Konzertveranstalter-Haftung - Schadensersatz für Hörschäden bei Pop-Konzert
Gericht
OLG Koblenz
Art der Entscheidung
Berufungsurteil
Datum
13. 09. 2001
Aktenzeichen
5 U 1324/00
Der Veranstalter eines Popkonzerts haftet im entschiedenen Falle wegen der Verletzung von Verkehrspflichten für die Hörschäden der Konzertbesucher.
Neben ihm haftet der Vermieter der Räume; ebenfalls aufgrund der Verletzung von Verkehrsicherungspflichten.
Für den konkreten Fall ist der entscheidende Senat davon überzeugt, dass der Spitzenwert von 104 dB(A) länger als zulässig auf die GEschädigte einwirkte.
Als Schaden ist auch ein Schmerzensgeld für den immateriellen Schaden zu entrichten.
Die Klägerin, die am 15. November 1983 geboren wurde, besuchte am 1. März 1997 das Pop-Konzert einer »Boy-Group«. Das Konzert fand in den Räumen der Beklagten zu 1 statt, die ein Unterhaltungszentrum betreibt. Der Auftritt der »Boy-Group« wurde von der Beklagten zu 2 vermittelt. Diese stellte auch die Musikanlage und deren Bedienungspersonal.
Während der Veranstaltung war die Bühne, auf der die »Boy-Group« spielte, durch in einem Abstand von weniger als 2 m vorgesetzte Sicherheitsbarrieren vom Publikum getrennt. An der linken und rechten Bühnenseite waren jeweils große Lautsprecherboxen postiert. Nahe einer dieser Boxen hielt sich die Klägerin während des Konzerts auf.
Am 3. März 1997 suchte die Klägerin einen Ohrenarzt auf, der eine »hochgradige, lärmtraumatische Innenohrschädigung mit Tinnitus beidseits« und eine »Schwindelsymptomatik« diagnostizierte. Danach wurde die Klägerin längerfristig, darunter auch stationär, behandelt.
...
Die Berufungen der Beklagten sind ohne Erfolg. Im Gegenzug führt die Anschlussberufung der Klägerin zu einer geringfügigen Erhöhung des ausgeurteilten Schmerzensgelds. Darüberhinaus erweist sie sich im Hinblick auf die Verjährungseinrede, die ihr die Beklagten entgegen gestellt haben, als unbegründet.
Die Beklagten haften der Klägerin gemäß § 823 Abs. 1 BGB, weil sie anlässlich des Pop-Konzerts vom 1. März 1997 ihre Verkehrssicherungspflichten schuldhaft verletzten und die Klägerin in der Folge eine Innenohrschädigung davontrug. Dass die daraus erwachsenden Ersatzansprüche der Klägerin durch ein rechtserhebliches Mitverschulden gemindert sein könnten, ist nicht zu ersehen.
1. Während ihres Konzertbesuchs wurde die Klägerin einer deutlich gesundheitsgefährdenden und damit unzulässigen Lärmbelastung durch die über Lautsprecher wiedergegebene Musik ausgesetzt. Das gilt unabhängig davon, ob sie sich, wie sie behauptet, den an der Bühnenseite platzierten Lautsprecherboxen bis auf weniger als 1,5 m nähern konnte und näherte oder ob, wie die Beklagten meinen, die Sicherheitsvorkehrungen eine so starke Annäherung nicht zuließen und einen Abstand von jedenfalls 1,8 m gewährleisteten. Die Lärmbelastung konnte auch nicht dadurch in hinnehmbaren Grenzen gehalten werden, dass die Lautsprecher - wovon der Senat nach den von der Beklagten zu 1 zu den Akten gereichten Unterlagen ausgeht - mit einem Limiter ausgestattet waren, der den Schall, gemessen in einer Entfernung von 1 m, auf 110 dB(A) begrenzte.
