Betriebsübergang nach § 613 a BGB

Gericht

BAG


Art der Entscheidung

Revisionsurteil


Datum

13. 11. 1997


Aktenzeichen

8 AZR 375–96


Leitsatz des Gerichts

  1. Wird aus einem Betrieb eine wirtschaftliche Einheit übernommen, die die Voraussetzungen eines Betriebsteils i. S. von § 613 a BGB erfüllt, tritt der Erwerber in die Rechte und Pflichten der Arbeitsverhältnisse der Arbeitnehmer ein, die in dieser Einheit tätig waren.

  2. Ist es infolge der Übernahme einer solchen Teileinheit nicht mehr möglich, den verbleibenden Betrieb sinnvoll zu führen, hat das nicht zur Folge, daß der Erwerber der Teileinheit in die Rechte und Pflichten aus den Arbeitsverhältnissen aller Arbeitnehmer des früheren Betriebs eintritt.

Tatbestand

Zum Sachverhalt:

Die Parteien streiten in der Revisionsinstanz über den Bestand eines Arbeitsverhältnisses. Der Kl. war seit dem 1. 4. 1966 bei der Z-GmbH, Maschinen- und Apparatebau, als Leiter des Finanz- und Rechnungswesens beschäftigt. Sein Bruttomonatsgehalt betrug zuletzt 9418 DM. Die Arbeitgeberin befaßte sich mit der Herstellung und dem Vertrieb von Sonderarmaturen, Serviceeinrichtungen und Ersatzteilen in den Bereichen der Kraftwerkstechnik und der Off-Shore Technik. Sie beschäftigte ca. 140 Arbeitnehmer. Am 2. 1. 1995 beantragte die Arbeitgeberin die Eröffnung des Konkursverfahrens. Das AG erließ am selben Tage ein allgemeines Veräußerungsverbot und ordnete gem. § 106 KO die Sequestration an. Am 17. 1. 1995 schlossen die Arbeitgeberin und der bei ihr gebildete Betriebsrat einen Interessenausgleich, der die Betriebsstillegung zum 31. 1. 1995 vorsieht. Mit Schreiben vom 12. 1. 1995 kündigte die Arbeitgeberin mit Zustimmung des zum Sequester bestellten Bekl. zu 1 das Arbeitsverhältnis des Kl. zum 31. 7. 1995. Am 30. 1. 1995 wurde das Konkursverfahren über das Vermögen der Arbeitgeberin eröffnet und der Bekl. zu 1 zum Konkursverwalter bestellt. Am 9. 2. 1995 schloß der Bekl. zu 1 mit der Firma M-GmbH, der späteren Bekl. zu 2, einen notariellen Vertrag über die Veräußerung des Teilgeschäftsbetriebs „Service-Bereich“. Hierzu heißt es im Vertrag:

