Ärztliche Empfehlung zum Wechsel des Arbeitsplatzes

Gericht

BAG


Art der Entscheidung

Revisionsurteil


Datum

17. 02. 1998


Aktenzeichen

9 AZR 130/97


Leitsatz des Gerichts

  1. Eine dringende ärztliche Empfehlung zum Arbeitsplatzwechsel aus gesundheitlichen Gründen berechtigt den Arbeitgeber regelmäßig, dem Arbeitnehmer einen anderen Arbeitsbereich zuzuweisen; die Versetzung ist wirksam, wenn sie von den arbeitsvertraglichen Vereinbarungen gedeckt ist und die nach § 99 BetrVG erforderliche Zustimmung des Betriebsrats vorliegt.

  2. Der Arbeitgeber ist nicht berechtigt, die Arbeitsleistung des arbeitswilligen und arbeitsfähigen Arbeitnehmers abzulehnen und die Zahlung des Arbeitsentgelts einzustellen, wenn der Arbeitnehmer eine ärztliche Empfehlung zum Wechsel des Arbeitsplatzes vorlegt.

Tatbestand

Zum Sachverhalt:

Die Parteien streiten darüber, ob dem Kl. für die Zeit seiner Nichtbeschäftigung vom 3. 5. bis 14. 7. 1993 ein der Höhe nach unstreitiger Anspruch auf Arbeitsentgelt zusteht. Der 1942 geborene Kl. ist seit 1. 2. 1990 bei der Bekl., einem Gebäudereinigungsunternehmen mit etwa 250 Arbeitnehmern, als Reinigungskraft beschäftigt. Ein Betriebsrat ist gewählt. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien sind die allgemeinverbindlichen Tarifverträge für das Gebäudereinigerhandwerk anzuwenden. Unter Nr. 3 des schriftlichen Arbeitsvertrages ist der Stundenlohn mit „14,40 DM + tarifliche Zuschläge„ angegeben. Daneben ist maschinenschriftlich eingefügt „+25% Nachtzulage„ und „Nachtschicht, nach zwei Monaten 15,05 DM„. Die wöchentliche Arbeitszeit des Kl. betrug zuletzt 35 Stunden; der Stundenlohn belief sich auf 22,24 DM brutto einschließlich eines Nachtzuschlags. Bis Anfang April 1993 setzte die Bekl. den Kl. an seinem Wohnort bei dem Maschinenbauunternehmen N ein. Dort arbeitete er zunächst regelmäßig ab 22.00 Uhr, später ab 22.30 bis 5.00 Uhr morgens. Ab 5. 4. 1993 war der Kl. arbeitsunfähig erkrankt. Die bis zum 10. 4. 1993 geltende Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung erhielt die Bekl. am 7. 4. 1993 mit einer weiteren Bescheinigung des behandelnden Arztes. Darin wird erklärt, der Kl. leide häufig unter rezidivierender Gastritis und sei besonders empfindlich gegen Staub, Dämpfe und Gase. Ein Arbeitsplatzwechsel sei dringend erforderlich. Mit Schreiben vom 7. 4. 1993 teilte die Bekl. dem Kl. u.a. mit, wie ihm bekannt sei, gebe es bei dem Maschinenbauunternehmen N für ihn keine Arbeit, bei der er nicht mit Staub, Dämpfen und Gasen in Berührung komme. Sie biete ihm deshalb einen Arbeitsplatz in der Kinderklinik in B. an. Der Kl. solle sich dort am 13. 4. 1993 um 7.00 Uhr im Objektbüro einfinden. Die Arbeitszeit belaufe sich von 7.00 Uhr bis 15.30 Uhr. Der weiterhin bis 1. 5. 