Unterhalt und Alkoholsucht I - Trunksucht als mutwillige Herbeiführung der Bedürftigkeit
Gericht
BGH
Art der Entscheidung
Revisionsurteil
Datum
08. 07. 1981
Aktenzeichen
IVb ZR 593/80
Die Parteien streiten über den Unterhalt während des Getrenntlebens. Sie haben am 10. 3. 1967 die Ehe geschlossen, aus der Kinder nicht hervorgegangen sind. Am 1. 4. 1977 haben sie sich einverständlich getrennt. Auf die Scheidungsklage des Bekl. vom 10. 5. 1977 ist die Ehe der Parteien seit 25. 1. 1980 rechtskräftig geschieden. Die 1945 geborene Kl., die gelernte Drogistin ist, war während der Ehe im wesentlichen Hausfrau und nicht erwerbstätig. Seit 1973 war sie in zunehmendem Maße dem Alkoholmißbrauch erlegen und litt schließlich an chronischem Alkoholismus. Am 14. 2. 1979 trat sie in einem Fachkrankenhaus eine Entziehungskur an. Bis dahin hatte sie mit einem anderen Mann zusammengelebt, dem sie sich im August 1977 zugewandt hatte. Der 1942 geborene Bekl., von Beruf Bauingenieur, ist als Kommanditist an der elterlichen Baufirma beteiligt. Er ist Eigentümer eines Achtfamilienhauses und hat ein monatliches Nettoeinkommen von 3000 DM. Anfangs hat er an die Kl. einen Trennungsunterhalt von 830 DM monatlich entrichtet, diese Zahlungen aber nach schriftlicher Ankündigung trotz Aufforderung der Kl., den angemessenen Unterhalt zu zahlen, mit Ablauf des Monats Oktober 1977 eingestellt. Auf die am 28. 6. 1978 zugestellte Klage hat das FamG der Kl. antragsgemäß für die Zeit vom 1. 11. 1977 bis einschließlich Juni 1978 einen rückständigen Unterhaltsbetrag von 4800 DM und ab 1. 7. 1978 einen laufenden monatlichen Unterhalt von 1000 DM zugebilligt. Das OLG hat das Urteil auf die Berufung des Bekl. hinsichtlich des laufenden Unterhalts dahin geändert, daß es der Kl. für die Zeit vom 1. 7. 1978 bis einschließlich 18. 2. 1979 über den mit einstweiliger Anordnung des FamG vom 12. 4. 1978 zuerkannten monatlichen Unterhaltsbetrag von 400 DM hinaus weitere 600 DM monatlich und ab 19. 2. 1979 bis zur Rechtskraft der Scheidungeinen monatlichen Unterhalt von 950 DM zugesprochen hat.
Die zugelassene Revision des Bekl. hatte Erfolg.
Das Rechtsmittel führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das BerGer.
I. Das BerGer. hat ausgeführt, daß die Kl. wegen des seit Jahren bestehenden chronischen Alkoholismus seit November 1977 bis auf weiteres in vollem Umfang arbeitsunfähig sei. Da sie auch sonst mittellos und daher bedürftig sei, könne sie gem. § 1361 I BGB den nach den ehelichen Lebensverhältnissen und den beiderseitigen Erwerbs- und Vermögensverhältnissen angemessenen Unterhalt verlangen. Dieser Unterhaltsanspruch sei nicht nach § 1361 II i. V. mit § 1579 I Nrn. 3 und 4 BGB aus Billigkeitsgesichtspunkten herabzusetzen oder auszuschließen. Die in § 1579 I Nr. 3 BGB vorausgesetzte mutwillige Herbeiführung der Bedürftigkeit sei im Sinne einer „absichtlichen, vorsätzlichen“ Verhaltensweise zu verstehen. Die Trunksucht der Kl. sei im Rahmen dieser Vorschrift nur dann von rechtlicher Bedeutung, wenn die Kl. - wenn auch nicht ausschließlich - sich dem Trunke ergeben oder ihren Alkoholmißbrauch beibehalten hätte, um ihre unterhaltsrechtliche Bedürftigkeit herbeizuführen oder aufrechtzuerhalten. Das sei jedoch nicht der Fall. Die Kl. habe mit dem Alkoholmißbrauch Ende 1973 nach dem Selbstmord