Mindestbedarf eines unterhaltsberechtigten Kindes

Gericht

BGH


Art der Entscheidung

Revisionsurteil


Datum

06. 02. 2002


Aktenzeichen

XII ZR 20/00


Leitsatz des Gerichts

Zur Frage des Mindestbedarfs eines unterhaltsberechtigten Kindes nach Wegfall des § 1610 III BGB durch das Kindesunterhaltsgesetz vom 6. 4. 1998 zum 1. 7. 1998 (BGBl I, 666).

Tatbestand

Auszüge aus dem Sachverhalt:

Die vom Bekl. getrennt lebende Kl. macht gegen ihn in Prozessstandschaft Unterhalt für die gemeinsamen Kinder geltend. Aus der im Juli 1989 geschlossenen Ehe der Parteien sind die Tochter C, geboren am 4. 12. 1990, und der Sohn M, geboren am 28. 12. 1993, hervorgegangen. Die Kinder leben seit der Trennung der Eltern Ende Juni 1998 bei der Kl., die sie betreut und die das staatliche Kindergeld erhält. An seinen nicht aus der Ehe stammenden Sohn L, geboren am 6. 4. 1998, zahlt der Bekl. monatlich 300 DM Unterhalt. Der Bekl. arbeitet als Verwaltungsbeamter in S. Sein monatliches Nettoeinkommen betrug 1998, bereinigt um Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge, rund 4700 DM. Die Kl. ist Lehrerin und verdient monatlich netto ebenfalls rund 4700 DM. Die Parteien sind je zur Hälfte Miteigentümer eines mit Krediten belasteten Anwesens, in dem die Kl. mit den gemeinsamen Kindern verblieben ist. Sie trägt den überwiegenden Teil dieser Kreditverbindlichkeiten. Der Bekl. macht für sich weitere monatliche Kreditverbindlichkeiten in Höhe von 1425 DM geltend. Außerdem zahlt er für einen im März 1998 geleasten Pkw, auf den er eine Sonderleistung von 10000 DM erbracht hat, monatliche Raten von rund 672 DM. Mit dem Pkw fährt er arbeitstäglich von seiner Wohnung zu seiner Arbeitsstelle rund 110 Kilometer. Die Kl. bezieht seit Dezember 1998 Leistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz für C in Höhe von monatlich 299 DM und für M von 224 DM. Der Bekl. hat nach der Trennung an die Kl. im Jahre 1998 für beide Kinder einen einmaligen Unterhaltsbetrag von insgesamt 500 DM und von Januar bis November 1999 monatlich 299 DM für C und 244 DM für M an die Verwaltungsbehörde bezahlt. Diese hat die auf sie übergegangenen Unterhaltsansprüche der Kinder auf die Kl. zurückübertragen. Das AG hat den Bekl. unter Abweisung des weiter gehenden Begehrens verurteilt, an die Kl. rückständigen Unterhalt für beide Kinder für Juli und August 1998 in Höhe von insgesamt 1142 DM zu zahlen, ferner für die Zeit vom 1. 9. 1998 bis 31. 12. 1998 jeweils monatlich 460 DM für C und 361 DM für M, sowie ab 1. 1. 1999 jeweils monatlich 418 DM für C und 322 DM für M. Gegen dieses Urteil haben beide Parteien Berufung eingelegt. Das OLG hat die Berufung des Bekl. zurückgewiesen und auf die Berufung der Kl. unter Abänderung des amtsgerichtlichen Urteils den Bekl. verurteilt, an die Kl. für die Zeit vom 1. 7. 1998 bis 30. 11. 1999 rückständigen Unterhalt für C in Höhe von 3702 DM und für M in Höhe von 2890 DM sowie ab 1. 12. 1999 für beide Kinder monatlich je 427 DM zu zahlen.

Mit der zugelassenen Revision will der Bekl. erreichen, dass er nur den Unterhalt nach der Einkommensgruppe 1 der Düsseldorfer Tabelle abzüglich hälftigen Kindergeldes, also für C monatlich 299 DM und für M 224 DM zahlen muss. Das Rechtsmittel hatte Erfolg und führte zur Aufhebung und Zurückverweisung der Sache an das OLG.

Entscheidungsgründe

Auszüge aus den Gründen:

A. I. Das OLG, dessen Urteil in NJW-RR 2000, 956 = FamRZ 2000, 765 veröffentlicht ist, hat den Bedarf für die Kinder der Parteien nach der Düsseldorfer Tabelle, Einkommensgruppe 5 ermittelt. Dies ergab für die am 4. 12. 1990 geborene C in der Zeit vom 1. 7. 1998 bis 30. 6. 1999 monatlich 543 DM (Düsseldorfer Tabelle, Stand 1. 7. 1998, Altersstufe 2) und ab 1. 7. 1999 monatlich 552 DM (Düsseldorfer Tabelle, Stand 1. 7. 1999, Altersstufe 2). Für den am 28. 12. 1993 geborenen M hat es den Bedarf entsprechend für die Zeit vom 1. 7. 1998 bis 30. 6. 1999 mit 447 DM (Düsseldorfer Tabelle, Stand 1. 7. 1998, Altersstufe 1), für die Zeit vom 1. 7. 1999 bis 30. 11. 1999 mit monatlich 455 DM (Düsseldorfer Tabelle, Stand 1. 7. 1999, Altersstufe 1) und ab 1. 12. 1999 mit 552 DM (Düsseldorfer Tabelle, Stand 1. 7. 1999, Altersstufe 2) angenommen.

Für die Bedarfsbemessung ist das OLG dabei zunächst richtig und von der Revision nicht beanstandet von einem durchschnittlichen, um Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge verminderten Nettoeinkommen des Bekl. in Höhe von monatlich rund 4700 DM für das Jahr 1998 und in Höhe von rund 4450 DM für das Jahr 1999 ausgegangen. Von diesem Einkommen hat es - unter Berücksichtigung der Fahrten des Bekl. zur Arbeitsstelle - eine Pauschale von 5% für berufsbedingte Aufwendungen abgezogen, so dass es zu einem bereinigten Nettoeinkommen von monatlich rund 4466 DM für das Jahr 1998 und von 4228 DM für das Jahr 1999 gelangt ist. Die Berücksichtigung der monatlichen Leasingraten für den Pkw des Bekl. i.H. von rund 672 DM hat es abgelehnt, da diese Verpflichtung in keiner Weise der finanziellen Gesamtsituation entspreche und auch nicht berufsbedingt notwendig sei.

