Rückständiger Kindesunterhalt

Gericht

OLG Brandenburg


Art der Entscheidung

Berufungsurteil


Datum

16. 03. 2000


Aktenzeichen

9 UF 196/99


Leitsatz des Gerichts

  1. Im Verfahren nach § 653 ZPO können Einwendungen, die den Grund des Anspruchs betreffen (z. B. Verjährung, Verwirkung), zulässigerweise erhoben werden; dagegen sind Einwendungen, die die fehlende oder eingeschränkte Leistungsfähigkeit des Beklagten oder die mangelnde Bedürftigkeit des klagenden Kindes betreffen, im Abänderungsverfahren nach § 654 ZPO geltend zu machen.

  2. Zur Verjährung rückständiger Kindesunterhaltsansprüche bei Minderjährigkeit des Kindes sowie vor rechtskräftiger Feststellung der Vaterschaft.

  3. Eine Verwirkung rückständiger Unterhaltsansprüche kommt nur in absoluten Ausnahmefällen in Betracht. Dies gilt um so mehr, wenn die Vaterschaft noch nicht rechtskräftig festgestellt worden ist.

Entscheidungsgründe

Aus den Entscheidungsgründen:
Das AmtsG hat zu Unrecht den vor dem 1. 7. 1998 geltend gemachten, aus §§ 1601 ff., 1610 BGB folgenden Regelunterhaltsanspruch der Kl. abgewiesen.

Die Kl. ist an der Geltendmachung der bis zu ihrer Geburt zurückreichenden Unterhaltsansprüche aufgrund der im erstinstanzlichen Verfahren festgestellten Vaterschaft des Bekl. nicht gemäß § 1613 BGB gehindert. Unterhalt für die Vergangenheit kann zwar grundsätzlich nur unter den Voraussetzungen des § 1613 I S. 1 BGB (Verzug, Rechtshängigkeit) gefordert werden. Eine Ausnahme gilt aber gemäß § 1613 II Nr. 2a BGB, sofern der Unterhaltsberechtigte für den vergangenen Zeitraum aus rechtlichen Gründen an der Geltendmachung des Unterhaltsanspruchs gehindert war. Von dieser Vorschrift werden alle vor der Feststellung der Vaterschaft liegenden Zeiträume erfaßt. Dies folgt aus der Sperrwirkung des § 1600d IV BGB; nach dieser Vorschrift können die Rechtswirkungen der Vaterschaft, zu denen auch die aus §§ 1601 ff. BGB folgenden Unterhaltspflichten zählen, erst vom Zeitpunkt ihrer Feststellung an geltend gemacht werden.

Soweit sich der Bekl. auf seine Einkommensverhältnisseberuft und dabei behauptet, für den Regelunterhalt leistungsunfähig zu sein, ist eine nähere Überprüfung seiner Behauptungen nicht möglich, da dieser Einwand im vorliegenden Verfahren nicht zu beachten ist. Im Verfahren nach § 653 ZPO sind Einwendungen nur beschränkt zulässig. Die eingeschränkte Prüfungsbefugnis ergibt sich aus dem Ausnahmecharakter des § 653 ZPO. Kindschaftssachen, zu denen auch Verfahren auf Feststellung der Vaterschaft zählen (§ 640 II Nr. 1 ZPO), können mit einer Klage anderer Art nicht gemäß § 260 ZPO verbunden werden, § 640c I S. 1 ZPO. Einzige Ausnahme hierzu bildet § 653 I ZPO, der die Möglichkeit eröffnet, mit der Klage

auf Vaterschaftsfeststellung zugleich Unterhalt i. H. der Regelbeträge zu verlangen, vgl. auch § 653 I S. 1 ZPO. Das Verfahren nach § 653 ZPO ist stark schematisiert. Das Kind kann einen Unterhaltsanspruch nur bis zur Höhe des Regelbetrages geltend machen (§ 653 I S. 1 und S. 2 ZPO), nicht aber darüber hinaus (§ 653 I S. 3 ZPO). Einwendungen, die die Herauf- bzw. Herabsetzung des Unterhaltsanspruches betreffen und damit regelmäßig zu einer erheblichen Verzögerung des Verfahrens führen können, sind deshalb dem Abänderungsverfahren nach § 654 ZPO vorzubehalten; insbesondere kann der Bekl. nicht seine fehlende oder eingeschränkte Leistungsfähigkeit oder die mangelnde Bedürftigkeit des klagenden Kindes geltend machen

(Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 58. Aufl. 2000, § 653 Rz. 2; Thomas/Putzo, ZPO, 22. Aufl. 1999, § 653 Rz. 5 f.; Musielak, ZPO, 1998, § 654 Rz. 3; Lipp/Wagenitz, Das neue Kindschaftsrecht, 1999, § 653 ZPO Rz. 2; s. auch Zöller/Philippi, ZPO, 21. Aufl. 1999, § 653 Rz. 3; zum alten Recht - § 643 ZPO a. F. - s. OLG Karlsruhe, FamRZ 1993, 712 f.).

Ob dagegen die zur a. F. des § 643 ZPO h. M., nach der Einwendungen gegen den Grund des Anspruches bereits in diesem Verfahren geltend gemacht werden konnten, auch für den seit dem 1. 7. 1998 geltenden § 653 ZPO einschränkungslos fortgilt (so insbesondere Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, a.a.O.) oder ob mit der gesetzlichen Neuregelung auch die den Grund des Anspruches betreffenden Einwendungen „Forderungsübergang und Erfüllungseinwand" nunmehr dem Verfahren nach § 654 ZPO vorbehalten sind (in diesem Sinne wohl Zöller/Philippi, a.a.O., Rz. 4), kann hier dahinstehen, da jedenfalls die den Anspruchsgrund betreffenden Einwände der Verjährung bzw. Verwirkung, auf die sich der Bekl. in erster Instanz berufen hat, nach allg. A. im hiesigen Verfahren erhoben werden können.

Eine Verjährung der Unterhaltsansprüche kommt wegen der Minderjährigkeit der Kl. nicht in Betracht. Unterhaltsansprüche verjähren grundsätzlich nach vier Jahren, § 197 BGB. Nach § 204 S. 2 BGB sind Unterhaltsansprüche zwischen Eltern und Kindern während der Minderjährigkeit der Kinder gehemmt, so daß frühestens mit dem Eintritt der Volljährigkeit des Kindes die Verjährungsfrist zu laufen beginnt, § 205 BGB. Im übrigen ist auch die bereits zuvor dargestellte Sperrwirkung des § 1600d IV BGB hinsichtlich der Geltendmachung von Unterhaltsansprüchen vor rechtskräftiger Vaterschaftsfeststellung zu beachten, welche zur Folge hat, daß die Verjährungsfrist für Unterhaltsansprüche jedenfalls nicht vor der rechtskräftigen Feststellung der Vaterschaft zu laufen beginnt

(so zum alten Recht - § 1600a S. 2 BGB - BGH, FamRZ 1981, 763; s. auch Soergel/Niedenführ, BGB, 13. Aufl. 1999, § 204 Rz. 6).

Die (rückständigen) Unterhaltsansprüche sind entgegen den Ausführungen in dem angefochtenen Urteil sowie der Auffassung des Bekl. auch nicht verwirkt. Nach der h. M. ist zwar die ein Umstands- und Zeitmoment voraussetzende Verwirkung (§ 242 BGB) von Unterhaltsansprüchen des nichtehelichen Kindes auch dann nicht ausgeschlossen, wenn die Vaterschaft noch nicht rechtskräftig festgestellt worden ist (unklar allerdings Soergel/Niedenführ, a.a.O., § 205 Rz. 4). Allerdings ist die in § 1613 II Nr. 2a BGB zu den rückständigen Unterhaltsansprüchen getroffene Regelung zu beachten. Nach der h. M., der sich der Senat anschließt, führt dies dazu, daß eine Verwirkung nur in absoluten Ausnahmefällen eintreten kann; grundsätzlich muß die Hoffnung des Vaters, nicht als Vater in Anspruch genommen zu werden, hinter der Schutzwürdigkeit des klagenden Kindes zurückstehen