a) Der vom Senat befragte Sachverständige Prof. Dr. S. hat aufgezeigt, dass sich die Klägerin in jedem Fall in einer Situation befand, die nach wissenschaftlichen Erkenntnissen dazu angetan war, eine Gehörschädigung hervorzurufen. Die Schädlichkeit lauter Geräusche hängt einerseits von ihrer Intensität und andererseits von der Dauer ab, in der sie auftreten. So sollte ein Schall, der 120 dB(A) erreicht, innerhalb einer Zeitspanne von 8 Stunden nicht länger als 10 s einwirken, damit die Gesundheit keinen Schaden nimmt. Legt man eine Wirkungszeit von 1 Stunde zu Grunde, liegt die kritische Pegelgrenze bereits bei 90 dB(A). Prof. Dr. S. hat diesen Zusammenhang durch ein Schaubild verdeutlicht. Ihm tragen auch die Unfallverhütungsvorschrift Lärm, die VDI-Normen und die europäischen Empfehlungen zum Lärmschutz Rechnung.
b) Das Konzert, das die Klägerin besuchte, zog sich über etwa 90 Minuten hin. In dieser Zeit wurden unstreitig große Lautstärken wirksam. Freilich konnten dabei, bedingt durch den nach den Angaben der Beklagten vorhandenen Limiter, Werte von 110 dB(A) gemessen in einer Entfernung von 1 m zur Lautsprecherbox grundsätzlich nicht überschritten werden. Unter derartigen Umständen betrug der Lärmpegel in einem Abstand von 2 m bis zu 104 dB(A). Ein Schall in dieser Stärke konnte ohne weiteres auf die Klägerin einwirken, die sich dem vor ihr stehenden Lautsprecher unstreitig sogar auf eine kürzere Distanz genähert hatte. Wurde der Wert von 104 dB(A) während des Konzerts für nur 125 s erreicht, kam es bereits zu Gesundheitsgefahren. Gesundheitsgefahren bestanden aber genauso, wenn ohne derart hohe Pegelausschläge über die gesamte Konzertdauer hinweg ein mittlerer Pegel von nicht einmal ganz 90 dB(A) gegeben war. Im Hinblick darauf unterliegt es keinem vernünftigen Zweifel, dass die Klägerin gesundheitsgefährdenden und damit verkehrssicherungspflichtwidrigen Schalleinflüssen ausgesetzt war.
c) Der Senat ist jedenfalls davon überzeugt, dass der Spitzenwert von 104 dB(A) länger als zulässig auf die Klägerin einwirkte. Wäre - etwa mangels hinreichender Leistungsfähigkeit der Musikanlage schon im Ausgangspunkt ein Lärmpegel von 110 dB(A) nicht erreicht worden, wäre die Installation des Limiters überflüssig gewesen. Vieles spricht sogar dafür, dass die Spitzenlärmbelastung so war, dass schon eine Wirkungsdauer von weniger als 125 s Schäden zu verursachen drohte: Zum einen dürften nämlich für die Klägerin Werte von mehr als 104 dB(A) maßgeblich geworden sein, weil sie sich in geringerer Entfernung als 2 m zur Lautsprecherbox aufhielt und weil, wie Prof. Dr. S. mitgeteilt hat, der Limiter bei hohen Pegelausschlägen die vorgegebene Schallgrenze reaktionsbedingt nur mit einer gewissen zeitlichen Verzögerung sicherstellen konnte, wenn man nicht akustische Verzerrungen in Kauf nehmen wollte. Zum anderen waren die Schallschwingungen, die der Lautsprecher konstruktionsbedingt erzeugte, möglicherweise in ihrer Abfolge sehr kurz und deshalb besonders beanspruchend für die Schallrezeptoren im Ohr (Ohrhärchen), sodass das Schädigungspotential des jeweils vorhandenen Lärmpegels aufgrund dieses Umstands außergewöhnlich hoch war.
Wahrscheinlich wurde auch der Mittelpegel nicht eingehalten, der bezogen auf die gesamte Konzertdauer hätte respektiert werden müssen, damit Gesundheitsschäden hinreichend verlässlich hätten vermieden werden können. Das entspricht nicht nur der Auffassung von Prof. Dr. S sondern ist auch von den Sachverständigen Dr. J./Dr. B./Prof. Dr. M , die das Landgericht herangezogen hat, herausgestellt worden. Hier wie dort ist auf allgemeine Erfahrenswerte bei vergleichbaren Pop-Konzerten abgehoben und zudem auf das unter dem 23. Februar 1999 verfasste Schreiben der H. & P. GbR hingewiesen worden, die im vorliegenden Fall für die Tontechnik konzeptionell zuständig war. Darin wird mit Blickrichtung auf den hiesigen Rechtsstreit zum Ausdruck gebracht, dass sich der Schallpegel bei Veranstaltungen der gegebenen Art durchweg auf einem erheblichen Niveau bewegt. Schwache Schallwerte kommen praktisch nicht vor. Wird ein Limiter eingesetzt, wie er hier verwandt wurde, bleiben die niedrigsten Lautstärken lediglich noch etwa 4 dB(A) hinter den höchsten zurück.