1. Insoweit ist nicht zu beanstanden, dass das OLG für die Fahrten zur Arbeitsstelle nur die Pauschale von 5% und nicht die geltend gemachten konkreten Fahrtkosten von monatlich 583 DM vom Nettoeinkommen abgezogen hat. Da es sich bei Unterhaltsfällen um Massenerscheinungen handelt, ist aus Vereinfachungsgründen eine pauschalierende Berechnungsmethode notwendig (Senat, NJW 1997, 1919 = LM H. 8/1997 § 1578 BGB Nr. 65 = FamRZ 1997, 806 [807]). Dies schließt zwar die Berücksichtigung konkreter Aufwendungen nicht aus, soweit diese notwendig und angemessen sind. Es hält sich aber im Rahmen der revisionsrechtlich nur beschränkt überprüfbaren tatrichterlichen Bewertung, wenn das OLG es für zumutbar gehalten hat, dass der Bekl. mit öffentlichen Verkehrsmitteln zur Arbeitsstelle gelangt oder den Wohnsitz an den Dienstort verlegt. Rechtsfehler sind nicht ersichtlich und werden von der Revision auch nicht aufgezeigt. Die Bemessung der Aufwendungen mit 5% hält sich ebenfalls im Rahmen des tatrichterlichen Ermessens (Senat, NJW 2000, 3140 = LM H. 1/2001 § 1578 BGB Nr. 69 = FamRZ 2000, 1492 [1493]).

2. Entgegen der Revision kann sich der Bekl. auch nicht darauf berufen, von seinem Einkommen seien weitere Verbindlichkeiten in Höhe von 672 DM Leasingraten abzuziehen.

Minderjährige Kinder ohne Einkünfte besitzen keine eigene unterhaltsrechtlich relevante Lebensstellung im Sinne des § 1610 II BGB. Sie leiten ihre Lebensstellung vielmehr von derjenigen ihrer unterhaltspflichtigen Eltern ab. Wird das Kind von einem Elternteil versorgt und betreut und leistet der andere Teil Barunterhalt, so bestimmt sich die Lebensstellung des Kindes grundsätzlich nach den Einkommens- und Vermögensverhältnissen des barunterhaltspflichtigen Elternteils. Da der für die Unterhaltsbemessung maßgebliche Lebensstandard im Wesentlichen durch tatsächlich vorhandene Mittel geprägt ist, richtet sich auch die abgeleitete Lebensstellung des Kindes nach diesen Verhältnissen. Deshalb sind unterhaltsrechtlich relevante Verbindlichkeiten zu berücksichtigen (Senat, NJW-RR 1996, 321 = FamRZ 1996, 160 [161]). Ob die Verbindlichkeiten unterhaltsrechtlich berücksichtigungsfähig sind, ist unter umfassender Interessenabwägung zu beurteilen, wobei es insbesondere auf den Zweck der Verbindlichkeit, den Zeitpunkt und die Art ihrer Entstehung, die Kenntnis von der Unterhaltsschuld und auf andere Umstände ankommt (Senat, NJW 1991, 697 = LM H. 37/1991 § 1603 BGB Nr. 40 = FamRZ 1991, 182 [184], und NJW-RR 1996, 321 = FamRZ 1996, 160 [161]).

Im Rahmen dieser in erster Linie dem Tatrichter obliegenden Interessenabwägung ist das OLG - bei der Prüfung der Leistungsfähigkeit - zu dem Ergebnis gelangt, dass die monatlichen Leasingraten von 672 DM zum einen der finanziellen Gesamtsituation nicht entsprächen und zum anderen nicht berufsbedingt notwendig seien. Der Bekl. könne diese Raten bei Nutzung eines preiswerten Gebrauchtwagens oder öffentlicher Verkehrsmittel in zumutbarer Weise vermeiden, so dass seine Kinder sich diese Verpflichtung nicht entgegenhalten lassen müssten. Dies lässt Rechtsfehler nicht erkennen. Die Revision zeigt solche auch nicht auf.

II. Zu Recht rügt jedoch die Revision, das OLG habe den Bedarf der Kinder nicht unabhängig von der wirtschaftlichen Situation des Bekl. mit dem Existenzminimum gleichsetzen und ihn darauf verweisen dürfen, die ehebedingten Verbindlichkeiten in Höhe von 120000 DM, die er mit monatlich 1425 DM zurückführe, zu strecken.

1. Das OLG hat keine Feststellungen dazu getroffen, ob diese Verbindlichkeiten - wie der Bekl. unter Beweisantritt behauptet hat - als ehebedingt anzusehen sind oder aber zur Wahrnehmung persönlicher Bedürfnisse des Bekl. aufgenommen wurden. Dies ist für die Frage ihrer Berücksichtigung von Bedeutung (Senat, NJW 1992, 1624 = LM H. 9/1992 § 1603 BGB Nr. 43 = FamRZ 1992, 797 [798]). In der Revisionsinstanz ist daher zu Gunsten des Bekl. zu unterstellen, dass es sich um ehebedingte Schulden handelt. Werden die monatlichen Kreditraten von 1425 DM in voller Höhe berücksichtigt, würde sich das bereinigte Nettoeinkommen des Bekl. im Jahre 1998 von 4466 DM auf 3041 DM und im Jahre 1999 von 4228 DM auf 2803 DM vermindern, was der Einkommensgruppe 3 der Düsseldorfer Tabelle und einem Unterhaltsbedarf von 484 DM (ab 1. 7. 1992 DM 492) in der Altersstufe 2 und von 398 DM (ab 1. 7. 1999 DM 405) in der Altersstufe 1 entspräche. Damit hätte der Bekl. zwar mehr als den Regelbetrag, aber weniger als den vom OLG angenommenen „Mindestbedarf“ zu zahlen.

Das OLG hat dazu ausgeführt, den ehegemeinschaftlichen Kindern stehe wenigstens ein Mindestbedarf im Sinne des zur Sicherung des Existenzminimums erforderlichen Unterhaltsbetrags zu. Die Lebensstellung eines minderjährigen Kindes leite sich vom barunterhaltspflichtigen Elternteil ab. Der Unterhaltsanspruch genieße grundsätzlich keinen Bestandsschutz hinsichtlich der tatsächlichen Lebensverhältnisse. Das Kind müsse deshalb hinnehmen, wenn nur noch ein geringerer - den Mindestbedarf allerdings nicht unterschreitender - Unterhaltsbetrag geschuldet werde.

