Geräusche von privaten Kinderspielplätzen

Gericht

OVG Bremen


Art der Entscheidung

Revisionsurteil


Datum

01. 12. 1987


Aktenzeichen

1 BA 49/8


Leitsatz des Gerichts

Geräusche, die von privaten Kinderspielplätzen ausgehen, müssen von den Bewohnern im reinen Wohngebiet grundsätzlich auch dann hingenommen werden, wenn solche Spielplätze von Kindern benutzt werden, die nicht auf den betreffenden Grundstücken wohnen.

Tatbestand

Auszüge aus dem Sachverhalt:

Die Kl. sind Miteigentümer eines Grundstücks. Das auf diesem Grundstück in den Jahren 1980/81 errichtete Einfamilienhaus wird von ihnen bewohnt. Für dieses Grundstück setzt der Bebauungsplan 1000 A aus dem Jahr 1977 Reines Wohngebiet mit zweigeschossiger halboffener Bauweise fest. Beim Haus der Kl. handelt es sich um das letzte Haus einer Reihe von 6 Kettenhäusern, die jeweils durch Garagen miteinander verbunden sind. Die Beigel. errichteten im Jahr 1984 Häuser; die Schlußabnahmen fanden im November und Dezember 1984 statt. Einen Kinderspielplatz legten die Beigel. jeweils auf der gesamten zu ihrem Grundstück gehörenden nichtüberbaubaren Fläche an, so daß die Kinderspielplätze etwa 165 qm und 325 qm groß sind. Nach der gemehmigten Bauzeichnung waren für den 165 qm großen Spielplatz eine Sandkiste (8,75 qm), eine Rutsche, eine Sitzecke und eine Tischtennisplatte vorgesehen.

Am 7. 11. 1985 haben die Kl. Widerspruch gegen die für die Grundstücke 60 und 62/64 erteilten Baugenehmigungen eingelegt, soweit auf diesen Grundstücken Kinderspielplätze "genehmigt oder gar gefordert worden sind".

Widerspruch, Klage und Berufung der Kl. blieben erfolglos.

Entscheidungsgründe

Auszüge aus den Gründen:

2. Die zulässige Klage ist nicht begründet, denn eine Rechtsverletzung der Kl. ist nicht erkennbar. Das VG hat die Klage deshalb zu Recht abgewiesen.

Der Senat läßt offen, ob es sich bei den beiden Kinderspielplätzen von 80 qm und 210 qm, deren Anlage den Beigel. aufgegeben worden ist, um bauliche Anlagen - auch i. S. des § 29 BBauG/BauGB - oder zumindest um genehmigungsbedürftige Anlagen i. S. des § 87 I BremBauO handelt. Eine Rechtsverletzung der Kl. könnte bei einem zu ihren Gunsten unterstellten planungsrechtlichen Ansatz allein aus einem Verstoß gegen § 15 I BauNutzVO (Rücksichtnahmegebot) und bei bauordnungsrechtlicher Betrachtung - wenn überhaupt - aus einem Verstoß gegen Vorschriften des Bundesimmissionsschutzgesetzes (vgl. dazu BVerwG, BRS 28 Nr. 138 = DVBl 1974, 777) hergeleitet werden. Danach müßten von den in den Auflagen geforderten Kinderspielplätzen Belästigungen oder Störungen ausgehen, die nach der Eigenart des Baugebiets im Baugebiet selbst oder in dessen Umgebung unzumutbar sind (so § 15 I 2 BauNutzVO) bzw. müßten von ihnen "schädlche Umwelteinwirkungen" ausgehen, die geeignet sein könnten, Gefahren, erhebliche Nachteile oder erhebliche Belästigungen für die Allgemeinheit oder die Nachbarschaft herbeizuführen (§ 3 I BImSchG). Solche erheblichen oder gar unzumutbaren Belästigungen der Kl. können von den in den Auflagen geforderten Kinderspielplätzen nicht ausgehen.

