Zum Unterhaltsanspruch des minderjährigen Kindes gegen den nicht betreuenden Elternteil
Gericht
BGH
Art der Entscheidung
Revisionsurteil
Datum
20. 03. 2002
Aktenzeichen
XII ZR 216/00 (Düsseldorf)
Zum Unterhaltsanspruch des minderjährigen Kindes gegen den nicht betreuenden Elternteil, dessen eigener angemessener Unterhalt in einer neuen Ehe gesichert ist.
Die am 15. 2. 1985 geborene Kl. stammt aus der 1990 geschiedenen Ehe der Bekl. mit dem Kindsvater, in dessen Haushalt sie seit Juni 1999 lebt. Ihr rund drei Jahre jüngerer Bruder lebt seit der Scheidung bei der Bekl. Beide Eltern sind wieder verheiratet. Die Bekl. erzielt aus einer Teilzeitbeschäftigung ein monatliches Einkommen von zumindest 580 DM und seit dem 1. 9. 1999 von 630 DM. Ihr Ehemann verdient ausweislich einer Verdienstbescheinigung für Dezember 1999 monatlich netto 3631,08 DM und hat für 1999 eine Steuerrückzahlung in Höhe von 1528,60 DM erhalten. Der Vater der Kl., aus dessen neuer Ehe ein Kind hervorgegangen ist, erzielt ein Nettoeinkommen von mindestens rund 7450 DM. Ob seine Ehefrau aus ihrer Erwerbstätigkeit Einkommen erzielt, ist streitig.
Die Kl. verlangt rückständigen Kindesunterhalt für die Monate Juni bis August 1999 sowie laufenden Kindesunterhalt seit September 1999. Ihre Klage blieb im ersten Rechtszug ohne Erfolg. Auf ihre Berufung hat das OLG die Bekl. verurteilt, an sie für Juni 1999 eine Unterhaltsrente von 377 DM, für Juli bis Dezember 1999 von monatlich 385 DM und seit dem 1. 1. 2000 von monatlich 375 DM zu zahlen. Die Revision der Bekl. hatte keinen Erfolg.
Das BerGer. hat der Kl., die unstreitig außer Stande ist, sich selbst zu unterhalten (§ 1602 BGB), den jeweiligen Mindestunterhalt nach der so genannten Düsseldorfer Tabelle (Stand 1. 7. 1998 = FamRZ 1998, 534, Stand 1. 7. 1999 = FamRZ 1999, 766) abzüglich des hälftigen Kindergelds zugesprochen und dazu ausgeführt, die Barunterhaltspflicht der Bekl. sei nicht gem. § 1603 I BGB ausgeschlossen. Dies hält den Angriffen der Revision stand.
1. Die Bekl. kann die der Kl. zugesprochenen Unterhaltsbeträge aus ihrem Verdienst von 580 bzw. 630 DM monatlich - auch nach Abzug berufsbedingter Aufwendungen - zahlen, ohne ihren eigenen angemessenen Unterhalt zu gefährden. Dieser ist nämlich nach den zutreffenden Feststellungen des BerGer. durch ihre hälftige Beteiligung an dem von ihrem Ehemann und ihr erzielten Gesamteinkommen gesichert. Entgegen der Auffassung der Revision ist ihr Unterhaltsanspruch gegen ihren Ehemann bei der Beurteilung ihrer Leistungsfähigkeit nicht erst im Rahmen einer erweiterten Leistungspflicht nach § 1603 II BGB zu berücksichtigen (vgl. dazu BGH, NJW 1980, 934 = LM § 1603 BGB Nr. 2 = FamRZ 1980, 555), sondern auch schon bei der Beurteilung der Leistungsfähigkeit im Rahmen des § 1603 I BGB (vgl. Senat, NJW 1982, 1590 = LM § 1356 BGB Nr. 23 = FamRZ 1982, 590 [591]).
Der Umstand der Wiederverheiratung des barunterhaltspflichtigen Elternteils ist nämlich unterhaltsrechtlich beachtlich. So wie die Wiederheirat dazu führen kann, dass sich das ersteheliche Kind eine Schmälerung seines Unterhaltsanspruchs als Folge des Hinzutritts weiterer minderjähriger Kinder aus der neuen Ehe des Barunterhaltspflichtigen entgegenhalten lassen muss, kann sich die Wiederverheiratung auch, wie im vorliegenden Fall, zum Vorteil des erstehelichen Kindes auswirken. Da das Gesetz in § 1603 BGB auf die tatsächlichen Verhältnisse des Unterhaltsverpflichteten abstellt und seine Unterhaltspflicht danach bemisst, ob und inwieweit er imstande ist, den begehrten Unterhalt ohne Gefährdung seines eigenen angemessenen Unterhalts zu gewähren, ist hier die Sicherstellung des eigenen Unterhalts der Bekl. in der neuen Ehe zu berücksichtigen (vgl. Senat, NJW-RR 2001, 361 = FamRZ 2001, 1065 [1067f.]).
