Haftung für falsche km-Angabe trotz Gewährleistungsausschlusses

Gericht

BGH


Art der Entscheidung

Revisionsurteil


Datum

04. 10. 1989


Aktenzeichen

VIII ZR 233/88


Leitsatz des Gerichts

Ein formularmäßiger Gewährleistungsausschluß erfaßt die Haftung des Verkäufers eines Gebrauchtwagens für die falsche Zusicherung dessen bisheriger Laufleistung nicht.

Tatbestand


Auszüge aus dem Sachverhalt:

Der Kl. kaufte von der Bekl. einen gebrauchten Reisebus zum Preise von 144780 DM. In dem Bestellformular ist der Stand des Kilometerzählers, den die Bekl. hatte vordrehen lassen, mit 207150 angegeben. Weiter heißt es darin, die Bestellung erfolge "nach Maßgabe der im umseitigen Abschnitt VII festgelegten Gewährleistungsregelung". Diese Regelung, die Bestandteil der - Vertragsinhalt gewordenen - AGB der Bekl. ist, lautet:
"1. Soweit ein Zustandsbericht beigefügt ist, stellen die darin gemachten Angaben eine dem Alter und der Fahrleistung des Kaufgegenstandes entsprechende Beschreibung seines Zustandes dar. ... Die Angaben im Zustandsbericht sind keine zugesicherten Eigenschaften. Der Verkäufer übernimmt deshalb im Rahmen der Gewährleistung über die nachstehenden Verpflichtungen hinaus keine weitere Haftung. Weicht der Zustand des Kaufgegenstandes im Zeitpunkt der Übergabe von den Angaben im Zustandsbericht ab, kann der Käufer die Herstellung des angegebenen Zustandes (Nachbesserung) ohne Berechnung der hierzu notwendigen Lohn-, Material- und Frachtkosten verlangen. Der Nachbesserungsanspruch ist unverzüglich nach Feststellung unrichtiger Angaben im Zustandsbericht beim Verkäufer schriftlich geltend zu machen; dem Verkäufer ist unverzüglich Gelegenheit zur Nachbesserung zu geben. ... Wäre die Nachbesserung mit unverhältnismäßig hohen Kosten verbunden, kann der Verkäufer vom Vertrag zurücktreten. Der Käufer kann vom Vertrag zurücktreten, wenn die Nachbesserung sich als unmöglich erweist, verweigert wird oder nicht binnen angemessener Frist erfolgt.
2. Im übrigen wird der Kaufgegenstand unter Ausschluß jeder Gewährleistung verkauft, es sei denn, daß die Vertragspartner etwas anderes vereinbart haben. Bei Fehlen zugesicherter Eigenschaften bleibt ein Anspruch auf Schadensersatz wegen Nichterfüllung unberührt."
Der Kl. hat den Kaufvertrag "wegen Irrtums, arglistiger Täuschung und dem Fehlen zugesicherter Eigenschaften" angefochten. Mit der Klage, die er zuletzt in erster Linie auf einen Rückabwicklungsanspruch wegen Fehlens einer zugesicherten Eigenschaft und hilfsweise auf die erklärte Anfechtung wegen arglistiger Täuschung stützte, hat er Rückzahlung des Kaufpreises nebst Zinsen Zug um Zug gegen Rückgabe des Busses begehrt. Er hat u. a. - was für die Revisionsinstanz allein noch von Bedeutung ist - behauptet, er sei von der Bekl. arglistig über die Fahrleistung des Busses getäuscht worden. Diese sei erheblich höher gewesen, als es der im Bestellformular angegebene und ihm auf Befragen wiederholt als richtig zugesicherte Kilometerstand ausgewiesen habe.

Die Bekl. hat demgegenüber vorgebracht, der Kilometerstand von 207150 habe der tatsächlichen Fahrleistung entsprochen. Sie habe den Kilometerzähler um rund 49000 km vorgedreht, um einen beim Vorbesitzer des Busses entstandenen Ausfall des Zählers auszugleichen.

Beide Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Die Revision des Kl. führte zur Zurückverweisung an das BerGer.

Entscheidungsgründe


Auszüge aus den Gründen:

1. a) Nicht zu beanstanden ist die - der Revision günstige - Annahme des BerGer., die Kilometerangabe im Bestellformular sei als vertragliche Zusicherung der bisherigen Fahrleistung des Busses i. S. von § 459 II BGB anzusehen. Das Vorliegen einer Eigenschaftszusicherung ist in erster Linie eine Frage der tatrichterlichen Vertragsauslegung und deren Ergebnis daher, sofern es - wie hier - möglich ist (vgl. etwa Senat, WM 1975, 895 (896 unter III)), grundsätzlich für das Revisionsgericht bindend (vgl. BGHZ 87, 302 (306))...

b) Rechtlich bedenkenfrei ist ferner das im Wege der Auslegung gewonnene Ergebnis, daß dem Anfechtungsschreiben des Kl. vom 3. 2. 1984 ein Wandelungsverlangen zu entnehmen sei. Der Inhalt dieses Schreibens läßt erkennen, daß der Kl. auf jeden Fall vom Kaufvertrag loskommen wollte. Dies genügt, um der erklärten Anfechtung auch die Bedeutung einer Wandelungserklärung beizumessen (Senat, WM 1978, 326 (327) m. w. Nachw.).