1993 arbeitsunfähig geschriebene Kl. lehnte eine Arbeitsaufnahme in B. fernmündlich und schriftlich über seine Prozeßbevollmächtigten ab. Eine Bitte der Bekl. vom 22. 4. 1993 um Mitteilung, ob der Arzt attestieren könne, ein Arbeitsplatzwechsel sei nicht mehr erforderlich, blieb unbeantwortet. Am 28. 4. 1993 wurde der Kl. sozialmedizinisch begutachtet. Als Ergebnis teilte die Krankenkasse der Bekl. mit Schreiben vom 3. 5. 1993 mit, der Kl. könne einer Tätigkeit ohne zusätzliche mechanische Reizreaktionen der Schleimhäute nachgehen. Da die Bekl. dem Kl. einen Arbeitsplatz ohne Staubbelastung angeboten habe, werde eine Arbeitsunfähigkeit bis längstens 28. 4. 1993 anerkannt. Das sei dem Kl. mitgeteilt worden. Am 3. 5. 1993 erschien der Kl. zu Beginn der Nachtschicht am bisherigen Arbeitsplatz in E. Der dort für die Bekl. tätige Vorarbeiter lehnte eine Beschäftigung des Kl. mit dem Hinweis auf gesundheitliche Gründe ab. Der Kl. verließ daraufhin nach Abgabe seines Werkzeugs das Betriebsgelände. Ab 4. 5. 1993 bat die Bekl. wiederholt schriftlich und telefonisch um Beantwortung ihres Schreibens vom 22. 4. 1993; das Schreiben der Krankenkasse vom 3. 5. 1993 wurde den Prozeßbevollmächtigten des Kl. übersandt. Am 12. 5. 1993 teilte der Kl. persönlich mit, er werde nicht in B. arbeiten. Ebenfalls am 12. 5. 1993 reichte er bei dem ArbG Klage auf Feststellung der Unwirksamkeit einer Kündigung der Bekl. vom 3. 5. 1993 ein. Im Termin zur Güteverhandlung vom 9. 7. 1993 erklärte die Bekl., dem Kl. sei nicht gekündigt worden. Dem Kündigungsschutzantrag hat das ArbG durch Teil-Anerkenntnisurteil vom 9. 7. 1993 stattgegeben. Am 13. 7.1993 hat der Kl. der Bekl. ein Attest seines Arztes vom Vortag eingereicht, wonach er wieder am alten Arbeitsplatz beschäftigt werden könne. Seit 15. 7. 1993 arbeitet der Kl. in E. Der Kl. macht geltend, die Bekl. sei zur Zahlung des ihm in unstreitiger Höhe in der Zeit vom 3. 5. bis 14. 7. 1993 entgangenen Lohnes verpflichtet. Sie habe die Annahme seiner Arbeitsleistung ohne Rechtsgrund abgelehnt. Der Kl. hat beantragt, die Bekl. zu verurteilen, an ihn 8873,76 DM brutto nebst 4% Zinsen aus 3113,60 DM seit dem 10. 6. 1993, 4% Zinsen aus 3424,96 DM seit dem 10. 7. 1993 sowie weiterer 4% Zinsen aus 2335,20 DM seit dem 10. 8. 1993 zu zahlen, abzüglich des vom Arbeitsamt Herford gezahlten Arbeitslosengeldes für die Zeit vom 17. 5. 1993 bis 14. 7. 1993 in Höhe von 2422,50 DM netto.

ArbG und LAG haben die Klage abgewiesen. Hiergegen wendet sich der Kl. erfolgreich mit der zugelassenen Revision.

Entscheidungsgründe

Aus den Gründen:

Die Revision des Kl. ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des Urteils des LAG und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das LAG (§ 565 I 1 ZPO).

I. Nach dem Vorbringen des Kl. steht ihm der erhobene Anspruch auf Zahlung des Arbeitsentgelts für die Zeit vom 3. 5. bis 14. 7. 1993 nach §§ 611, 615 BGB zu.