ihres Bruders, dessentwegen sie sich Vorwürfe gemacht habe, sowie wegen ehebedingter Konfliktsituationen begonnen, die sie nicht habe bewältigen können und die bei ihr zu Depressionen und demonstrativen Selbstmordversuchen geführt hätten. Es könne als wahr unterstellt werden, daß der Bekl. in den letzten Jahren mannigfaltige Anstrengungen zur Heilung der Kl. von ihrem Alkoholismus unternommen, insbesondere sie schon früher zu einerAlkoholentziehungskur zu bestimmen versucht habe, und daß die Kl. diese Anstrengungen „unterlaufen“ habe. Denn sie sei krankheitsbedingt zwar nicht in ihrer Einsichtsfähigkeit, wohl aber in der Freiheit der Willensbildung und der Willensbetätigung erheblich eingeschränkt gewesen; es sei ihr aus eigener Kraft nicht möglich gewesen, den Alkoholkonsum zu kontrollieren oder ganz auf Alkohol zu verzichten. Deshalb könne in ihrer Handlungsweise eine Mutwilligkeit im Sinne eines absichtlichen, vorsätzlichen Verhaltens nicht gesehen werden. Der Alkoholismus der Kl. stelle auch keinen Härtegrund i. S. von § 1579 I Nr. 4 BGB dar. Ebensowenig sei diese Vorschrift dadurch verwirklicht, daß die Kl. sich seit August 1977 einem anderen Mann zugewandt habe. Dieses Verhalten habe weder zur Trennung der Ehegatten noch wesentlich zum Scheitern ihrer Ehe beigetragen und könne nicht als schwerwiegendes Fehlverhalten angesehen werden, das die Anwendung der Härteregelung rechtfertige.
II. Diese Ausführungen, die von der Revision vor allem insoweit angegriffen werden, als sie § 1579 I Nrn. 3 und 4 BGB betreffen, halten der revisionsrechtlichen Überprüfung nur teilweise stand.
1. Aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden ist die Beurteilung des BerGer., daß die Kl. unterhaltsbedürftig und ihr Unterhaltsbegehren nicht schon deshalb nach § 1361 III i. V. mit § 1579 II Nr. 4 BGB grob unbillig sei, weil sie sich im August 1977 einem anderen Partner zugewandt und mit ihm bis zum Antritt der Entziehungskur im Februar 1979 zusammengelebt hat. Hierbei ist das Gericht zutreffend von der Rechtsprechung des BGH ausgegangen, wonach es die Beseitigung des Verschuldensprinzips im Recht des Ehegattenunterhalts an sich nicht ausschließt, eheliches Fehlverhalten eines Ehegatten im Rahmen der Härteregelung des § 1579 I Nr. 4 BGB zu berücksichtigen (vgl. außer dem vom BerGer. angeführten Urteil des BGH, NJW 1979, 1348 = FamRZ 1979, 569 (570) noch die Urt. NJW 1979, 1452 = FamRZ 1979, 571 (573); NJW 1980, 1686 = FamRZ 1980, 665 (666); NJW 1981, 1214 = FamRZ 1981, 439 (440 f.) und NJW 1981, 1782). So kann ein den Tatbestand des § 1579 I Nr. 4 BGB erfüllendes Fehlverhalten in Betracht kommen, wenn der Unterhalt begehrendeEhegatte sich gegen den Willen des anderen von der Ehe abkehrt und mit einem anderen Partner eine eheähnliche Gemeinschaft begründet (vgl. Senatsurt., NJW 1980, 1686). Zu einer derartigen Gemeinschaft ist es zwischen der Kl. und dem neuen Partner jedoch nicht gekommen. Wie das BerGer. festgestellt hat, hat die Kl. mit dem Zeugen K zwar eine Wohn-, aber keine Wirtschaftsgemeinschaft unterhalten. Es gab keine gemeinsame Haushaltsführung. Die Kl. hat auch für den Partner keine ins Gewicht fallenden Betreuungs- und Versorgungsleistungen erbracht. Ein derartiges Verhältnis rechtfertigt nicht die Bezeichnung als eheähnliche Gemeinschaft.
