Anspruch auf Herausgabe von Krankenbehandlungsunterlagen

Gericht

AG Arnsberg


Art der Entscheidung

Urteil


Datum

21. 02. 2001


Aktenzeichen

14 C 374/00


Leitsatz des Gerichts

Der Patient hat zur Vorbereitung der Geltendmachung von Schadensersatz grundsätzlich ein vorprozessuales Einsichtsrecht in die Krankenbehandlungsunterlagen, das neben der Herausgabe der Unterlagen auch die Anfertigung lesbarer Abschriften umfasst.

Tatbestand

Zum Sachverhalt:

Die Kl. nimmt die Bekl. auf Herausgabe lesbarer Abschriften von Krankenbehandlungsunterlagen in Anspruch.

Die Kl. ist gesetzlich krankenversichert und hat eine Privatzusatzversicherung mit Chefarztbehandlung. Am 7. 12. 1999 wurde sie bei der Bekl. durch den gynäkologischen Chefarzt Dr. K gynäkologisch behandelt. Es wurde eine Abrasio mit gleichzeitiger Bauchspiegelung durchgeführt. Dabei traten lebensgefährliche Komplikationen auf, da die Baucharterie verletzt wurde. Zur Geltendmachung von Schmerzensgeldansprüchen und zur Klärung der Frage, ob tatsächlich ein Behandlungsfehler vorliegt, begehrte die Kl. von der Bekl. die Herausgabe der vollständigen Krankenhausunterlagen sowie lesbare Abschriften der handschriftlichen Aufzeichnungen.

Im Laufe des Rechtsstreits hat die Bekl. der Kl. die vollständige Krankenakte in Ablichtung übersandt und gleichzeitig erklärt, die Ablichtungen seien vollständig d.h. die darin enthaltenen Aufzeichnungen seien zeitnah zur ärztlichen Behandlung gefertigt worden.

Entscheidungsgründe

Aus den Gründen:

Die Klage ist begründet.

Die Kl. kann von der Bekl. die Herausgabe lesbarer Abschriften verlangen, §§ 611, 242 BGB. Grundsätzlich steht dem Patienten ein vorprozessuales Einsichtrecht zu. Dieses vorprozessuale Einsichtsrecht bezieht sich auf Informationen, die der Vorbereitung eines Haftungsprozesses dienen und ist solchen Fällen anzuerkennen, in denen der Patient einen Verstoß gegen Vertragspflichten behauptet und Einsicht begehrt, um hieraus resultierende Ansprüche zu prüfen und gegebenenfalls rechtlich geltend zu machen. In solchen Fällen ist ein vorprozessuales Informationsbedürfnis ohne weiteres zu bejahen (vgl. Laufs/Ulenbruck, Hdb. des ArztR, 2. Aufl. [1999], § 60 Rdnr. 6). Ein solches vorprozessuales Einsichtsrecht besteht zu Gunsten der Kl., da sie behauptet, bei der Operation am 7. 12. 1999 habe der gynäkologische Chefarzt der Bekl., möglicherweise gegen die Regeln der ärztlichen Kunst verstoßen. Die Bekl. war daher verpflichtet, der Kl. die Behandlungsunterlagen herauszugeben und zu versichern, dass die Unterlagen vollständig sind. Da die Bekl. diesem Anspruch der Kl. während des Rechtsstreits nachgekommen ist, ist der Rechtsstreit insofern erledigt, da die Bekl. darüber hinaus, wie klageweise im Antrag zu 2 verlangt, auch erklärt hat, die darin enthaltenen Aufzeichnungen seien zeitnah zur ärztlichen Behandlung gefertigt worden. Erledigung ist insofern eingetreten, als die Kl. ihr Begehren erreicht hat. Zwar sind der Klageantrag zu 1 und der Klageantrag zu 2 im Zusammenhang zu sehen. Der Klageantrag zu 1 ist jedoch weitergehend, da er zusätzlich die Anfertigung lesbarer Abschriften der handschriftlichen Aufzeichnungen beinhaltet. Hinsichtlich der bloßen Herausgabe der Behandlungsunterlagen, die notwendigerweise im Antrag zu 1 auch mitenthalten ist, ist jedoch Erledigung eingetreten, ebenso wie im Hinblick auf die Erklärung der Vollständigkeit. Deshalb war die Erledigung festzustellen.

Das vorprozessuale Informationsbedürfnis beinhaltet neben der Herausgabe der Unterlagen auch die Anfertigung lesbarer Abschriften, andernfalls wäre das Einsichtsrecht nicht vollständig, denn es könnte durch unleserliche Formen der Unterlagenführung ausgehöhlt werden, (so auch AG Essen, NJW-RR 1998, 262). Dieser zusätzliche Anspruch ergibt sich aus dem durch grundrechtliche Wertung geprägten Selbstbestimmungsrecht und der personalen Würde des Patienten, die es verbieten, ihm im Rahmen der Behandlung die Rolle eines bloßen Objekts zuzuweisen. Ob der Patient selbst in der Lage ist, solche Aufzeichnungen medizinisch und technischer Art zu verstehen, ist unerheblich, denn es ist gegebenenfalls Sache des Patienten, sich sachkundig von einer Person seines Vertrauens beraten zu lassen und keine Rechtfertigung für die Verweigerung der Einsicht durch den Arzt bzw. der Verweigerung der Fertigung lesbarer Abschriften.

Dem steht auch nicht entgegen, dass die Fertigung lesbarer Abschriften zugegebener Maßen zum Teil einen erheblichen zeitlichen Aufwand erfordert, wie die Bekl. zu Recht feststellt. Denn die Kosten für die Anfertigung maschinenschriftlicher, lesbarer Abschriften sind vom Patienten zu tragen. Dies ergibt sich aus §§ 810, 811 II 1 BGB. Danach hat derjenige die Kosten für die Vorlegung von Urkunden zu tragen, welcher die Vorlegung verlangt. Die Anfertigung lesbarer Abschriften von Behandlungsunterlagen fallen unter diese Vorschrift (vgl. auch AG Hagen, NJW-RR 1998, 262 [263]). Damit steht fest, dass die Kl. der Bekl. zur Kostenerstattung für die Anfertigung der geforderten Unterlagen verpflichtet ist. Es kann in diesem Verfahren dahinstehen, ob die Bekl. berechtigt gewesen wäre, die Anfertigung der lesbaren Abschriften bis zur Zahlung eines Kostenvorschusses zurückzuhalten. Denn auf ein derartiges Zurückbehaltungsrecht hat die Bekl. sich zu keinem Zeitpunkt berufen.

Rechtsgebiete

Arzt-, Patienten- und Medizinrecht

Normen

BGB §§ 242, 611, 810, 811 II 1