Die Festlegung des Mindestbedarfs sei mit dem In-Kraft-Treten des Kindesunterhaltsgesetzes auf Grund der Aufhebung der Verweisung in § 1610 III BGB a.F. aufgegeben worden. Der Regelbetrag nach der Regelbetrag-VO (= Einkommensgruppe 1 der Düsseldorfer Tabelle) liege unter dem Existenzminimum und solle nicht bedarfsdeckend sein, sondern diene primär als Bemessungsgröße für das vereinfachte Verfahren. Ihm sei daher ein Mangelfall immanent, weshalb er nicht mehr dem Mindestbedarf entspreche. Nach den verfassungsrechtlichen Vorgaben sei für den Mindestbedarf auf das nach dem Sozialhilfebedarf ermittelte Existenzminimum abzustellen. Dieses betrage bei einer Verteilung auf die drei Altersstufen ab 1996 DM 431, 510 und 631, ab 1999 DM 461, 544 und 670. Die genannten Beträge seien nicht genau in die Unterhaltstabelle einzupassen, da sie zwischen den Einkommensgruppen 4 bis 6 der Tabelle lägen. Deshalb sei es angemessen, den Mindestbedarf unter Zuordnung zur Einkommensgruppe 5 zu bemessen. Dieser Mindestbedarf stehe den Kindern in jedem Falle zu. Da der Bekl. drei Kindern unterhaltspflichtig sei, sei eine Höherstufung nicht angezeigt.

2. Dieser Auffassung vermag der Senat nicht zu folgen.

a) Zutreffend ist allerdings der Ausgangspunkt des OLG, dass es seit dem am 1. 7. 1998 in Kraft getretenen Kindesunterhaltsgesetz vom 6. 4. 1998 (KindUG - BGBl I, 666) keine gesetzliche Bestimmung des Mindestbedarfs minderjähriger Kinder im Unterhaltsrecht mehr gibt (so auch Schumacher/Grün, FamRZ 1998, 778 [779]; Wendl/Scholz, UnterhaltsR, 5. Aufl., § 2 Rdnrn. 127af.).

Bis zum 30. 6. 1998 definierte § 1615f I 2 BGB a.F. den Regelunterhalt als den Betrag (Regelbedarf), der zum Unterhalt eines nicht ehelichen Kindes, das sich in der Pflege seiner Mutter befindet, bei einfacher Lebenshaltung im Regelfall erforderlich sei. Verlangte ein eheliches Kind Barunterhalt, so galt als Bedarf mindestens der für ein nicht eheliches Kind der entsprechenden Altersstufe festgesetzte Regelbedarf, § 1610 III BGB a.F.

Durch Art. 1 Nr. 8, 16, Art. 6 KindUG wurden § 1610 III BGB und die Vorschriften über den Regelunterhalt nicht ehelicher Kinder aufgehoben. § 1610 III BGB war nicht mehr erforderlich, da in § 1612a I BGB für alle Kinder die Möglichkeit geschaffen wurde, die Regelbeträge geltend zu machen. Damit war die Definition des Mindestbedarfs im Unterhaltsrecht entfallen. Die Regelbeträge sollten als Basiswerte der Unterhaltstabellen und als Bezugsgrößen für die Unterhaltsanpassung dienen (RegE, BT-Dr 13/7338, S. 22; Stellungnahme des Rechtsausschusses - im Folgenden: RA -, BT-Dr 13/9596, S. 36). In Höhe der Regelbeträge (im RegE noch Regelunterhalt genannt) sollte das Kind von der Darlegungs- und Beweislast für seinen Bedarf sowie für die Leistungsfähigkeit des Unterhaltsverpflichteten befreit sein (RegE, BT-Dr 13/7338, S. 19). Die Festlegung eines Mindestbedarfs erfolgte bewusst nicht (Bericht des RA, BT-Dr 13/9596, S. 31f.). Die Empfehlung des Bundesrats, den im Regierungsentwurf verwendeten Begriff „Regelunterhalt“ durch den Begriff „Mindestunterhalt“ zu ersetzen, und die Forderung, der Mindestunterhalt der Kinder müsse sich an deren Bedarf orientieren und mindestens deren Existenzminimum abdecken (Stellungnahme des BR, BT-Dr 13/7338, S. 56), sind nicht Gesetz geworden. In ihrer Gegenäußerung hat die Bundesregierung darauf hingewiesen, dass nicht der Eindruck erweckt werden solle, ein Mindestunterhalt sei unabhängig von der Leistungsfähigkeit des Verpflichteten geschuldet (BT-Dr 13/7338, S. 59). Insbesondere im Hinblick auf das Ziel des Entwurfs, die verfahrensrechtlich erleichterte Durchsetzung der Regelbeträge zu ermöglichen, wurde auf eine dem § 1615f I BGB a.F. entsprechende Definition der Regelbeträge verzichtet. Es war bekannt, dass eine erhebliche Erhöhung der Regelbeträge voraussichtlich dazu führen würde, dass die gesetzlich vorgesehenen Beträge für die Mehrzahl der Berechtigten wegen der eingeschränkten Leistungsfähigkeit der Verpflichteten nicht erreichbar wären. Außerdem sollten Mehrkosten für gesteigerte Leistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz und eine erhebliche Mehrbelastung der Justiz durch die Geltendmachung von Unterhaltsbeträgen, die nicht der Leistungsfähigkeit des Pflichtigen entsprechen, vermieden werden (Gegenäußerung der BReg., BT-Dr 13/7338, S. 60; Bericht des RA, BT-Dr 13/9596, S. 31). Die wesentliche Bedeutung des Regelbetrags sollte daher nicht in der Festlegung eines Mindestunterhalts, sondern darin liegen, dass mit ihm eine Bezugsgröße für den Zugang zum vereinfachten Verfahren und für die im Zweijahresrhythmus erfolgende Anpassung der Unterhaltsansprüche geschaffen werden sollte (vgl. § 645 ZPO). Dass die Beträge hinter dem Existenzminimum zurückblieben, sei unschädlich, da das vereinfachte Verfahren auch für Unterhaltsbeträge in Höhe des Existenzminimums und sogar darüber hinaus eröffnet sei (Bericht des RA, BT-Dr 13/9596, S. 31 [36]; vgl. auch Wendl/Scholz, § 2 Rdnrn. 127af.).

