Unverwertbarkeit von Beweismitteln im Kündigungsschutzprozess

Gericht

LAG Hamm


Art der Entscheidung

Urteil


Datum

24. 07. 2001


Aktenzeichen

11 Sa 1524/00


Leitsatz des Gerichts

Die Verwertung der unter Verletzung des Persönlichkeitsrechts des Arbeitnehmers gemachten Videoaufzeichnungen im Kündigungsschutzverfahren zur Begründung der Kündigung und zu Beweiszwecken ist unzulässig.

Tatbestand

Auszüge aus dem Sachverhalt:

Die Parteien, zwischen denen seit dem 4. 1. 1995 auf der Basis eines schriftlichen Arbeitsvertrags vom 2. 12. 1998 ein Arbeitsverhältnis mit einer Beschäftigung der Kl. als Abteilungshilfe gegen ein monatliches Gehalt von zuletzt 1946 DM brutto besteht, streiten um die soziale Rechtfertigung einer der Kl. gegenüber mit Schreiben der Bekl. vom 7. 2. 2000 ausgesprochenen außerordentlichen, hilfsweise zum 31. 5. 2000 ausgesprochenen ordentlichen Kündigung der Bekl., der Weiterbeschäftigung der Kl. sowie um den Lohn für die Monate Februar bis Mai 2000 in Höhe von 7275,05 DM brutto abzüglich 632,78 DM netto seitens des Arbeitsamtes gezahlten Arbeitslosengeldes.

Das ArbG hat der Klage stattgegeben. Die Berufung der Bekl. hatte keinen Erfolg.

Entscheidungsgründe

Auszüge aus den Gründen:

Das ArbG hat der Klage zu Recht entsprochen. Das Arbeitsverhältnis der Parteien ist weder durch die der Kl. gegenüber mit Schreiben vom 7. 2. 2000 erklärte außerordentliche Kündigung mit sofortiger Wirkung noch durch die gleichzeitig hilfsweise ausgesprochene ordentliche Kündigung der Bekl. mit Wirkung zum 31. 5. 2000 aufgelöst worden. Die außerordentliche Kündigung der Bekl. ist rechtsunwirksam und die ordentliche Kündigung erweist sich als sozial nicht gerechtfertigt. Ein kündigungsrelevanter Sachverhalt i.S. des § 626 I BGB bzw. § 1 II KSchG konnte nicht festgestellt werden.

Ob der von der Bekl. vorgetragene Kündigungssachverhalt die Kündigung rechtfertigt, kann ebenso dahingestellt bleiben, wie die Frage der ordnungsgemäßen Anhörung des Betriebsrats. Ihr diesbezüglicher Vortrag zur Begründung ihrer Kündigung darf bei der Entscheidung mit der Folge, dass ein Kündigungsgrund nicht feststellbar ist, nicht berücksichtigt werden. Die Verwertung des Vortrags der Bekl. ist entsprechend der zu den Beweisverwertungsverboten entwickelten höchstrichterlichen Rechtsprechung (vgl. BGH, NJW 1982, 277; BGH, NJW 1988, 1016; BGH, NJW 1991, 1180) nicht zulässig, weil die Kl. damit in ihrem durch Art. 1 und Art. 2 GG verfassungsrechtlich geschützten Persönlichkeitsrecht verletzt werden würde (BAGE 41, 37 = NJW 1983, 1691 = AP Nr. 3 zu § 284 ZPO; LAG Berlin, JZ 1982, 258; Stein/Jonas/Leipold, ZPO, § 284 Rdnr. 54). Art. 2 I GG verbrieft jedem das Recht auf freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsgemäße Ordnung oder das Sittengesetz verstößt. Dieses Grundrecht schützt auch Rechtspositionen, die für die Entfaltung der Persönlichkeit notwendig sind. Dazu gehört in bestimmten Grenzen, ebenso wie das Recht am gesprochenen Wort, das Recht am eigenen Bild (BVerfGE , 34, 238 = NJW 1973, 891 = AP Nr. 20 zu Art. 2 GG). Deshalb darf grundsätzlich jedermann selbst und allein bestimmen, wer von ihm Videoaufzeichnungen vornehmen darf. Die Unantastbarkeit der Persönlichkeit wird erheblich geschmälert, dürften andere ohne oder gar gegen den Willen des Betroffenen über die Videoaufnahmen nach Belieben verfügen. Dazu zählt auch die Herstellung von Bildnissen einer Person, insbesondere die Filmaufzeichnung mittels Videogerät, in den der Öffentlichkeit zugänglichen Bereichen, und zwar auch ohne Verbreitungsabsicht (BGH, AP Nr. 25 § 611 BGB Persönlichkeitsrecht). Das durch Art. 1 und Art. 2 GG gewährleistete allgemeine Persönlichkeitsrecht gilt nicht nur gegenüber dem Staat und seinen Institutionen, sondern ist auch im Privatrechtsverkehr und damit auch im beruflichen Bereich zu beachten (BAG, NZA 1985, 811 = AP Nr. 8 zu § 611 BGB Persönlichkeitsrecht; BAG, AP Nr. 27 zu § 611 BGB Persönlichkeitsrecht).