Freilich hat die Beklagte zu 2 neuerlich Bedenken dagegen vorgebracht, dass die Sachverständigen den Mittelpegel richtig beurteilt hätten. Das kann aber auf sich beruhen, weil schon die Spitzenlärmbelastung unzulässig war. Im Hinblick darauf erübrigt sich auch die zu diesem Punkt beantragte Anhörung von Prof. Dr. S. (BGH NJW-RR 1989, 953, 954).
2. Im zeitlichen Zusammenhang mit dem Konzertbesuch vom 1. März 1997 erlitt die Klägerin einen Hörschaden, wie er angesichts der vorhandenen Lärmbelastung nahe lag. Die Zeugin D. hat bekundet, dass die Klägerin - ebenso wie sie selbst - nach dem Ende der Veranstaltung einen Druck auf den Ohren verspürte. Ähnliche Erfahrungen machten nach einem von der Klägerin vorgelegten Zeitungsbericht zahlreiche andere Konzertbesucher, die über Probleme klagten. Am 3. März 1997 diagnostizierte dann der Ohrenarzt Dr. B. bei der Klägerin die im Tatbestand wiedergegebene Innenohrschädigung mit Tinnitus und Schwindel. Ein solches Erscheinungsbild ist nach den Ausführungen von Dr. J./Dr. B./Prof. Dr. M. die Folge einer Lärmexposition. Es liegt, wie der vom Landgericht ebenfalls konsultierte Sachverständige Dr. F. ergänzend bemerkt hat, in der Fortentwicklung des von der Zeugin D. beschriebenen Ohrdrucks, dieser ist das erste Zeichen eines Lärmtraumas, das später in ein Nachlassen der Hörfähigkeit sowie die Wahrnehmung von Pfeif- und Rauschtönen einmündet.
Vor diesem Hintergrund spricht der Geschehensablauf für eine Schadensursächlichkeit der über Lautsprecher verbreiteten Konzertmusik. Andere Schadensursachen sind nicht vorhanden. Eine Gehörschädigung der Klägerin bereits vor Beginn des Konzerts ist nicht zu ersehen und wird auch von den Beklagten nicht behauptet.
a) Der Einwand der Beklagten, die Klägerin sei durch das Gekreische der sie umgebenden Konzertbesucher geschädigt worden, hat keine tragfähige Grundlage. Dr. F. hat ausgeführt, dass menschliches Kreischen nur dann ein Lärmtrauma erzeugt, wenn die kreischende Person ihren Mund an den Gehörgang heranführt und gleichzeitig den Kopf festhält, um Schutzreflexe auszuschalten. Dafür, dass es konkret zu einer solchen Situation gekommen wäre, fehlt jeder Anhalt. Im Übrigen ist, wenn eine Schädigung durch Kreischlaute stattfindet, grundsätzlich nur das Ohr betroffen, in das gekreischt wird. Im Fall der Klägerin waren aber beide Ohren betroffen.
b) Genauso wenig vermag die Rechtsverteidigung der Beklagten zu greifen, die Schädigung der Klägerin habe in ihr selbst begründete physiologische Ursachen. Die Annahme, ausschlaggebend sei letztlich ein Flüssigkeitsmangel gewesen, weil die Klägerin vor dem Konzertbesuch zu wenig getrunken habe, ist gemäß den Darlegungen von Dr. J./Dr. B./Prof. Dr. M. und Dr. F im Hinblick auf den klinischen verlauf verfehlt. Dasselbe gilt für Stressfaktoren. Wie Dr. F. her vorgehoben hat, muss eine Stresseinwirkung über Wochen und Monate anhalten, damit sich eine Innenohrschädigung bilden kann. Das trifft auf die Klägerin ersichtlich nicht zu. Die weitergehende Erwägung der Beklagten, der Schaden der Klägerin sei auf Sauerstoffmangel, eine Erkrankung der Halswirbelsäule, eine Kieferfehlstellung, auf Zahnfüllungen, Zähneknirschen oder die Einnahme von Medikamenten zurückzuführen, gibt allgemeine Erwägungen in einer Zeitschrift wieder und hat, bezogen auf den konkreten Fall, keinen realistischen Anknüpfungspunkt. Im Übrigen werden diese Faktoren auch nur mit dem Entstehen von Tinnitus in Zusammenhang gebracht. Das ist aber nur ein Teilaspekt des Gesamtschadens der Klägerin, der sich folglich selbst abstrakt so nicht plausibel erklären ließe.
