Begriff des Unternehmensübergangs i.S. der Richtlinie 77/187/EWG

Gericht

EuGH


Art der Entscheidung

Urteil


Datum

07. 03. 1996


Aktenzeichen

C-171/94 u. C-172/94 (Albert Merckx u. Patrick Neuhuys / Ford Motors Company Belgium SA)


Leitsatz des Gerichts

  1. Art. 1 I Richtlinie 77/187 EWG des Rates vom 14. 2. 1977 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Wahrung von Ansprüchen der Arbeitnehmer beim Übergang von Unternehmen, Betrieben oder Betriebsteilen ist dahin auszulegen, daß die Richtlinie auf den Fall anwendbar ist, daß ein Unternehmen, das eine Berechtigung zum Vertrieb von Kraftfahrzeugen für ein bestimmtes Gebiet besitzt, seine Tätigkeit einstellt und die Vertriebsberechtigung sodann auf ein anderes Unternehmen übertragen wird, das - ohne Übertragung von Aktiva - einen Teil der Belegschaft übernimmt und für das bei der Kundschaft geworben wird.

  2. 2. Art. 3 I Richtlinie 77/187/EWG verwehrt es einem Arbeitnehmer, der zum Zeitpunkt des Unternehmensübergangs beim Veräußerer beschäftigt ist, nicht, dem Übergang seines Arbeitsvertrags oder Arbeitsverhältnisses auf den Erwerber zu widersprechen. Es ist Sache der Mitgliedstaaten zu bestimmen, was in einem solchen Fall mit dem Arbeitsvertrag oder dem Arbeitsverhältnis mit dem Veräußerer geschieht. Wird der Arbeitsvertrag oder das Arbeitsverhältnis wegen einer Änderung der Höhe des dem Arbeitnehmer gewährten Entgelts beendet, so müssen die Mitgliedstaaten jedoch gem. Art. 4 II Richtlinie vorsehen, daß die Beendigung durch den Arbeitgeber erfolgt ist.

Tatbestand

Zum Sachverhalt:

Der Cour du Travail Brüssel hat dem Gerichtshof gem. Art. 177 EGV eine Frage nach der Auslegung der Richtlinie 77/187/EWG des Rates vom 14. 2. 1977 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Wahrung von Ansprüchen der Arbeitnehmer beim Übergang von Unternehmen, Betrieben oder Betriebsteilen (ABlEG Nr. L 61, S. 26, im folgenden: Richtlinie) zur Vorabentscheidung vorgelegt. Diese Frage stellt sich in zwei arbeitsgerichtlichen Verfahren zwischen Albert Merckx und Patrick Neuhuys (im folgenden: Kl.) und der Ford Motors Company Belgium SA (im folgenden: Bekl.), in denen strittig ist, wie sich die Beendigung der Tätigkeit der Anfo Motors SA und die Übernahme ihrer Vertriebsberechtigung für Kraftfahrzeuge durch ein anderes Unternehmen, die Novarobel SA, auf die Arbeitsverträge zwischen den Kl. und der Firma Anfo Motors auswirken.

Nach ihrer zweiten Begründungserwägung soll die Richtlinie "die Arbeitnehmer bei einem Inhaberwechsel schützen und insbesondere die Wahrung ihrer Ansprüche gewährleisten". Zu diesem Zweck bestimmt Art. 3 I Richtlinie, daß die Rechte und Pflichten des Veräußerers aus einem zum Zeitpunkt des Übergangs bestehenden Arbeitsvertrag auf den Erwerber übergehen. Gem. Art. 4 I 1 stellt der Übergang eines Unternehmens, Betriebes oder Betriebsteils als solcher für den Veräußerer oder den Erwerber keinen Grund zur Kündigung dar. Nach Art. 1 I ist die Richtlinie auf den Übergang von Unternehmen, Betrieben oder Betriebsteilen auf einen anderen Inhaber durch vertragliche Übertragung oder durch Verschmelzung anwendbar. Im belgischen Recht wird die Richtlinie durch den Tarifvertrag Nr. 32a vom 7. 6. 1985 über die Wahrung von Ansprüchen der Arbeitnehmer beim Wechsel des Arbeitgebers infolge einer vertraglichen Unternehmensübertragung und zur Regelung der Ansprüche übernommener Arbeitnehmer bei einer Übernahme der Aktiva nach Konkurs oder Vergleich umgesetzt. Nach dem Königlichen Erlaß vom 25. 6. 1985 (Moniteur belge v. 9. 8. 1985, S. 11527) hat dieser Tarifvertrag bindende Wirkung.