§ 2. Im einzelnen handelt es sich um folgende Vermögensgegenstände:
a) Gesamte technische Dokumentation, insbesondere in Form von Zeichnungen, Stücklisten, Arbeitsplänen, Prüfunterlagen sowie sämtliche Akten über abgewickelte und vorhandene Aufträge einschließlich sämtlicher Duplikate;
b) Liste des vollständigen Produktionsprogramms der Firma Z-GmbH Maschinen- und Apparatebau;
c) EDV-Hard- und Software zur Angebotserstellung und Serviceauftragsabwicklung;
d) Werkstatt- und Metallcontainer einschließlich Einrichtung, wie z. B. Werkzeuge;
e) Ersatzteile, eingelagert in den Räumlichkeiten der Werkzeugausgabe (Service) sowie die in denselben Räumlichkeiten eingelagerten Betriebsmittel des Servicebereiches;
f ) Kundenkartei, Kundenstatistik;
g) Lieferantenverzeichnisse;
h) Firmenname.
Als Kaufpreis wurde ein Betrag von 2,85 Mio. DM vereinbart. In Erfüllung des Vertrags erhielt die Bekl. zu 2 die Personalcomputer und den Computer Nixdorf Q 80, auf dem die Debitoren, Kreditoren, Kundenstammlisten sowie die Fertigungspläne der Gemeinschuldnerin gespeichert waren. Außerdem wurde der Bekl. zu 2 die EDV-Anlage übergeben. Sie übernahm ferner Drehmaschinen, einen Schleifbock und kleinere Werkbänke. Die etwa 40 Großmaschinen, die die Gemeinschuldnerin zur Produktion ihrer Erzeugnisse eingesetzt hatte, übernahm die Bekl. zu 2 nicht. Des weiteren übertrug der Bekl. zu 1 der Bekl. zu 2 einen der Gemeinschuldnerin erteilten Auftrag der Firma V zur Erstellung von Neuarmaturen. Der noch nicht vollständig erfüllte Auftrag hatte ein Gesamtvolumen von 174 000 DM und wurde durch einen von der Bekl. zu 2 beauftragten Werkunternehmer zu Ende geführt. Die Bekl. zu 2 bestätigte der V die Auftragsübernahme hinsichtlich des Lieferpreises, der Liefertermine und der Garantieverpflichtung. Im März 1995 verlagerte die Bekl. zu 2 ihren Firmensitz nach E., änderte die Firma in „N-Armaturentechnik GmbH“ und teilte ihren Kunden in einem Rundschreiben mit, daß sie den Service-Bereich der Gemeinschuldnerin übernommen habe. Hiermit sei das gesamte technische und kaufmännische „Know-how“ der alten Firma in den Besitz der neuen Firma übergegangen. Sie trete damit in alle Verpflichtungen aus dem Service-, Montage- und Ersatzteilgeschäft ein. Auf dem Firmenpapier bezeichnete die Bekl. zu 2 sich als ein Unternehmen der Bekl. zu 3. Mit der am 7. 2. 1995 beim ArbG eingereichten Klage hat der Kl. die Unwirksamkeit der Kündigung und den Übergang seines Arbeitsverhältnisses auf die Bekl. zu 2 und–oder die Bekl. zu 3 geltend gemacht. Er hat die Auffassung vertreten, die Kündigung sei sozial nicht gerechtfertigt, es fehle an einer ordnungsgemäßen Betriebsratsanhörung, und die Voraussetzungen eines Betriebsübergangs i. S. von § 613 a BGB lägen vor.

Das ArbG hat der Klage gegen den Bekl. zu 1 und die Bekl. zu 2 stattgegeben und die Klage gegen die Bekl. zu 3 abgewiesen. Das LAG hat die Berufung des Bekl. zu 1 zurückgewiesen und auf die Berufung der Bekl. zu 2 die Klage insoweit als unbegründet abgewiesen. Mit der zugelassenen Revision begehrt der Kl. die Zurückweisung der Berufung der Bekl. zu 2 gegen das arbeitsgerichtliche Urteil. Die Revision hatte keinen Erfolg.

Entscheidungsgründe

Aus den Gründen:

I. Das LAG hat im wesentlichen ausgeführt, das Arbeitsverhältnis des Kl. zur Gemeinschuldnerin sei durch die mit Zustimmung des Bekl. zu 1 erklärte Kündigung nicht aufgelöst worden. Dieses Arbeitsverhältnis sei aber nicht im Wege des Betriebsübergangs auf die Bekl. zu 2 übergegangen. Die Bekl. zu 2 habe nicht durch Rechtsgeschäft den Gesamtbetrieb der Gemeinschuldnerin übernommen. Bei der Gemeinschuldnerin habe es sich um einen Mischbetrieb gehandelt, der einerseits Entwicklung und Produktion von Hochleistungsarmaturen sowie andererseits Serviceleistungen anbot. Die Bestimmung eines Schwergewichts der Tätigkeiten der Gemeinschuldnerin sei nicht möglich. Einerseits habe der Service-Bereich in den Jahren vor der Konkurseröffnung Umsätze zwischen 50 und 60% des Gesamtumsatzes erzielt, wobei ein Großteil dieses Umsatzes durch den Einsatz von Fremdfirmen erreicht worden sei. Andererseits sei im Bereich der Serviceabteilung nur ein geringer Teil der Gesamtbelegschaft eingesetzt gewesen. Nehme man weiter hinzu, daß die Gemeinschuldnerin nach außen im Rahmen ihrer Firmenpräsentation und in der Werbung vor allem auf die Entwicklung und Produktion ihrer Sonderarmaturen verwiesen habe, so belege auch dies, daß der Service-Bereich dem Betrieb der Gemeinschuldnerin nicht das Gepräge gegeben habe. Die Bekl. zu 2 habe vor allem nicht das Grundstück der Gemeinschuldnerin im Werte von über 4 Mio. DM sowie Patente und Schutzrechte, deren Wert vom Bekl. zu 1 mit 1 Mio. DM angegeben wurde, übernommen. Des weiteren habe die Bekl. zu 2 keine Produktionsmaschinen und nicht den Fahrzeugpark der Gemeinschuldnerin erworben. Darüber hinaus habe die Bekl. zu 2 keine Genehmigung des Technischen Überwachungsvereins besessen, die sie erst in die Lage versetzt hätte, die von der Gemeinschuldnerin durchgeführte Produktion von Sonderarmaturen aufzunehmen. Im übrigen habe sie kein geeignetes Fachpersonal für die Fertigung von Sonderarmaturen eingestellt. Der Eintritt in den Auftrag der Firma V und dessen Erfüllung mit Hilfe eines Subunternehmers falle demgegenüber nicht besonders ins Gewicht. Vielmehr zeige dieser Vorgang, daß die Bekl. offensichtlich nicht in der Lage gewesen sei, den Produktionsbereich der Gemeinschuldnerin aufrechtzuerhalten. Die Bekl. zu 2 verfüge über keine Räumlichkeiten, in denen Produktionsmaschinen aufgestellt werden könnten. Das Arbeitsverhältnis des Kl. zur Gemeinschuldnerin sei auch nicht deshalb gem. § 613 a BGB auf die Bekl. zu 2 übergegangen, weil diese den Teilbetrieb „Service-Bereich“ der Gemeinschuldnerin übernommen habe. Das Arbeitsverhältnis des Kl. könne nicht diesem Teilbetrieb zugeordnet werden. Der Kl. sei nicht überwiegend für diesen Bereich tätig gewesen. Ein übereinstimmender Wille der Beteiligten, den Kl. diesem Bereich zuzuordnen, sei darüber hinaus nicht erkennbar geworden.