c) Dass nicht alle Konzertbesucher in vergleichbarer Weise Schäden erkennen ließen, vermag die Schadenskausalität der Konzertmusik nicht entscheidend in Frage zu stellen. Denn zum einen befand sich die Klägerin im Gegensatz zu vielen anderen in einer exponierten Lage und zum anderen müssen individuelle Unterschiede in der Vulnerabilität berücksichtigt werden, wie sie von Prof. Dr. S. angesprochen worden sind, der im Übrigen ähnlich wie bereits zuvor Dr. F. - bemerkt hat, dass vielfach objektiv vorhandene Ohrschäden subjektiv nicht hinreichend registriert oder jedenfalls nicht nach außen hin kund getan würden. Im Ergebnis sind deshalb alle im Verlauf des Rechtsstreits befragten Sachverständigen, nämlich sowohl Dr. F. als auch Dr. J./Dr. B./Prof. Dr. M. als auch Prof. Dr. S. zu der Feststellung gelangt, dass die Klägerin durch die über Lautsprecher wiedergegebene Musik geschädigt wurde. Dr. J./Dr. B./Prof. Dr. M. sind insoweit von einer »an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit« ausgegangen. Dem entspricht die Überzeugungsbildung des Senats.
3. Für die Schädigung der Klägerin haben die Beklagten gesamtschuldnerisch einzustehen, weil sie nebeneinander (§ 840 Abs. 1 BGB) für den pflichtwidrig hohen Schallpegel während des Pop-Konzerts vom 1. März 1997 verantwortlich sind. Beiden ist ein Verschulden anzulasten.
a) Der Hauptvorwurf trifft dabei allerdings die Beklagte zu 2. Zwar wurde das Konzert in den Räumen der Beklagten zu 1 veranstaltet, die sich davon Publizität für ihr Unterhaltungszentrum und auch Einnahmen für ihre Gastronomie versprach. Aber die Organisation lag bei der Beklagten zu 2, die die »Boy-Group« vermittelte und auch die Musikanlage sowie deren Bedienungspersonal bereitstellte. Das drängte die Verantwortlichkeit der Beklagten zu 1 in den Hintergrund, auch wenn diese in dem Vertrag, den die Beklagten zur Regelung ihrer Zuständigkeiten am 17. Januar 1997 geschlossen hatten, als »Veranstalter« bezeichnet wurde. So zeigte die Beklagte zu 2 der Beklagten zu 1 durch eine vorformulierte Bühnenanweisung auf, wie die Konzertbühne geartet sein musste, um den Veranstaltungsablauf zu gewährleisten.
Es entlastet die Beklagte zu 2 nicht, dass sie, wie sie behauptet, die Musikanlage nach den Vorgaben der »Boy-Group« nicht selbst, sondern durch die Firma H. aufbauen ließ, die als erfahren und sachkundig galt, und sich, was die Beschallungstechnik anbelangt, auf die technische Konzeption der H. & P. GbR stützen konnte. Denn allein damit war noch keine hinreichende Vorsorge dafür getroffen, dass sich der Lärmpegel in einem unschädlichen Rahmen halten würde. Darüber zu wachen war vielmehr Aufgabe des während des Konzerts eingesetzten Bedienungspersonals, dessen Tätigkeit in den Zuständigkeitsbereich der Beklagten zu 2 fiel. Insoweit trifft die Beklagte zu 2 das Versäumnis, nicht durch Direktiven sichergestellt zu haben, dass von der Beschallung keine Gefahren ausgehen konnten. Statt dessen verließ sie sich auf das Regulativ eines Limiters, der wegen seiner zu hohen Einstellung erkennbar untauglich war, diese Funktion zu erfüllen.