Die Kl. waren als Autoverkäufer bei der Anfo Motors SA beschäftigt. Diese Firma verkaufte in einer Reihe von Gemeinden des Großraums Brüssel als Vertragshändlerin der Bekl. Kraftfahrzeuge; die Bekl. war auch Hauptaktionärin des Unternehmens. Am 8. 10. 1987 teilte die Anfo Motors SA den Kl. mit, daß sie ihre Tätigkeit zum 31. 12. 1987 vollständig einstellen werde. Vom 1. 11. 1987 an werde die Firma Ford in den bisher von der Anfo Motors SA betreuten Gemeinden mit einer unabhängigen Vertragshändlerin, der Novarobel SA, zusammenarbeiten. Letztere werde 14 der 64 Mitarbeiter der Anfo Motors SA übernehmen. Die Stellung, die Dauer der Betriebszugehörigkeit und alle anderen vertraglichen Rechte der übernommenen Arbeitnehmer blieben im Einklang mit dem Tarifvertrag Nr. 32a aufrechterhalten. Die Anfo Motors SA versandte außerdem ein Schreiben an ihre Kunden, in dem sie sie über die Geschäftsaufgabe informierte und ihnen die neue Vertragshändlerin empfahl. Mit Schreiben vom 27. 10. 1987 lehnten die Kl. die vorgeschlagene Übernahme ab. Sie führten aus, die Anfo Motors SA könne sie nicht dazu verpflichten, für ein anderes Unternehmen an einem anderen Ort und zu anderen Arbeitsbedingungen zu arbeiten, ohne daß die geringste Garantie für die Erhaltung des Kundenstammes und die Erzielung eines bestimmten Verkaufsergebnisses gegeben sei. Die Vorgehensweise der Anfo Motors SA erfülle daher den Tatbestand einer einseitigen Lösung ihrer Arbeitsverträge. Sie hätten deshalb Anspruch auf eine Abfindung sowie auf weitere, aus anderen Gründen geschuldete Beträge. Mit Schreiben an die Kl. vom 30. 10. und 2. 11. 1987 bestätigte die Anfo Motors SA die Übernahme ihrer Arbeitsverträge durch die Novarobel SA und wies weiter darauf hin, daß die Gewerkschaften am 30. 10. 1987 einen Tarifvertrag unterzeichnet hätten, durch den sie die Anwendbarkeit des Tarifvertrags Nr. 32a und damit die Wirksamkeit der Übernahmen anerkannt hätten. Sie forderte die Kl. auf, unverzüglich bei der Novarobel SA zu erscheinen, andernfalls werde sie Schadensersatz wegen Vertragsbruchs geltend machen. Die Kl. kamen dieser Aufforderung nicht nach und erhoben - nach weiterem ergebnislosem Schriftwechsel - gegen die Anfo Motors SA, für die später die jetzige Bekl. eintrat, Klage auf Zahlung verschiedener Beträge als Entschädigung wegen Entlassung und wegen Betriebsschließung, als Abfindung sowie als anteilige Jahresabschlußprämie. Die Anfo Motors SA erhob Widerklagen, mit denen sie ihrerseits von den Kl. Schadensersatz wegen Vertragsbruchs begehrte. Mit Urteilen vom 20. 7. 1990 wies das Tribunal du Travail die Klagen als unbegründet und die Widerklagen als unzulässig ab. Die Kl. legten gegen diese Urteile Berufung bei der Cour du Travail Brüssel ein; die Bekl. erhob Anschlußberufung. Die Kl. machten geltend, es liege kein Unternehmensübergang i.S. des Tarifvertrags Nr. 32a, sondern eine Betriebsschließung vor. Die Bekl. vertrat die gegenteilige Auffassung. Das vorlegende Gericht traf folgende Feststellungen: Wie aus einer als "Convention et garantie" bezeichneten Vereinbarung mit der Novarobel SA vom 15. 10. 1987 hervorgehe, habe die Bekl. beschlossen, den Geschäftsbetrieb ihres Tochterunternehmens Anfo Motors SA einzustellen und die zuvor diesem eingeräumte Vertriebsberechtigung an die Novarobel SA zu vergeben, die gegen Garantien seitens der Bekl. im Einklang mit dem Tarifvertrag Nr. 32a bestimmte von der Anfo Motors SA ausgeübte Tätigkeiten übernehme. Obwohl die Bekl. Hauptaktionärin der Anfo Motors SA sei, habe in Wirklichkeit letztere selbst die Beendigung ihrer Tätigkeit beschlossen. Zwischen der Anfo Motors SA und der Novarobel SA bestehe keine vertragliche Beziehung. Die Anfo Motors SA habe mehr als drei Viertel ihrer Mitarbeiter entlassen und ihnen die bei einer Betriebsschließung gesetzlich vorgesehenen Entschädigungen gezahlt. Sie habe keine materiellen Aktiva an die Novarobel SA übertragen; unbewiesen sei insbesondere, daß sie ihre Kundenkartei an diese weitergegeben habe.

