Flugrücktransport in der Reisekrankentransportversicherung

Gericht

OLG Frankfurt a.M.


Art der Entscheidung

Beschluss über Beschwerde


Datum

16. 12. 1993


Aktenzeichen

22 W 37/93


Leitsatz des Gerichts

Der Versicherer kann sich nach Treu und Glauben nicht darauf berufen, ein Rücktransport des Erkrankten aus dem Ausland sei weder medizinisch notwendig noch ärztlich angeordnet, wenn die Kosten, die er für die ärztliche Heilbehandlung im Ausland zu erstatten hätte, ähnlich hoch sind wie die Kosten des Rücktransports in die Bundesrepublik Deutschland, wo er keine Kosten für die Heilbehandlung zu erbringen hat.

Tatbestand


Auszüge aus dem Sachverhalt:

Die Kl. hat Prozeßkostenhilfe für eine Klage aus einer Reisekrankenversicherung begehrt. Sie verlangt die Kosten für einen Rücktransport mit der Rettungsflugwacht von Korfu nach Deutschland, der wegen eines von ihr behaupteten lebensbedrohenden Asthmaanfalls mit Koma notwendig gewesen sei. Die Bekl. vertritt die Auffassung, die Kl. hätte sich in Griechenland behandeln lassen müssen.

Das LG hat die Prozeßkostenhilfe versagt. Auf die Beschwerde der Kl. hat das OLG das LG angewiesen, die Prozeßkostenhilfe nicht mangels hinreichender Erfolgsaussichten zu versagen.

Entscheidungsgründe


Auszüge aus den Gründen:

Nach dem bisherigen Sach- und Streitstand kann die Kl. gem. § 1 I VVG i. V. mit § 4 Nr. 3a der Allgemeinen Versicherungsbedingungen der Bekl. für die Reisekrankenversicherung nach Tarif RKV (AVB-RKV) von der Bekl. die Zahlung von 12429,72 DM als Versicherungsleistung verlangen.

Die Kl. hat bei der Bekl. eine Reisekrankenversicherung abgeschlossen für ihre Urlaubsreise vom 16. bis zum 30. 5. 1992 auf die griechische Insel Korfu. Hierfür haben die Parteien die AVB-RKV vereinbart. Diese habe noch gegolten, als die Parteien Anfang Mai 1992 den Versicherungsvertrag abgeschlossen haben. Davon ist auszugehen. Die Bekl. legt nämlich nicht dar, daß sie schon damals ihre neuen AGB für die Reisekrankenversicherung nach Tarif RK angewendet hat, die das Bundesaufsichtsamt für das Versicherungswesen am 27. 2. 1992 genehmigt hat und auf die sie sich beruft. Vielmehr läßt das Faltblatt der Bekl. „Reise-Krankenversicherung Ausgabe 1993“, in dem die neuen Versicherungsbedingungen mit dem „Stand 1/93“ abgedruckt sind, darauf schließen, daß die neuen Versicherungsbedingungen erst ab 1993 angewendet werden. Doch selbst, wenn bei Vertragsabschluß die AVB-RKV nicht mehr gegolten haben, muß sie die Bekl. gegen sich gelten lassen. Denn die Kl. hat auf ihre Geltung vertrauen dürfen, weil ihr der Versicherungsagent B der Bekl. vor oder bei Entgegennahme ihres Versicherungsantrags eine Informationsbroschüre mit dem Text der AVB-RKV gegeben hat (vgl. dazu Prölss/Martin, VVG, 25. Aufl. (1992), § 43 Anm. 7 A).

