Rücktransport aus der Antarktis in der Auslandskrankenversicherung
Gericht
OLG Frankfurt a.M.
Art der Entscheidung
Urteil
Datum
16. 08. 2000
Aktenzeichen
7 U 186/99
In der Auslandskrankenversicherung sind die Kosten des Rücktransports an den vor Beginn des Versicherungsvertrags bestehenden ständigen Wohnsitz zu erstatten, wenn Gefahr für Leib und Leben besteht, eine ausreichende Versorgung am Unfallort (hier: Antarktis) nicht gewährleistet ist und die Notwendigkeit des Rücktransports ärztlich angeordnet ist. Der Versicherungsnehmer kann nicht darauf verwiesen werden, dass am Ort einer im Zuge des Rücktransports gewährten Krankenversorgung (hier: Santiago de Chile) eine dem Heimatort vergleichbare ärztliche Versorgung möglich gewesen wäre.
Zum Sachverhalt:
Der Kl. nimmt die Bekl. aus einer Auslandskrankenversicherung wegen der Kosten eines Rückflugs nach einem Hubschrauberunfall in der Antarktis in Anspruch.
Die Klage hatte in beiden Instanzen Erfolg.
Aus den Gründen:
Das LG ist mit Recht davon ausgegangen, dass die Bekl. in zugesprochener Höhe auf Grund der mit dem Kl. geschlossenen Auslandskrankenversicherung verpflichtet ist, dem Kl. die geltend gemachten Rücktransportkosten in Höhe von 32064,70 DM zu erstatten. Diese Verpflichtung folgt aus der Vertragsinhalt gewordenen Bestimmung des § 4 III lit. a AVB-RK, wonach die Bekl. die Kosten für einen medizinisch notwendigen und ärztlich angeordneten Rücktransport zu ersetzen hat, sofern Gefahr für Leib und Leben besteht und im Aufenthaltsland eine ausreichende medizinische Versorgung nicht gewährleistet ist. Von dem Vorliegen dieser Voraussetzungen ist auf Grund des unstreitigen Sachverhalts auszugehen.
Dass wegen der Unfallfolgen eine medizinisch notwendige Heilbehandlung geboten war, ist zwischen den Parteien unstreitig. Da der Kl. beim Absturz des Hubschraubers sich neben leichteren Verletzungen Brüche des Lendenwirbels LWK 2 sowie eine Fraktur am rechten Fuß zugezogen hatte, war zur Behebung dieser Unfallfolgen Heilbehandlung geboten, deren Kosten die Bekl. auf Grund des abgeschlossenen Versicherungsvertrags zu erstatten hatte (vgl. §§ 1 I und II, 4 I AVB-RK).
Über den Umfang der hierdurch ausgelösten Leistungspflicht der Bekl.gem. § 4 I AVB-RK hinaus, wonach u.a. Unterkunft, Verpflegung, ärztliche und sonstige medizinisch notwendige Behandlung in einem Krankenhaus des Aufenthaltsorts sowie der notwendige Transport zur stationären Heilbehandlung in das nächste erreichbare Krankenhaus oder zunächst erreichbaren Arzt zu erstatten war, löste die medizinisch notwendige Heilbehandlung auch einen Anspruch des Kl. auf Erstattung der Kosten eines Rücktransports aus. Das ergibt sich aus § 4 III lit. a AVB-RK. Danach waren die durch einen medizinisch notwendigen und ärztlich angeordneten Rücktransport an dem vor Beginn des Versicherungsvertrags bestehenden ständigen Wohnsitz einschließlich der Aufwendungen für eine Begleitperson entstehenden Kosten zu erstatten, da für den Kl. auf Grund der Unfallverletzung eine Gefahr für Leib und Leben bestand. Der nach § 6 I lit. a AVB-RK hierfür zu führende Nachweis ist erbracht, da sich der Bescheinigung des Schiffsarztes des Forschungsschiffs Polarstern, Dr. M, vom 11. 12. 1997 entnehmen lässt, dass die medizinische Notwendigkeit des Rücktransports vorlag. Der Schiffsarzt hatte in seiner Stellungnahme ausgeführt, er habe es für dinglich indiziert erachtet, die Patienten, damit auch den Piloten des verunglückten Hubschraubers, nach Ablauf von zwei bis drei Wochen nach Deutschland zu verlegen, damit die weitere Behandlung, ggf. die Rehabilitation in die Wege geleitet werden könne. Dass eine Gefahr für Leib und Leben des Kl. bestanden hat, ohne dass der Schiffsarzt dies wörtlich ausführen musste, ergibt sich aus dem Passus seines Schreibens, wonach die erforderliche Diagnostik in Deutschland zu erfolgen habe und es unvertretbar sei, einer einzelnen verletzten Person die weitere Diagnostik und Therapie, die sich noch über mehrere Wochen hinziehen könne, 10000 km vom Heimatland zuzumuten. Früher sei ein regulärer Linienflug in sitzender Position nicht möglich. Soweit die Bekl. in Zweifel gezogen hat, dass die Bescheinigung des Schiffsarztes die nach den Tarifbedingungen zwingend erforderliche ausdrückliche ärztliche Anordnung des Rücktransports enthalte, hat sie den Erklärungsinhalt der Bescheinigung verkannt. Angesichts des Hinweises des Schiffsarztes, wonach für den Kl. ein Risiko begleitender Komplikationen, die eine tiefe Beinvenenthrombose, eine Lungenentzündung oder ein paralytischer Ileus bestünde, er es deshalb für dringlich indiziert erachte, den Patienten nach Deutschland zu verlegen, war es entbehrlich, dass der die Bescheinigung ausstellende Arzt zusätzlich ausdrücklich das Wort Anordnung gebrauchte. Die Anordnung lag vielmehr darin, dass er es im medizinisch gebotenen Interesse des Patienten, damit für medizinisch notwendig hielt, den Patienten nach Ablauf von zwei bis drei Wochen nach Deutschland zu verlegen und dort die erforderliche Diagnostik und die darauf aufbauenden Therapieleistungen zu erbringen.
