Begrenztes Realsplitting und gemeinsame Veranlagung wegen Wiederverheiratung

Gericht

BGH


Art der Entscheidung

Revisionsurteil


Datum

29. 01. 1992


Aktenzeichen

XII ZR 248/90


Leitsatz des Gerichts

Hat der unterhaltsberechtigte frühere Ehegatte dem Antrag des Unterhaltspflichtigen zugestimmt, seine Einkünfte um die Unterhaltsleistungen an den Berechtigten als Sonderausgaben zu vermindern (begrenztes Realsplitting gem. §§ 2 IV, 10 I Nr. 1 EStG), und hat er für den gleichen Veranlagungszeitraum mit einem neuen Ehegatten die Zusammenveranlagung (§§ 26, 26b EStG) gewählt, so kann er von dem Unterhaltspflichtigen höchstens den Ausgleich des steuerlichen Nachteils verlangen, der ihm bei getrennter Veranlagung (§ 26a EStG) durch die Besteuerung der Unterhaltsbezüge gem. § 22 Nr. 1 a EStG entstanden wäre.

Tatbestand

Zum Sachverhalt:

Die Parteien waren verheiratet. Nach der Scheidung ihrer Ehe war der Bekl. der nicht erwerbstätigen Kl. unterhaltspflichtig. Im Jahre 1987 zahlte er ihr bis einschließlich September insgesamt 4440 DM Unterhalt. Die Kl. ging noch im gleichen Jahr eine neue Ehe ein. Mit ihrem jetzigen Ehemann, der im Jahre 1987 einen Bruttoarbeitslohn von 26753 DM bezogen hatte, wählte sie die Zusammenveranlagung zur Einkommensteuer. Das Finanzamt setzte gegen die Eheleute daraufhin für das Jahr 1987 eine Einkommen- und Kirchensteuer von zusammen 284,90 DM fest und erstattete einen vom Einkommen des Ehemannes durch Lohnsteuerabzug einbehaltenen Mehrbetrag in Höhe von 3474 DM. Die Kl. stimmte dem Antrag des Bekl. auf Abzug seiner Unterhaltsleistungen als Sonderausgaben nach § 10 I Nr. 1 EStG dadurch zu, daß sie die Anlage U zu seiner Einkommensteuererklärung für das Jahr 1987 unterschrieb. Nachdem der Bekl. daraufhin durch das begrenzte Realsplitting Steuervorteile in nicht mitgeteilter Höhe erlangt hatte, setzte das für die Kl. und deren Ehemann zuständige Finanzamt durch Bescheid vom 10. 10. 1988 deren Steuern neu fest. Auf der Grundlage eines Gesamteinkommens, in das auf seiten der Kl. nur die Unterhaltszahlungen des Bekl. nach Abzug einer Werbungskostenpauschale von 200 DM in Höhe von 4240 DM eingeflossen waren, berechnete es nach der Splittingtabelle die Einkommensteuer mit 1210 DM und die Kirchensteuer mit 81,90 DM. Die Kl. begehrt die Erstattung der Differenz zur steuerlichen Erstfestsetzung in Höhe von (1210 x 81,90 - 284,90 =) 1007 DM und hat die Verurteilung des Bekl. zur Zahlung von 650 DM und zur Freistellung in Höhe weiterer 357 DM der insoweit gestundeten Steuerforderung beantragt.

Die Vorinstanzen haben der Klage stattgegeben. Die zugelassene Revision des Bekl. hatte Erfolg.

Entscheidungsgründe

Aus den Gründen:

Der Kl. steht die geltend gemachte Forderung nicht zu.

1. Der Gesetzgeber hat nur die steuerlichen Folgen geregelt, die durch die Inanspruchnahme des begrenzten Realsplittings wegen Unterhaltszahlungen an einen geschiedenen Ehegatten eintreten. Ob und in welchem Umfang zivilrechtlich Nachteile auszugleichen sind, die durch die Zustimmung des Unterhaltsempfängers zu dem Antrag gem. § 10 I Nr. 1 EStG entstehen, können die Beteiligten vertraglich bestimmen. Hat der Tatrichter, wie hier, eine derartige Vereinbarung nicht festgestellt, kommt ein Ersatzanspruch gem. § 242 BGB in Betracht. In der Rechtsprechung des BGH ist seit langem anerkannt, daß der als Ausprägung des Grundsatzes von Treu und Glauben bestehenden Verpflichtung des Unterhaltsberechtigten, dem Antrag des Unterhaltsschuldners auf Sonderausgabenabzug zuzustimmen, eine entsprechende Verpflichtung gegenübersteht, die dem Unterhaltsberechtigten durch die Besteuerung der Unterhaltsbezüge gem. § 22 Nr. 1a EStG entstehende Belastung oder Mehrbelastung auszugleichen (vgl. Senat, NJW 1983, 1545 = LM § 1569 BGB Nr. 13 = FamRZ 1983, 576 ff.; NJW 1985, 195 = LM § 1569 BGB Nr. 17 = FamRZ 1984, 1211 (1212); NJW 1986, 254 = LM § 1569 BGB Nr. 20 = FamRZ 1985, 1232 (1233)).