b) Die danach bestehende Haftung der Beklagten zu 2 zeichnet aber die Beklagte zu 1 nicht frei. Dabei kann dahinstehen, ob es der Beklagten zu 1, wie die Klägerin meint, zum Vorwurf gereicht, dass die Sicherheitsbarrieren zu nahe an der Bühne platziert wurden und damit das Publikum nicht in genügender Entfernung von den Lautsprechern gehalten werden konnte. Immerhin war es nach der Bühnenanweisung Sache der Beklagten zu 1, die von der Beklagten zu 2 herbeigeschafften Barrieren durch von ihr engagierte Helfer aufbauen zu lassen und während des Aufbaus einen Vertreter mit Entscheidungsbefugnis vor Ort zu entsenden. Das mag freilich nicht bedeuten, dass die Beklagte zu 1 auch konkret über die Anordnung der Barrieren entschied. Letztlich kommt es darauf aber auch nicht an.
Die Beklagte zu 1 hat jedenfalls deshalb für den Schaden der Klägerin einzustehen, weil sie durch die Bereitstellung eigener Räume bewusst ermöglichte, dass das erkennbar auf große Lautstärken angelegte Konzert stattfinden konnte, ohne gleichzeitig ausreichende Sicherungsvorkehrungen zu treffen. Wenn sie aufgrund der Vereinbarungen, die sie mit der Beklagten zu 2 getroffen hatte, nicht in der Lage gewesen sein sollte, aus der Situation heraus geeignete Maßnahmen - wie etwa eine sachgerechte Positionierung der Sicherheitsbarrieren oder die Begrenzung des Lärmpegels auf einen tolerablen Wert - in die Wege zu leiten, müsste sie sich entgegenhalten lassen, dass sie durch den Vertragsschluss mit der Beklagten zu 2 eine Gefahrenlage geschaffen hatte, von der sie wusste, dass sie sich später nicht mehr kontrollieren ließ. Ihr Vorbringen, sie habe auf die Erfahrung der Beklagten zu 2 vertrauen dürfen, die nie Probleme mit Konzertveranstaltungen gehabt habe, überzeugt den Senat nicht. Denn es ist weder behauptet noch sonst ersichtlich, dass die Lärmbelastungen durch das Konzert und davon ausgehende Gesundheitsschäden im Rahmen der Absprachen der beiden Beklagten jemals eine Rolle gespielt hätten und die Beklagte zu 1 hier wegen irgendwelcher konkreter Angaben oder Zusagen der Beklagten zu 2 keine Bedenken mehr hätte haben müssen (vgl. auch BGH NJW 1996, 2646). Die Beklagte zu 1 ließ den Dingen letztlich nur ihren Lauf.
c) Die Beklagten können sich nicht erfolgreich mit der Behauptung verteidigen, dass es zum Zeitpunkt der streitigen Veranstaltung keine verbreiteten Erkenntnisse über die Gefährlichkeit von Konzertlärm gegeben habe. Sollte dies wogegen die von Dr. J./Dr. B./Prof. Dr. M. erwähnten Studien sprechen - tatsächlich der Fall gewesen sein, müssten sich die Beklagten jedenfalls vorhalten lassen, auf ungesicherter Grundlage verfahren zu sein und so nicht abgeklärte Risiken in Kauf genommen zu haben.
4. Ein rechtserhebliches Mitverschulden der Klägerin an der Schadensentstehung (§ 254 BGB), das die Einstandspflicht der Beklagten beschränken könnte, ist nicht feststellbar. Wie bereits dargelegt (oben 2. b), scheiden in der Person der Klägerin liegende physiologische Faktoren als schadensursächlich, aus. Der Klägerin kann es auch nicht zum Nachteil gereichen, dass sie sich, statt sich mitten im Konzertsaal aufzuhalten, in die unmittelbare Nähe einer Lautsprecherbox begab. Insoweit trifft weder die Klägerin noch ihre Eltern, deren Versäumnisse sie sich zurechnen lassen müsste (§ 278 BGB), ein Vorwurf, der im Verhältnis zum Fehlverhalten der Beklagten ins Gewicht fiele.