Allerdings können eine Abkehr von der Ehe und Hinwendung zu einem anderen Partner, wie sie im vorliegenden Fall erfolgt sind, auch ohne die Eingehung einer eheähnlichen Gemeinschaft die grobe Unbilligkeit eines Unterhaltsbegehrens begründen. Voraussetzung dafür ist indessen, daß das Verhalten des Ehegatten als einseitiges evidentes Fehlverhalten gewertet werden kann. Das eheliche Verhalten des anderen Ehegatten kann in solchen Fällen nicht außer Betracht bleiben. So hat der Senat die Aufnahme eines nachhaltigen, auf längere Dauer angelegten intimen Verhältnisses dann nicht als ein die grobe Unbilligkeit des Unterhaltsbegehrens erfüllendes Fehlverhalten angesehen, wenn der andere Ehegatte sich vorher seinerseits von seinen ehelichen Bindungen losgesagt hatte (Senatsurt., NJW 1981, 1214). Desgleichen hat er die Verneinung eines einseitigen evidenten Fehlverhaltens in einem Fall gebilligt, in dem der auf Unterhalt in Anspruch genommene Ehemann als erster Scheidungsabsichten geäußert und selbst die Trennung sowie den Auszug seiner Ehefrau aus dem gemeinsam bewohnten Hause gewünscht hatte (Senatsurt., NJW 1981, 1782). Im vorliegenden Fall hatten sich die Parteien schon rund vier Monate vor der Hinwendung der Kl. zu dem Zeugen K einverständlich getrennt. Allerdings hatten sie dabei die Möglichkeit einer Wiederaufnahme ihrer Lebensgemeinschaft und eine Fortsetzung ihrer Ehe nicht völlig ausgeschlossen. Dieser Zustand änderte sich jedoch, als der Bekl. sich zur Scheidung entschloß und die Klage vom 10. 5. 1977 einreichte, die später zur Scheidung der Ehe führte. Unterdiesen Umständen, die gegen eine einseitige Abkehr der Kl. von der Ehe sprechen, ist es aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden, daß das BerGer. in tatrichterlicher Würdigung die Beziehungen der Kl. zu dem Zeugen K nicht als ein die Härteregelung des § 1579 I Nr. 4 BGB erfüllendes Verhalten angesehen hat.
2. Indessen unterliegt die Beurteilung des BerGer. insoweit rechtlichen Bedenken, als es die Vorschrift des § 1579 I Nr. 3 BGB betrifft. Danach besteht ein Unterhaltsanspruch nicht, soweit die Inanspruchnahme des Verpflichteten grob unbillig wäre, weil der Berechtigte seine Bedürftigkeit mutwillig herbeigeführt hat.
a) Daß die Kl. bereits während der ehelichen Lebensgemeinschaft nicht erwerbstätig und ohne eigenes Einkommen gewesen ist, steht einer Anwendung der Vorschrift nicht entgegen. Kann der Unterhalt begehrende Ehegatte nach der Trennung darauf verwiesen werden, seinen Unterhalt durch eine Erwerbstätigkeit selbst zu verdienen, so ist er, falls er die mögliche Aufnahme einer zumutbaren Erwerbstätigkeit unterläßt, nicht als unterhaltsbedürftig anzusehen, weil er in der Lage ist, sich selbst zu unterhalten (§ 1602 I BGB). Setzt sich der Ehegatte außerstande, eine solche Erwerbstätigkeit aufzunehmen, so kann darin ein Verhalten liegen, das die Härteregelung des § 1579 I Nr. 3 BGB erfüllt. Entsprechendes muß auch gelten, wenn der Ehegatte zwar zur Aufnahme der Erwerbstätigkeit außerstande ist, aber, wie es der Bekl. der Kl. entgegengehalten hat, die notwendigen und zumutbaren Maßnahmen zur Herstellung seiner Erwerbsfähigkeit unterläßt und dadurch seine Bedürftigkeit herbeiführt. Hiernach kommt es im vorliegenden Fall für die Anwendung des § 1579 I Nr. 3 BGB vor allem darauf an, ob es die Kl. in mutwilliger Weise unterlassen hat, sich rechtzeitig, insbesondere als sich die Trennung der Parteien anbahnte, einer erfolgversprechenden Behandlung zur Wiederherstellung ihrer Arbeitsfähigkeit zu unterziehen.
