Unterhalt und Alkoholsucht II
Gericht
OLG Bamberg
Art der Entscheidung
Berufungsurteil
Datum
11. 03. 1997
Aktenzeichen
7 UF 50/96
Der Berechtigte hat seine Bedürftigkeit durch Alkoholmißbrauch nur dann mutwillig herbeigeführt, wenn er sich von Vorstellungen und Antrieben hat leiten lassen, die ihn nicht nur in die Alkoholabhängigkeit schlechthin geführt haben, sondern die sich darüber hinaus unterhaltsbezogen auf die Herbeiführung seiner Bedürftigkeit als Folge unvernünftigen Verhaltens erstreckt haben. Hieran fehlt es, wenn der Alkoholmißbrauch auf eine Labilität des Berechtigten zurückzuführen ist, die es diesem wegen seiner Charakterschwäche nicht ermöglicht, seinem Alkoholmißbrauch entgegenzusteuern und Maßnahmen zu dessen Bekämpfung zu ergreifen.
Der Kl. hat gegen die Bekl. gemäß § 1361 I, II BGB Anspruch auf nach den ehel. Lebensverhältnissen der Parteien angemessenen Unterhalt, und zwar dem Grunde nach uneingeschränkt.
Der vom Senat zur Klärung der Erwerbsfähigkeit des Kl. beigezogene Sachverständige [SV] P., Facharzt für Neurologie und Psychiatrie, ist mit überzeugenden Erwägungen zu dem Ergebnis gelangt, daß der Kl. derzeit und auf Dauer infolge Alkoholmißbrauchs erwerbsunfähig ist und dies auch im zurückliegenden Zeitraum, jedenfalls mindestens seit 1994, war. Dieses Beweisergebnis wurde von der Bekl. nicht in Zweifel gezogen. Es ist deshalb für den gesamten verfahrensgegenständlichen Zeitraum von der Bedürftigkeit des Kl. in voller Höhe des von ihm geltend gemachten Unterhaltsanspruchs auszugehen.
Diesen Unterhaltsanspruch hat der Kl. nach dem weiteren Ergebnis der Beweisaufnahme des OLG weder ganz noch teilweise verwirkt.
Als Rechtsgrundlagen für eine Herabsetzung oder gar für einen Wegfall des Trennungsunterhaltsanspruchs des Kl. kämen nach Sachlage allenfalls die gemäß § 1361 III BGB analog anzuwendenden Regelungen in Nr. 3 und 5 zu § 1579 BGB in Betracht, d. h. die Ausschluß- bzw. Herabsetzungsgründe der mutwilligen Herbeiführung der Bedürftigkeit durch den Kl. bzw. der über längere Zeit hinweg begangenen gröblichen Verletzung der Verpflichtung des Berechtigten, zum Familienunterhalt beizutragen. Die Voraussetzungen beider Vorschriften liegen nach dem Ergebnis der Berufungsverhandlung jedoch eindeutig nicht vor.
Für die Anwendung des § 1579 Nr. 3 BGB kommt es bei Alkoholabhängigkeit und sich daraus ergebender Erwerbsunfähigkeit entscheidend darauf an, ob der Bedürftige nach der Trennung darauf verwiesen werden konnte, seinen Unterhalt selbst zu verdienen, und ob er sich dennoch durch Alkoholmißbrauch mutwillig außerstande gesetzt hat, einer eigenen Erwerbstätigkeit nachzugehen. "Mutwilligkeit" in diesem Sinne liegt wiederum nur dann vor, wenn der Anspruchsteller sich von "Vorstellungen und Antrieben" leiten hat lassen, die ihn nicht nur in Alkoholabhängigkeit schlechthin geführt haben, sondern sich darüber hinaus unterhaltsbezogen auf den Eintritt bzw. auf die Herbeiführung seiner Bedürftigkeit als Folge unvernünftigen Verhaltens erstreckt haben (vgl. BGH, FamRZ 1987, 359 f.; 1981, 1042 f.).
Diese strengen Voraussetzungen einer völligen oder teilweisen oder auch nur zeitlich befristeten (teilweisen) Verwirkung des Getrenntlebensunterhaltsanspruchs des Kl. hat die insoweit darlegungs- und beweispflichtige Bekl. nicht einmal hinreichend dargetan, erst recht nicht unter geeigneten Beweis gestellt. Sie trägt zusammengefaßt hierzu lediglich pauschal "langjährigen Alkoholmißbrauch" des Kl. vor, der "spätestens seit 1992 keiner Erwerbstätigkeit mehr nachgegangen sei und sich dennoch weder um den Haushalt noch um die Kinder der Parteien gekümmert" habe. Von der Bekl. angeregte Maßnahmen zur ärztlichen Behandlung seiner Alkoholsucht habe der Kl. abgelehnt, obwohl sich seine Alkoholproblematik bereits Mitte der 80er Jahre anläßlich eines Verkehrsunfalls unter Alkoholeinfluß (1983) und anläßlich einer Trunkenheitsfahrt (§ 316 StGB; 1985) mit folgendem Führerscheinentzug manifestiert habe.