Auf das Vorabentscheidungsersuchen des Cour du Travail hat der EuGH entschieden, daß bei einem Sachverhalt wie dem vorliegenden ein Unternehmensübergang bejaht werden kann, daß aber die Arbeitnehmer dem Übergang ihrer Arbeitsverhältnisse widersprechen können, wobei die Folgen des Widerspruchs nach nationalem Recht zu beurteilen sind.

Entscheidungsgründe

Aus den Gründen:

15. Mit dieser Frage soll zunächst geklärt werden, ob Art. 1 I Richtlinie dahin auszulegen ist, daß die Richtlinie auf einen Fall anwendbar ist, in dem ein Unternehmen, das eine Berechtigung zum Vertrieb von Kraftfahrzeugen für ein bestimmtes Gebiet besitzt, seine Tätigkeit einstellt und die Vertriebsberechtigung sodann auf ein anderes Unternehmen übertragen wird, das - ohne die Übertragung von Aktiva - einen Teil der Belegschaft übernimmt und für das bei der Kundschaft geworben wird. Angesichts des Sachverhalts der Ausgangsverfahren und im Interesse einer sachdienlichen Antwort an das vorlegende Gericht ist zweitens zu prüfen, ob Art. 3 I es einem Arbeitnehmer, der zum Zeitpunkt des Unternehmensübergangs beim Veräußerer beschäftigt ist, verwehrt, dem Übergang seines Arbeitsvertrags oder Arbeitsverhältnisses auf den Erwerber zu widersprechen.

Zum Vorliegen eines Übergangs i.S. der Richtlinie

16. Was den ersten Teil der so formulierten Frage angeht, so besteht das entscheidende Kriterium für einen Übergang i.S. der Richtlinie nach ständiger Rechtsprechung darin, ob die fragliche Einheit ihre Identität bewahrt, was namentlich dann der Fall ist, wenn der Betrieb tatsächlich weitergeführt oder wiederaufgenommen wird (vgl. EuGH, Slg. I 1992, 3189 = EuZW 1994, 149 Tz. 23 - Redmond Stichting).

17. Für die Feststellung, ob diese Voraussetzung erfüllt ist, sind sämtliche den betreffenden Vorgang kennzeichnenden Tatsachen zu berücksichtigen. Dazu gehören namentlich die Art des betreffenden Unternehmens oder Betriebes, der Übergang oder Nichtübergang der materiellen Aktiva wie Gebäude und bewegliche Güter, der Wert der immateriellen Aktiva zum Zeitpunkt des Übergangs, die Übernahme oder Nichtübernahme der Hauptbelegschaft durch den neuen Inhaber, der Übergang oder Nichtübergang der Kundschaft sowie der Grad der Ähnlichkeit zwischen der vor und der nach dem Übergang verrichteten Tätigkeit und die Dauer einer eventuellen Unterbrechung dieser Tätigkeit. Alle diese Umstände sind jedoch nur Teilaspekte der vorzunehmenden Gesamtbewertung und dürfen deshalb nicht isoliert beurteilt werden (Urteil Redmond Stichting, Tz. 24).