Gesetzgeber (vgl. hier § 10 BremBauO und Erstes Ortsgesetz über Kinderspielflächen in der Stadtgemeinde Bremen vom 3. 4. 1973, BremGBl S. 31, SaBremR 2130-d-14, - OG), Rechtsprechung (vgl. z. B. OVG Münster, BRS 46 Nr. 46 = BauR 1987, 46; VGH Mannheim, BRS 44 Nr. 33) und Schrifttum (Bielenberg, in: Ernst-Zinkahn-Bielenberg, BauGB, BauNutzVO § 3, Rdnr. 4, Stand August 1986, Fickert-Fieseler, BauNutzVO, 5. Aufl., § 3 Rdnr. 25, beide m. w. Rechtsprechungsnachw.) gehen davon aus, daß an Kinderspielplätzen ein überragendes öffentliches Interesse besteht. Sie dienen der körperlichen und geistigen Entfaltung der Kinder und der Befriedigung der Spielbedürfnisse (so ausdrücklich § 4 I 2 OG). Sie sollen den Kindern Bewegungsmöglichkeiten schaffen und die Einübung sozialen Verhaltens gewährleisten. Deshalb sind sie in allen Bereichen zulässig, in denen gewohnt wird, somit auch im reinen Wohngebiet (§ 3 I OG verlangt, daß sie von Wohnungen der pflichtigen Grundstücke einsehbar und - z. B. als private Gemeinschaftsanlagen - nicht mehr als 100 m von den zugehörigen Wohnungen entfernt sein sollen). Die von Kinderspielplätzen ausgehenden Emissionen müssen deshalb grundsätzlich von den Nachbarn (auch wenn sie keine Kinder im Spielalter - mehr - haben) hingenommen werden ebenso wie z. B. der übliche Straßenverkehrslärm. Dies gilt jedenfalls für Kinderspielplätze herkömmlicher Art, bei denen im wesentlichen Geräusche auf Grund der natürlichen Lebensäußerung der Kinder durch Spielen und Bewegung entstehen (vgl. zu Spielplätzen anderer Art wie Abenteuerspielplätzen und Bolzplätzen VGH Mannheim, BSR 44 Nr. 33 und OVG Münster, BRS 46 Nr. 46 = BauR 1987, 46; auf die hier insoweit nicht einschlägige "Bolzplatzentscheidung" des OVG Münster beziehen sich die Kl. in ihrer Berufungsbegründung zu Unrecht).

In den von den Kl. angefochtenen Auflagen werden die Beigel. zur Errichtung solcher herkömmlicher Spielplätze verpflichtet. Nach § 4 II OG müssen die Spielplätze außer mit je einer Sandkiste, Sitzbänken und Tisch mit 2 Spielgeräten (Beigel. zu 2) bzw. 4 Spielgeräten (Beigel. zu 1) ausgestattet werden. So ausgestattete Spielplätze werden jedenfalls ganz überwiegend von Kleinkindern und jüngeren Schulkindern genutzt, so daß auch die Kl. die von den geforderten Spielplätzen ausgehenden Geräusche hinzunehmen verpflichtet sind. Ohne die Verpflichtung zur Anlage von Kinderspielplätzen auf nach dem Bebauungsplan nichtüberbaubaren Streifen könnten die Beigel. im übrigen hier eine Rasenfläche anlegen, die als Spiel- oder Liegewiese genutzt werden könnte. Sie könnten Sträucher und Bäume so anpflanzen, daß die Fläche Kinder anzieht, die Verstecken spielen wollen. Auch solche anderweitigen - ohne behördliche Einflußnahme - möglichen und erlaubten Aktivitäten von Kindern auf einer planungsrechtlich nichtüberbaubaren Fläche könnten zu vergleichbaren Geräuschentwicklungen führen wie die hier geforderte Anlegung der Spielflächen; die Kl. müßten solche "Störungen" ebenfalls hinnehmen.

