Baurechtliche Zulässigkeit einer Parabolantenne

Gericht

VGH Kassel


Art der Entscheidung

Berufungsurteil


Datum

16. 07. 1998


Aktenzeichen

4 UE 1706/94


Leitsatz des Gerichts

  1. Parabolantennen sind bauliche Anlagen i.S. von § 2 HessBauO 1997/1990/1993.

  2. Parabolantennen können im Einzelfall je nach Größe und nach Beschaffenheit des Aufstellungsortes gebäudegleiche Wirkung i.S. von § 8 X HessBauO 1990 bzw. § 6 IX HessBauO 1993haben.

  3. Einzelfall, in dem zwei auf dem Flachdach einer ca. 2,5 m hohen Grenzgarage in unmittelbarer Nähe zur Grundstücksgrenze angebrachte Parabolantennen mit einem Durchmesser von ca. 1,2 m gebäudegleiche Wirkung haben und daher in der bauordnungsrechtlich gebotenen Abstandsfläche unzulässig sind.

Tatbestand


Auszüge aus dem Sachverhalt:

Die Kl. sind Eigentümer eines mit einem Wohnhaus und einer Grenzgarage bebauten Grundstücks. Im Jahr 1989 befestigten die Kl. auf dem Flachdach der Garage zwei Parabolantennen in Grenznähe. Die Antennen haben einen Durchmesser von jeweils ca. 1,20 m und erreichen eine Höhe von ca. 1,30 m über dem Garagendach. Auf die Beschwerde der angrenzenden Nachbarn hin verpflichtete der Bekl. die Kl. mit Bescheid vom 28. 12. 1989 zur Entfernung der beiden Parabolantennen spätestens innerhalb von zwei Wochen nach Bestandskraft dieser Verfügung und drohte für den Fall der Zuwiderhandlung die Ersatzvornahme an. Die Kosten wurden vorläufig auf 1000 DM veranschlagt.

Der VG Darmstadt wies die Klage ab. Die Berufung hatte keinen Erfolg.

Entscheidungsgründe


Auszüge aus den Gründen:

... Die in den angefochtenen Bescheiden enthaltene Beseitigungsverfügung ist zu Recht aufgrund des § 83 IHessBauO 1977 (ebenso jetzt § 61 I HessBauO 1993) ergangen, und die Kl. sind daher nicht in ihren Rechten verletzt (§ 113 I VwGO).