Auch die weitere Voraussetzung der Erstattbarkeit der Kosten des Rücktransports liegen vor, da nach dem unstreitigen Sachverhalt im Aufenthaltsland eine ausreichende medizinische Versorgung nicht gewährleistet gewesen ist. Da sich der Unfall in der Antarktis ereignet hatte, die damit das Aufenthaltsland darstellte, und nach dem unstreitigen Sachverhalt in der Antarktis eine ausreichende medizinische Versorgung des Kl. nicht gewährleistet werden konnte, war der Rücktransport danach geboten. In Anbetracht der Art und Schwere der Erkrankung lag eine medizinische Notwendigkeit eines Rücktransports aus der Antarktis in das Heimatland des verletzten Kl. vor (vgl. auch Nies, NVersZ 2000, 305; vgl. auch AG Stuttgart, NVersZ 2000, 332). Damit kommt es nicht auf die breite Darstellung der Bekl. an, ob etwa eine ärztliche Behandlung mit einem Standard, der dem der BRD entsprach, in Chile gewährt werden konnte, da Chile nicht das Aufenthaltsland war, in dem ggf. eine Behandlung für den Kl. zumutbar war.
Der Senat weist darauf hin, dass selbst dann, wenn angenommen werden sollte, dass eine Behandlung in Chile wegen Vergleichbarkeit des medizinischen Standards mit einer Behandlung in Deutschland angenommen werden sollte, gleichwohl von einer Erstattbarkeit der Kosten des Rücktransports auszugehen wäre. Der Senat folgt den Erwägungen in den Entscheidungen des OLG Düsseldorf vom 28. 3. 1995 (VersR 1996, 1402) wie den Erwägungen des OLG Frankfurt a.M. (22. Zivilsenat) vom 16. 12. 1993 (NJW-RR 1994, 1510 = OLG-Report 1994, 42 = r+s 1994, 150), dass unabhängig von einer etwaigen medizinischen Unterversorgung im Ausland ein Rücktransport mittels eines Ambulanzflugzeugs allein auf Grund des Krankheitsbilds und des Alters des Kl. erstattbar war und darüber hinaus der Versicherer sich nach Treu und Glauben nicht darauf berufen kann, ein Rücktransport des Erkrankten aus dem Ausland sei weder medizinisch notwendig noch ärztlich angeordnet gewesen, wenn die Kosten, die er für die ärztliche Heilbehandlung im Ausland zu erstatten gehabt hätte, ähnlich hoch seien wie die Kosten des Rücktransports in die BRD, wo der Versicherer angesichts einer etwaigen, von der Bekl. angenommenen Eintrittspflicht der Berufsgenossenschaft keine Kosten für die Heilbehandlung zu erbringen gehabt hätte.
Auch die Höhe der zu erstattenden geltend gemachten Kosten ist nicht zu beanstanden. Die Höhe der von dem Kl. aufgewandten Kosten ist durch die vorgelegten Urkunden im Original nachgewiesen worden. Die von der Bekl. nicht angegriffene Darstellung des Kl. in dem Schriftsatz vom 10. 3. 1999 hat in nicht zu beanstandender Weise den zu erstattenden Betrag zum Tageskurs von chilenischen Pesos und von US-Dollar umgerechnet und ist auf diese Weise zu einem Gesamtrechnungsbetrag gelangt, der der Höhe des zuzusprechenden Betrags entspricht.