Derartige Eingriffe in das Persönlichkeitsrecht können auch nicht durch Zustimmung des Betriebsrats für den betrieblichen Bereich legitimiert werden (BAG, NZA 1992, 43 = AP Nr. 23 zu § 611 BGB Persönlichkeitsrecht). Die Regelungsbefugnis der Betriebsparteien findet ihre Grenze im Persönlichkeitsschutz des Arbeitnehmers. Nach § 75 II BetrVG haben Arbeitgeber und Betriebsrat die freie Entfaltung der Persönlichkeit der im Betrieb beschäftigten Arbeitnehmer zu schützen. Demnach ist es im Streitfall unerheblich, ob die Mitbestimmungs- oder Mitwirkungsrechte des Betriebsrats gewahrt wurden, ob er zu den Plänen der Bekl., verdeckte Videokameras zu installieren, Stellung genommen hat und ob die Betriebsvereinbarung über die Videoüberwachung eingehalten worden ist. Eingriffe in das Persönlichkeitsrecht können allerdings durch die Wahrnehmung überwiegender schutzwürdiger Interessen des Arbeitgebers gerechtfertigt sein, wozu es einer Güter- und Interessenabwägung bedarf, um zu klären, ob dem Persönlichkeitsrecht der einen Partei gleichwertige und schutzwürdige Interessen der anderen Partei gegenüberstehen (BAG, NZA 1988, 92 = AP Nr. 15 zu § 611 BGB Persönlichkeitsrecht; BAGE 64, 308 = NZA 1990, 933 = AP Nr. 21 zu § 611 BGB Persönlichkeitsrecht). Der allgemeine Hinweis, dass ihr in der Vergangenheit Warenverluste entstanden sind und der Einsatz von verdeckten Kameras die einzige Möglichkeit ist, die Täter zu ermitteln, ist ohne nähere Darlegungen unzureichend, um den Eingriff am 12. 11. 1999 gegenüber der Kl. zu rechtfertigen. Dieser Erfolg hätte auch mit weniger weitreichenden Mitteln wie dem Aufstellen von sichtbaren Kameras erreicht werden können. Ein konkretes Verdachtsmoment gegenüber der Kl. hat auch zum 12. 11. 1999 noch nicht bestanden, so dass eine Notwendigkeit zur heimlichen Videoüberwachung der Kl. im November 1999 nicht bestanden hat. Der Eingriff der Bekl. in das geschützte Persönlichkeitsrecht der Kl. war damit rechtswidrig. Das führt dazu, dass die Erkenntnisse der Bekl. aus den Videobändern in dem laufenden Kündigungsschutzverfahren nicht verwertet werden dürfen.

Wenn auch die ZPO kein ausdrückliches Verbot der Verwertung solcher Beweismittel, die durch eine Partei auf rechtswidrige Weise erlangt worden sind, enthält, so geht aus dem Beweisrecht der Zivilprozessordnung allerdings deutlich hervor, dass die Auswertung eines rechtswidrig erlangten Beweismittels unzulässig ist. So ist es beispielsweise dem Richter gem. § 383 III ZPO ausdrücklich untersagt, die Vernehmung auf Tatsachen zu erstrecken, die ohne Verletzung der Verpflichtung zur Verschwiegenheit nicht offenbart werden können.

Die Bekl. kann ihre Kündigung auch nicht auf die Verletzung der sich aus der Kassenanweisung ergebenden Verpflichtungen der Kl. stützen. Abgesehen davon, dass ihr diese Verletzungen erst durch die rechtswidrigen Videoaufzeichnungen vom 12. 11. 1999 bekannt geworden sind, begründet die Mitnahme ihrer privaten Geldbörse und das kurzfristige Verlassen der Kasse ohne Genehmigung der Kassenaufsicht seitens der Kl. keinen dringenden Tatverdacht einer strafbaren Handlung zum Nachteil der Bekl. Aus diesen Umständen folgt nicht der schwerwiegende und objektive Verdacht strafbarer Handlung am Arbeitsplatz.

