Patientenvortrag im Arzthaftungsprozess - geringere Substantiierungspflichten im Arzthaftungsprozeß

Gericht

OLG Oldenburg


Art der Entscheidung

Berufungsurteil


Datum

17. 11. 1998


Aktenzeichen

5 U 107/98


Tatbestand

Zum Sachverhalt:

Die Kl. verlangt vom Bekl. Schmerzensgeld, materiellen Schadensersatz sowie die Feststellung der Verpflichtung des Bekl., ihr sämtlichen künftigen materiellen und immateriellen Schaden aus einer angeblich fehlerhaften zahnärztlichen Behandlung zu ersetzen. Die Kl. befand sich in den Jahren 1994 und 1995 bei dem Bekl. in zahnärztlicher Behandlung. Der Bekl. ließ durch seinen Assistenzarzt U eine Zahnsanierung an Ober- und Unterkiefer durchführen. Dabei wurden 1994 am Oberkiefer die Zähne 16, 15, 14, 23 und 24 überkront und die fehlenden Zähne 18, 17, 25, 26 und 28 mit einer Stahlmodellgußprothese mit gegossenen Halte- und Stützelementen ersetzt. 1995 wurden die Unterkieferlücken 36, 37, 45, 46 und 47 mit festsitzenden Brücken gefüllt. Die Brücke 43, 44-48 wurde im Juli 1995 entfernt und durch ein Langzeitprovisorium ersetzt. Die Kl. zahlte an den Bekl. einen Eigenanteil von 1633,99 DM. Die Kl. suchte nach dieser Behandlung den Zahnarzt Dr. M zur weiteren Behandlung auf, der im Herbst 1996 eine Wurzelbehandlung an den Zähnen 23 und 24 durchführte. Gleichzeitig wurde der Zahn 16 gezogen und eine festsitzende Brücke auf der rechten Unterkieferseite eingegliedert. Die Kl. hat behauptet, seit dem Abschluß der Behandlung im Februar 1995 leide sie ständig unter Zahnschmerzen und müsse Schmerzmittel einnehmen.

Das LG hat die Klage abgewiesen, da aufgrund des überzeugenden Sachverständigengutachtens dem Bekl. ein Behandlungsfehler nicht nachgewiesen worden sei. Die Berufung der Kl. hatte keinen Erfolg.

Entscheidungsgründe

Aus den Gründen:

Die Kl. kann vom Bekl. weder aufgrund des Behandlungsvertrages noch aus unerlaubter Handlung die Rückzahlung des von ihr gezahlten Honorars und Ersatz eines materiellen und immateriellen Schadens verlangen, da weder ein ursächlicher Behandlungsfehler noch eine Verletzung der Aufklärungspflicht festgestellt werden kann.

1. Nach dem Ergebnis der erstinstanzlichen Beweisaufnahme hat die Kl. nicht bewiesen, daß ihre Behandlung nicht dem zahnärztlichen Standard entsprechend durchgeführt worden ist.

a) Fest steht aufgrund des Sachverständigengutachtens, daß die eingegliederte Prothetik im Ober- und Unterkiefer frei von Fehlern oder Mängeln ist. (Wird dargelegt.)

b) In Übereinstimmung mit dem vom Prothetik-Einigungsausschuß eingeholten Gutachten des Sachverständigen Dr. W vom 12. 3. 1998 läßt sich nicht mehr feststellen, ob das Ausmaß der Präparation für die beklagten Beschwerden ursächlich ist. Es ist auch im Wege einer Röntgenkontrolle - aufgrund des Kronen- und Brückenmaterials - nicht möglich, festzustellen, ob bei der Präparation die Zähne zu stark abgeschliffen worden sind. Diese sachverständige Beurteilung steht im Einklang mit dem von der Innungskrankenkasse W. eingeholten Gutachten von Dr. K vom 4. 4. 1995. Dieser hat ebenfalls festgestellt, daß die Behandlungsunterlagen und Röntgenbilder keinen Rückschluß auf ein zu extensives Beschleifen der Zähne der Kl. zuließen.

Dem Antrag der Kl., zum Zwecke der Beweiserhebung die endgültige Eingliederung der Kronen wieder rückgängig zu machen, ist nicht nachzugehen, denn der Vortrag der Kl. zur Kausalität eines behaupteten fehlerhaften Beschleifens der Pfeilerzähne für ihre Beschwerden ist nicht hinreichend substantiiert.