Die gegenteilige Auffassung, der Regelbetrag sei auch nach In-Kraft-Treten des Kindesunterhaltsgesetzes entsprechend dem früheren Regelunterhalt dem Mindestbedarf gleichzusetzen, widerspricht daher dem im Gesetz zum Ausdruck gekommenen Willen des Gesetzgebers (so aber: KG, FamRZ 1999, 405; OLG München, FamRZ 1999, 884; OLG Bamberg, NJWE-FER 2000, 77 = FamRZ 2000, 307 [308]; OLG Koblenz, FamRZ 2000, 313; OLG Karlsruhe, NJWE-FER 2001, 60 = FamRZ 2000, 1432 [1433]; Eschenbruch/Wohlgemuth, Der Unterhaltsprozess, 2. Aufl., Rdnr. 3025).

b) Die Auffassung, ein Mindestbedarf sei in Höhe des 1½-fachen des Regelbetrags festzulegen, weil dieser Betrag nach § 645 ZPO im vereinfachten Verfahren ohne weitere Darlegung der wirtschaftlichen Verhältnisse geltend gemacht werden könne (so Johannsen/Henrich/Graba, EheR, 3. Aufl., § 1610 Rdnr. 17, und § 1612a Rdnr. 12), wird vom OLG zutreffend abgelehnt. Die erweiterte Zulässigkeit des vereinfachten Verfahrens für Beträge in Höhe von 150% des Regelbetrags ist auf Vorschlag des Rechtsausschusses in das Gesetz aufgenommen worden, während der Regierungsentwurf in § 645 ZPO nur die Geltendmachung des Regelbetrags vorsah (Bericht des RA, BT-Dr 13/9596, S. 11). Dabei hat der Rechtsausschuss aber den Unterschied zwischen dem nicht festgesetzten materiell-rechtlichen Mindestunterhaltsanspruch und der Verbesserung der prozessualen Situation der Kinder betont (Bericht des RA, BT-Dr 13/9596, S. 31). Angesichts des auch im Gesetz zum Ausdruck gekommenen Willens des Gesetzgebers kann daher aus § 645 ZPO kein Mindestbedarf in entsprechender Höhe hergeleitet werden. Soweit in der Literatur gelegentlich befürwortet wird (Johannsen/Henrich/Graba, § 1610 Rdnr. 17, und § 1612a Rdnr. 12; Graba, NJW 2001, 249 [253]), die Regelung des vereinfachten Verfahrens aus Gründen des Gleichklangs ins Klageverfahren zu übernehmen, vermag der Senat dem nicht zu folgen. Ein vorausgegangenes vereinfachtes Verfahren kann weder Wirkungen für den materiellen Unterhaltsbedarf und -anspruch noch für die Darlegungs- und Beweislast im streitigen Prozess begründen.

c) Der Senat folgt andererseits auch nicht der vom OLG und Teilen der Rechtsprechung und Literatur (OLG Hamburg, FamRZ 2000, 1431; OLG Stuttgart [18. Zivilsenat], FamRZ 2000, 376; abweichend davon OLG Stuttgart [16. Zivilsenat], Urt. v. 6. 9. 2001 - 16 UF 146/01; Göppinger/Wax/Strohal, UnterhaltsR, 7. Aufl., Rdnr. 362); Kleinle, ZfJ 1998, 225; Lipp/Wagenitz, Das neue KindschaftsR, § 1612a Rdnr. 13; Luthin, FF 1999, 105 [107] mit eingehender Darstellung des Streitstands u. Nachw.; ders., FamRZ 2001, 334 [335]; Rühl/Greßmann, Kindesunterhaltsgesetz, Rdnrn. 58ff.; vgl. weiter den Überblick bei Miesen, Neuere Entwicklung im Familienrecht bis Herbst 2001, FF Sonderheft 2001, 4) vertretenen Auffassung, dass es geboten sei, an Stelle des im Unterhaltsrecht seit 1. 7. 1998 nicht mehr definierten Mindestbedarfs nunmehr auf das von der Bundesregierung auf der Grundlage des Sozialhilfebedarfs ermittelte, steuerfrei zu stellende rechtliche Existenzminimum eines Kindes abzustellen (für das Jahr 1996: 524 DM [BT-Dr 13/381, S. 4]; für das Jahr 1999: 558 DM [BT-Dr 13/9561, S. 4]; für das Jahr 2001: 564 DM [BT-Dr 14/1926, S. 5]). Aus dem für alle Kinder bis 18 Jahre unterschiedslos ermittelten Existenzminimum sollten gestaffelte Werte für die drei Altersstufen nach § 1612a III BGB errechnet werden (vgl. die Berechnung bei Rühl/Greßmann, Rdnrn. 58ff.). Die gewonnenen Ergebnisse entsprächen allerdings nicht den Beträgen der Düsseldorfer Tabelle, sondern lägen je nach Altersstufe im Bereich der Einkommensgruppen 4 bis 6. Deshalb sollte im Wege der Interpolation der Mindestbedarf einheitlich nach der Einkommensgruppe 5 festgesetzt werden, wie es hier auch das OLG vorgeschlagen hat.

aa) Für diese Auffassung wird teilweise angeführt, der Rechtsausschuss habe die aus dem Bericht der Bundesregierung vom 2. 2. 1995 ersichtlichen durchschnittlichen Sozialhilfebeträge ausdrücklich als Existenzminimum von Kindern bezeichnet. Deshalb seien in einem Nicht-Mangelfall mindestens diese Sätze geschuldet (Kleinle, ZfJ 1998, 226). Diese Ansicht widerspricht den bereits dargelegten Beratungen des Ausschusses, der bewusst von der Festsetzung eines Mindestunterhalts in Höhe des Existenzminimums abgesehen hat (Gegenäußerung der BReg., BT-Dr 13/7338, S. 59; Bericht des RA, BT-Dr 13/9596, S. 31).