18. Anhand dieser Grundsätze läßt sich im vorliegenden Fall feststellen, daß die Bekl., die Hauptaktionärin der Anfo Motors SA, die Berechtigung zum Vertrieb ihrer Kraftfahrzeuge in dem zuvor von dieser betreuten Gebiet auf die Novarobel SA übertragen und damit das wirtschaftliche Risiko dieser Tätigkeit auf ein Unternehmen außerhalb ihrer eigenen Unternehmensgruppe verlagert hat, daß die Novarobel SA die Tätigkeit der Anfo Motors SA ohne Unterbrechung im selben Bereich zu den gleichen Bedingungen fortführt, daß sie einen Teil der Belegschaft übernommen hat und daß für sie im Interesse einer kontinuierlichen Nutzung der Vertriebsberechtigung bei der Kundschaft geworben wurde.

19. Diese Tatsachen lassen insgesamt den Schluß zu, daß die Übertragung der Vertriebsberechtigung in den Ausgangsverfahren vom Geltungsbereich der Richtlinie erfaßt werden kann. Allerdings bleibt zu prüfen, ob nicht bestimmte von den Kl. angeführte Umstände dieser Feststellung entgegenstehen.

20. Die Kl. machen erstens geltend, daß im Ausgangsfall weder materielle noch immaterielle Aktiva des Unternehmens übertragen und auch dessen Aufbau und Organisation nicht - und zwar nicht einmal teilweise - beibehalten worden seien. Überdies habe die Novarobel SA ihren Sitz in anderen Gemeinden des Großraums Brüssel als den zuvor von der Anfo Motors SA betreuten.

21. Diese Umstände stehen der Anwendung der Richtlinie jedoch nicht entgegen, da angesichts der Art der ausgeübten Tätigkeit die Übertragung von Aktiva für die Frage, ob die betroffene Einheit ihre wirtschaftliche Identität bewahrt hat, nicht ausschlaggebend ist (vgl. in diesem SinneEuGH, Slg. I 1994, 1311 = EuZW 1994, 374 = NJW 1994, 2343 = NZA 1994, 545 Tz. 16 - Christel Schmidt). Die Tätigkeit des Alleinvertriebs von Kraftfahrzeugen eine bestimmten Marke in einem bestimmten Bereich bleibt ihrem Gegenstand nach nämlich auch dann unverändert, wenn sie unter einer anderen Geschäftsbezeichnung, in anderen Geschäftsräumen und mit anderen Hilfsmitteln wahrgenommen wird. Unerheblich ist auch, daß sich der Unternehmenssitz in einer anderen Zone desselben Großraums befindet, da das Vertriebsgebiet dasselbe bleibt.

22. Die Kl. machen zweitens geltend, von einem Übergang i.S. der Richtlinie könne nicht gesprochen werden, wenn ein Unternehmen, wie hier die Anfo Motors SA, seine Tätigkeit endgültig und vollständig eingestellt habe und liquidiert werde. In diesem Fall existiere die wirtschaftliche Einheit nicht mehr und habe demgemäß ihre Identität nicht bewahren können.

23. Insoweit genügt der Hinweis, daß der mit der Richtlinie bezweckte Schutz der Arbeitnehmer beeinträchtigt würde, wenn die Anwendung der Richtlinie bereits dadurch ausgeschlossen würde, daß das veräußerte Unternehmen seine Tätigkeit zum Zeitpunkt der Veräußerung einstellt und anschließend liquidiert wird. Wird die Tätigkeit dieses Unternehmens durch ein anderes Unternehmen fortgeführt, so sind diese Umstände eher geeignet, das Vorliegen eines Übergangs i.S. der Richtlinie zu bestätigen.

24. Nach Auffassung der Kl. ist die Richtlinie drittens deshalb nicht anwendbar, weil der größere Teil der Belegschaft anläßlich der Übertragung der Vertriebsberechtigung entlassen wurde.

25. Gem. Art. 4 I Richtlinie stellt der Übergang eines Unternehmens, Betriebes oder Betriebsteils als solcher keinen Kündigungsgrund dar. Diese Bestimmung steht jedoch etwaigen Kündigungen aus wirtschaftlichen, technischen oder organisatorischen Gründen, die Änderungen im Bereich der Beschäftigung mit sich bringen, nicht entgegen.

15. Der Umstand, daß der größere Teil der Belegschaft im Zusammenhang mit der Übertragung entlassen wurde, genügt daher nicht, um die Anwendung der Richtlinie auszuschließen. Denn zum einen gab es für diese Kündigungen möglicherweise wirtschaftliche, technische oder organisatorische Gründe i.S. von Art. 4 I Richtlinie. Zum anderen würde jedenfalls auch ein Verstoß gegen diese Bestimmung das Vorliegen eines Übergangs i.S. der Richtlinie nicht in Frage stellen.