1. Das tatsächliche Arbeitsangebot des Kl. vom 3. 5. 1993, in den Räumen des Maschinenbauunternehmens in E. zu arbeiten, war geeignet, die Bekl. in Annahmeverzug zu versetzen (§§ 293, 294 BGB). Zu dieser Zeit war er sowohl arbeitswillig als auch arbeitsfähig. Damit war er nicht außerstande, die von ihm geschuldete Arbeitsleistung zu erbringen (§ 297 BGB). Wie das LAG zutreffend ausgeführt hat, enthält die ärztliche Bescheinigung über den empfohlenen Arbeitsplatzwechsel nicht die Aussage, dem Kl. sei die Arbeitsleistung am bisherigen Arbeitsplatz objektiv unmöglich.

2. Das LAG hat gleichwohl angenommen, die Arbeitsleistung sei dem Kl. mit Rücksicht auf diese Empfehlung i.S. von § 297 BGB unmöglich und der Anspruch des Kl. deshalb nach § 323 I BGB entfallen. Es stehe einer rechtlichen Unmöglichkeit gleich, wenn der Arbeitnehmer seine Dienste für einen Arbeitsplatz anbiete, den ein ärztliches Attest wegen gesundheitlicher Gefahren dringend zu wechseln rate. Dem Arbeitgeber sei die Annahme dieser Arbeitsleistung wegen nicht auszuschließender Haftungsrisiken und möglicher Strafbarkeit zumindest nicht zumutbar. Das ergebe sich aus der im Verhältnis von Arbeitgeber und Arbeitnehmer bestehenden förmlichen Rechtspflicht zur Fürsorge, sobald von kompetenter (ärztlicher) Seite auf besondere Gesundheitsrisiken des Einsatzes an einem bestimmten Arbeitsplatz hingewiesen werde und die möglichen gesundheitlichen Auswirkungen sich laienhaft nicht mehr abschätzen und prognostisch auf ein hinnehmbares Maß beschränken ließen. In einem solchen Fall unterliege es der Entscheidung des Arbeitgebers, ob er das Arbeitsangebot annehmen wolle oder nicht. Diesen Ausführungen folgt der Senat nicht.

3. Der Arbeitgeber ist nicht berechtigt, die Annahme der von einem arbeitswilligen und arbeitsfähigen Arbeitnehmer ordnungsgemäß angebotenen Arbeitsleistung zu verweigern und dadurch den Lohnanspruch des Arbeitnehmers auszuschließen. a) Nach der in § 618 I BGB konkretisierten Fürsorgepflicht hat der Arbeitgeber u.a. die Arbeitsräume so einzurichten und zu unterhalten, daß der Arbeitnehmer gegen arbeitsbedingte Gefahren für Leben und Gesundheit soweit geschützt ist, als es die Dienstleistung gestattet. Der Arbeitnehmer kann verlangen, daß er unter Arbeitsbedingungen beschäftigt wird, die ihn gesundheitlich nicht gefährden. Unterläßt der Arbeitgeber gebotene Schutzmaßnahmen, ergibt sich hieraus ggf. ein Recht des Arbeitnehmers, seine Arbeitsleistung nach § 273 BGB zurückzuhalten (vgl. BAGE 83, 105 = NZA 1997, 86 = AP Nr. 23 zu § 618 BGB). Dieses Recht wahrzunehmen, ist dem Arbeitnehmer, nicht aber dem Arbeitgeber, überlassen. Jedenfalls berechtigt die ihm obliegende Fürsorgepflicht den Arbeitgeber nicht, den Arbeitnehmer entgegen dessen erklärten Willen die Beschäftigung auf einem Arbeitsplatz dann zu verweigern, wenn der Arbeitgeber dies als für den Arbeitnehmer gesundheitlich gefährdend ansieht.

b) Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der vom Kl. vorgelegten ärztlichen Empfehlung zum Wechsel des Arbeitsplatzes. Da sie keine Arbeitsunfähigkeit attestiert, ist sie nicht geeignet, eine in seiner Person bestehende Unmöglichkeit zur Arbeitsleistung i.S. von § 297 BGB zu begründen. Allerdings kann eine entsprechende ärztliche Empfehlung den Arbeitgeber nicht nur berechtigen, sondern auch verpflichten, eine anderweitige Beschäftigung des Arbeitnehmers zu prüfen und ihn auf einen leidensgerechten Arbeitsplatz umzusetzen (vgl. hierzu die gesetzliche Regelung in § 6 IV lit. a ArbZG) oder zu versetzen (vgl. BAG, NZA 1997, 709 = NJW 1997, 2701 = AP Nr. 32 zu § 1 KSchG Krankheit; BAGE 7, 321 = AP Nr. 27 zu § 611 BGB Fürsorgepflicht). Ist ihm das nicht möglich oder überläßt er dem Arbeitnehmer die Wahl zwischen dem bisherigen Arbeitsplatz und einem anderen, hat es damit sein Bewenden, wenn sich der Arbeitnehmer für die Arbeit auf dem belasteten Arbeitsplatz entscheidet.

c) Für die Erwägungen des LAG, es sei nicht auszu-schließen, daß sich der Arbeitgeber bei einer Beschäftigung des Arbeitnehmers auf einem gesundheitsgefährdenden Arbeitsplatz strafbar mache, bietet der Streitfall keinen Anlaß.

II. Der Anspruch des Kl. aus §§ 611, 615 BGB kann nach den bisherigen Feststellungen des LAG nicht deshalb ausgeschlossen werden, weil dem Kl. die Arbeitsleistung in E. aus sonstigen Gründen unmöglich war.

1. Nach der Auffassung der Bekl. war der Kl. wegen der mit einem Arbeitseinsatz an diesem Arbeitsplatz verbundenen Staubbelastung arbeitsunfähig erkrankt. Ob dies zutrifft, kann der Senat bislang nicht abschließend beurteilen.

Das LAG hat hierzu entgegen der Annahme des Kl. keine bindenden Feststellungen getroffen. Seine Ausführungen sind vielmehr widersprüchlich. So hat das LAG zunächst angenommen, mit Ablauf des 1. 5. 1993 sei die Erkrankung des Kl. beendet gewesen. Daß er weiterhin gegen Reizungen durch Staub, Dämpfe oder Gase empfindlich geblieben sei, bedeute keine weitere Erkankung. Hiermit läßt sich der weitere Inhalt des Urteils nicht vereinbaren. Denn das LAG hat unter Bezugnahme auf die Entscheidung des BAG vom 26. 7. 1989 (NZA 1990, 140 = AP Nr. 86 zu § 1 LFZG) ebenfalls ausgeführt, arbeitsunfähig sei auch, wer die ihm nach seinem Arbeitsvertrag obliegenden Dienste nur unter der Gefahr erbringen könne, seinen körperlichen Zustand in absehbarer Zeit bis hin zur Krankheit zu verschlechtern. Diese Gefahr habe für den Kl. „allenfalls„ bei der Kundenfirma in E. bestanden, nicht aber für den in der Kinderklinik in B. zur Verfügung gestellten Arbeitsplatz. Damit hat das LAG eine Arbeitsunfähigkeit für den gesundheitsgefährdenden Arbeitsplatz gerade nicht ausgeschlossen.

2. Die Bekl. ist mit ihrer Behauptung, der Kl. sei arbeitsunfähig erkrankt gewesen, auch nicht aus Rechtsgründen ausgeschlossen. Ob krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit vorliegt, bestimmt sich nach objektiven Merkmalen. Die subjektive Einschätzung des Arbeitnehmers ist unbeachtlich. Maßgebend ist die ärztliche Beurteilung. Die Frage wird vom LAG ggf. zu klären sein.