Nach den von der Revision nicht angegriffenen Feststellungen des BerGer. betrug das gemeinsame bereinigte Nettoeinkommen der Bekl. und ihres Ehemanns bis Ende August 1999 4105,54 DM und danach 4155,54 DM. Hiervon stand beiden Ehegatten je die Hälfte = 2052,77 DM bzw. 2077,77 DM zu, da im Rahmen des Familienunterhalts nach § 1360 BGB ein Erwerbstätigenbonus zu Gunsten des allein oder mehr verdienenden Ehegatten entgegen der von der Revision in der mündlichen Verhandlung vertretenen Auffassung nicht in Betracht kommt.
Unter Berücksichtigung der der Kl. zugesprochenen Unterhaltszahlungen von 377 DM, 385 DM bzw. 375 DM verbleiben der Bekl. somit für Juni 1999 1675,77 DM, für Juli und August 1999 1667,77 DM, seit September 1999 1692,77 DM und seit Januar 2000 1702,77 DM zur Deckung ihres eigenen Bedarfs.
2. Entgegen der Auffassung der Revision ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden, dass das BerGer. den der Bekl. gegenüber der Kl. zustehenden angemessenen Eigenbedarf mit diesen ihr verbleibenden Beträgen als gedeckt angesehen hat, auch wenn der angemessene Selbstbehalt des Unterhaltspflichtigen, insbesondere gegenüber volljährigen Kindern, nach Anmerkung 5 der Düsseldorfer Tabelle 1998 und 1999 in der Regel mit monatlich mindestens 1800 DM bemessen wird. Wie auch die Revision nicht verkennt, obliegt die Bestimmung des angemessenen Selbstbehalts dem Tatrichter und kann vom RevGer. nur eingeschränkt überprüft werden. Hier hat das BerGer. den angemessenen Selbstbehalt der Bekl. mit Rücksicht auf die Ersparnis durch die gemeinsame Haushaltsführung mit ihrem neuen Ehemann geringer bemessen. Dies erscheint sachgerecht und ist nicht zu beanstanden (vgl. Senat, NJW-RR 1998, 505 = FamRZ 1998, 286 [288]; Wendl/Scholz, Das UnterhaltsR in der familienrechtlichen Praxis, 5. Aufl., § 2 Rdnr. 428).
3. Nach alledem hat das BerGer. mangels Gefährdung des angemessenen Unterhalts der Bekl. zu Recht eine gesteigerte Unterhaltspflicht der Bekl. nach § 1603 II 1 BGB dahinstehen lassen und brauchte infolgedessen auch nicht zu prüfen, ob eine solche gesteigerte Unterhaltspflicht hier nach § 1603 II 3 BGB entfällt, weil der das Kind betreuende Vater als anderer unterhaltspflichtiger Verwandter im Sinne dieser Vorschrift in Betracht kommt. Zwar kann der das Kind betreuende Elternteil in besonderen Ausnahmefällen selbst dann, wenn bei Inanspruchnahme des anderen Elternteils dessen angemessener Selbstbehalt nicht gefährdet würde, dazu verpflichtet sein, zusätzlich zu seiner Betreuungsleistung zum Barunterhalt des Kindes beizutragen, nämlich dann, wenn andernfalls ein erhebliches finanzielles Ungleichgewicht zwischen den Eltern aufträte (vgl. Senat, NJW 1991, 697 = LM § 1603 BGB Nr. 40 = FamRZ 1991, 182 [183]; NJW-RR 1998, 505 = FamRZ 1998, 286 [288]; Johannsen/Henrich/Graba, EheR, 3. Aufl., § 1603 Rdnr. 19; Wendl/Scholz, § 2 Rdnr. 289).
Diese Voraussetzungen sind hier indes weder vom BerGer. festgestellt noch von der insoweit darlegungs- und beweispflichtigen Bekl. (vgl. Senat, NJW 1981, 923 = FamRZ 1981, 347 [349]) hinreichend dargetan worden. Angesichts der von der Kl. im Einzelnen dargelegten Belastungen ihres Vaters infolge der Barunterhaltspflicht für zwei Kinder und die durch Fremdvermietung nicht gedeckten Lasten des Familienheims sind - unabhängig von der Frage, ob der Vater auch seiner neuen Ehefrau gegenüber unterhaltspflichtig ist - keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass der für seinen eigenen angemessenen Unterhalt verbleibende Betrag denjenigen, den die Bekl. - nach Abzug des Mindestunterhalts für die Kl. - in ihrer neuen Ehe zur Verfügung hat, so deutlich übersteigt, dass eine Abweichung von der Regel des § 1606 III 2 BGB geboten ist.
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