II. Die Entscheidung des LAG ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Das Arbeitsverhältnis des Kl. ist nicht auf die Bekl. zu 2 übergegangen. Die Bekl. zu 2 hat weder den Gesamtbetrieb der Gemeinschuldnerin übernommen noch ist das Arbeitsverhältnis des Kl. dem von der Bekl. zu 2 übernommenen Teilbetrieb „Service-Bereich“ zuzuordnen.

1. Nach der Rechtsprechung des EuGH (EuGH, Slg. I, 1997, 1259 = NJW 1997, 2039 = NZA 1997, 433 = EuZW 1997, 244 – Ayse Süzen), der sich der Senat mit Urteil vom 22. 5. 1997 (BAG, NJW 1997, 3188 = NZA 1997, 1050) angeschlossen hat, setzt ein Betriebsübergang die Bewahrung der Identität der betreffenden Einheit voraus. Der Begriff „Einheit“ bezieht sich auf eine organisierte Gesamtheit von Personen und Sachen zur Ausübung einer wirtschaftlichen Tätigkeit mit eigener Zielsetzung. Er darf nicht als bloße Tätigkeit verstanden werden. Ihre Identität ergibt sich auch aus anderen Merkmalen, wie ihrem Personal, ihren Führungskräften, ihrer Arbeitsorganisation, ihren Betriebsmethoden und gegebenenfalls den ihr zur Verfügung stehenden Betriebsmitteln. Den für das Vorliegen eines Übergangs maßgeblichen Kriterien kommt notwendigerweise je nach der ausgeübten Tätigkeit und selbst nach den Produktions- oder Betriebsmethoden, die in dem betreffenden Unternehmen, Betrieb oder Betriebsteil angewendet werden, unterschiedliches Gewicht zu (vgl. Senat, NZA 1997, 1228).

2. Bei der gebotenen Gesamtwürdigung kann nicht festgestellt werden, daß die Identität der Gemeinschuldnerin durch die Bekl. zu 2 bewahrt worden wäre.

a) Die Bekl. zu 2 hat kein Grundstück oder Produktionsräume der Gemeinschuldnerin übernommen. Vielmehr ist sie aufgrund der Größe und Ausgestaltung ihrer räumlichen Unterbringung nicht in der Lage, eine Produktion in der Art, wie sie die Gemeinschuldnerin betrieben hat, durchzuführen.

b) Die Bekl. zu 2 hat keine Patente oder sonstigen Schutzrechte der Gemeinschuldnerin übernommen.

c) Die Bekl. zu 2 hat den Fahrzeugpark der Gemeinschuldnerin nicht erworben.

d) Die Bekl. zu 2 hat keine Produktionsmaschinen der Gemeinschuldnerin erworben.