2. Unhaltbar ist dagegen die Auffassung des BerGer., ein Recht des Kl., die Rückgängigmachung des Kaufvertrages zu verlangen, sei nach Abschnitt VII Nr. 2 der AGB der Bekl. wirksam ausgeschlossen.

a) Das BerGer. hat verkannt, daß ein formularmäßiger Gewährleistungsausschluß die Haftung des Verkäufers für das Fehlen zugesicherter Eigenschaften nicht erfaßt, wenn und soweit er mit dem Inhalt der Zusicherung in Widerspruch steht (vgl. u. a. BGHZ 50, 200; Senat, WM 1975, 895 (897); zuletzt WM 1986, 867 (868)). Da im vorliegenden Falle, was auch sonst der Regel entspricht, der Gewährleistungsausschluß mit der Zusicherung schlechthin unvereinbar ist, folgt die Berechtigung des Klagebegehrens ohne weiteres aus §§ 459 II, 462, 467 BGB, sofern die von der Bekl. gegebene Zusicherung unrichtig war. Davon ist für die Revisionsinstanz auszugehen. Denn das BerGer. hat offengelassen, ob die Fahrleistung des Busses, wie der Kl. behauptet und unter Beweis gestellt hat, abweichend von den zugesicherten 207150 km mehr als 250000 km betragen habe.

b) Hiervon abgesehen, entspräche die Klageabweisung auch vom Standpunkt des BerGer. aus nicht der Rechtslage. Das BerGer. hat übersehen, daß der Klageanspruch selbst bei Eingreifen des in Abschnitt VII Nr. 2 der AGB geregelten Gewährleistungsausschlusses seine Grundlage in deren Abschnitt VII Nr. 1, 6. Abs. und möglicherweise auch in Nr. 2, 2. Abs. fände.

aa) Nach Nr. 1, 6. Abs. kann der Verkäufer vom Vertrag zurücktreten, wenn sich die Nachbesserung als unmöglich erweist. Das ist hier der Fall. Der Mangel, der in der - zu unterstellenden - falschen Zusicherung der bisherigen Fahrleistung liegt, ist seiner Art nach nicht nachbesserungsfähig. Die Ausübung des Rücktrittsrechts wäre in der vom BerGer. festgestellten Wandelungserklärung des Kl. zu erblicken.

Der Umstand, daß die Bekl. dem Kl. den in Abschnitt VII der AGB erwähnten Zustandsbericht nicht übergeben hat, stünde dem Rücktritt entgegen der Auffassung der Revisionserwiderung nicht entgegen. Ob die Bekl. einen solchen Bericht aushändigte oder nicht, lag in ihrem freien Ermessen (vgl. Reinking/Eggert, Der Autokauf, 3. Aufl., Rdnr. 940). Unterließ sie es, obwohl sie den im Bestellformular vorgedruckten Hinweis "Zustandsbericht ist beigefügt" nicht gestrichen hatte, so muß sie sich so behandeln lassen, als sei ein Zustandsbericht beigefügt worden (vgl. Reinking/Eggert, Rdnr. 941).

bb) In Abschnitt VII Nr. 2, 2. Abs. ist der Schadensersatzanspruch wegen Fehlens zugesicherter Eigenschaften (§ 463 BGB) ausdrücklich vom Gewährleistungsausschluß ausgenommen, was das BerGer. auch von seinem Standpunkt aus zur Prüfung der Voraussetzungen des § 463 BGB hätte veranlassen müssen. Nach dieser Vorschrift kann der Käufer im Rahmen des sog. großen Schadensersatzes das verlangen, was der Kl. hier mit der Klage beansprucht: Zurverfügungstellung des Kaufgegenstandes und Ersatz seines Schadens wegen Nichterfüllung. Dazu gehört stets der gezahlte Kaufpreis (BGHZ 29, 148; RGZ 134, 90). Ob der Kl. seine Klage wahlweise auch auf diese Anspruchsgrundlage gestützt hat, ist allerdings nicht unzweifelhaft, braucht aber nicht abschließend entschieden zu werden, weil das Berufungsurteil ohnehin aus einem anderen Grunde (oben II 2 a) aufgehoben werden muß. Bei der erneuten Entscheidung wird das BerGer. das Klägervorbringen nach der erforderlichen Klärung der tatsächlichen Fahrleistung des Busses gegebenenfalls auch in dieser Hinsicht zu würdigen haben.

Rechtsgebiete

Verbraucherschutzrecht

Normen

BGB §§ 459, 462, 463, 467