b) Nach Meinung des BerGer. ist die Tatbestandsvoraussetzung der mutwilligen Herbeiführung der Bedürftigkeit allein im Sinne einer vorsätzlichen Verhaltensweise zu verstehen, mit der die Absicht verfolgt wird, Bedürftigkeit zu begründen oder zu erhöhen. Dieser Ansicht, die auch sonst in Rechtsprechung und Schrifttum vertreten wird (vgl. OLG Celle, FamRZ 1980, 256; Bastian-Roth=Stielow-Schmeiduch, 1. EheRG, § 1579 Rdnr. 12; einschränkend Richter, in: MünchKomm, § 1579 Rdnr. 12, wonach das Verhalten „in aller Regel" vorsätzlich sein muß), vermag der Senat nicht zu folgen.
aa) Allerdings enthält die Begründung des RegE zum 1. EheRG Ausführungen, die für ein derartiges Verständnis des Tatbestandes sprechen könnten. Es heißt dort, daß Mutwilligkeit z. B. vorliegen könnte, wenn ein Ehegatte angesichts der bevorstehenden Scheidung seine bis dahin ausgeübte Erwerbstätigkeit aufgebe, um nach der Scheidung einen Unterhaltsanspruch zu erlangen. Im Hinblick auf ein nach § 65 EheG a. F. erhebliches Verhalten wird ausgeführt, daß dieses nicht zur Anwendung der Härteklausel führe, es sei denn, das Verhalten ziele gerade darauf ab, die Bedürftigkeit herbeizuführen (BT-Dr 7/650 S. 138). Indessen läßt sich der Begriff „mutwillig“ nicht nur in diesem einschränkenden Sinne eines zweckgerichteten Verhaltens interpretieren. Dagegen spricht schon das allgemeine sprachliche Verständnis dieses Wortes, dessen Bedeutung nicht nur ein vorsätzliches oder absichtliches, sondern auch ein leichtsinniges, leichtfertiges Handeln umfaßt. Demgemäß wird vertreten, daß es für das Merkmal der Mutwilligkeit in § 1579 I Nr. 3 BGB genüge, wenn der Ehegatte seine Arbeitskraft oder sein Vermögen auf sinnlose Art, die ein Verantwortungsgefühl gegen den potentiell Unterhaltsverpflichteten nicht erkennen läßt, riskiert und einbüßt, und sich damit die Härteklausel auch gegen denjenigen richte, der leichtfertig sein Vermögen verschwendet oder verspielt oder seine Arbeitskraft ruiniert (Schwab, Hdb. des ScheidungsR, Rdnr. 381), der seine Arbeitskraft durchTrunk- oder Drogensucht zerstört (Massfeller-Böhmer, Das gesamte FamR I, 3. Aufl., § 1579 Anm. 2c) oder seine Beschäftigung infolge Trunksucht oder Arbeitsscheu verliert oder nicht nachhaltig zu sichern vermag (Erman-Ronke, BGB, Nachtrag zur 6. Aufl., § 1579 Rdnr. 8; Palandt-Diederichsen, BGB, 40. Aufl., § 1579 Anm. 2c; vgl. auch Kalthoener-Haase=Becher-Büttner, Rspr. zur Höhe des Unterhalts, 2. Aufl., Rdnr. 115). Ferner wird als „mutwillig“ jedes leichtfertig von sozialen Standards abweichende Verhalten angesehen, das im Bewußtsein möglicher negativer Folgen für die Erwerbstätigkeit oder -fähigkeit oder das Vermögen des Unterhaltsberechtigten beobachtet wird, und etwa das Verhalten des Trunksüchtigen, des Verschwenders und des Straftäters als „mutwillig“ bezeichnet (Gernhuber, FamR, 3. Aufl., § 30 VII 10 = S. 404). Ähnlich wird es als