Soweit die Kl. "unzumutbare" Lärmbelästigungen aus der Zeit unmittelbar nach der Herrichtung der Spielplätze durch die Beigel. behaupten - jetzt werden beide Spielplätze nach den Angaben der Kl. überhaupt nicht mehr benutzt -, sind die vorhandenen Spielplätze in eine Größe von 165 qm und 325 qm nicht Gegenstand dieses Verfahrens. Die Kl. fechten nur die geforderten Spielplätze von 80 qm und 210 qm an. Inhalt der angefochtenen Auflagen ist nicht, daß diese Spielplätze bis an die Grundstücksgrenze der Kl. reichen müßten. Deshalb könnte der 80 qm große Spielplatz in einem Abstand von mindestens 4 m von der Grundstücksgrenze der Kl. entfernt errichtet werden. Der 210 qm große Spielplatz könnte - da er vom M.-Weg zugänglich ist - wie bisher in voller Breite, jedoch in der Größe um etwa ein Drittel verkürzt hergerichtet werden, so daß er überhaupt nicht mehr an das Grundstück der Kl. heranreichen würde. Diese - denkbare - Anlegung der geforderten Spielplätze würde die von den Kl. generell hinzunehmenden Spielplatzgeräusche weiter vermindern.

Unabhängig hiervon kann der Senat die Behauptungen der Kl. über die Lärmeinwirkungen, denen sie in der ersten Zeit nach Fertigstellung der vorhandenen Spielplätze ausgesetzt gewesen sein wollen, nicht nachvollziehen. Nach den von ihnen nicht angegriffenen Feststellungen des VG befinden sich zur Zeit auf den durch einen Drahtzaun getrennten Spielflächen je eine Sandkiste und je ein Schaukelgerüst mit einer bzw. zwei Schaukeln. Jede Sitzgelegenheit fehlt. Es ist nicht erkennbar und von den Kl. auch nicht erläutert worden, wie von so ausgestatteten Spielflächen ein derartiger Lärm ausgehen soll, daß die Kl. "zu keiner Tageszeit - weder in der Woche noch am Wochenende -" hätten Ruhe finden können. Selbst wenn gelegentlich 16 - sicher auch schulpflichtige - Kinder auf dem einen oder dem anderen Spielplatz herumgetobt haben sollten, würden solche gelegentlich stärkeren Spielplatzgeräusche auch unter Einbeziehung des Vortrags der Kl. über die Schallreflektion durch die gegenüberliegenden Hauswände keine "schwere und unerträgliche Belästigung" der Nachbarn darstellen. Entgegen der Auffassung der Kl. schließen auch die im Planungsrecht geforderten "gesunden Wohnverhältnisse" die Anlage solcher Kinderspielplätze nicht aus. Die Gesundheit der Kinder (und ihrer Eltern) erfordern gerade die Anlage solcher herkömmlichen Kinderspielplätze in unmittelbarer Nähe von Wohnungen, und den übrigen Bewohnern wird die Hinnahme von Geräuschen, die von solchen Spielplätzen ausgehen, zugemutet. An dieser Beurteilung ändert schließlich auch die Tatsache nichts, daß entsprechend § 3 IV OG die Spielplätze - auch und nach dem Vortrag der Kl. überwiegend oder sogar ausschließlich - von nicht in den Häusern der Beigel. wohnenden Kindern genutzt worden sind. Eine generelle Beschränkung der Zugangsmöglichkeit auf die auf dem Grundstück wohnenden Kinder würde das Einüben sozialen Verhaltens durch Spielmöglichkeiten gerade auch mit in anderen Häusern wohnenden Kindern verhindern oder erschweren. Im übrigen ist diese von den Kl. offenbar für unzweckmäßig oder sogar rechtswidrig gehaltene ortsgesetzliche Regelung nicht Gegenstand dieses Anfechtungsverfahrens.

Rechtsgebiete

Nachbarrecht; Garten- und Nachbarrecht