Nach § 4 Nr. 3a AKB-RKV gewährt der Versicherer dem Erkrankten die Mehrkosten, die „durch einen medizinisch notwendigen und ärztlich angeordneten Rücktransport“ entstehen. Die Bekl. leugnet, daß die Voraussetzungen dieser Klausel im vorliegenden Fall erfüllt sind. Auch wenn man das einmal als richtig unterstellt, ist die Bekl. nach ihrem eigenen Vorbringen (also ohne daß es eines Beweises über die Behauptungen der Kl. bedarf) nicht leistungsfrei geworden. Eine Leistungsfreiheit würde Treu und Glauben (§ 242 BGB) widersprechen, die das Versicherungsverhältnis in besonderem Maße beherrschen (Prölss/Martin, Vorb. Anm. II 3). Die Bekl. behauptet, die Kl. hätte ihren lebensbedrohlichen Asthmaanfall mit Koma, der auf der Insel Korfu nicht zu behandeln gewesen ist, auf dem griechischen Festland genausogut behandeln lassen können wie in der Bundesrepublik Deutschland, wohin die Kl. am 25. 5. 1992, dem Tage des Ausbruchs ihrer Erkrankung, von der Deutschen Rettungsflugwacht e. V. unter ärztlicher Betreuung zurückgeflogen worden ist. Zudem sei der Rückflug nicht von den Ärzten angeordnet worden, welche die Kl. auf der Insel Korfu behandelt haben. Wenn dem so gewesen wäre, hätte die Bekl. der Kl. zumindest ähnlich hohe Kosten zu erstatten gehabt, wie die, welche für den Rückflug in die Bundesrepublik Deutschland in Höhe von unstreitig 24860,06 DM angefallen sind. Wegen der Notfallsituation hätte die Kl. unter den gleichen Umständen wie in die Bundesrepublik Deutschland auch auf das griechische Festland geflogen werden müssen. Der Flug zu einem geeigneten Krankenhaus auf dem griechischen Festland wäre zwar billiger gewesen als der in die Bundesrepublik Deutschland. Dafür hätte jedoch die Bekl. der Kl. erhebliche Aufwendungen für die Heilbehandlung in Griechenland ersetzen müssen, die sich die Bekl. bei der Heilbehandlung in der Bundesrepublik Deutschland erspart hat (vgl. § 1 Nr. 4 AVB-RKV). Immerhin hat die Kl., die erst nach acht Tagen wieder aus dem Koma aufgewacht ist, vom 25. 5. bis Juli 1992 im Krankenhaus bleiben müssen. Aber selbst wenn die Kosten für den Flug auf das griechische Festland und die Heilbehandlung dort geringer gewesen wären als die für den Rückflug in die Bundesrepublik Deutschland, hätte das nicht soviel ausgemacht, daß man nur deshalb der Kl. die Wohltat hätte versagen dürfen, mit ihrer schweren Erkrankung in ihrer Heimat behandelt zu werden.

Im übrigen trägt die Kl. mit ihrer Beschwerde substantiiert und unter Beweisantritt vor, die Bekl. habe ihr vor dem Rückflug telefonisch die Deckungszusage für die Kosten des Rückflugs gegeben. Diese Deckungszusage ist ein deklaratorisches Schuldanerkenntnis, das alle Einwendungen der Bekl. für die Zukunft ausschließt, die sie bei der Abgabe gekannt hat oder mit denen sie zumindest hätte rechnen können (vgl. hierzu BGH, VersR 1966, 1174; OLG Düsseldorf, VersR 1985, 728). Wird die Deckungszusage bewiesen, kann die Bekl. der Kl. nicht mehr ohne weiteres entgegenhalten, sie habe auf dem griechischen Festland ebensogut behandelt werden können wie in der Bundesrepublik Deutschland und der Rückflug sei nicht ärztlich angeordnet gewesen. Eine Beweisaufnahme hierüber würde sich dann erübrigen.

Desweiteren trägt die Kl. jedenfalls mit ihrer Beschwerde ausreichend substantiiert und unter Beweisantritt vor, ihr Rückflug sei medizinisch notwendig gewesen, weil man sie auf dem griechischen Festland, noch nicht einmal in Athen, medizinisch nicht ausreichend hätte versorgen können, und die sie auf der Insel Korfu behandelnden Ärzte hätten ausdrücklich auf den Rückflug bestanden.

Rechtsgebiete

Versicherungsrecht

Normen

AVB-RKV § 4 Nr. 3; BGB § 242