ausreichend angesehen, wenn sich das Verhalten des Unterhaltsberechtigten nach Grad und Intensität von der Norm deutlich abhebt, wenn es sich nicht mehr im Bereich diskutabler Verhaltensweisen bewegt und der Berechtigte sich der Bedürftigkeit als möglicher Folge seines Verhaltens bewußt war. Dabei werden als typische Beispiele mutwilliger Herbeiführung der Bedürftigkeit die Fälle angeführt, in denen der Ehegatte infolge eigenen Fehlverhaltens von Gewicht, wie Trunksucht, Rauschgiftsucht, Verschwendungssucht oder Spielleidenschaft, sein Einkommen einbüßt und auch eine Erwerbstätigkeit nicht zu finden vermag (Rolland, 1. EheRG, § 1579 EheRG Rdnrn. 16, 18). In der Rechtsprechung ist eine mutwillige Herbeiführung der Unterhaltsbedürftigkeit angenommen worden, weil der Unterhaltsberechtigte ohne zwingenden Grund seine am Ort des ehelichenAufenthalts ausgeübte Erwerbstätigkeit durch den für eine Trennung von seinem Ehegatten nicht erforderlichen Wegzug selbst unmöglich gemacht hatte (OLG Bremen, FamRZ 1978, 410 (411); zust. Richter, in: MünchKomm, Erg. zu § 1579 Rdnr. 12). Ferner ist der Unterhaltsanspruch des getrenntlebenden Ehegatten nach §§ 1361 III, 1579 I Nr. 3 BGB in einem Fall versagt worden, in dem sich der Ehegatte nicht ordnungsgemäß krankgemeldet hatte oder wegen Bummelei fristlos gekündigt worden war und - da es sich um einen wiederholten Fall selbst verschuldeter Kündigung handelte - auch keine Arbeitslosenhilfe erhielt (OLG Hamm, Beschl. v. 3. 8. 1978, angef. bei: Kalthoener-Haase=Becher-Büttner, Rspr. zur Höhe d. Unterhalts, Rdnr. 86). Ebenso ist ein Fall beurteilt worden, in dem die nach der Vereinbarung der Ehegatten voll berufstätige Ehefrau grundlos weder Arbeitslosengeld noch Krankengeld in Anspruch genommen hat, die ihren angemessenen Lebensbedarf gedeckt hätten (OLG Nürnberg, Urt. v. 10. 1. 1978, angef. bei: Kalthoener-Haase.682 Becher-Büttner, Rspr. zur Höhe d. Unterhalts).
bb) Mit Urteil vom 8. 4. 1981 (NJW 1981, 1609 = FamRZ 1981, 539) hat der Senat entschieden, daß der unterhaltspflichtige Ehegatte seine Arbeitsfähigkeit so gut wie möglich einsetzen und sich Einkünfte anrechnen lassen muß, die er bei gutem Willen durch zumutbare Erwerbstätigkeit, unter Umständen auch im Wege eines Arbeitsplatz- oder gar Berufswechsels, erreichen könnte. Diese Verpflichtung erlegt ihm nicht nur bei der Wahl des Arbeitsplatzes, sondern auch bei der Aufgabe seiner Stellung Beschränkungen auf. Hat er seinen Arbeitsplatz ohne zureichenden Grund aufgegeben und sich dadurch einkommenslos gemacht, so muß er sich weiterhin als leistungsfähig behandeln lassen. Demgemäß hat der Senat (NJW 1981, 1609) die Beurteilung eines unterhaltspflichtigen Ehegatten als unverändert leistungsfähig gebilligt, der zu einer Zeit, in der Arbeitsplätze allgemein gefährdet waren, ohne vernünftigen Grund eine gesicherte und einkömmliche Stellung aufgegeben hatte.