Auch ist ein derartiges Verhalten der Kl. nicht geeignet, eine außerordentliche bzw. ordentliche Kündigung zu rechtfertigen. Nur dann, wenn der Arbeitnehmer die ihm übertragene Arbeit bewusst und nachhaltig nicht ordnungsgemäß nach den Weisungen des Arbeitgebers leisten will, d.h. sich ausdauernd weigert, bestimmte Anforderungen des Arbeitgebers zu erfüllen, kann eine Kündigung in Betracht gezogen werden. Das Hinwegsetzen über bestimmte Arbeitsanordnungen setzt in der Person des Arbeitnehmers im Willen eine Nachhaltigkeit voraus. Keinesfalls genügt es, dass der Arbeitnehmer seine Arbeitspflicht nur nachlässig oder unzureichend erfüllt bzw. bestehende Arbeitsanordnungen seiner Vorgesetzten oder der Geschäftsleitung unbeachtet lässt. Selbst eine vorsätzliche Verletzung arbeitsvertraglicher Pflichten reicht in aller Regel nicht aus. Beharrlichkeit ist nur bei Widersetzlichkeit des Arbeitnehmers gegeben. Dies setzt daher im Allgemeinen voraus, dass regelmäßig vor Ausspruch einer derartigen verhaltensbedingten Kündigung eine vorherige vergebliche Abmahnung des Arbeitgebers zu erfolgen hat, d.h. der Arbeitgeber muss dem sich pflichtwidrig verhaltenden Arbeitnehmer vorher ausreichend Gelegenheit gegeben haben, sein Verhalten zu korrigieren und seine Arbeitsweise den erwünschten Anforderungen anzupassen (BAG, AP Nr. 9 zu § 1 KSchG Verhaltensbedingte Kündigung; BAG, AP Nr. 3 zu § 1 KSchG Verhaltensbedingte Kündigung = BB 1980, 1269). In aller Regel kann daher nur die wiederholte mangelhafte Erfüllung der arbeitsvertraglichen Verpflichtung durch den Arbeitnehmer nach vorheriger erfolgloser Abmahnung durch den Arbeitgeber eine außerordentliche und auch ordentliche Kündigung rechtfertigen. An einer solchen beharrlichen arbeitsvertraglichen Pflichtverletzung bzw. einer entsprechenden vorherigen Abmahnung bezüglich der von der Kl. verlangten Einhaltung der Kassenrichtlinien seitens der Bekl. mangelt es jedoch hier.

Der Anspruch der Kl. auf tatsächliche Weiterbeschäftigung bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens (vgl. BAGE 31, 228 = NJW 1979, 1728 = AP Nr. 7 zu § 611 BGB Beschäftigungspflicht; BAGE 48, 122 = NZA 1985, 702 = AP Nr. 14 zu § 611 BGB Beschäftigungspflicht) folgt aus dem Fortbestand des Arbeitsverhältnisses. Einer Klage auf Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers nach Ausspruch einer Kündigung für die Dauer des Kündigungsschutzverfahrens ist dann stattzugeben, wenn ein Gericht für Arbeitssachen auf einer entsprechende Kündigungsschutzklage des Arbeitnehmers hin festgestellt hat oder gleichzeitig feststellt, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung nicht aufgelöst worden ist (BAGE 48, 122 = NZA 1985, 702 = AP Nr. 14 zu § 611 BGB Beschäftigungspflicht). Dies ist der Fall. Wie oben ausgeführt, hat die Kammer die außerordentliche Kündigung der Bekl. für rechtsunwirksam und die hilfsweise ausgesprochene ordentliche Kündigung für sozialwidrig erklärt und die Auflösung des Arbeitsverhältnisses verneint.

Der Anspruch der Kl. auf Fortzahlung ihres Gehaltes für die Zeit bis zum 31. 5. 2000 folgt aus dem Fortbestand des Arbeitsverhältnisses und resultiert aus § 615 S. 1 BGB. Danach hat der Arbeitgeber die vereinbarte Vergütung fortzuzahlen, wenn er mit der Annahme der Dienste in Annahmeverzug geraten ist. Nach der Rechtsprechung des BAG (BAGE 46, 234 = NZA 1985, 119 = AP Nr. 34 zu § 615 BGB; BAG, NZA 1985, 778 = AP Nr. 35 zu § 615 BGB; BAGE 50, 164 = NZA 1986, 637 = AP Nr. 39 zu § 615 BGB) bedarf es nach Ausspruch einer Kündigung durch den Arbeitgeber grundsätzlich keines wirklichen Dienstleistungsangebots des Arbeitnehmers, weil der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer einen funktionsfähigen Arbeitsplatz zur Verfügung zu stellen hat, ihm Arbeit zuzuweisen und somit eine nach dem Kalender bestimmte Mitwirkungshandlung vorzunehmen hat. Da der Arbeitgeber mit der Kündigung dem Arbeitnehmer den entgegengesetzten Willen zu erkennen gibt, muss der Arbeitgeber ihn wieder zur Arbeit auffordern, wenn er trotz der Kündigung nicht in Annahmeverzug geraten will. An einer derartigen Aufforderung seitens des Bekl. fehlt es aber unstreitig bis Ende Mai 2000.

Vorinstanzen

ArbG Siegen, 2 Ca 284/00, 18.8.2000

Rechtsgebiete

Arbeitsrecht; Verfahrens- und Zwangsvollstreckungsrecht