(OLG München, FamRZ 1986, 504, 505; im Ergebnis auch Palandt/Diederichsen, BGB, 59. Aufl. 2000, § 1613 Rz. 30; MünchKomm/Köhler, BGB, 3. Aufl. 1992, § 1615d - a. F. - Rz. 3a; Erman/Holzhauer, BGB, 9. Aufl. 1993, §§ 1615 f. - a. F. - Rz. 4; unklar LG Aachen, FamRZ 1986, 1040, 1041; im Ergebnis wohl auch BGH, FamRZ 1981, 763, 764).

Daher müssen zu den schon im Grundsatz strengen Voraussetzungen für die Annahme einer Verwirkung hinsichtlich des Umstands- und Zeitmomentes noch weitere, außergewöhnlich erscheinende Umstände hinzutreten, um auch in den Fällen der vorliegenden Art eine Verwirkung annehmen zu können.

Spätestens seit Anfang 1996 wußte der Bekl. von der Vaterschaftsfeststellungsklage der Kl. gegen H. R. [und] seiner möglichen eigenen Vaterschaft aufgrund der Einbeziehung in das in dem anderen Verfahren eingeholte erbbiologische Gutachten, so daß ab dieser Zeit ein Verwirkungseinwand jedenfalls nicht mehr in Betracht kommt. Dabei ist es unerheblich, daß er lediglich als Zeuge - und nicht auch als (weiterer) Bekl. - an jenem Verfahren teilnahm, da allein aufgrund seiner Einbeziehung in die Begutachtung sich für ihn die Möglichkeit eigener Vaterschaft und daher einer eventuellen Inanspruchnahme eröffnete. Zudem ist unbestritten, daß im Juli 1994 der Bekl. zweimal wegen der möglichen Vaterschaft für die Kl. angeschrieben worden ist, so daß bereits ab Juli 1994 das Umstandsmoment nicht erfüllt ist. Für die Zeit vor Juli 1994 scheitert eine Verwirkung jedoch bereits an dem bis dahin erfolgten zu geringen Zeitablauf, da seit der Geburt der Kl. noch keine drei Jahre verstrichen waren. Im übrigen hat der Bekl. sich lediglich darauf berufen, nach dem geschlechtlichen Verkehr mit der Mutter der Kl. nicht wegen seiner Vaterschaft in Anspruch genommen worden zu sein sowie darauf, daß gerichtliche Schritte für die Vaterschaftsfeststellung erst mehrere Jahre später - 1995 - eingeleitet wurden. Dies reicht nicht aus, um außergewöhnliche Umstände für ein Vertrauen des Bekl. darauf, nicht in Anspruch genommen zu werden, zu begründen; insbesondere fehlt es an jeglichem Vortrag dazu, daß beispielsweise der Bekl. seitens der Mutter der Kl. mit nachvollziehbarer Begründung signalisiert bekommen habe, er könne nicht der Vater der Kl. sein. Weitere besondere Umstände, insbesondere dahingehend, daß der Geschlechtsverkehr so verlaufen ist, daß die Empfängnis des Kindes nach der Lebenserfahrung unwahrscheinlich war, sind weder vorgetragen noch erkennbar.

Hinsichtlich der Verwirkung ist der Bekl. darlegungs- und beweispflichtig. Mangels ausreichenden Vortrages ist zu seinen Lasten daher davon auszugehen, daß eine Verwirkung rückständiger Ansprüche nicht eingetreten ist.

Rechtsgebiete

Ehe- und Familienrecht

Normen

BGB § 1610, § 1613, § 1601; ZPO § 653, § 654