Dieser Ausgleichsanspruch wird als Ausfluß des zwischen geschiedenen Ehegatten bestehenden gesetzlichen Unterhaltsverhältnisses unter Billigkeitsgesichtspunkten gewährt, um dem Unterhaltsgläubiger die Zustimmung zum begrenzten Realsplitting zumutbar zu machen. Das ist nur der Fall, wenn gewährleistet ist, daß dem Berechtigten der ihm zustehende Unterhalt im Ergebnis ungeschmälert verbleibt. Der Anspruch erstreckt sich auf Freistellung bzw. Ersatz von solchen Nachteilen, die sich aus der Besteuerung der erhaltenen Unterhaltszahlung bei dem weiterhin unterhaltsberechtigten geschiedenen Ehegatten ergeben, sowie von sonstigen Nachteilen, etwa durch den Wegfall von Anspruchsvoraussetzungen für öffentliche Leistungen, die häufig nur bis zu bestimmten Einkommensgrenzen gewährt werden (z. B. Wohngeld, Sparprämien, Arbeitnehmersparzulagen); unter besonderen Umständen kann auch der Ersatz von Steuerberatungskosten in Frage kommen (vgl. Senat, NJW 1988, 2886 = LM § 1569 BGB Nr. 31 = BGHR BGB vor § 1569, Realsplitting 1 = FamRZ 1988, 820).

2. Der vorliegende Fall weist die Besonderheit auf, daß die im Jahre 1987 vom Bekl. erbrachten Unterhaltszahlungen trotz der Inanspruchnahme des begrenzten Realsplitting allein nicht zu einer steuerlichen Belastung der Kl. geführt hätten. Denn der Gesamtbetrag in Höhe von 4440 DM lag unterhalb des Grundfreibetrages nach § 32a I 2 Nr. 1 EStG; weitere Einkünfte hatte die Kl. in diesem Jahre nicht. Eine Steuerpflicht ist erst dadurch eingetreten, daß die Kl. noch im gleichen Jahr wieder geheiratet und mit ihrem jetzigen Ehemann für 1987 die steuerliche Zusammenveranlagung (§§ 26, 26b EStG) gewählt hat. Dadurch sind die Unterhaltszahlungen als Einnahmen der Kl. in den Gesamtbetrag der Einkünfte beider Eheleute eingeflossen.

a) Das BerGer. hat den durch die Nachversteuerung festgesetzten Zahlbetrag von 1007 DM gleichwohl als einen der Kl. wirtschaftlich und unterhaltsrechtlich entstandenen Nachteil angesehen, der ihr durch die Zustimmung zum begrenzten Realsplitting erwachsen und vom Bekl. auszugleichen sei. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Kl. sei berechtigt und ihrem Ehemann gegenüber sogar verpflichtet gewesen, die für beide günstigste Veranlagungsform zu wählen. Der Bekl. könne nichts für sich daraus herleiten, daß die Ehegatten trotz ihrer gesamtschuldnerischen Haftung für die Steuerschuld (§ 44 I AO) im Innenverhältnis die Möglichkeit hätten, gem. § 270 AO im Wege der Vollstreckungsbeschränkung eine Aufteilung rückständiger Steuern in der Weise zu verlangen, daß diese nur nach dem Verhältnis der Beträge beigetrieben werden, die sich bei getrennter Veranlagung ergeben würden. Das BerGer. hat sich damit im Ergebnis einer Auffassung angeschlossen, die in der Rechtsprechung der Oberlandesgerichte mehrfach zu dieser Frage vertreten worden ist (OLG Hamm, 5. Familiensenat, NJW-RR 1989, 1353 = FamRZ 1989, 638 (640) und 10. Familiensenat, NJW-RR 1990, 1222 = FamRZ 1990, 757; OLG Düsseldorf, NJW-RR 1991, 584 = FamRZ 1991, 452).

b) Diese Rechtsprechung ist in der Literatur auf Kritik gestoßen (vgl. Philippi, FamRZ 1989, 1086; Schulze, FamRZ 1990, 415; Kalthoener-Büttner, NJW 1990, 1640 (1644); Müller-Traxel, NWB 1991, 27, 2053 ff. = Fach 3, S. 7905 ff.). Inzwischen sind auch gegensätzliche Entscheidungen anderer Oberlandesgerichte veröffentlicht worden (OLG Karlsruhe, FamRZ 1991, 832; OLG Stuttgart, FamRZ 1991, 1063).