Die Klägerin musste sich wie die anderen Besucher auch darauf verlassen können, dass das Konzert, sowie es entsprechend seiner Konzeption durchgeführt wurde, keine Gefahren für sie mit sich brachte. Das galt unabhängig von dem Platz, den der einzelne Besucher einnahm, so lange er sich dabei innerhalb der von den Beklagten gesetzten Barrieren hielt.
Es ist auch nicht zu beanstanden, dass die Klägerin nachdem sie zu Beginn des Konzerts einen Eindruck von dem Schallpegel in der Nähe des Lautsprechers hatte, an ihrem Platz verharrte, anstatt sich zurückzuziehen (teilweise anders OLG Zweibrücken OLG-Report 2000, 530, 531). Dabei hätte sie, da sie nach den Aussagen der Zeugen B. D. und A. nicht nach hinten in das Publikum ausweichen konnte, ohnehin nur die Möglichkeit gehabt, das Konzert gänzlich zu verlassen, indem sie von Sicherheitskräften über die Barriere gehoben und weggetragen worden wäre. Die Klägerin hatte nämlich, weil sie grundsätzlich auf eine verkehrssichere Durchführung des Konzerts vertrauen durfte, keinen ernsthaften Grund zu der Annahme, dass sie sich in eine Gefahrzone begeben hatte. Eine Schädigung konnte sie nicht akut bemerken. Dr. F. hat dazu mitgeteilt, dass Lärmschäden generell erst mit zeitlicher Verzögerung wahrgenommen werden.
5. Mithin haften die Beklagten für den gesamten Schaden, der bei der Klägerin durch die Gehörschädigung vom 1. März 1997 entstand. Das bedeutet aber nicht, dass das Feststellungsbegehren der Klägerin auch in seinem in der Berufungsinstanz erweiterten Umfang durchdringt. Die Beklagten haben den jetzt zusätzlich mit der Anschlussberufung in den Prozess eingeführten Ansprüchen nämlich die Verjährungseinrede entgegen gesetzt (§ 852 Abs. 1 BGB). Diese Einrede ist uneingeschränkt erfolgreich, soweit die Ersatzpflicht für zukünftige materielle Schäden der Klägerin berührt ist. Denn die Klägerin wusste spätestens, als sie den hiesigen Rechtsstreit einleitete, um ihre Schädigung und die Verantwortlichkeit der Beklagten. Insofern hatte sie bereits mehr als drei Jahre vor Einlegung der Anschlussberufung und der damit verbundenen erstmaligen Geltendmachung materieller Zukunftsschäden eine Kenntnis von den anspruchsbegründenden Umständen, die es ihr erlaubt hätte, insoweit Klage zu erheben; das reicht für den Verjährungseintritt (Thomas, in: Palandt, BGB, 60. Aufl., § 852 Rn. 8). Irgendwelche zwischenzeitlichen verjährungsunterbrechenden Maßnahmen sind nicht zu ersehen.
a) Was den auszuurteilenden Schmerzensgeldanspruch der Klägerin anbelangt, ergibt sich auf der Grundlage der Anschlussberufung eine Erhöhung auf 6.750,00 DM. Darüber hinaus greift wiederum die Verjährungseinrede, die die Beklagten der Anschlussberufung entgegen gehalten haben.