Soweit die Bekl. hinsichtlich der Höhe darauf abstellt, die Krankenhauskosten in Santiago seien deshalb entbehrlich gewesen, weil der Kl. auch einen Hotelaufenthalt mit wesentlich niedriger entstehenden Kosten hätte wählen können, vermag der Senat dieser Argumentation nicht zu folgen. Angesichts des oben dargestellten Beschwerdebilds des Kl. bestand für den Kl. weder die Möglichkeit noch die Zumutbarkeit, zu versuchen, in einem Hotel unterzukommen. Vielmehr war es, schon wegen möglicher Komplikationsgefahren und einer Notwendigkeit ständiger ärztlicher Überwachung geboten, dass der Kl. bei seinem Zwischenaufenthalt in Chile unter ärztlicher Kontrolle in einem Krankenhaus blieb.
Die Bekl. kann auch nicht eine Reduzierung der zu erstattenden Kosten mit der Begründung verlangen, dass der Kl. die Kosten eines regulären Rückflugs sich anrechnen lassen müsse. Dem LG ist darin beizupflichten, dass den Versicherungsbedingungen nicht entnommen werden kann, dass lediglich die Mehrkosten eines Rückflugs von der Auslandskrankenversicherung zu erstatten seien. Angesichts dessen kommt es nicht darauf an, dass der Kl. mit seinem Arbeitgeber vereinbart hatte, dass von Kapstadt aus der Rückflug von seinem Arbeitgeber gezahlt worden wäre.
Eine Kürzung des zu erstattenden Betrags kann auch nicht hinsichtlich der Position Handling Fee und bzgl. der Kosten der Polizistin T beansprucht werden. Der Senat braucht nicht zu klären, ob abweichend von diesen Rechnungen auch Leistungen gegenüber dem bei dem Unfall verletzten, zugleich mit dem Kl. von der Antarktis bis nach Santiago transportierten Piloten des Hubschraubers erbracht worden sind. Selbst wenn die Rechnung Leistungen erfasste, die beide verletzten Personen betrafen, ergab sich hieraus nicht eine von der Bekl. angenommene Kürzungsmöglichkeit auf die Hälfte des Rechnungsbetrags. Da der Kl. in jedem Falle betreut und bewacht werden musste, ist es unerheblich, ob die Betreuungs- oder Begleitpersonen zugleich dem mittransportierten Piloten gegenüber Leistungen erbracht haben. In beiden Fällen blieb die Höhe der Kosten, die durch die Betreuung entstanden, unverändert.
Schließlich ist der Anspruch des Kl. auf Erstattung der Rücktransportkosten nicht nach § 67 I 3 VVG ausgeschlossen. Die Bekl. hat nicht dargelegt, dass der Kl. einen etwaigen Anspruch gegen einen Dritten oder ein zur Sicherung seines Anspruchs dienendes Recht aufgegeben hat, so dass die Bekl. deshalb von ihrer Ersatzpflicht insoweit frei geworden ist, als sie aus dem Anspruch oder dem Recht hätte Ersatz verlangen können. Es kann auf sich beruhen, ob die von der Bekl. eingenommene Rechtsposition, wonach die für den Kl. zuständige Berufsgenossenschaft verpflichtet gewesen sei, nicht nur die Kosten für den Transport zwischen dem Flughafen Hamburg und dem Berufsgenossenschaftlichen Unfallkrankenhaus zu erstatten, sondern bei Eintritt von Arbeitsunfällen im Ausland auch für die dort sich ereigneten Arbeitsunfälle mit der Folge eintrittspflichtig gewesen ist, dass sie auch die Kosten eines Rücktransports zu erstatten hatte. Ob die für den Kl. zuständige Berufsgenossenschaft eine Auslandsversicherung gegen Unfälle eingerichtet hatte und ob eine solche Versicherung dazu führte, dass auch die Kosten eines Rücktransports zu erstatten waren, kann auf sich beruhen. Das bedarf deshalb keiner Klärung, weil die Bekl. nicht dargelegt hat, dass dem Kl. vorgeworfen werden kann, Regressansprüche der Bekl. durch Erlass, Verzicht, Vergleich oder die Abtretung etwaiger Entschädigungsansprüche vorsätzlich aufgegeben zu haben (vgl. hierzu OLG Celle, VersR 1965, 349 [350]; Bruck/Möller/Sieg, VVG, 8. Aufl., § 67 Anm. 73 und 7; Honsell/Baumann, in: Berliner Komm. z. VVG, § 67 Rdnr. 117; Römer/Langheid, VVG, § 67 Rdnr. 41). Die Bekl. hat ihrer Darlegungslast hinsichtlich des von ihr behaupteten Tatbestands der Aufgabe solcher Ansprüche einschließlich des Vorsatzes des Versicherungsnehmers nicht genügt, so dass der Leistungsausschlussgrund des § 67 I 3 VVG nicht angenommen werden kann (vgl. auch Bruck/Möller/Sieg, § 67 Rdnr. 81; Baumgärtl/Prölss, Hdb. der Beweislast V, § 67 VVG Rdnr. 3; Honsell/Baumann, in: Berliner Komm. z. VVG, § 67 Rdnr. 119).
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