bb) Auch die Rechtsprechung des BVerfG zur steuerrechtlichen Freistellung des Existenzminimums und zum Familienleistungsausgleich (vgl. nur BVerfG, NJW 1999, 557 = FamRZ 1999, 285, und NJW 1999, 561 = FamRZ 1999, 291) zwingt nicht zur Annahme eines entsprechenden Mindestbedarfs. Danach müsse dem Steuerpflichtigen von seinem Einkommen so viel verbleiben, wie er zur Bestreitung seines notwendigen Lebensunterhalts bedürfe (Existenzminimum). Verfassungsrechtlicher Prüfungsmaßstab sei der sich aus Art. 1 i.V. mit Art. 20 I GG ergebende Grundsatz, dass der Staat dem Steuerpflichtigen sein Einkommen insoweit steuerfrei belassen müsse, als es zur Schaffung der Mindestvoraussetzungen für ein menschenwürdiges Dasein benötigt werde (BVerfGE 82, 60 [85] = NJW 1990, 2869; BVerfG, NJW 1999, 561 = FamRZ 1999, 291 [292]). Der existenznotwendige Bedarf bilde von Verfassungs wegen die Untergrenze für den Zugriff durch die Einkommensteuer (BVerfGE 87, 153 [169] = NJW 1992, 3153; BVerfG, NJW 1999, 561 = FamRZ 1999, 291 [292]). Art. 6 I GG gebiete darüber hinaus, dass bei der Besteuerung einer Familie das Existenzminimum sämtlicher Familienmitglieder steuerfrei bleiben müsse (BVerfG, NJW 1999, 597 = FamRZ 1999, 285 [287]; NJW 1999, 561 = FamRZ 1999, 291 [292], jew. m.w.Nachw.). Dabei müssten die von Verfassungs wegen zu berücksichtigenden existenzsichernden Aufwendungen nach dem tatsächlichen Bedarf - realitätsgerecht - bemessen werden (BVerfGE 91, 93 [111] = NJW 1994, 2817; BVerfG, NJW 1999, 561 = FamRZ 1999, 291 [292] m.w.Nachw.). Dessen Untergrenze sei durch die Sozialhilfeleistungen konkretisiert, die das im Sozialstaat anerkannte Existenzminimum gewährleisten sollten, verbrauchsbezogen ermittelt und auch regelmäßig den veränderten Lebensverhältnissen angepasst werden. Mindestens das, was der Gesetzgeber dem Bedürftigen zur Befriedigung seines existenznotwendigen Bedarfs aus öffentlichen Mitteln zur Verfügung stelle, müsse er auch dem Einkommensbezieher von dessen Erwerbsbezügen belassen (BVerfGE 87, 153 [171] = NJW 1992, 3153; BVerfGE 91, 93 [111] = NJW 1994, 2817; BVerfG, NJW 1999, 561 = FamRZ 1999, 291 [292]). Letzteres gelte sinngemäß für die Ermittlung des sächlichen Existenzminimums von Kindern (BVerfGE 82, 60 [93f.] = NJW 1990, 2869), bei denen allerdings nach der neueren Rechtsprechung zusätzlich ab 1. 1. 2000 ein Betreuungsbedarf und ab 1. 1. 2002 auch der Erziehungsbedarf im Rahmen des steuerlichen Existenzminimums der Kinder zu berücksichtigen sei (BVerfGE 99, 216 [233f., 240f., 242] = NJW 1999, 557).

Diese Grundsätze werden bei der Festlegung eines Mindestbedarfs teilweise auf das Unterhaltsrecht übertragen (OLG Stuttgart, FamRZ 2000, 376; OLG Hamburg, FamRZ 2000, 1431; Göppinger/Wax/Strohal, Rdnr. 362; Kleinle, ZfJ 1998, 225; Lipp/Wagenitz, § 1612a Rdnr. 13; Luthin, FF 1999, 105 [107] m.w.Nachw.; ders., FamRZ 2001, 334 [335]; Rühl/Greßmann, Rdnrn. 58ff.; Miesen, S. 4f.), vereinzelt unter Hinweis auf die der Sozialhilfe vorrangige Verwandtenunterhaltspflicht (Graba, NJW 2001, 249 [251f.]). Dabei werden jedoch die unterschiedliche Struktur und Funktion des zivilrechtlichen Unterhaltsrechts auf der einen Seite sowie des Einkommensteuer- und Sozialhilferechts auf der anderen Seite nicht ausreichend beachtet.

Die Entscheidungen des BVerfG zum Existenzminimum und zum Familienleistungsausgleich betreffen das Verhältnis des Staates zu seinen Bürgern. Das BVerfG fordert, dass der verminderten Leistungsfähigkeit der Bürger, die Kindern unterhaltspflichtig sind, durch eine entsprechende steuerliche Entlastung im Vergleich zu kinderlosen Steuerzahlern Rechnung getragen wird. Der sozialhilferechtlich anerkannte Bedarf als dafür entscheidende Bemessungsgröße ist nahe liegend, da diese pauschalierenden Sätze nach dem Verständnis des Sozialstaates und dem Sozialrecht das Existenzminimum zur Sicherung eines menschenwürdigen Daseins sichern. Aus den Entscheidungen ergeben sich also in erster Linie Pflichten des Staates, während sich zivilrechtliche Unterhaltsansprüche nach wie vor nach den Regelungen im Verwandtenunterhaltsrecht richten (Wendl/Scholz, § 2 Rdnr. 127b).

cc) Anders als der im Steuerrecht für alle gleichmäßig festzusetzende, gegenüber dem Zugriff des Staates geschützte Grenzbetrag geht das Unterhaltsrecht von einem individuell zu bemessenden Unterhaltsanspruch aus. Im Verwandtenunterhalt bestimmt sich das Maß des zu gewährenden angemessenen Unterhalts grundsätzlich nach der Lebensstellung des Bedürftigen (§ 1610 I BGB). Jedoch wird Unterhalt nicht geschuldet, soweit der Unterhaltspflichtige bei Berücksichtigung seiner sonstigen Verpflichtungen ohne Gefährdung seines eigenen angemessenen Unterhalts zur Zahlung außer Stande ist (§ 1603 I BGB). Das Recht des Kindesunterhalts ist dadurch gekennzeichnet, dass minderjährige Kinder ohne Einkünfte keine eigene unterhaltsrechtlich relevante Lebensstellung i.S. des § 1610 II BGB besitzen. Sie leiten ihre Lebensstellung vielmehr von derjenigen ihrer unterhaltspflichtigen Eltern ab. Wird das Kind von einem Elternteil versorgt und betreut und leistet der andere Teil Barunterhalt, so bestimmt sich die Lebensstellung des Kindes grundsätzlich nach den Einkommens- und Vermögensverhältnissen des barunterhaltspflichtigen Elternteils. An dieser individuellen Bemessung des zivilrechtlichen Unterhaltsanspruchs hat die Rechtsprechung des BVerfG zur steuerlichen Freistellung des Existenzminimums nichts geändert. Ist nach diesen unterhaltsrechtlichen, dem § 1610 I BGB zu entnehmenden Grundsätzen, der Unterhaltspflichtige (und auch ein anderer unterhaltspflichtiger Verwandter) nicht in der Lage, das sozialhilferechtlich ermittelte Existenzminimum sicherzustellen, so hat insoweit der Staat im Hinblick auf das Sozialstaatsprinzip die notwendigen Leistungen zu erbringen. Soweit dagegen der Unterhaltspflichtige den Unterhalt selbst sicherstellen kann, ist die Sozialhilfe subsidiär.

