Kinderspiellärm auf gemeinschaftlichen Außenanlagen

Gericht

LG Heidelberg


Art der Entscheidung

Berufungsurteil


Datum

23. 10. 1996


Aktenzeichen

8 S 2/96


Leitsatz des Gerichts

  1. Wenn der Lärm das Maß der gewöhnlichen Belästigung nicht übersteigt und im wesentlichen die allgemeinen Ruhezeiten beachtet werden, müssen die berechtigten Interessen der sich von Kinderspiellärm in einem reinen Wohngebiet gestört fühlenden Nachbarn zurücktreten Dies folgt schon aus der im Interesse der Allgemeinheit stehenden kinderfreundlichen Umwelt.

  2. In einer Wohnungseigentumsanlage gilt nichts anderes. Eine Bestimmung in der Hausordnung, wonach sämtliche Hausbewohner zur gegenseitigen Rücksichtnahme, insbesondere zur Aufrechterhaltung von Ruhe verpflichtet sind, kann bei einer interessengerechten Auslegung nur dahingehend verstanden werden, daß die durch die Nutzung der Anlage entstehenden ortsüblichen Geräusche nicht zu unterbinden sind.

  3. Zu den ortsüblichen Geräuschen gehört auch der Spiellärm, den die zu Besuch weilenden Kinder im Verein mit den Hausbewohnern erzeugen.

Tatbestand

Auszüge aus dem Sachverhalt:

Die Kl. erwarb 1990 in einem fünf Wohnungseinheiten umfassenden und 1985 fertiggestellten Anwesen eine Eigentumswohnung, in der sie seither mit ihrem Ehemann lebt. Die Wohnung hat einen rückwärtigen Balkon hin zu einem hinter dem Wohnhaus befindlichen kleineren gepflasterten Garagenvorplatz, sich anschließenden drei Fertiggaragen und einer daneben gelegenen Grünfläche. Die anderen Eigentumswohnungen sind vermietet, eine davon schon vor Einzug der Kl. an die Bekl., die zwischenzeitlich drei Kinder im Alter von jetzt 7, 5 und 3 Jahren haben. Die Zufahrt zu den Garagen, deren Vorplatz und die Grünfläche befindet sich in Gemeinschaftseigentum. Nach der Teilungserklärung ist für dessen Gebrauch im einzelnen die Hausordnung maßgebend. Diese bestimmt u.a.:

Gegenseitige Rücksichtnahme: Sämtliche Hausbewohner sind zum Gedeihen einer guten Hausgemeinschaft zur gegenseitigen Rücksichtnahme, insbesondere aber zur Aufrechterhaltung von Ruhe, Ordnung und Sauberkeit verpflichtet. Eltern haben ihre Kinder zur Einhaltung der für sie in Betracht kommenden Bestimmungen der Hausordnung anzuhalten.

Treppenhaus, gemeinschaftliche Räume: Das Treppenhaus sowie die gemeinschaftlichen Flure und Räume im Untergeschoß und Dachgeschoß dürfen nicht als Kinderspielplatz oder Arbeitsplatz benützt werden. Das Abstellen von ... Kinderspielzeug usw. im Treppenhaus, in Laubengängen sowie in den gemeinschaftlichen Fluren ist nicht gestattet ..."

Für die Benutzung des eingangs genannten Gemeinschaftseigentums enthält die Hausordnung keine ausdrücklichen Regelungen. Die Kinder der Bekl. spielen in zwischen den Parteien streitigem Umfang und streitiger Intensität und Lautstärke des öfteren auch mit Freunden aus der Nachbarschaft und in Gegenwart der Bekl. im Garagenbereich, der Zufahrt und der Grünfläche. Hierbei werden auch gängige Spielgeräte wie Kegel, Bälle, Dreirad, Bobby-Car und Stelzen benutzt und dann und wann ein selbsttragendes Kinderspielzelt aufgebaut. Die Spielsachen werden regelmäßig nach Gebrauch in eine von den Bekl. mitgemietete Garage verbracht. Mindestens in einem Fall hat sich zudem der Bekl. zu 1 beim Ballspielen eingeschaltet. Außerdem hat die Bekl. zu 2 jedenfalls einmal einen Wäschetrockner mit Wäsche auf dem Garagenvorplatz aufgestellt. Weil sich die Kl. und deren Ehemann schon in der Vergangenheit durch die beim Spielen verursachten Geräusche erheblich belästigt fühlten, kam es wiederholt zu verbalen Auseinandersetzungen zwischen den Parteien und außerdem zu mehreren Rechtsstreitigkeiten.

Mit der Behauptung, das streitgegenständliche Gemeinschaftseigentum werde von den Bekl. und deren Kindern zweckwidrig als Spielplatz benutzt, das Spielen sei auch nicht durch die Hausordnung gestattet und der dadurch verursachte unzumutbare Lärm könne nicht hingenommen werden, hat die Kl. die Bekl. vor dem AG auf Unterlassung in Anspruch genommen. Das AG hat die Klage mangels Verstoßes gegen die Hausordnung oder einen Beschluß der Wohnungseigentümergemeinschaft sowie wegen Verkehrsüblichkeit derartiger Geräusche in einem Mehrfamilienhaus abgewiesen. Die Berufung der Kl. hatte keinen Erfolg.

