Keine Preisbindung für zur Zeit der Wiedervereinigung objektiv unbewohnbaren Wohnraum
Gericht
AG Chemnitz
Art der Entscheidung
Urteil
Datum
10. 05. 1999
Aktenzeichen
19 C 3707/98
Wird ein Wohnraummietverhältnis wegen Gesundheitsgefährdung fristlos gekündigt, kommt es nicht auf die Befindlichkeit des Einzelnen an. Vielmehr muss eine Gefährdung aufgrund objektiver Maßstäbe festgestellt werden.
Auszüge aus dem Sachverhalt:
Der Kl. hatte den Bekl. eine Wohnung aufgrund eines am 15. 2. 1995 beginnenden und bis zum 30. 9. 1999 befristeten Mietverhältnisses zu einem Mietzins von 1200 DM zzgl. 200 DM Betriebskostenvorauszahlung vermietet. Der Mietzins erhöhte sich ab 1. 2. 1998 auf 1230 DM. Die Bekl., die bereits gemindert hatten, kündigten das Mietverhältnis fristlos zum 3. 11. 1997 nach § 542 I BGB und am 13. 1. 1998 gestützt auf § 544 BGB (fristlose Kündigung wegen Gesundheitsgefährdung). Im März 1998 zogen sie aus und die Wohnung konnte am 1. 9. 1998 zu einem Mietzins von 1130 DM erneut vermietet werden. Der Kl. hat rückständigen Mietzins in Höhe von 6482,80 DM eingeklagt. Die Kl. haben widerklagend die Kautionssumme und Anwaltskosten verlangt sowie Auskunft begehrt, welcher Mietzins zu Beginn des Mietverhältnisses preisrechtlich zulässig gewesen sei.
Die Klage hatte in Höhe von 5991,90 DM Erfolg. Die Widerklage wurde abgewiesen.
Auszüge aus den Gründen:
I. Die zulässige Klage ist begründet, denn der Kl. hat gegen die Bekl. einen fälligen und einredefreien Anspruch auf Zahlung des vereinbarten Mietzinses gem. § 535 S. 2 BGB.
1. Die Bekl. sind nicht berechtigt, aufgrund des vorhandenen Schimmelbefalls die Miete zu mindern.
2. Das Mietverhältnis ist nicht durch fristlose Kündigung beendet worden, denn die Kündigungen entbehren eines Kündigungsgrunds.
a) Die außerordentliche Kündigung vom 3. 11. 1997 ist unwirksam, weil nur ein unerheblicher Mangel vorliegt, der die Gebrauchsfähigkeit der Wohnung insgesamt nicht beeinträchtigt. Ein besonderes Interesse der Mieter ist nicht ersichtlich (§ 542 II BGB), denn die Bekl. blieben bis einschließlich März 1998, also noch weitere fünf Monate, in der streitgegenständlichen Wohnung.
b) Der Kündigungsgrund des § 544 BGB lag ebenfalls nicht vor, denn der Aufenthalt in der streitgegenständlichen Wohnung ist nicht gesundheitsgefährdend. Nach den glaubhaften Ausführungen der Zeugin Dr. L vom Gesundheitsamt der Stadt C. befinden sich Schimmelpilze immer und überall in der Luft, so dass dieser Umstand auch vom Kl. nicht abgestellt werden kann. Die Zeugin wies weiter darauf hin, dass sie aufgrund der von ihr vorgenommenen Messungen zu dem Ergebnis gelangte, dass die in der streitgegenständlichen Wohnung festgestellte Konzentration von Schimmelpilzen nur bei Personen mit schweren Vorerkrankungen oder bösartigen Tumoren gesundheitsgefährdend sein könne. Die Bekl. zu 2 leidet zwar an einer Schimmelpilzallergie. Dies ist jedoch für eine fristlose Kündigung nach § 544 BGB nicht ausreichend, da es hier nicht auf die Befindlichkeit einzelner ankommt, sondern auf eine Gesundheitsgefährdung anhand objektiver Maßstäbe (h.M., vgl. Grapentin, in: Bub/Treier, Hdb. d. Geschäfts- u. Wohnraummiete, 3. Aufl. [1999], IV Rdnr. 155). Dies ist hier nicht der Fall, wobei außerdem noch zu berücksichtigen ist, dass der Schimmelbefall im Wohn- und Kinderzimmer nur als ästhetische Beeinträchtigung anzusehen war. Eine erhebliche Beeinträchtigung der Mieträume lag ohnehin durch die festgestellten Schimmelflecken nicht vor, so dass auch aus diesem Grund eine außerordentliche Kündigung nach § 544 BGB nicht in Betracht kam (vgl. OLG Celle, MDR 1964, 924).