27. Die Kl. machen schließlich geltend, selbst wenn ein Übergang i.S. der Richtlinie tatsächlich stattgefunden haben sollte, beruhe dieser nicht, wie nach Art. 1 Richtlinie erforderlich, auf einer vertraglichen Übertragung. Dieser Begriff setze nämlich notwendig das Bestehen einer Vertragsbeziehung zwischen Veräußerer und Erwerber voraus. Hieran fehle es aber im Ausgangsfall.

28. Da die sprachlichen Fassungen der Richtlinie voneinander abweichen und der Begriff der vertraglichen Übertragung im Recht der Mitgliedstaaten unterschiedliche Bedeutung hat, hat der Gerichtshof diesen Begriff so weit ausgelegt, daß er dem Zweck der Richtlinie, nämlich dem Schutz der Arbeitnehmer bei einer Übertragung ihres Unternehmens, gerecht wird. Er hat demgemäß entschieden, daß die Richtlinie in allen Fällen anwendbar ist, in denen die für den Betrieb des Unternehmens verantwortliche natürliche oder juristische Person, die die Arbeitgeberverpflichtung gegenüber den Beschäftigten des Unternehmens eingeht, im Rahmenvertraglicher Beziehungen wechselt (vgl. insb. Urteil Redmond Stichting, Tz. 10 u. 11).

29. So ist nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes die Richtlinie anwendbar auf die Kündigung eines Restaurant-Pachtvertrags und den anschließenden Abschluß eines neuen Pachtvertrags mit einem anderen Betreiber (EuGH, Slg. 1988, 739 - Tellerup/Daddy's Dance Hall), auf die Kündigung eines Mietverhältnisses über die Geschäftsräume und einen anschließenden Verkauf durch den Eigentümer (EuGH, Slg. 1988, 3057 - Bork International) und schließlich auf die vollständige und endgültige Beendigung der Tätigkeit einer juristischen Person infolge des Entzugs öffentlicher Subventionen und die anschließende Gewährung dieser Subvention an eine andere juristische Person mit gleicher Zielsetzung (Urteil Redmond Stichting).

30. Nach dieser Rechtsprechung setzt die Anwendung der Richtlinie nicht das Bestehen einer Vertragsbeziehung zwischen Veräußerer und Erwerber voraus. Wird daher die einem Unternehmen erteilte Vertriebsberechtigung für Kraftfahrzeuge aufgehoben und anschließend einem anderen Unternehmen mit gleichem Tätigkeitsbereich eine neue Vertriebsberechtigung eingeräumt, so liegt dem Unternehmensübergang nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs eine vertragliche Übertragung i.S. der Richtlinie zugrunde.

31. Wie aus den Akten hervorgeht, schloß hier die Bekl., die Hauptaktionärin der Anfo Motors SA war, zudem mit der Novarobel SA eine als "Convention et garantie" bezeichnete Vereinbarung, mit der sie zur Übernahme der Kosten verpflichtete, die der Novarobel SA durch etwaige Entschädigungs-, Abfindungs- und Ausgleichszahlungen an die früheren Mitarbeiter der Anfo Motors SA entstehen würden. Dieser Umstand bestätigt das Vorliegen einer vertraglichen Übertragung i.S. der Richtlinie.

32. Auf den ersten Teil der oben umformulierten Frage ist daher zu antworten, daß Art. 1 I Richtlinie dahin auszulegen ist, daß die Richtlinie auf den Fall anwendbar ist, daß ein Unternehmen, das eine Berechtigung zum Vertrieb von Kraftfahrzeugen für ein bestimmtes Gebiet besitzt, seine Tätigkeit einstellt und die Vertriebsberechtigung sodann auf ein anderes Unternehmen übertragen wird, das - ohne Übertragung von Aktiva - einen Teil der Belegschaft übernimmt und für das bei der Kundschaft geworben wird.