e) Die Bekl. zu 2 hat keine Führungskräfte des Gesamtbetriebes der Gemeinschuldnerin übernommen, vielmehr ist ihr Organ, der Geschäftsführer M, allein für den Service-Bereich zuständig gewesen. Die von der Bekl. zu 2 übernommenen Mitarbeiter der Gemeinschuldnerin entstammen dem Service-Bereich der Gemeinschuldnerin und machen weniger als ¼ der Gesamtbelegschaft der Gemeinschuldnerin aus. Aus dieser Übernahme von früherem Personal kann deshalb nicht auf die Übernahme des Gesamtbetriebs, sondern lediglich auf die Übernahme eines Teilbetriebs geschlossen werden.

f) Aus dem Eintritt der Bekl. zu 2 in den Auftrag der Firma V folgt kein Indiz für die Übernahme des Gesamtbetriebs durch die Bekl. zu 2. Wie bereits der EuGH (EuGH, Slg. I 1995, 2745 = NZA 1995, 1031 = EuZW 1995, 738 = AP Nr. 133 zu § 613 a BGB – Rygaard) entschieden hat, kommt der Fertigstellung eines bereits begonnenen Auftrags keine Indizwirkung für den Betriebsübergang zu. Darüber hinaus hat die Bekl. zu 2 den Auftrag lediglich mit Hilfe eines Subunternehmers bewältigen können, und somit, wie das BerGer. zutreffend ausgeführt hat, die Nichtübernahme der zur Auftragserfüllung erforderlichen Betriebsmittel bestätigt.

g) Bei der Übernahme eines Teilbetriebs i. S. von § 613 a I BGB ist es rechtlich nicht erforderlich, daß der verbliebene Betrieb fortgesetzt werden könnte. Der Übergang des Betriebes folgt aus der Wahrung der Identität des Betriebs beim Erwerber und nicht aus dem Untergang der Identität des früheren Gesamtbetriebs, wenn ein Betriebsteil desselben übergeht.

h) Die Übernahme des Firmenbestandteils Z belegt nicht die Übernahme des Gesamtbetriebs durch die Bekl. zu 2, sondern bestätigt im Zusammenhang mit den weiteren (sachlichen) Firmenbestandteilen die Übernahme lediglich eines Betriebsteiles. Während die Gemeinschuldnerin in ihrer Firma die Sachbezeichnung „Maschinen- und Apparatebau“ auswies, enthält die Firma der Bekl. zu 2 als Sachbestandteil lediglich den Hinweis „Armaturentechnik“.

3. Damit hat die Bekl. zu 2 mit den von der Gemeinschuldnerin übernommenen immateriellen und materiellen Betriebsmitteln sowie der Teilbelegschaft nicht die Identität des Betriebes der Gemeinschuldnerin bewahrt, sondern aus dem Gesamtbetrieb einen Betriebsteil „Service-Bereich“ übernommen. Wenn nicht der gesamte Betrieb, sondern nur ein Betriebsteil übernommen wird, muß der Arbeitnehmer dem übertragenen Betriebsteil angehören, damit sein Arbeitsverhältnis gem. § 613 a BGB auf den Erwerber übergeht. Es genügt hierfür nicht, daß der Arbeitnehmer, ohne dem übertragenen Betriebsteil anzugehören, als Beschäftigter einer nicht übertragenen Abteilung Tätigkeiten für den übertragenen Betriebsteil verrichtete (vgl. EuGH, Slg. 1985, 519 [528]; EuGH, AP Nr. 5 zu EWG-Richtlinie Nr. 77–187). Demzufolge sind allein die Arbeitsverhältnisse der Beschäftigten der Gemeinschuldnerin, die im Service-Bereich tätig waren, auf die Bekl. zu 2 übergegangen. Das Arbeitsverhältnis des Kl. gehörte hierzu nicht. Als Leiter des Finanz- und Rechnungswesens war der Kl. für den Gesamtbetrieb der Gemeinschuldnerin verantwortlich tätig. Eine Zuordnung dieses Arbeitsverhältnisses zu dem von der Bekl. zu 2 übernommenen Teilbetrieb „Service-Bereich“ ist sachlich nicht begründbar. Insbesondere fehlt es an einer entsprechenden Zuordnungsentscheidung des Beteiligten.

Rechtsgebiete

Arbeitsrecht

Normen

BGB § 613a