Diese für die Beurteilung der Leistungsfähigkeit im Falle freiwilliger Aufgabe eines Arbeitsplatzes durch den Unterhaltspflichtigen entwickelten, aus der gegenseitigen Verantwortung der Ehegatten abgeleiteten Grundsätze können bei der Auslegung der hier betroffenen Vorschrift über die unterhaltsrechtlichen Folgen eines vergleichbaren Verhaltens des Unterhaltsberechtigten, das seine Bedürftigkeit herbeiführt, nicht außer acht gelassen werden, weil eben jene fortwirkende personale Verantwortung der Ehegatten füreinander, die die Unterhaltspflicht des Leistungsfähigen begründet, in gleichem Maße auch den Bedürftigen trifft und ihm die Pflicht zur Minderung seiner Bedürftigkeit auferlegt. Ebensowenig wie nach jenen Grundsätzen auf seiten des Unterhaltspflichtigen ausnahmslos ein gegen den Unterhaltsberechtigten gerichtetes vorsätzliches Verhalten erforderlich ist (vgl. Senatsurt., NJW 1981, 1609 = FamRZ 1981, 539 (540)), kann die Anwendung von § 1579 I Nr. 3 BGB allein auf Fälle vorsätzlicher Herbeiführung der Bedürftigkeit durch den Unterhaltsberechtigten beschränkt werden. Für eine derartige restriktive Auslegung lassen sich auch aus § 1611 I BGB keine Anhaltspunkte ableiten. Nach dieser den Unterhalt zwischen Verwandten betreffenden Vorschrift kommen eine Beschränkung oder ein Wegfall der Unterhaltsverpflichtung u. a. dann in Betracht, wenn der Unterhaltsberechtigte durch sittlichesVerschulden bedürftig geworden ist. Dazu stände es zwar im Widerspruch, wenn im Rahmen von § 1579 I Nr. 3 BGB bereits einfaches Verschulden, das zur Bedürftigkeit führt, als ausreichend angesehen würde; gegen eine Anwendung dieser Härteregelung auf Fälle mindestens leichtfertiger Herbeiführung der Bedürftigkeit lassen sich aus § 1611 BGB jedoch keine Bedenken erheben. Die Vorschrift des § 1579 BGB grenzt den Bereich ehelicher Solidarität gegen grob unbillige Unterhaltsforderungen ab. Diese Grenzen würden auch überschritten, wenn der Unterhaltspflichtige die Folgen einer leichtfertigen Herbeiführung der Bedürftigkeit durch den anderen Ehegatten unterhaltsrechtlich mittragen müßte. Damit entspricht es nicht nur dem Wortlaut, sondern auch dem Regelungszusammenhang des § 1579 I Nr. 3 BGB, daß diese Vorschrift nicht nur ein vorsätzliches, sondern auch ein leichtfertiges Verhalten des Unterhaltsberechtigten umfaßt.
cc) Das so verstandene Merkmal der mutwilligen Herbeiführung der Bedürftigkeit setzt jedoch eine Beziehung zwischen dem Verhalten des Berechtigten und seiner Unterhaltsbedürftigkeit voraus, die sich nicht in bloßer Ursächlichkeit erschöpft. Erforderlich ist vielmehr eine unterhaltsbezogene Mutwilligkeit (Diederichsen, NJW 1977, 357; Erman-Ronke, BGB, § 1579 Rdnr. 8; Palandt-Diederichsen, BGB, § 1579 Anm. 2 c). Die Vorstellungen und Antriebe, die dem zu beurteilenden Verhalten zugrunde liegen, müssen sich (auch) auf die Bedürftigkeit als Folge dieses Verhaltens erstrecken. Für den Fall der Leichtfertigkeit, die gewöhnlich bewußte Fahrlässigkeit sein wird (vgl. Schroeder, in: LKStGB, 9. Aufl., § 59 Rdnr. 233; Wussow, UnfallhaftpflichtR, 12. Aufl., Rdnr. 33), ergibt sich damit das Erfordernis, daß der unterhaltsberechtigte Ehegatte die Möglichkeit des Eintritts der Bedürftigkeit als Folge seines Verhaltens erkennt und im Bewußtsein dieser Möglichkeit, wenn auch im Vertrauen auf den Nichteintritt jener Folge handelt, wobei er sich unter grober Nichtachtung dessen, was jedem einleuchten muß, oder in Verantwortungslosigkeit und Rücksichtslosigkeit gegen den Unterhaltspflichtigen über die erkannte Möglichkeit nachteiliger Folgen für seine Bedürftigkeit hinwegsetzt (zum Begriff der Leichtfertigkeit vgl. auch Dreher-Tröndle, StGB, 40. Aufl., § 15 Rdnr. 20; Schroeder, in: LKStGB, § 59 Rdnr. 234, je m. w. Nachw.).
