Unwirksame Schlüsselersatz-AGB - Abhandenkommen bei Einbruch

Gericht

LG Hamburg


Art der Entscheidung

Berufungsurteil


Datum

14. 07. 1998


Aktenzeichen

316 S 55/98


Leitsatz des Gerichts

Eine Formularklausel in einem Mietvertrag über Wohnraum, nach der der Vermieter bei Verlust eines Schlüssels berechtigt ist, auf Kosten des Mieters ein Austauschschloß anzubringen und die erforderliche Anzahl von Schlüsseln anzufertigen, benachteiligt den Mieter unangemessen und ist wegen Verstoßes gegen § 9 II AGBG unwirksam, da sie eine verschuldensunabhängige Haftung des Mieters eröffnet.

Tatbestand

Auszüge aus dem Sachverhalt:

Die Kl. verlangt von den Bekl. Schadensersatz für die Kosten einer Schließanlage in Höhe von 5917,44 DM nebst Zinsen. Die Bekl. hatten von der Kl. eine Wohnung im 2. Obergeschoß angemietet. In die Wohnung der Bekl. war eingebrochen worden. Die Diebe entwendeten u.a. einen Wohnungsschlüssel, der zur zentralen Schließanlage gehörte und mit dem man sich nicht nur den Zutritt zur Wohnung der Bekl., sondern auch zu den Hausfluren in anderen Gebäuden verschaffen konnte. Die Kl. wechselte die Schließanlage aus. Sie stützt ihren Anspruch auf nachstehende Formularklausel, die zwischen den Parteien mietvertraglich galt:

„Bei Verlust eines Schlüssels kann der Vermieter auf Kosten des Mieters ein Austauschschloß anbringen und die erforderliche Anzahl von Schlüsseln anfertigen.„

Das AG hat die Klage abgewiesen. Die Berufung der Kl. hatte keinen Erfolg.

Entscheidungsgründe

Auszüge aus den Gründen:

Ausgangspunkt ist, daß es zu den Obhutspflichten des Mieters gehört, Haus- und Wohnungsschlüssel sorgfältig zu verwahren und darauf zu achten, daß sie nicht in Verlust geraten (vgl. dazu Scheuer, in: Bub/Treier, Hdb. d. Geschäfts- u. Wohnraummiete, 2. Aufl., V A Rdnr. 9; Sternel, MietR, 3. Aufl., II Rdnr. 11). Verletzt er diese Pflicht schuldhaft, so macht er sich aus positiver Vertragsverletzung schadensersatzpflichtig. Sind die Schlüssel in die Obhut des Mieters gelangt, so muß er sich nach der herrschenden Sphärentheorie (s. dazu zuletzt BGH, NZM 1998, 117; OLG München, NJW-RR 1997, 1031) hinsichtlich seines Ursachenbeitrags und seines Verschuldens entlasten.

Ein Verstoß gegen die Obhutspflicht begründet indes noch keine Zufallshaftung. Eben diese wird - über die allgemeine Vertragshaftung hinausgehend - durch die hier in Rede stehende Klausel begründet. Darin liegt eine unangemessene Benachteiligung des Mieters - hier der Bekl. - i.S. von § 9 II Nr. 1 AGBG. Dies entspricht generell allgemeiner Meinung (s. Palandt/Heinrichs, BGB, 57. Aufl., § 9 AGBG Rdnr. 91; Ulmer/Brandner/Hensen, AGBG, 8. Aufl., Anh. §§ 9-11 Rdnr. 981, jew. m.w. Nachw.). So hat der BGH in seinem Urteil vom 1. 4. 1992 ausgeführt:

„Die Erweiterung der Haftung des Mieters weicht von dem mietvertraglichen Haftungsrecht (§§ 536f. BGB) und dem generellen Grundsatz des Haftungsrechts ab, daß ein Schuldner nur haftet, wenn er den Schaden zu vertreten hat. Er ist ein wesentlicher Grundgedanke des bürgerlichen Rechts und gilt als Ausdruck des Gerechtigkeitsgebots gleichermaßen für vertragliche wie für gesetzliche Ansprüche. Zwar kann er durch individualvertragliche Regelungen in den Grenzen der §§ 138 , 242 BGB abbedungen oder abgewandelt werden; die formularmäßige Überbürdung der verschuldensunabhängigen Haftung auf den Kunden ist aber grundsätzlich eine der gesetzlichen Risikoverteilung widersprechende unangemessene Benachteiligung, die die Haftungserweiterung nach § 9 II Nr. 1 AGBG unwirksam macht (NJW 1992, 1761 [1762]).„

Dem ist für den vorliegenden Fall zu folgen (s. auch bereits Sonnenschein, NJW 1980, 1713 [1717 a.E., 1718]). Die Klausel ist derart weit gefaßt, daß sie alle Fälle des Verlusts umfaßt, ohne Rücksicht darauf, ob sich die Bekl. gegen das Risiko des Verlusts versichern konnten oder nicht. Für die Wirksamkeit der Klausel kommt es deshalb nicht darauf an, ob vorliegend der Sachversicherer der Bekl. den Schaden mit abgegolten hätte. Anders als die Klausel, über die der BGH zu entscheiden hatte, enthält die von der Kl. verwendete Klausel auch nicht den Hinweis, daß der Kunde (Mieter) jedenfalls stets für die Risiken haftet, die üblicherweise versichert werden können.

Soweit sich die Kl. auf Literaturmeinungen bezieht, aus denen sie die Zulässigkeit der Klausel ableitet, kann die Kammer dem nicht folgen. Die Ausführungen von Gelhaar (ZMR 1981, 225 [226]) lassen jede Abwägung nach AGB-rechtlichen Kriterien vermissen. Glaser (ZMR 1983, 181 [182]) nimmt zu Klauseln der hier in Rede stehenden Art nicht Stellung. Scheuer (in: Bub/Treier, II Rdnr. 457) setzt ein Verschulden des Mieters voraus und legt eine Klausel für den Fall, daß der Mieter den Schlüsselverlust nicht verschuldet hat, im Anschluß an Sieg (BB 1993, 150) dahin aus, daß der Wohnraummieter nur den von der Hausratsversicherung gedeckten Schaden zu ersetzen hat. Auch nach den Ausführungen von Sternel (II Rdnr. 12), der auf Sonnenschein (NJW 1980, 1718) verweist und im übrigen eine restriktive Auslegung der Klausel befürwortet, läßt sich keine Zufallshaftung ableiten. Eine restriktive Auslegung der Klausel käme allenfalls in Betracht, wenn sie inhaltlich unklar wäre, mithin mehrere Deutungsmöglichkeiten zuließe. Das ist nicht der Fall. Somit liefe eine derartige Auslegung letztlich auf eine unzulässige geltungserhaltende Reduktion hinaus.

Neuerem Verständnis entspricht es zudem, auch im Individualprozeß von der kundenfeindlichsten Auslegung auszugehen und eine restriktive Auslegung nur und erst dann zuzulassen, wenn die Klausel auch bei kundenfeindlichstem Verständnis der Inhaltskontrolle standhielte (s. Ulmer/Brandner/Hensen, § 5 Rdnr. 31 m.w. Nachw.).

Rechtsgebiete

Mietrecht