Dieser Vortrag der Bekl. genügt schon für sich gesehen den vom BGH entwickelten, vorstehend zitierten Verwirkungskriterien nicht einmal annähernd; bereits daran scheitert der Verwirkungseinwand der Bekl.
Auf weiteren diesbezüglichen Sachverhalt hinzuwirken war dennoch nicht veranlaßt, weil für den Senat entscheidend hinzukommt, daß der vom OLG primär zur Überprüfung der Erwerbsunfähigkeit des Kl. beigezogene SV mit einleuchtenden Argumenten ferner zu dem Ergebnis gelangt ist, die dem Kl. nunmehr zu attestierende "alkoholtoxische Polyneuropathie" sei maßgeblich auf die "Haltschwäche" des Kl. zurückzuführen; der SV leitet dies u. a. aus der "Ehe- und Sozialanamnese" des Kl. her, mit der er sich anläßlich der eingehenden Exploration des Kl. am 14. 11. 1996 sowie anläßlich eines am 15. 11. 1996 beim Kl. durchgeführten Hausbesuches befaßt hat; verstärkend wirke der eigentliche medizinisch-psychiatrische Befund. Danach ist der Kl. schon "in der längeren Vergangenheit", also -insoweit entsprechend der Darstellung der Bekl. - weit vor Akutwerden der Trennung der Parteien anlagebedingt in Alkoholabhängigkeit geraten und er war schon in dieser Phase des sukzessiven Abgleitens - trotz damals möglicherweise noch vorhandener Einsichtsfähigkeit - wegen seiner Charakterschwäche nicht imstande, seinem Alkoholmißbrauch wirksam und vor allem dauerhaft gegenzusteuern. Zweifelsfrei war der Kl. deshalb nach dem zuverlässig erscheinenden Gutachten des SV jedenfalls in der Phase der Anbahnung der erst Anfang 1994 erfolgten Trennung der Parteien wegen dieser anlagebedingten Persönlichkeitsstörung und der daraus resultierenden Willensschwäche nicht mehr in der Lage, seine die Erwerbsfähigkeit bzw. deren Wiederherstellung ausschließende Alkoholsucht wirksam zu bekämpfen; derzeit fehlt dem Kl. darüber hinaus sogar die diesbezügliche Einsichtsfähigkeit, wie sich bereits aus seinen Äußerungen gegenüber dem OLG im Termin am 4.2. 1997 entnehmen ließ. Danach ist der schon seinem äußeren Erscheinungsbild nach sichtlich durch langwährenden massiven Alkoholmißbrauch gezeichnete Kl. der festen Überzeugung, daß bei ihm ein ernsthaftes Alkoholproblem überhaupt nicht bestehe, obwohl er gerade wegen dieses Alkoholmißbrauchs mittlerweile bis in ein soziales "Randgruppendasein" abgeglitten ist, wie der SV P. anläßlich seines Hausbesuchs beim Kl. am 15.11. 1996 ermittelt und gegenüber dem OLG anschaulich geschildert hat.
Damit kann beim Kl. nach Maßgabe der vorstehend zitierten, vom BGH entwickelten Beurteilungskriterien nicht nur keine mutwillige Herbeiführung seiner Unterhaltsbedürftigkeit i. S. von § 1579 Nr. 3 BGB festgestellt werden, sondern es verbietet sich ferner die Anwendung des § 1579 Nr. 5 BGB, weil der Kl. wegen seiner - gutachterlich zuverlässig festgestellten - Willensschwäche im gesamten hier maßgeblichen Zeitraum bereits soweit dem Alkoholismus verfallen war, daß ihm soziales Verhalten schlechthin, jedenfalls mit der für die geordnete Führung eines Haushalts sowie zur sachgerechten Kinderbetreuung, vor allem zur Betreuung eines behinderten Kindes notwendigen Zuverlässigkeit und Stetigkeit nicht mehr möglich war. Selbst wenn der Kl. in dem von der Bekl. behaupteten Umfang seine Verpflichtung, zum Familienunterhalt beizutragen, vernachlässigt haben sollte, wäre diese Pflichtverletzung deshalb nicht leichtfertig, d. h. grob fahrlässig i. S. des § 1579 Nr. 5 BGB erfolgt, so daß jedenfalls selbst eine nur zeitlich befristete Kürzung seines Unterhaltsanspruchs auch aus diesem rechtlichen Gesichtspunkt nicht in Betracht kommt (vgl. BGH, FamRZ 1988, 375).
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