Zur Möglichkeit für den Arbeitnehmer, dem Übergang des Arbeitsvertrags oder des Arbeitsverhältnisses zu widersprechen

33. Was den zweiten Teil der oben umformulierten Frage anbelangt, so hat der Gerichtshof im Urteil vom 11. 7. 1985 (EuGH, Slg. 1985, 2639 Tz. 16 - Danmols Inventar) ausgeführt, daß der mit der Richtlinie bezweckte Schutz gegenstandslos ist, wenn der Betroffene selbst aufgrund seiner eigenen, freien Entscheidung das Arbeitsverhältnis mit dem neuen Unternehmensinhaber nicht fortsetzt.

34. Nach dem Urteil vom 16. 12. 1992 (EuGH, Slg. I, 1992, 6577 = EuZW 1993, 161 = NZA 1993, 169 Tz. 31, 32 - Katsikas u.a.) ermöglicht es die Richtlinie dem Arbeitnehmer zwar, sein Beschäftigungsverhältnis mit dem neuen Arbeitgeber zu den mit dem Veräußerer vereinbarten Bedingungen fortzusetzen, verpflichtet ihn aber nicht zu einer Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses mit dem Erwerber. Eine solche Verpflichtung verstieße gegen Grundrechte des Arbeitnehmers, der in der Wahl seines Arbeitgebers frei sein muß und nicht verpflichtet werden kann, für einen Arbeitgeber zu arbeiten, den er nicht frei gewählt hat.

35. Entscheidet sich der Arbeitnehmer frei dafür, den Arbeitsvertrag oder das Arbeitsverhältnis nicht mit dem Erwerber fortzusetzen, so ist es daher Sache der Mitgliedstaaten zu bestimmen, was in einem solchen Fall mit dem Arbeitsvertrag oder dem Arbeitsverhältnis geschieht. Sie können insbesondere vorsehen, daß der Arbeitsvertrag oder das Arbeitsverhältnis in diesem Fall als entweder vom Arbeitnehmer oder vom Arbeitgeber gekündigt gilt. Sie können auch vorsehen, daß der Arbeitsvertrag oder das Arbeitsverhältnis mit dem Veräußerer bestehen bleibt (Urteil Katsikas, Tz. 35 u. 36).

36. In diesem Zusammenhang tragen die Kl. ferner vor, daß es die Novarobel SA abgelehnt habe, ihnen den Fortbestand ihres vor allem vom erzielten Umsatz abhängigen Entgelts zu garantieren.

37. Zu diesem Vorbringen ist auf Art. 4 II Richtlinie hinzuweisen, wonach dann, wenn der Arbeitsvertrag oder das Arbeitsverhältnis beendet wird, weil der Übergang i.S. des Art. 1 I eine wesentliche Änderung der Arbeitsbedingungen zum Nachteil des Arbeitnehmers zur Folge hat, davon auszugehen ist, daß die Beendigung durch den Arbeitgeber erfolgt ist.

38. Eine Änderung der Höhe des dem Arbeitnehmer gewährten Entgelts ist eine wesentliche Änderung der Arbeitsbedingungen i.S. dieser Vorschrift; dies gilt auch dann, wenn die Vergütung vor allem umsatzabhängig ist. Wird der Arbeitsvertrag oder das Arbeitsverhältnis beendet, weil der Übergang eine solche Änderung mit sich bringt, so ist davon auszugehen, daß die Beendigung durch den Arbeitgeber erfolgt ist.

39. Auf den zweiten Teil der umformulierten Frage ist daher zu antworten, daß Art. 3 I Richtlinie es einem Arbeitnehmer, der zum Zeitpunkt des Unternehmensübergangs beim Veräußerer beschäftigt ist, nicht verwehrt, dem Übergang eines Arbeitsvertrags oder Arbeitsverhältnisses auf den Erwerber zu widersprechen. Es ist Sache der Mitgliedstaaten zu bestimmen, was in einem solchen Fall mit dem Arbeitsvertrag oder dem Arbeitsverhältnis mit dem Veräußerer geschieht. Wird der Arbeitsvertrag oder das Arbeitsverhältnis wegen einer Änderung der Höhe des dem Arbeitnehmer gewährten Entgelts beendet, so müssen die Mitgliedstaaten jedoch gem. Art. 4 II Richtlinie vorsehen, daß die Beendigung durch den Arbeitgeber erfolgt ist.

Rechtsgebiete

Arbeitsrecht

Normen

Richtlinie 77/187/EWG des Rates vom 14. 12. 1977 Art. 1 I