c) Soweit die außerordentliche Kündigung in dem Schriftsatz vom 3. 5. 1999 erstmals mit § 544a BGB begründet wurde, so ist dies unzutreffend.
d) Daraus folgt, dass der Kl. für die Monate April und Mai 1998 einen Anspruch gegen die Bekl. in Höhe von jeweils 1230 DM hat. Hiervon ist allerdings auch wieder die von ihm selbst zugestandene Mietminderung in Höhe von 50 DM pro Monat in Abzug zu bringen, denn die Bekl. können nicht dadurch schlechter gestellt werden, dass sie aus der Wohnung ausgezogen sind. Der Kl. hat daher einen Anspruch auf Mietzahlung für diese beiden Monate in Höhe von 2560 DM.
3. Insgesamt haben die Bekl. daher an den Kl. 5991,90 DM zu zahlen. ...
II. Die zulässige Widerklage ist insgesamt unbegründet.
1. Die Bekl. können noch nicht Rückzahlung der Kaution verlangen, denn die Kaution ist eine Sicherheit für den Vermieter, dass der Mieter alle Ansprüche aus dem Mietvertrag erfüllen wird. Im Hinblick darauf, dass hier der Mietvertrag nicht durch eine außerordentliche Kündigung der Bekl. endete und dass das Mietverhältnis bis zum 30. 9. 1999 befristet war, stehen dem Kl. über die in diesem Prozess geltend gemachten Ansprüche hinaus weitere Ansprüche zu. In welcher Höhe der Kl. gegen die Bekl. einen weiteren Anspruch hat, kann mit Bestimmtheit erst am 30. 9. 1999 gesagt werden. Um zu gewährleisten, dass die Bekl. ihren Verpflichtungen nachkommen, ist daher zum gegenwärtigen Zeitpunkt der Anspruch auf Rückzahlung der Kaution nicht fällig.
2. Für die Geltendmachung des Anspruchs auf Zahlung der Rechtsanwaltsgebührenrechnung in Höhe von 731,61 DM ist eine Anspruchsgrundlage nicht ersichtlich.
3. Zum Auskunftsanspruch ist folgendes zu sagen:
a) Nahezu der gesamte Wohnungsbestand der ehemaligen DDR war bei deren Beitritt zur Bundesrepublik Deutschland preisgebunden. Die Mieten waren faktisch auf dem Stand der Vorkriegszeit eingefroren. Daran knüpfen der Einigungsvertrag (Anl. II, Kap. 5, Sachgebiet A, Abschn. III, Nr. 1dd) und insbesondere auch § 11 I MHRG a.F. an. Aufgrund der Ermächtigung des § 11 III Nr. 1 MHRG a.F. wurden die erste und zweite Grundmietenverordnung erlassen. Erst durch das Mietenüberleitungsgesetz vom 6. 6. 1995 traten die erste und zweite Grundmietenverordnung am 11. 6. 1995 außer Kraft.
Da es sich bei dem Mietobjekt unstreitig weder um ein nach dem 2. 10. 1990 errichtetes Gebäude, noch um Räume, die zu diesem Zeitpunkt auf Dauer zu Wohnzwecken nicht mehr bewohnbar waren (§ 11 I MHRG a.F.), handelt, ist die höchstzulässige Miete für den vertraglichen Zeitraum zunächst gem. § 11 II MHRG a.F. nach der ersten und zweiten Grundmietenverordnung zu ermitteln. Grundsätzlich tragen die Mieter die Darlegungs- und Beweislast für den höchst zulässigen Mietzins, wenn sie sich darauf berufen. Wegen der Schwierigkeiten, die Ausgangsmiete vom 3. 10. 1990, die teilweise bis auf preisrechtliche Preisvorschriften aus dem Jahre 1936 zurückzuverfolgen ist, zu ermitteln, genügt der Mieter seiner Darlegungslast, wenn er den gesetzlichen Normalfall hinsichtlich der Miethöhe dartut. Dies haben die Bekl. dadurch getan, dass sie vorgetragen haben, dass die Wohnung am 3. 10. 1990 vermietet war.