Die genehmigungsfreien Antennen standen zu keinem Zeitpunkt mit materiellem Baurecht in Einklang. Parabolantennen an Stützen oder Masten sind bauliche Anlagen i.S. von § 2 I HessBauO 1977/1990/1993. Entgegen der Meinung der Kl. wird die Eigenschaft der Parabolantennen als bauliche Anlagen i.S. der genannten Vorschrift hier nicht dadurch in Frage gestellt, dass sie nicht unmittelbar mit dem Erdboden verbunden sind, sondern auf einer anderen baulichen Anlage, einem Gebäude stehen. Denn durch das Gebäude, auf dem sie angebracht sind, besitzen sie doch mittelbar eine ortsfeste Verbindung zum Erdboden (ebenso zum bauplanungsrechtlichen Begriff der baulichen Anlage, BVerwGE 91, 234 = NVwZ 1993, 983 = DÖV 1993, 620 = DVBl 1993, 439 = BRS 54 Nr. 126 und Nr. 127; VGH Mannheim, BRS 52Nr. 130). Unter Geltung der HessBauO 1977 mussten sie daher gem. § 7 IV eine Abstandsfläche von 3 m entlang der Grundstücksgrenze wahren. Auch unter Geltung der HessBauO vom 20. 7. 1990 und vom 20. 12. 1993 sind auf die streitigen Antennen die jeweiligen bauordnungsrechtlichen Abstandsvorschriftenanwendbar, denn ihnen kommt im vorliegenden Fall und am konkreten Platz gebäudegleiche Wirkung i.S. von § 8 X HessBauO 1990 bzw. § 6 IX HessBauO 1993 zu. Dies hat zur Folge, dass die Antennen den Abstandsvorschriften gem. § 8 I bis IX HessBauO1990 bzw. § 6 I bis VIII HessBauO unterliegen. Jede der Antennen hat nach Angaben der Kl. einen Durchmesser von ca. 1,2 m und erreicht mit Fuß eine Höhe von ca. 1,3 m. Stünden die Antennen in diesem Ausmaß und in dieser Höhe auf dem Erdboden in der Nähe der Grundstücksgrenze, so könnte eine gebäudegleiche Wirkung wohl kaum bejaht werden, weil sie optisch nicht hervorgetreten und von einer ohne weiteres möglichen Grundstückseinfriedung weitgehend oder vollständig verdeckt würden. Entsprechendes würde gelten, wenn die Parabolantennen etwa unterhalb der Dachtraufe vor der Außenwand eines Wohnhauses, das seinerseits gerade den bauordnungsrechtlich gebotenen Mindestabstand von 3 m wahrt, angebracht wären. Auch in diesem Fall würden die optischen Wirkungen der Antennen so geringfügig sein, dass sie im Hinblick auf die unmittelbar dahinter liegende Außenwand des Wohnhauses keine eigenen gebäudegleichen Wirkungen für das Nachbargrundstück entfalten würden. Etwas anderes muss aber gelten, wenn die Parabolantennen wie hier auf einem ca. 2,5m hohen Grenzbauwerk stehen und mithin eine Gesamthöhe von ca.3,8 m in Grenznähe erreichen, denn die Antennen sind auf dem flachen Garagendach weithin sichtbar und haben wegen ihrer Ausdehnung insbesondere für die betr. Grenznachbarn eine die räumliche Wirkung, vor allem die Höhe, des Gebäudes, auf dem sie stehen, nicht unerheblich verstärkende, optisch einengende Wirkung. Zu den Wirkungen von Gebäuden, die zur Anwendung der Abstandsvorschriften auf bauliche Anlagen führen, gehört auch die optische Beeinträchtigung, die durch ein enges Heranrücken von baulichen Anlagen an die Nachbargrenze auftreten kann (vgl. VGH Kassel, Urt. v. 16. 3. 1995 - 4 UE 2874/90). Die von den Kl. gewählte Gestaltung der Garagen mit den Parabolantennen überschreitet zur Nachbargrenze hin zum Vergleich auch die Ausmaße einer gedachten, nach heutigem Recht ohne weiteres zulässigen Grenzgarage mit einer mittleren Wandhöhe von 3 m (§ 6 XI 1 Lit. a HessBauO) und einem Schrägdach mit einer Neigung von bis zu 45 Grad.

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Antennen im Bauwich bzw. in der Abstandsfläche lagen unter Geltung des § 7 V HessBauO 1977 nicht vor. Entgegen der Meinung der Kl. stellen die Parabolantennen wegen der von ihnen in Anspruch genommenen Fläche gegenüber den in dieser Vorschrift genannten Masten kein Weniger dar.

Auch gem. § 6 XII HessBauO 1990/1993 konnte bzw. kann eine geringere Tiefe der Abstandsfläche nicht zugelassen werden. Insbesondere erfordern weder die Gestaltung des Straßenbildes noch besondere örtliche Verhältnisse die Aufstellung der Parabolantennen auf dem Garagendach der Kl. in Grenznähe.

Die Voraussetzungen für die Erteilung einer Befreiung hinsichtlich der Einhaltung des gebotenen Grenzabstands zum Flurstück 193/1 gem. § 68III Nrn. 1 und 3 HessBauO 1993 (früher § 94 II HessBauO 1977/1990) liegen nicht vor, weil Gründe des Allgemeinwohls, die die Abweichung rechtfertigen würden, nicht gegeben sind, und weil die Durchführung der Vorschrift, von der befreit werden soll, auch nicht zu einer im Einzelfall nicht beabsichtigten Härte führen würde. Die Kl. haben auch im Berufungsverfahren nicht hinreichend substantiiert dargetan, dass sie die Parabolantennen weder auf dem Dach ihres Wohnhauses, noch auf einem Masten im Garten aufstellen könnten.

Die Beseitigungsverfügung ist auch nicht ermessensfehlerhaft, da es zur Wiederherstellung baurechtmäßiger Zustände notwendig und verhältnismäßig ist, die angeordnete Maßnahme zu treffen.

Rechtsgebiete

Baurecht; Grundstücks- und Wohnungseigentumsrecht; Mietrecht; Nachbarrecht; Garten- und Nachbarrecht