III. Der Senat kann einen Anspruch des Kl. auf Entgeltfortzahlung nach §§ 611, 615 BGB nach den bisherigen Feststellungen des LAG auch nicht wegen der von der Bekl. angeordneten Versetzung zur Kinderklinik in B. abschließend beurteilen. Die Versetzung war nur rechtswirksam, wenn der Betriebsrat nach § 99 BetrVG der Versetzung zugestimmt hat und die Bekl. dem Kl. nach dem Inhalt des Arbeitsvertrags diese Beschäftigung aufgrund ihres Direktionsrechts zuweisen konnte.

1. Der Kl. hat seine Arbeitsleistung in E. dann nicht ordnungsgemäß angeboten, wenn er verpflichtet war, seine Arbeitsleistung in B. und zu den dort vorgesehenen Arbeitszeiten zu erbringen. Entgegen der vom Kl. geltend gemachten Zweifel hat die Bekl. ihm ausschließlich diesen Arbeitsplatz angeboten und ihm nicht die Wahl zwischen dem Arbeitsplatz in B. und dem Arbeitsplatz in E. gelassen. Das ergibt sich mit der gebotenen Deutlichkeit aus ihrem Schreiben vom 7. 4. 1993 sowie den weiteren Anfragen, auch über die Gültigkeit des Attestes, das nach ihrer Meinung einen Arbeitseinsatz des Kl. in E. ausschloß.

2. Der Kl. hat in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat die Auffassung vertreten, die Bekl. sei ungeachtet der zwischen den Parteien streitigen Tatsachen jedenfalls deshalb in Annahmeverzug geraten, weil sie ihm am 3. 5. 1993 rechtsunwirksam gekündigt habe. Seine fehlende Bereitschaft in B. zu arbeiten, sei unerheblich.

Dem folgt der Senat nicht. Nach der ständigen Rechtsprechung des BAG gerät der Arbeitgeber nach einer unwirksamen Kündigung regelmäßig gegenüber dem Arbeitnehmer in Annahmeverzug (vgl. BAGE 78, 333 = NZA 1995, 263 = NJW 1995, 2653 = AP Nr. 60 zu § 615 BGB, m.w. Nachw.). Der Arbeitnehmer braucht seine Arbeitsleistung weder tatsächlich nach § 294 BGB noch wörtlich nach § 295 BGB anzubieten. Denn es obliegt dem Arbeitgeber zur Vermeidung eines auf § 615 BGB gestützten Zahlungsanspruchs, dem Arbeitnehmer nach § 296 BGB einen funktionsfähigen Arbeitsplatz zur Verfügung zu stellen. Der Arbeitgeber kann dem Arbeitnehmer nicht wirksam den Arbeitsplatz durch Kündigung entziehen und gleichzeitig ein Arbeitsangebot des Arbeitnehmers für diesen Arbeitsplatz verlangen. Etwas anderes gilt ausnahmsweise hier. Denn die Bekl. hat dem Kl. den Arbeitsplatz in B. nicht entzogen. Sie hat vielmehr diesen Arbeitsplatz auch nach dem Ausspruch der Kündigung zur Verfügung gehalten. Hieran konnte für den Kl. kein Zweifel bestehen.

3. Ob der bei der Bekl. gebildete Betriebsrat der personellen Maßnahme zugestimmt hat, ist zwischen den Parteien streitig.

a) Die Versetzung des Kl. bedurfte nach § 99 BetrVG i.V. mit § 95 BetrVG der vorherigen Zustimmung des Betriebsrats. Die mit einem Ortswechsel verbundene Zuweisung von Arbeit ist immer dann zustimmungspflichtig, wenn sie voraussichtlich die Dauer eines Monats überschreitet oder - wie hier - mit einer erheblichen Änderung der Umstände verbunden ist, unter denen die Arbeit zu leisten ist, nämlich den geänderten Anfahrts- und Arbeitszeiten (vgl. BAG, NZA 1989, 402 = AP Nr. 56 zu § 99 BetrVG).