Im Übrigen zeigt die gerichtliche Praxis, dass das sozialhilferechtliche Existenzminimum, das als Bedarf nach der Einkommensgruppe 5 (um berufsbedingte Aufwendungen bereinigtes Nettoeinkommen 1998 bis Juni 2001 mindestens 3500 DM, ab Juli 2001 mindestens 3720 DM) angesetzt wird, von der Mehrzahl der Barunterhaltspflichtigen nicht geleistet werden kann. Dies wusste auch der Gesetzgeber, als er auf die Festsetzung eines entsprechenden Mindestbedarfs verzichtete (Gegenäußerung der BReg., BT-Dr 13/7338, S. 60).

dd) Die Rechtsprechung hat zwar an den früher kodifizierten Mindestbedarf eine Reihe von Folgen geknüpft. So konnte etwa im Wege der einstweiligen Verfügung nur der Mindestbedarf als Notunterhalt verlangt werden. Diese Funktion hat jedoch nach dem In-Kraft-Treten des Kindesunterhaltsgesetzes an Bedeutung verloren (so auch Luthin, FamRZ 2001, 334 [336]). Denn nach § 644 ZPO kann nunmehr im Unterhaltsprozess und weiterhin während eines Scheidungsverfahrens nach § 620 ZPO Unterhalt im Wege einstweiliger Anordnung und damit ohne die zeitlichen und betragsmäßigen Beschränkungen der einstweiligen Verfügung geltend gemacht werden (OLG Zweibrücken, NJWE-FER 1999, 67 = FamRZ 1999, 662).

Auch soweit die oberlandesgerichtliche Rechtsprechung bisher den gesetzlich festgelegten Mindestbedarf im Mangelfall als Einsatzbetrag herangezogen hat (vgl. nur Düsseldorfer Tabelle [Stand 1. 1. 1996], NJW-Beil. 1996, 5 = FamRZ 1995, 1323 [1324 unter C]), nötigt dies nicht zu einer Festschreibung des Existenzminimums als Mindestbedarf. Die Ermittlung des zu leistenden Unterhalts mit Hilfe von Einsatzbeträgen, beispielsweise der Unterhaltsbedarfssätze der Düsseldorfer Tabelle, beruht nicht auf einer mathematisch exakten Rechenoperation, die das Gesetz auch in §§ 1610 II, 1603 I BGB nicht vorsieht. Vielmehr sind die Werte nur Hilfsmittel für die Unterhaltsbemessung. Deshalb ist das mit ihrer Hilfe gewonnene Ergebnis nach den jeweiligen Umständen des Einzelfalls stets auf seine Angemessenheit und Ausgewogenheit hin zu überprüfen, und zwar gleichgültig, ob es sich um einen Mangelfall handelt oder nicht (Senat, NJW 2000, 3140 = LM H. 1/2001 § 1578 BGB Nr. 69 = FamRZ 2000, 1492 [1493]). Die Vorgehensweise für die Berechnung der Unterhaltsansprüche im Mangelfall ist daher von der Festsetzung eines Mindestbedarfs nicht abhängig.

Von maßgeblicher Bedeutung war der gesetzliche Mindestbedarf gem. § 1610 III BGB a.F. allerdings für die Darlegungs- und Beweislast. Da der Regelunterhalt als Mindestbedarf „galt“, war eine weitere Darlegung der Bedarfshöhe nicht erforderlich (st.Rspr., vgl. nur Senat, NJWE-FER 1998, 64 = FamRZ 1998, 357 [359]). Nach Aufhebung dieser Vorschrift könnte die allgemeine Darlegungs- und Beweislast für Unterhaltsansprüche eingreifen. Das minderjährige Kind wäre für die bedarfsprägenden Lebensverhältnisse des barunterhaltspflichtigen Elternteils und dessen Leistungsfähigkeit in vollem Umfange darlegungs- und beweispflichtig (so Klinkhardt, DAVorm 1998, 655). Dies würde eine Verschlechterung der unterhaltsrechtlichen Position minderjähriger Kinder bedeuten, die der Intention des Gesetzgebers zuwider liefe, der mit dem Kindesunterhaltsgesetz die rechtliche Situation unterhaltsbedürftiger Kinder verbessern wollte. In der Begründung zum Regierungsentwurf wird ausdrücklich darauf hingewiesen, dass in Höhe des Regelunterhalts das Kind von der Darlegungs- und Beweislast für seinen Bedarf sowie für die Leistungsfähigkeit des Unterhaltsverpflichteten befreit sein solle (BT-Dr 13/7338, S. 19). Dieses Ziel ist auch mit der im Regierungsentwurf noch vorgesehenen Formulierung des § 1612a I 1 BGB-E „Ein minderjähriges Kind kann … den Regelunterhalt verlangen.“ (RegE, BT-Dr 13/7338, S. 5) zum Ausdruck gekommen. Als in den Beratungen des Rechtsausschusses auf den Anspruch auf Regelunterhalt verzichtet wurde, hat man dessen Funktion für die Darlegungs- und Beweislast übersehen. Der Rechtsausschuss hat ausgeführt, ein materiell-rechtlicher Anspruch auf einen das Existenzminimum nicht abdeckenden und nur unter den Gesichtspunkten der Leistungsfähigkeit zu rechtfertigenden Regelunterhalt erscheine zur Verwirklichung der Reformziele nicht erforderlich (Bericht des RA, BT-Dr 13/9596 S. 31). Daraus lässt sich nur herleiten, dass der Gesetzgeber jedenfalls nicht zu Lasten des Kindes von der bisherigen Rechtslage abweichen und ihm die Beweiserleichterung im Rahmen des Regelbetrags nehmen wollte. Es kann aber nicht geschlossen werden, dass der Gesetzgeber das Kind bis zur Höhe des Existenzminimums vollständig von der Darlegungs- und Beweislast freistellen wollte (i. E. ebenso Eschenbruch/Wohlgemuth, Rdnr. 3025).

Soweit der bisherige Mindestbedarf als „relative Grenze“ für die Berücksichtigung von Drittverbindlichkeiten des Unterhaltsschuldners herangezogen wurde, rechtfertigt und erfordert dies ebenfalls keine Festsetzung eines Mindestbedarfs. Aus § 1603 I BGB ergibt sich, dass es nicht schlechthin ausgeschlossen ist, Verbindlichkeiten des Unterhaltsschuldners bei der Bemessung des Unterhalts zu berücksichtigen. Dies galt vor dem 1. 7. 1998 auch dann, wenn der Mindestunterhalt nach § 1610 III BGB a.F. nicht gewahrt werden konnte (st.Rspr., vgl. nur Senat, NJW 1984, 2351 = FamRZ 1984, 657 [659], und NJW-RR 1986, 428 = FamRZ 1986, 254 [257]). Allerdings war in diesen Fällen die Berücksichtigung von Verbindlichkeiten nur in Ausnahmefällen möglich, insbesondere deshalb, weil den Kindern, denen der Verpflichtete nach § 1603 II 1 BGB verschärft unterhaltspflichtig ist, jegliche Möglichkeit fehlt, durch eigene Anstrengungen zur Deckung des notwendigen Unterhaltsbedarfs beizutragen (Senat, NJW 1992, 1624 = LM H. 9/1992 § 1603 BGB Nr. 43 = FamRZ 1992, 797 [798]).

