS 44 Nr. 182). Eine Überlassung des Platzes an Sportvereine findet nach dem glaubhaften Vortrag der Bekl. schon seit langem nicht mehr statt.
Abwehrrechte können die Kl. deshalb nur geltend machen, wenn das in § 15 I 2 BauNutzVO verankerte Rücksichtnahmegebot verletzt ist und in ihrem Fall auch drittschützend wirkt. Die außerschulische Nutzung des Sportplatzes durch Kinder und Jugendliche als Spiel- und Bolzplatz ist aber nicht rücksichtslos. Eine Schallmessung, die näheren Aufschluß über die objektive Lautstärke des Spiel- und Bolzbetriebes hätte geben können, hat zwar nicht stattgefunden. Nach den unbestrittenen und glaubhaften Angaben des Sachverständigen scheiterten seine beiden Meßversuche aber daran, daß er die beanstandete Sportplatznutzung nicht vorfand; auch habe er von den Kl. keine Informationen erhalten, die geeignet gewesen wäre, eine entsprechende Meßterminfestlegung zu ermöglichen. Der Kl. habe lediglich zunächst angekündigt, nach Beendigung seines Urlaubs erforderlichenfalls eine Gruppe von Jugendlichen zu organisieren, welche die beanstandete Sportplatznutzung zum Zwecke der Schallmessung simulieren könnten. Auch das sei dann jedoch gescheitert, da die betreffenden Jugendlichen nach Annahme des Kl. vom Sportplatz vertrieben worden seien.
Dieser Sachverhalt spricht im erheblichen Maße dafür, daß eine häufige und länger andauernde außerschulische Sportplatznutzung nicht stattfindet. Zumindest bezüglich des Bereichs, der dem Grundstück der Kl. am nächsten liegt (bis 2/3 der Tiefe des Platzes, also etwa 50-60 m) findet eine häufige und länger dauernde außerschulische Nutzung des Platzes nach der Überzeugung des Senats schon seit der Entfernung des dortigen zweiten Tors nicht mehr statt. Das entspricht nicht nur dem Bericht der Schulrektoren vom 15. 11. 1984, wonach sich die Fußballaktivitäten nach Wegnahme des westlichen Tors auf das östliche Tor am Schulsportplatz konzentriert hätten. Es findet auch eine Bestätigung durch die Angabe des Sachverständigen über den am 28. 8. 1987 auf dem den Kl. nächstgelegenen Bereich des Sportplatzes vorgefundenen Bewuchs von bis zu 20 cm hohen Pflanzen. Eine leichte, wenn auch vorwiegend optisch und psychisch wirkende Verbesserung der Situation ist außerdem durch den Aufwuchs der inzwischen etwa 3 m hohen und etwa 4 m tiefen, dichten Hecke entstanden, die den Schulsportplatz im Osten, Norden, Westen und anschließend noch ein kleines Stück im Süden umgibt und damit vom Grundstück der Kl. etwas abschirmt. Bei der Interessenabwägung ist auch zu Gunsten des von der Bekl. vertretenen öffentlichen Interesses zu berücksichtigen, daß es durchaus sinnvoll erscheint, den ohnedies vorhandenen Schulsportplatz in dem praktizierten maßvollen Umfang durch die Kinder und Jugendlichen aus den umgebenden Wohnhäusern als Spiel- und Bolzplatz mitbenutzen zu lassen und dadurch Platz und Kosten zu sparen, statt einen solchen Platz getrennt an anderer Stelle zu schaffen.
Unter diesen Umständen bedurfte es keiner weiteren Sachaufklärungsversuche. Vielmehr rechtfertigen schon die getroffenen Feststellungen den Schluß, daß die mit dem außerschulischen Spiel- und Bolzbetrieb verbundenen Belästigungen der Kl. jedenfalls nicht unzumutbar sind, soweit sie sich im Rahmen der durch die Schilder zugelassenen außerschulischen Nutzung des Sportplatzes durch die Bekl. halten. Eine maßvolle Mitbenutzung (eines Teils) eines 50 x 85 m großen, neben mehreren Schulgebäuden gelegenen Schulsportplatzes als Spiel- und Bolzplatz für Kinder und Jugendliche der Umgebung in einem allgemeinen, auf 21/2 Seiten von einem reinen Wohngebiet umgebenen Wohngebiet muß auch zumindest für den Regelfall als ortsüblich angesehen werden. Gründe dafür, daß hier ausnahmsweise etwas anderes gelten müßte, sind nicht ersichtlich.
Selbst wenn der Bebauungsplan nichtig wäre, würde sich an der Beurteilung nichts ändern. Die Frage, ob den Kl. ein Abwehrrecht zusteht, würde sich dann nach § 34 I BauGB beantworten, das ab 1. 7. 1987 grundsätzlich an die Stelle des Bundesbaugesetzes getreten ist (vgl. § 236 I BBauG analog). Ein Fall des § 34 II BauGB liegt nicht vor, da die Eigenart der näheren Umgebung des Vorhabens ("Schulsportplatznutzung"), zu dem das Grundstück des Vorhabens ebenfalls gehört, nicht einem der Baugebiete der Baunutzungsverordnung entspricht. Vielmehr handelt es sich auch nach der tatsächlichen Nutzung, wie sie sich aus den Akten ergibt und auch zwischen den Beteiligten unstreitig ist, teils um ein allgemeines Wohngebiet und teils um reine Wohngebiete. Ein Abwehrrecht könnten die Kl. daher wiederum nur aus dem Rücksichtnahmegebot herleiten, das auch Bestandteil des § 34 I BauGB ist. Dieses Gebot ist aber nicht verletzt, wie oben dargelegt worden ist.
Soweit die zugelassenen Spielzeiten nicht eingehalten werden oder gar Mopedrennen veranstaltet worden sind, kann die Bekl. nicht als Störerin in Anspruch genommen werden, weil ihr diese rechtswidrigen Nutzungen nicht zugerechnet werden können. Denn diese Nutzungen hat sie nicht zugelassen, und sie hat die Einhaltung der Nutzungsverbote auch durch ihre Feldhüter mittels zahlreicher Kontrollen Jahre hindurch überwacht, wie sie durch Vorlage entsprechender Kontrollberichtsablichtungen glaubhaft gemacht hat. Wenn die Kl. gleichwohl durch rechtswidrige Sportplatznutzungen mehr als nur geringfügig gestört werden sollten, so liegt es deshalb an ihnen, sich mit der Bitte um Abhilfe an die Polizei zu wenden.
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