b) Es ist jedoch nicht sachgemäß, die Anwendung des MHRG allein davon abhängig zu machen, ob ein Gebäude am 3. 10. 1990 bewohnbar war oder nicht. Vielmehr muss stets auch das weitere Schicksal des Wohnobjekts berücksichtigt werden, denn wenn ein Mietobjekt nach diesem Zeitpunkt unbewohnbar geworden ist, dann ergibt sich die Rechtsfolge zwanglos aus § 275 I BGB: Aufgrund objektiver Unmöglichkeit wird der Vermieter von seiner Verpflichtung zur Leistung frei. Dieser allgemeine Grundsatz wird nicht durch das MHRG aufgehoben. Sinn und Zweck von § 11 MHRG war es, die Mieter vor zu raschen Mietsteigerungen zu schützen. Beim Auszug einer Mietpartei sollte der Vermieter den Mietzins über diese Wohnung mit dem neuen Mieter nicht frei vereinbaren dürfen, sondern der neue Mieter sollte genau die gleiche Miete zahlen, die auch schon der alte Mieter bezahlt hatte. Dieses Ziel des Gesetzgebers, nämlich die Einheitlichkeit der Miethöhe bei gleichbleibenden Mietbedingungen zu gewährleisten, verliert jedoch dann seine Grundlagen, wenn ein Objekt nach dem 3. 10. 1990 unbewohnbar wird. Unstreitig war die streitgegenständliche Wohnung in einem Haus, in dem schon seit 1968 Teile des Dachgeschosses und der darunterliegenden Wohnung baupolizeilich gesperrt worden waren. Dass dieses Haus, das erst 1994 saniert wurde, in den Jahren bis zum 3. 10. 1990 weiterhin zumindest teilweise bewohnt war, war allein dem Umstand geschuldet, dass Wohnraum in der DDR eine Mangelware war. Im Grunde genommen handelte es sich bei diesem Haus auch am 3. 10. 1990 um eine Bruchbude, die nicht bewohnbar war, aber bewohnt wurde. In Ermangelung eines funktionstüchtigen Daches war das ganze Haus mindestens 26 Jahre lang Wind und Wetter, vor allem der Niederschlagsfeuchtigkeit, ausgesetzt. Mag zwar die streitgegenständliche Wohnung am 3. 10. 1990 vermietet gewesen sein, das Haus insgesamt war jedenfalls so sehr heruntergekommen, dass objektiv nicht von einer Bewohnbarkeit gesprochen werden kann. Die Verschlechterung des Bauzustandes, die schließlich zum völligen Leerstand des Gebäudes im Jahr 1994 führte, darf nicht unberücksichtigt bleiben. Richtigerweise ist daher das MHRG nur auf solchen Wohnraum anzuwenden, der nach wie vor im selben baulichen Zustand wie am 3. 10. 1990 ist. Das MHRG ist dann nicht anzuwenden, wenn zu irgendeinem Zeitpunkt nach dem 3. 10. 1990 in einer baulichen Hülle Wohnraum geschaffen wurde. Auch hier hat der Bekl. durch seine Investition im Jahr 1994 erstmals Wohnraum hergestellt. Die bisherige Rechtsprechung, die allein auf das Tatbestandsmerkmal „Bewohnbarkeit am 3. 10. 1990„ abstellt, übersieht, dass ohne die Investitionen in dem Beitrittsgebiet noch immer große Wohnungsknappheit herrschen würde und die alte Bausubstanz straßenzügeweise zusammengebrochen wäre.
Der Auskunftsanspruch ist daher unbegründet, denn die Bekl. schulden nicht lediglich preisrechtlich gebundenen Mietzins.
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