Auch nach Wegfall des Mindestbedarfs hat eine umfassende Interessenabwägung zu erfolgen. Dabei bleiben die in der Rechtsprechung herausgearbeiteten Gesichtspunkte unabhängig vom nicht mehr bestimmten Mindestbedarf von Bedeutung.

3. Auch nach dem 1. 1. 2001 ist ein Mindestbedarf für das Kind gesetzlich nicht festgelegt (so auch OLG Hamm, Urt. v. 9. 11. 2001 - 12 UF 43/01; Heger, FamRZ 2001, 1409 [1412]; Soyka, FamRZ 2001, 740; Wendl/Scholz, Nachtrag zu § 2 zu Rdnr. 2/127b; Scholz, FamRZ 2000, 1541 [1545]). Zu diesem Zeitpunkt ist das Gesetz zur Ächtung der Gewalt in der Erziehung und zur Änderung des Kindesunterhaltsrechts vom 2. 11. 2000 (BGBl I, 1479) hinsichtlich der unterhaltsrechtlichen Bestimmungen in Kraft getreten. Dadurch wurde § 1612b V BGB insoweit geändert, als eine Anrechnung des Kindergeldes bereits dann unterbleibt, wenn der Unterhaltspflichtige außer Stande ist, Unterhalt in Höhe von 135% des Regelbetrags nach der Regelbetrag-VO zu leisten. Daraus wird in Rechtsprechung und Literatur überwiegend gefolgert, dass nunmehr der gesetzliche Mindestbedarf bei 135% des Regelbetrags nach der Regelbetrag-VO liege (OLG München, FamRZ 2002, 52; OLG Stuttgart [16. Zivilsenat], Urt. v. 6. 9. 2001 - 16 UF 146/01; Gerhardt, FamRZ 2001, 73; Graba, NJW 2001, 249 [252f.]; Luthin, FamRZ 2001, 334 [336]; Miesen, FF Sonderheft 2001, 4 m.w.Nachw.; Vossenkämper, FamRZ 2000, 1547 [1551]; Wohlgemuth, FamRZ 2001, 742 [744]).

a) Den Vertretern dieser Auffassung ist einzuräumen, dass der Gesetzgeber mit der Änderung des § 1612b V BGB beabsichtigt hat, das Barexistenzminimum des Kindes zu sichern (Bericht des RA, BT-Dr 13/3781, S. 8). Dies war allerdings nicht der Ausgangspunkt für die erst im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens zum Gesetzentwurf zur Ächtung der Gewalt in der Erziehung vorgenommene Änderung (Bericht des RA, BT-Dr 14/3781, S. 6). Vielmehr wurde auf die Entscheidung des BVerfG vom 10. 11. 1998 (NJW 1999, 557 = FamRZ 1999, 285) Bezug genommen, in der es - unabhängig von der Art der Betreuung - den Betreuungsbedarf der Kinder stets als Bestandteil des Existenzminimums angesehen hat (BVerfG, NJW 1999, 557 = FamRZ 1999, 285 [288]). Ein entsprechender Steuerfreibetrag wurde zum 1. 1. 2000 durch das Familienförderungsgesetz eingeführt. In Ergänzung dazu sollten die Alleinerziehenden nun auch unterhaltsrechtlich entlastet werden. Nur durch eine unterhaltsrechtliche Neuregelung könne sichergestellt werden, dass das Existenzminimum des Kindes nicht nur steuerrechtlich freigestellt, sondern auch Anknüpfungspunkt für die Verteilung bzw. Verwendung des Kindergeldes werde (Bericht des RA, BT-Dr 14/3781, S. 7). Eine Regelung, die das hälftige Kindergeld beim Barunterhaltspflichtigen belasse, selbst wenn dieser das Existenzminimum des Kindes noch nicht sichergestellt habe, sei kaum mehr zu rechtfertigen. Um die Unterhaltsberechnung nicht noch weiter zu erschweren, seien 135% des Regelbetrags als Grenze anzusetzen. Mit diesem Prozentsatz werde an den Barunterhalt in Höhe des Existenzminimums in allen Altersstufen angeknüpft und eine bruchlose Umsetzung der Anwendung der Düsseldorfer Tabelle gewährleistet (Bericht des RA, BT-Dr 14/3781, S. 8).

b) Dieser Ausgangspunkt des Gesetzgebers verdeutlicht die bereits im Gesetz angelegte Systematik. § 1612b BGB regelt allein die Anrechnung staatlicher kindbezogener Leistungen auf den Kindesunterhalt.

Bereits vor Einführung des § 1612b BGB betraf der Ausgleich des Kindergeldes nach der Rechtsprechung des Senats, an der festgehalten wird, nur das Verhältnis der Ehegatten zueinander und hatte für die Berechnung des Unterhaltsbedarfs des Kindes keine Bedeutung (Senat, NJW 1997, 1919 = LM H. 8/1997 § 1578 BGB Nr. 65 = FamRZ 1997, 806 [808]). Staatliches Kindergeld wird gewährt, um die Unterhaltslast der Eltern gegenüber ihren Kindern zu erleichtern. Diese öffentlich-rechtliche Zweckbestimmung als eine entlastende Leistung darf nicht dadurch in ihr Gegenteil verkehrt werden, dass sie - im Wege einer Zurechnung zum Einkommen des Unterhaltspflichtigen - zu einer Erhöhung des Unterhaltsbedarfs führt (Senat, BGHZ 70, 151 [153] = NJW 1978, 753). Beim Ausgleichsanspruch eines Ehegatten gegen den anderen handelt es sich um einen Unterfall des von der Rechtsprechung entwickelten besonderen familienrechtlichen Ausgleichsanspruchs (Senat, NJW 1997, 1919 = LM H. 8/1997 § 1578 BGB Nr. 65 = FamRZ 1997, 806 [809]), der nunmehr in § 1612b BGB kodifiziert ist.