3. Der Senat vermag der Auffassung des BerGer. ebenfalls nicht zu folgen, denn sie läßt wesentliche Gesichtspunkte außer acht.

a) Zunächst trifft es nicht zu, daß der der Kl. vom Bekl. gewährte Unterhalt geschmälert wird, wenn der Bekl. ihr den im Bescheid vom 10. 10. 1988 festgesetzten Steuerbetrag nicht zu erstatten hat. Sachverhalte wie der vorliegende können nur entstehen, weil das Gesetz die Veranlagung zur Einkommensteuer für einen zurückliegenden Zeitraum vorschreibt (§ 25 I EStG: „nach Ablauf des Kalenderjahres“), der Steueranspruch also erst zu einem Zeitpunkt ermittelt wird, in dem der Unterhaltsanspruch bereits erloschen ist (§ 1586 I BGB). Anders als in Fällen fortlaufender Unterhaltsgewährung, in denen sich steuerliche Belastungen oder Erstattungen auf den Unterhaltsbedarf des Berechtigten oder die Leistungsfähigkeit des Verpflichteten künftig auswirken können, geht es hier nur um die Frage, ob die Erstattung eines der Kl. entstandenen Nachteils durch den Bekl. der Billigkeit entspricht.

b) Hierfür fehlt es an einem hinreichenden Grund. Der dafür entscheidende Gesichtspunkt besteht darin, daß die aufgrund des Bescheides vom 10. 10. 1988 (auch) von der Kl. erhobene Steuer nicht festgesetzt worden wäre, wenn sie nicht die Zusammenveranlagung gewählt hätte. Durch die von der Kl. gewählte Zusammenveranlagung ist aber auch kein steuerlicher Nachteil eingetreten, sondern beide in der neuen Ehe verbundenen Steuerpflichtigen haben einen (von ihnen auch erstrebten) Vorteil erlangt. Ehegatten werden nämlich dadurch begünstigt, daß ihrer beider Einkünfte zusammengerechnet und sie sodann „gemeinsam als Steuerpflichtiger“ behandelt werden (§ 26b EStG); denn das hat zur Folge, daß die tarifliche Einkommensteuer (nur) das Zweifache des Steuerbetrages beträgt, der sich für die Hälfte ihres gemeinsam zu versteuernden Einkommens nach dem Tarif ergibt (Splitting-Verfahren, vgl. § 32a V 1 bei unterschiedlichen Einkünften in der Regel keine oder eine geringere Steuerprogression erzielt. Anders ausgedrückt, steht dem scheinbaren Nachteil, der in einer Heranziehung der Einkünfte der Kl. zu einer gemeinsamen Veranlagung liegt, der Vorteil ihres Ehemannes gegenüber, seine zu versteuernden wesentlich höheren Einkünfte teilweise gleichsam auf seine Ehefrau (die Kl.) verlagern und dadurch einer günstigeren Besteuerung zuführen zu können.

Auch die zahlenmäßige Ausrechnung eines Nachteils in Höhe von 1007 DM durch die Kl. trifft daher nicht zu. Dazu muß nämlich die durch den Bescheid vom 10. 10. 1988 festgesetzte Steuer von 1291,90 DM der steuerlichen Last gegenübergestellt werden, die bei getrennter Veranlagung auf seiten der Kl. und ihres Ehemannes entstanden wäre. Diese wäre insgesamt höher gewesen: Ohne die Einkünfte der Kl. hätte ihr Ehemann unter voller Berücksichtigung aller vom Finanzamt anerkannten Abzugsposten jedenfalls ein Einkommen von 10387 DM versteuern müssen. Schon hierauf wäre für den Veranlagungszeitraum 1987 gem. § 52 XXII EStG (1987) eine tarifliche Einkommensteuer von 1283 DM und eine Kirchensteuer von 88 DM, zusammen 1371 DM, zu entrichten gewesen. Da dieser Betrag bereits den durch den Bescheid vom 10. 10. 1988 festgesetzten übersteigt, kommt es nicht mehr darauf an, daß das zu versteuernde Einkommen des Ehemannes der Kl. tatsächlich noch höher war, weil im Bescheid vom 10. 10. 1988 Abzugsposten in einer nur bei Zusammenveranlagung von Ehegatten gerechtfertigten Höhe berücksichtigt worden sind (z. B. bei der Vorsorgepauschale und dem Sonderausgaben-Pauschbetrag gem. § 10c EStG).