In Arzthaftungsprozessen dürfen zwar an die Substantiierungspflichten des Kl. nur maßvolle und verständig geringe Anforderungen gestellt (BGH, VersR 1981, 752; BGHZ 98, 368 = NJW 1987, 500; OLG Koblenz, VersR 1987, 164; Steffen/Dressler, Neue Entwicklungslinien der BGH-Rechtsprechung zum ArzthaftungsR, 7. Aufl., Rdnrn. 580, 581) und Lücken im Vortrag betr. den medizinischen Sachverhalt nicht dem Kl. angelastet werden (Senat, Urt. v. 6. 8. 1991 - 5 U 43/91; OLG Stuttgart, VersR 1991, 229; BGH, NJW 1981, 630 = VersR 1981, 278). Dies gilt aber nur solange, wie das typische Sachkundedefizit auf der Patientenseite bei der Einsicht in das Behandlungsgeschehen und der Erfassung, Beurteilung und Darstellung medizinischer Vorgänge nicht durch medizinische Aufklärung aufgehoben oder wenigstens gemindert ist (Senat, MedR 1992, 166 = NJW-RR 1992, 1504; Beschl. v. 6. 4. 1994 - 5 W 42/94).

Im vorliegenden Fall hat die Kl. Erkenntnisse, die für die Erfassung, Beurteilung und Darstellung der medizinischen Vorgänge wesentlich sind, nicht vorgetragen, obwohl ihr das möglich war, weil sie sich zur Beseitigung der Beschwerdeursachen in die Behandlung des Zahnarztes Dr. M begeben hat. Dieser hat in größerem Umfang die in der Praxis des Bekl. präparierten Zähne nachbehandelt. So sind im Herbst 1996 eine Wurzelbehandlung an den Zähnen 23 und 24 durchgeführt, der Zahn 16 extrahiert, die Zähne 11 und 21 überkront und eine Brücke auf der rechten Unterkieferseite eingegliedert worden. Aufgrund dieser vor allem der Beseitigung der von der Kl. geltend gemachten Beschwerden dienenden Behandlung durch einen weiteren Zahnarzt oblag es der Kl. mitzuteilen, ob und welche Schmerzursachen der nachbehandelnde Zahnarzt bei den von ihm später behandelten Zähnen, die in der Praxis des Bekl. zwecks Überkronung präpariert worden sind, ermittelt hat, insbesondere aber eine zu große Abschlifftiefe festgestellt hat. Eine Überprüfung des Ergebnisses der in der Praxis vorgenommenen Präparation war nach Entfernung der Kronen und der Brücke im rechten Unterkiefer möglich und auch Voraussetzung für weitere prothetische Arbeiten. Der Vortrag der Kl. verhält sich aber nicht dazu, welche Befunde der nachbehandelnde Zahnarzt an den von ihm nachbehandelten Zähnen gewonnen und welche therapeutische Maßnahmen er über die prothetische Versorgung hinaus getroffen hat.

Hinzu kommt, daß die Kl. in der Berufungsinstanz vorgetragen hat, nach wie vor auch unter Schmerzen an der Brücke unten rechts zu leiden, ohne daß sie dem nachbehandelnden Zahnarzt Dr.M einen Behandlungsfehler vorwirft. Da die Kl. auch nicht vorgetragen hat, welche konkrete Schmerzbehandlung der nachbehandelnde Zahnarzt vorgenommen hat, die gegebenenfalls den Zustand verbessert oder verschlechtert haben könnte, geht aus ihrem Vortrag insoweit nicht hervor, welche der von ihr behaupteten Befundtatsachen für eine sachverständige Beurteilung aufgeklärt werden sollen.

c) Da es an einem entsprechenden Vortrag der Kl. fehlt, besteht auch kein Anlaß für die von der Kl. beantragte Einholung eines weiteren Sachverständigengutachtens. Das erstinstanzlich eingeholte Gutachten ist nachvollziehbar und überzeugend; die Schlußfolgerungen des Sachverständigen werden durch die lediglich den erstinstanzlichen Vortrag wiederholenden Ausführungen in der Berufungsbegründung nicht in Zweifel gezogen. Entgegen der Auffassung der Kl. hat sich der Sachverständige nicht mit einem unvollständigen Befund zufriedengegeben, sondern nur die von der Kl. behauptete Schmerzursache für nicht bewiesen erachtet; darin erschöpfte sich sein Gutachtenauftrag.

2. Auch haftet der Bekl. nicht aufgrund einer Verletzung der Aufklärungspflicht.

Rechtsgebiete

Arzt-, Patienten- und Medizinrecht

Normen

BGB § 823 I