Entgegen der Auffassung der Bekl. kann nicht dahingestellt bleiben, ob der Betriebsrat ordnungsgemäß beteiligt worden ist und der Versetzung zugestimmt hat. Nur wenn der Betriebsrat der Versetzung zugestimmt hat, die Zustimmung nach § 99 III BetrVG als erteilt gilt oder nach § 99 IV BetrVG gerichtlich ersetzt ist, war der Kl. verpflichtet, seine Arbeitsleistungen in B. zu erbringen. Bei Fehlen der Zustimmung hätte sich der Kl. zu Recht geweigert, in B. zu arbeiten. Denn eine Versetzung ohne Zustimmung des Betriebsrats ist auch individualrechtlich unwirksam. Das betrifft sowohl die Entziehung des bisherigen Arbeitsplatzes als auch die Zuweisung des neuen Arbeitsplatzes. War dem Kl. der bisherige Arbeitsplatz nicht wirksam entzogen, so hatte ihn die Bekl. dort weiter zu beschäftigen (BAGE 57, 242 = NZA 1988, 476 = AP Nr. 50 zu § 99 BetrVG; BAGE 74, 291 = NZA 1994, 615 = AP Nr. 33 zu § 2 KSchG1969) und hat dementsprechend einen Vergütungsanspruch auch dann, wenn der Arbeitgeber der Beschäftigungspflicht nicht nachgekommen ist.

b) Die Bekl. hat die für eine Zustimmung des Betriebsrats erforderlichen tatsächlichen Behauptungen dargelegt. Danach hat sie den Betriebsratsvorsitzenden über die beabsichtigte personelle Maßnahme unterrichtet und mit der ärztlichen Empfehlung zum Wechsel des Arbeitsplatzes begründet. Die vorgesehenen Arbeitsbedingungen seien erläutert worden. Das Schreiben vom 7. 4. 1993 habe sie erst abgesandt, nachdem der Betriebsratsvorsitzende mitgeteilt habe, der Betriebsrat habe der Versetzung zugestimmt. Da der Kl. dies bestritten hat, wird das LAG hierzu noch die erforderlichen Feststellungen zu treffen haben.

4. Der Senat kann auch nicht abschließend darüber entscheiden, ob die Bekl. geänderte Arbeitszeiten für den Kl. anordnen konnte.

a) Nach dem Vorbringen des Kl. kann er aufgrund der in Nr. 3 des Arbeitsvertrags getroffenen Vereinbarungen beanspruchen, daß er ausschließlich in der Nachtschicht eingesetzt wird. Trifft diese Behauptung zu, konnte die Bekl. die Arbeitszeit nicht einseitig auf die Tagesarbeitszeit verlegen. Vielmehr bedurfte es des Einverständnisses des Kl. oder einer Änderungskündigung. Beides liegt nicht vor.

b) Die Bekl. konnte daher die Arbeitszeit des Kl. nur dann wirksam ändern, wenn sie dazu aufgrund des Direktionsrechts befugt war. Hierzu ist die Nr. 3 des Arbeitsvertrags auszulegen. Zwar handelt es sich bei dem von beiden Parteien unterzeichneten Vertrag um ein Formular, also einen sog. typischen Vertragstext. In Nr. 3 haben die Parteien aber nicht diesen, sondern einen von ihm abweichend formulierten Wortlaut verwandt. Dies ist eine nichttypische, individuelle Erklärung, die der Auslegung des RevGer. nur eingeschränkt unterliegt. Feststellungen hierzu hat das LAG bisher nicht getroffen. Dies wird ebenfalls nachzuholen sein.

Das LAG wird bei der anderweitigen Verhandlung und Entscheidung des Rechtsstreits auch über die Kosten der Revision zu entscheiden haben.

Vorinstanzen

LAG Hamm, 5 Sa 2204/96, 31.1.1997

Rechtsgebiete

Arbeitsrecht

Normen

BGB §§ 293ff., 615, 618