Ein Nachteil der Kl. ist nicht darin zu sehen, daß sie als Gesamtschuldnerin mit ihrem Ehemann für die gegen beide festgesetzte Steuer haftet (§ 44 I AO). Denn insoweit kann derjenige Ehegatte, der wie die Kl. im Veranlagungszeitraum so geringe Einkünfte erzielt hat, daß sich bei getrennter Veranlagung für ihn keine Steuerschuld ergeben hätte, durch einen Antrag an das Finanzamt gem. § 268 AO die Freistellung von der Inanspruchnahme durch Vollstreckungsmaßnahmen erreichen, solange der festgesetzte Betrag noch nicht bezahlt worden ist (vgl. Schulze, FamRZ 1990, 415; Schmidt-Seeger, EStG, 9. Aufl., § 26 Anm. 5). Wenn die Kl. einen solchen Antrag unterlassen hat, kann sie das dem Bekl. nicht entgegenhalten.

Würde der Unterhaltsschuldner auch für steuerliche Lasten einstehen müssen, die dem Unterhaltsempfänger aufgrund der Zusammenveranlagung mit einem neuen Ehegatten entstehen, wären die Folgen eines Antrages nach § 10 I Nr. 1 EStG für ihn nicht mehr kalkulierbar. Er kennt im allgemeinen zwar die Einkommensverhältnisse des Unterhaltsgläubigers, weil diese in der Regel die Unterhaltsbemessung beeinflußt haben. Die Einkünfte eines neuen Ehegatten des Unterhaltsempfängers sind ihm aber meistens verborgen. Dem kann auch nicht dadurch abgeholfen werden, daß ihm insoweit ein Auskunftsanspruch gegen den geschiedenen Ehegatten zugebilligt wird. Denn abgesehen davon, daß nicht gesichert ist, ob der Unterhaltsempfänger über die Einkommensverhältnisse seines neuen Ehegatten zuverlässige Kenntnisse hat, versagt dieser Weg jedenfalls in den nicht seltenen Fällen, in denen die Zustimmung zum begrenzten Realsplitting schon vor oder während des Veranlagungszeitraums verlangt wird. Denn der Antrag kann bereits zum Zwecke der Eintragung eines Freibetrages auf der Lohnsteuerkarte oder der Festsetzung von Einkommensteuer-Vorauszahlungen gestellt werden; eine spätere Rücknahme des Antrages oder der Zustimmung ist auch in diesen Fällen nicht zulässig (§ 10 I Nr. 1 S. 2 und 3 EStG). Zu einem so frühen Zeitpunkt kann der Unterhaltsempfänger aber ersichtlich keine verläßlichen Voraussagen über eine neue Eheschließung und erst recht nicht über die Einkommensverhältnisse eines künftigen Ehegatten machen. Es läßt sich aber nicht rechtfertigen, für den Umfang der Ausgleichsverpflichtung bei der Zustimmung zum begrenzten Realsplitting etwa danach zu unterscheiden, zu welchem Zeitpunkt der Antrag gem. § 10 I Nr. 1 EStG gestellt wird. Entgegen der Auffassung der Revisionserwiderung kommt daher dem Umstand keine Bedeutung zu, daß die Kl. dem Antrag hier erst im Jahre 1988 zugestimmt hat, nachdem sie schon mit ihrem jetzigen Ehemann die Zusammenveranlagung zur Einkommensteuer gewählt hatte.

4. Das angefochtene Urteil ist nach alledem aufzuheben. Da weitere Feststellungen nicht erforderlich sind, kann der Senat selbst entscheiden (§ 565 III Nr. 1 ZPO). Die Berufung ist begründet und die Klage mit der Kostenfolge aus § 91 ZPO abzuweisen.

Rechtsgebiete

Bank-, Finanz- und Kapitalanlagerecht

Normen

BGB §§ 1569 ff.; EStG §§ 10 I Nr. 1, 22 Nr. 1a, 26 i. d. F. v. 27. 2. 1987