Der Ausgleich vollzieht sich aus Vereinfachungsgründen zwar meist über die Unterhaltszahlungen des barunterhaltspflichtigen Elternteils für das Kind. Das ändert jedoch nichts daran, dass es um ein eigenes Recht des jeweiligen Elternteils geht, der den anderen daher auch unmittelbar auf Auszahlung des anteiligen Kindergeldes in Anspruch nehmen kann (Senat, NJW 1988, 1720 = FamRZ 1988, 607 [609], und NJW 1988, 2375 = FamRZ 1988, 834 m.w.Nachw.). Grundsätzlich ordnet § 1612b I und II BGB den hälftigen Ausgleich des Kindergelds an, der im Wege der Anrechnung auf den Barunterhaltsanspruch erfolgt. Bereits § 1612b V BGB in der Fassung des Kindesunterhaltsgesetzes sah eine Beschränkung der Anrechnungsmöglichkeit vor, wenn der barunterhaltspflichtige Elternteil nicht den vollen Regelbetrag als Unterhalt leisten konnte. Im Ergebnis wurde der barunterhaltspflichtige Elternteil dadurch so gestellt, als habe er das Kindergeld in Höhe des nicht angerechneten Teils erhalten und für den Kindesunterhalt verwenden müssen (RegE z. KindUG, BT-Dr 13/7338, S. 30).

c) In Kenntnis dieser Rechtsprechung und der Gesetzesgeschichte des Kindesunterhaltsgesetzes hat der Gesetzgeber nur den Ausgleichsanspruch zwischen den Ehegatten geändert. Er hat - wie sich aus der Begründung ergibt - mit der Bezugnahme auf das verfassungsrechtliche Existenzminimum das rechtspolitische Anliegen verfolgt, unterhaltsrechtlich den betreuenden Elternteil zu entlasten (Graba, NJW 2001, 249 [251]). Es ging dem Gesetzgeber nicht um die Festlegung eines Mindestunterhalts der Kinder, auch wenn deren Existenzminimum möglichst gesichert werden soll. Vielmehr hat er eine Frage der Familienleistungsförderung geregelt, indem dem barunterhaltspflichtigen Elternteil zugemutet wird, notfalls seinen Kindergeldanteil zur Unterhaltssicherung einzusetzen. Das Kindergeld soll der Entlastung für tatsächlich erbrachte Unterhaltsleistungen und nicht der Unterstützung weniger zahlungsfähiger Elternteile dienen (Heger, FamRZ 2001, 1409 [1413]). Eine Leistung des Staates wird daher in diesen Fällen dem Leistungsempfänger indirekt wieder entzogen. Mit dem zivilrechtlichen Anspruch des Kindes gegen den barunterhaltspflichtigen Elternteil hat dies unmittelbar nichts zu tun (so auch Heger, FamRZ 2001, 1409 [1412]; Soyka, FamRZ 2001, 740; Scholz, FamRZ 2000, 1541 [1545]). Es kann dahinstehen, ob § 1612b V BGB verfassungsgemäß ist (vgl. zur Problematik nur Vorlagebeschl. des AG Kamenz, FamRZ 2001, 1090; Scholz, FamRZ 2000, 1541 [1543f.]; w. Nachw. bei Heger, FamRZ 2001, 1409). Das Anliegen des Gesetzgebers, den Barunterhalt des Kindes in Höhe des Existenzminimums möglichst sicherzustellen (vgl. auch BVerfG, NJWE-FER 2001, 147 = FamRZ 2001, 541), kann der Anrechnungsbestimmung entnommen werden. Der Festlegung eines entsprechenden Mindestunterhalts bedarf es dazu nicht. § 1612b V BGB wäre dazu auch systematisch nicht der richtige Ort. Vielmehr würde eine solche Regelung - wie vor In-Kraft-Treten des Kindesunterhaltsgesetzes - in den § 1610 BGB gehören. Die Anrechnungsvorschrift des § 1612b V BGB spiegelt dagegen nur die verfassungsrechtlich gebotene, auf einheitlichen Pauschalbeträgen beruhende Entlastung der unterhaltspflichtigen Eltern wider und regelt den zivilrechtlichen Ausgleich dieses Vorteils zwischen ihnen. In einem Spannungsverhältnis dazu steht der nach § 1610 I BGB am individuellen Einkommen der Eltern ausgerichtete Unterhaltsanspruch des Kindes. Durch das Unterbleiben der Anrechnung wird eine Brücke zwischen diesen Polen geschlagen, aber nicht der Individualanspruch zu Gunsten eines allgemeinen Pauschalbetrags aufgegeben (Heger, FamRZ 2001, 1409 [1412]).

Danach durfte das OLG nicht unabhängig vom Einkommen des Bekl. und dessen Verbindlichkeiten ohne weiteres von einem Unterhaltsbedarf der Kinder nach der Einkommensgruppe 5 der Düsseldorfer Tabelle ausgehen, sondern hätte den Bedarf nach dem unterhaltsrelevanten Einkommen ermitteln müssen. Bei vollständiger Berücksichtigung der - für die Revision als ehebedingt unterstellten - Verbindlichkeiten des Bekl. ergäbe sich ein Unterhaltsbedarf der Kinder nach der Einkommensgruppe 3 der Düsseldorfer Tabelle.

B. Der Senat kann in der Sache nicht abschließend entscheiden.

Verbindlichkeiten können auf Grund einer umfassenden Interessenabwägung unter Berücksichtigung von Zweck, Art und Umfang der Verbindlichkeit sowie Zeitpunkt und Umständen ihrer Entstehung, teilweise oder vollständig bei der Bemessung des Unterhaltsbedarfs zu berücksichtigen sein. Auf Seiten der Kl. ist zu bedenken, dass minderjährige Kinder keine Möglichkeit haben, durch eigene Anstrengungen zur Deckung ihres Unterhaltsbedarfs beizutragen (Senat, NJW-RR 1996, 321 = FamRZ 1996, 160 [161]). Es hat ein angemessener Ausgleich zwischen den Interessen des Unterhaltsgläubigers, des Unterhaltsschuldners und der Drittgläubiger zu erfolgen, gegebenenfalls auch durch eine Streckung der Tilgung (Senat, NJW-RR 1986, 428 = FamRZ 1986, 254 [257]). Da für die Interessenabwägung von entscheidender Bedeutung ist, ob die Verbindlichkeiten ehebedingt sind oder - wie die Kl. behauptet - allein der Befriedigung der persönlichen Bedürfnisse des Bekl. dienen, hat das OLG zunächst diese Feststellungen zu treffen und sodann die erforderliche Abwägung vorzunehmen.

Sollte sich dabei ergeben, dass der Bekl. zur Unterhaltsleistung in einer Höhe verpflichtet ist, die es nicht erlaubt, den angemessenen Selbstbehalt zu wahren, wird bei der Beurteilung, ob die Kl. anteiligen Barunterhalt zu leisten hat, zu berücksichtigen sein, dass sie unstreitig überwiegend die Finanzierung des Hauses sicherstellt und damit bereits zur Deckung des Wohnbedarfs der Kinder beiträgt.

Bei der neuen Entscheidung wird das Gericht auch das zum 1. 1. 2000 auf monatlich 270 DM erhöhte staatliche Kindergeld zu berücksichtigen haben.

Rechtsgebiete

Ehe- und Familienrecht