c) Unter diesen Umständen kann die lediglich unter dem Gesichtspunkt vorsätzlichen oder absichtlichen Verhaltens erfolgte Beurteilung des BerGer., daß in der Verhaltensweise der Kl. eine Mutwilligkeit nicht gesehen werden könne, nach den bisherigen Feststellungen keinen Bestand haben.
Wie das BerGer. festgestellt hat, hat der Alkoholmißbrauch der Kl. schon vor Jahren, vermutlich bereits 1975, das Stadium des chronischen Alkoholismus erreicht. Das Gericht hat ferner als wahr unterstellt, daß die Kl. die in den letzten Jahren unternommenen mannigfaltigen Anstrengungen des Bekl. um ihre Heilung, insbesondere seine Bemühungen um die Durchführung einer erfolgversprechenden Alkoholentziehungskur „unterlaufen“ und, wie der Bekl. in diesem Zusammenhang vorgetragen hat, konkrete Anmeldetermine von sich aus grundlos wieder abgesagt hat, obwohl die sie behandelnden Ärzte eine langfristige stationäre Entziehungskur für dringend angezeigt gehalten hatten. Wenn das BerGer. bei dieser Sachlage nicht hat feststellen können, daß die Verweigerung einer derartigen stationären Behandlung bewußt darauf angelegt war, die Wiedererlangung der Erwerbsfähigkeit für den Fall einer Trennung der Parteien zu verhindern, so ist doch nicht auszuschließen, daß die Kl. damit in leichtfertiger Weise ihre Erwerbsunfähigkeit aufrechterhalten und hierdurch ihre Bedürftigkeit nach der Trennung begründet hat. Dafür spricht, daß ihre Einsichtsfähigkeit nach den Feststellungen des BerGer. noch nicht eingeschränkt war und sie sich ihres Krankheitszustandes und der dadurch bedingten Erwerbsunfähigkeit sowie der Notwendigkeit einer längeren stationären Entziehungskur bewußt war, die ihr nach dem Vortrag des Bekl. seit 1975 von verschiedenen Ärzten als dringend erforderlich angeraten worden war. Hiernach könnte die Kl. eine derartige Entziehungsbehandlung als einen erfolgversprechenden und notwendigen Schritt zur Wiedererlangung ihrer Erwerbsfähigkeit erkannt und damit als mögliche Folge der Verweigerung einer solchen Behandlung ihre Unfähigkeit vorausgesehen haben, nach der Trennung der Parteien ihren Unterhalt selbst zu verdienen.