Entscheidungsgründe

Auszüge aus den Gründen:

Das Gebot gegenseitiger Rücksichtnahme stellt ohnehin eine Selbstverständlichkeit dar, ebenso wie die Verpflichtung "zur Aufrechterhaltung von Ruhe, Ordnung und Sauberkeit". Indessen wird hier, insbesondere was die Pflicht zur Ruhe betrifft, wohl niemand auf die Idee kommen, daß damit eine absolute Ruhe und eine Pflicht zum Unterlassen jeglicher Geräusche gemeint sein könnte. Mit dem AG ist vielmehr auch die Kammer der Überzeugung, daß die genannte Bestimmung bei der gebotenen objektiven und den Interessen aller Mieter bzw. Eigentümer des Anwesens gerecht werdenden Auslegung so zu verstehen ist, daß entsprechend der Bestimmung und Benutzung des Hauses als Mehr familien/Parteienwohnhaus dabei entstehende ortsübliche Geräusche nicht unterbunden werden können, wie dies im übrigen auch der Gesetzeslage in §§ 906, 1004 BGB entspricht. Daß damit auch die Nutzung des zum Haus gehörigen Hofes mit Garagen, soweit sie leerstehen, und Grünfläche verbunden ist, bedarf nach Überzeugung der Kammer eigentlich keiner besonderen Begründung. Es kann vielmehr als gerichtsbekannt unterstellt werden, daß ... bei einer vergleichbaren Wohnbebauung derartige Flächen regelmäßig von Kindern der Hausbewohner und naheliegenderweise von deren Freunden (wie dann oft auch umgekehrt) zum Spielen benutzt werden, was jedenfalls heutzutage auch das Vorhandensein von diversen Spielgeräten beinhaltet. Daß dabei regelmäßig nicht "nur" Geräusche entwickelt werden, sondern in unterschiedlicher Lautstärke Lärm entsteht, entspricht auch der Lebenserfahrung ebenso wie die Tatsache, daß speziell Kinder im Rahmen solcher Spiele gelegentlich mehr Lärm erzeugen, als aus der Sicht eines erwachsenen Beobachters eigentlich nötig wäre.

Die Kammer verkennt auch nicht, daß die Kl. die nach eigenem Vortrag wegen eines Nervenleidens ihr Geschäft aufgeben mußte und die Wohnung als besonders ruhig geltend kaufte, sich durch das Spielen sehr stark beeinträchtigt und belästigt fühlt. Indessen müssen solche Belästigungen, soweit sie den üblichen Rahmen nicht überschreiten, und davon geht die Kammer, den Vortrag der Kl. als zutreffend unterstellend, aus, hingenommen werden. Denn das Erzeugen von Lärm durch spielende Kinder ist eine notwendige Ausdrucksform und Begleiterscheinung des Spiels an sich, die nicht generell unterdrückt oder auch nur beschränkt werden kann, ohne daß dies zu dauernden Schädigungen der Kinder führen kann. Bei einer Güterabwägung zwischen den Interessen der betroffenen Nachbarn an Ungestörtheit einerseits und dem Interesse der Allgemeinheit an einer kinderfreundlichen Umwelt andererseits steht eben der Begriff der Wesentlichkeit bei der Beurteilung von Kinderlärm unter einem allgemeinen Toleranzgebot. Auch in reinen Wohngebieten mit einem ansonsten niedrigen Geräuschpegel ist daher für die Annahme einer wesentlichen Beeinträchtigung die gewöhnliche Belästigung durch den Lärm spielender Kinder nicht ausreichend. Soweit der Bekl. zu 1 im Einzelfall zumindest in Anwesenheit seiner Kinder auch mit einem Ball gespielt hat, geht die Kammer naheliegenderweise davon aus, daß dies im Zusammenhang mit dem Spielen der Kinder zu sehen ist und eine Beteiligung von Eltern hieran im übergeordneten Interesse sogar wünschenswert ist. Zu einer Unterlassungsverfügung berechtigt dieses seltene kurzfristige Geschehen daher nicht.

Die Kammer ist mit dem AG im übrigen der Überzeugung, daß die Kl. die Bekl., zumal im Hinblick auf das Alter der Kinder und bestehende Aufsichtspflichten, nicht auf anderweitige Spielmöglichkeiten verweisen kann. Was die Dauer des Spiels betrifft, werden nach dem eigenen Vorbringen der Kl. ... die üblichen Ruhezeiten weitestgehend eingehalten, ganz abgesehen davon, daß zumindest in der Literatur (vgl. Säcker, in: MünchKomm, 2. Aufl., § 906 Rdnr. 44) diskutiert wird, ob bezüglich Kinderlärm fest abgegrenzte Ruhezeiten überhaupt gefordert werden können.

Im übrigen ist ohnehin davon auszugehen, daß bei zunehmendem Alter der Kinder und mit sich wandelnden Interessen deren Gebrauch der streitgegenständlichen Flächen aller Wahrscheinlichkeit nach ohnehin nachlassen wird.

Rechtsgebiete

Nachbarrecht; Garten- und Nachbarrecht