Der Senat bemisst das Schmerzensgeld, das der Klägerin auf der Grundlage von § 847 Abs. 1 BGB zusteht, grundsätzlich mit 9.000,00 DM. Er knüpft damit an gerichtliche Entscheidungen an, die sich auf Fälle von Gehörschädigungen beziehen (vgl. Hacks/Ring/Böhm, Schmerzensgeldbeträge, 19. Aufl., Nr. 893, 994, 1151 und 1178), und lässt sich von den nachstehenden Erwägungen leiten:
Die - durch den Konzertbesuch ausgelöste - Innenohrschädigung mit Tinnitus und Schwindel, die bei der Klägerin am 3. März 1997 diagnostiziert wurde, machte über Monate hinweg zahlreiche ärztliche Konsultationen erforderlich. Sie war, wie die Aufzeichnungen von Dr. B. verdeutlichen, anfänglich mit einem erheblichen Hörverlust und Schmerzen verbunden. Während die Schwindelerscheinungen alsbald abklangen, blieben trotz merklicher Besserung bis zum Abschluss der Behandlung durch Dr. B. am 21. Juli 1997 - ein gewisser Hörschaden und ein beidseitiges Ohrrauschen zurück. Dr. J./Dr. B./Prof. Dr. M. haben anlässlich einer Untersuchung der Klägerin am 13. Januar 2000 festgestellt, dass sich zwar der Hörverlust in höheren Frequenzbereichen nahezu vollständig gegeben hat, in niederen Bereichen (6 kHz und 8 kHz) aber im Umfang von 15 dB(A) fortbesteht. Außerdem haben sie der Klägerin attestiert, unter chronischen Ohrgeräuschen zu leiden, Dieser dauerhafte Schaden rechtfertigt aus der Sicht des Senats das zugesprochene Schmerzensgeld. Daneben ist von untergeordneter Bedeutung, ob die Klägerin - wie sie behauptet als Spätfolge des Konzertbesuchs am 7. Mai 1998 und am 25. Februar 1999 jeweils einen Hörsturz hatte, weil nicht zu ersehen ist, dass dies nachhaltige Beschwerden nach sich gezogen hätte. Von den beiden Ereignissen kann das zweite ohnehin deshalb nicht ins Gewicht fallen, weil insoweit ein Beweisantritt für den - bestrittenen Kausalzusammenhang mit den Geschehnissen vom 1. März 1997 fehlt. Für den ersten Hörsturz hat die Klägerin einen solchen Zusammenhang zwar in das Wissen von Dr. B. gestellt; aber der Senat sieht davon ab (§ 287 Abs. 1 ZPO), Dr. B. zu befragen, nachdem das Attest, das dieser der Klägerin insoweit unter dem 18. Mai 1998 ausgestellt hat, nicht darauf schließen lässt, dass er aus eigener Wahrnehmung außer der Diagnose eines Hörsturzes irgendwelche ergiebige Angaben machen könnte.
Der grundsätzlich berechtigte Ersatzbetrag von 9.000,00 DM kann der Klägerin jedoch nicht in vollem Umfang zugesprochen werden. Der Verjährungseinwand der Beklagten gegenüber den mit der Anschlussberufung in den Prozess eingeführten Ansprüchen bewirkt, dass das auszuurteilende Schmerzensgeld auf den vor Ablauf der Verjährungsfrist - vor dem Landgericht geltend gemachten Betrag von 6.750,00 DM zu beschränken ist. Eine darüber hinausgehende Verurteilung der Beklagten kommt nicht in Betracht: Gibt eine Partei - wie dies die Klägerin getan hat in ihrer Schmerzensgeldklage einen bestimmten Betrag vor, wird die Verjährung nur in diesem Rahmen unterbrochen, auch wenn die Partei später höhere Wertvorstellungen äußert (BGH VersR 1971, 1148, 1150; Peters, in: Staudinger, BGB, 13. Aufl., § 209 Rn. 19).
b) Der ersatzfähige materielle Schaden der Klägerin beläuft sich auf 123,20 DM. Das bedeutet, dass der von der Klägerin insoweit - in nur teilweiser (3/4) Geltendmachung der einzelnen Schadenspositionen beanspruchte Ersatzbetrag von 92,40 DM in Bestätigung der erstinstanzlichen Entscheidung zuzusprechen ist.
Die Schadenspositionen sind zum einen Fahrtkosten, die der Klägerin im Zusammenhang mit der Konsultation von Dr. B. in der Zeit bis zum 21. Juli 1997, die 14 dokumentierte Besuche umfasste, und mit zwei stationären Aufenthalten vom 3. bis zum 7. März 1997 sowie vom 14. bis zum 18. März 1997 entstanden sind. Es handelt sich um einen Gesamtbetrag von 50,00 DM, dessen Angemessenheit nicht in Zweifel zu ziehen ist. Zum anderen geht es um Kosten von 73,20 DM, die Dr. B. für einen Behandlungsbericht vom 26. September 1997 in Rechnung gestellt hat. Der Bericht wurde auf Veranlassung der erstinstanzlichen Prozessbevollmächtigten der Klägerin gefertigt. Insofern sind erstattungsfähige Rechtsverfolgungskosten betroffen, die die Klägerin außerhalb des Kostenfestsetzungsverfahrens geltend machen kann.
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