Das BerGer. hat bislang nicht geklärt, aus welchem Grunde die Kl. die ihr gebotene Möglichkeit einer längeren stationären Entziehungskur lange Zeit ausgeschlagen und erst im Februar 1979 in Anspruch genommen hat. Insbesondere läßt sich den Urteilsfeststellungen nicht entnehmen, daß die Kl. - was den Vorwurf der Leichtfertigkeit in Frage stellen würde - in ihrer Fähigkeit, entsprechend ihrer Einsicht in die Notwendigkeit der Entziehungsbehandlung zu handeln und sich der Kur zu unterziehen, infolge ihrer Alkoholsucht wesentlich eingeschränkt war. Die Feststellung des BerGer., die Kl. sei krankheitsbedingt zwar nicht in ihrer Einsichtsfähigkeit, wohl aber in der Freiheit der Willensbildung und Willensbetätigung eingeschränkt, steht in Zusammenhang mit den weiteren Ausführungen, daß es ihr trotz Einsicht nicht möglich gewesen sei, aus eigener Kraft das Trinken zu kontrollieren oder auf Alkohol zu verzichten, und bezieht sich ersichtlich auf die Möglichkeit, ohne ärztliche Hilfe von der Alkoholsucht loszukommen. Daß sich eine derartige Einschränkung der Steuerungsfähigkeit gleichermaßen auch auf die Entschlußkraft und die Fähigkeit eines Alkoholsüchtigen auswirkt, sich einer von ihm als notwendig und erfolgversprechend erkannten Entziehungsbehandlung zu unterziehen, erscheint fraglich (vgl. auch BVerwG, NJW 1980, 1347 (1348)) und kann ohne nähere, von sachverständiger Beratung begleitete Prüfung nicht angenommen werden. Auch im vorliegenden Fall kann davon nicht ohne weiteres ausgegangen werden, zumal die Kl. sich der ihr angeratenen Entziehungskur schließlich doch freiwillig unterzogen hat.
Hiernach ist bisher nicht auszuschließen, daß die Kl. die ihr gebotenen Möglichkeiten einer Entziehungsbehandlung bis zum Februar 1979 letztlich deshalb ungenutzt gelassen hat, weil sie der Meinung war, auch ohne Entziehungskur ihren Zustand bessern und ihre Erwerbsfähigkeit wiedererlangen zu können. In diesem Fall stände die Leichtfertigkeit ihres Verhaltens in dem erörterten Sinne außer Zweifel, weil sowohl aufgrund des bisherigen Krankheitsverlaufs als auch im Hinblick auf die dringenden Ratschläge der behandelnden Ärzte evident war, daß es der Kl. nicht aus eigener Kraft, sondern nur im Wege einer längeren Entziehungskur möglich sein werde, ihre Erwerbsfähigkeit zurückzuerlangen. Ebensowenig ist ausgeschlossen, daß der Kl. die Möglichkeit bewußt geworden ist, sie werde infolge ihrer ablehnenden Haltung gegenüber einer Entziehungsbehandlung im Falle der Trennung außerstande sein, eine Berufstätigkeit aufzunehmen und ihren Unterhalt selbst zu verdienen.
III. Da somit nicht ausgeschlossen werden kann, daß die Kl. es durch eigenes leichtfertiges Verhalten unterlassen hat, auf die rechtzeitige Wiederherstellung ihrer Erwerbsfähigkeit hinzuwirken und ihre Unterhaltsbedürftigkeit nach Trennung der Parteien zu verhindern, muß das angefochtene Urteil aufgehoben und zur anderweiten Prüfung der Frage an das BerGer. zurückverwiesen werden.
Für die neue Verhandlung und Entscheidung der Sache wird auf folgendes hingewiesen: Eine Schmälerung oder gar der Wegfall des Unterhaltsanspruchs aus Gründen mutwilliger Herbeiführung der aus der Arbeitsunfähigkeit der Kl. folgenden Bedürftigkeit kommen nur in Betracht, wenn die Kl. nach § 1361 II BGB überhaupt darauf verwiesen werden konnte, nach Aufhebung der ehelichen Lebensgemeinschaft ihren Unterhalt durch eine Erwerbstätigkeit selbst zu verdienen. Ob das der Fall war, hat das BerGer. im angefochtenen Urteil nicht erörtert. Diese Frage bedarf jedoch der näheren Prüfung, da die Pflicht zur Aufnahme einer Erwerbstätigkeit im Falle des Getrenntlebens nur unter den in § 1361 II BGB aufgeführten Voraussetzungen besteht und es nicht unzweifelhaft erscheint, ob diese Voraussetzungen im vorliegenden Fall, in dem die Kl. im wesentlichen seit Beginn der 1967 geschlossenen Ehe nicht mehr erwerbstätig gewesen ist und die wirtschaftlichen Verhältnisse günstig sind, bejaht werden können.
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