Schadenshaftung des Arbeitnehmers bei Auswechslung einer Schließanlage
Gericht
LAG Frankfurt
Art der Entscheidung
Berufungsurteil
Datum
04. 11. 1987
Aktenzeichen
10 Sa 1552/86
Zur Frage, inwieweit ein als Lagerleiter tätiger technischer Angestellter für die Folgekosten eines Schlüsselbund-Verlustes (Auswechslung einer Hauptschließanlage mit insgesamt 27 Einzelschlössern) aufkommen muß.
Der Beklagte war bei der Klägerin als Leiter des Ersatzteillagers beschäftigt. Er ließ während der Arbeitszeit einen ihm anvertrauten Schlüssel in einer Tür stecken. Als er nach ca. 15 Minuten Abwesenheit zurückkam, war der Schlüsselbund mit dem Hauptschlüssel der Schließanlage und weiteren Schlüsseln verschwunden. Die Klägerin hat vollen Ersatz der durch die Auswechselung der Schließanlage entstandenen Kosten (ca. 1800 DM) verlangt.
Das ArbG hat der Klage in vollem Umfang stattgegeben. Das LAG hat den Beklagten nur zum anteiligen Ersatz verpflichtet angesehen.
I. ... II. 1. Die besonderen Rechtsgrundsätze der Schadenshaftung bei gefahrgeneigter Arbeit sind im Streitfalle nach Ansicht des Berufungsgerichts unanwendbar. Die arbeitsvertraglich aufgetragene verantwortliche Leitung bzw. Überwachung eines Ersatzteillagers, soweit sie sich In der ständigen Führung des Schlüsselbundes für alle dort vorhandenen Räumlichkeiten, Zugangstüren oder Behältnisse (Schlüssel für Hauptschließanlage und Zusatzschlüssel) manifestiert, stellte sich nämlich nicht als eine "gefahrengeneigte Arbeit" in dem vom BAG entwickelten speziellen Sinne dar.
Die Verantwortliche Führung eines solchen Schlüsselbundes, welche gerade mit der Position eines Lagerleiters berufstypisch verbunden ist, kann nach überkommener Anschauung nicht zu denjenigen Tätigkeiten gerechnet werden, bei denen nach ihrer Eigenart sowie angesichts der menschlichen Unzulänglichkeit von vornherein die große Wahrscheinlichkeit eines fehlsamen Abirrens der Dienstleistung oder sonst eine konkrete Gefahrenlage besteht.
Zwar verkennt das Berufungsgericht keineswegs, daß eine gefahrengeneigte Arbeit nach einer im Schrifttum vertretenen und im Ansatz wohl richtigen Ansicht auch dann bejaht werden könnte, wenn die Gefahr besteht, daß der durch ein Versehen verursachte Schaden sehr groß ist und außer Verhältnis zum Arbeitseinkommen des Arbeitnehmers steht (so jedenfalls Schaub, Arbeitsrechtshandbuch, 6. Aufl., § 52 VI 3). Dieser Ansicht ist jedoch bislang vom SAG (DB 1975 S. 2375 = AP Nr. 78 zu § 611 BGB-Haftung des Arbeitnehmers) unter Hinweis auf die Notwendigkeit einer tätigkeitsbezogenen konkreten Gefahrenlage ausdrücklich abgelehnt worden. Sie wird daher nochmals generell zur Diskussion gestellt, jedoch im Streitfalle nicht zugrundegelegt, nachdem bereits die Relation zwischen dem letzten Monatsverdienst des Klägers und der hier entstandenen Schadenshöhe eine solche Annahme nicht ohne weiteres tragen könnte.
2. Andererseits sieht sich das Berufungsgericht gleichermaßen außerstande, im Streitfalle etwa die vom BAG entwickelten besonderen Rechtsgrundsätze zur Manko-Haftung des Arbeitnehmers (vgl. Schaub, a.a.O., § 52 X 2-4, m. w. N.) unmittelbar oder entsprechend anzuwenden. Diese Rechtsgrundsätze sind nämlich in durchaus typischer Weise auf die Verantwortlichkeit für einen dem Arbeitnehmer anvertrauten und von ihm zu verwahrenden Waren- bzw. Kassenbestand zugeschnitten, wobei im übrigen die Frage des alleinigen Zugangs zu dem Waren- bzw. Kassenbestand besonders bedeutsam ist; mit ihnen läßt sich daher die schon sachverhaltsmäßig anders gelagerte Frage der Haftung für den Verlust eines dem Arbeitnehmer berufstypisch anvertrauten Schlüsselbundes, welcher u. a. auch den Schlüssel der Hauptschließanlage eines Warenlagers umfaßt, aus dogmatischer Sicht nicht sachgerecht lösen.
3. Nach Ansicht des Berufungsgerichts müssen vielmehr Im Streitfalle die allgemeinen Haftungsgrundsätze aus positiver Vertragsverletzung zur Anwendung kommen, welche auch sonst bei Schlechtleistung des Arbeitnehmers maßgebend sind. Nach ihnen kann der Arbeitgeber vom Arbeitnehmer Schadensersatz verlangen, wenn der Arbeitnehmer seine arbeitsvertragliche Pflicht verletzt und diese Vertragsverletzung zu vertreten hat, dem Arbeitgeber hieraus ferner ein Schaden erwächst und schließlich zwischen Vertragsverletzung und Schaden ein kausaler Zusammenhang besteht, weil der Arbeitgeber hierfür als darlegungs- und beweisverpflichtet angesehen wird (vgl. im einzelnen Schaub, a.a.O., § 52 IV, m. w. N.). Diese besonderen Voraussetzungen sind im Streitfalle jeweils erfüllt, nachdem der dem Beklagten im Rahmen seiner Position als Lagerleiter zur ständigen Führung bzw. Obhut anvertraute Schlüsselbund auf Grund einer vorübergehenden Unachtsamkeit unerklärbar abhanden kam und der Klägerin hierdurch ein Schaden erwuchs, über dessen exakte Höhe zwischen den Parteien allerdings teilweise Streit besteht.
a) Bei der vorstehenden Beurteilung muß das Berufungsgericht zugrundelegen, daß die vorübergehende Unachtsamkeit des Beklagten, welcher den vorerwähnten Schlüsselbund für die Dauer von ca. 16 Minuten in einer Tür seines Arbeitsbereichs unbeaufsichtigt stecken ließ, lediglich als gewöhnliche Fahrlässigkeit zu werten ist. Der Beklagte hat zwar in der Berufungsinstanz sein bisheriges Tatsachenvorbringen dahin abgeändert, daß der Schlüsselbund in der Innenseite der Tür zu seinem faktisch nur von der Werkstatt her zugänglichen Büro gesteckt habe und daß sich während seiner Abwesenheit nur der Geschäftsführer der Klägerin sowie einige Mitarbeiter dort aufgehalten hätten; selbst bei einem solchen Sachverhalt wäre es indes - im Hinblick auf die bekannt hohen Kosten einer Hauptschließanlage - als fahrlässig anzusehen, wenn ein verantwortlicher Lagerleiter den ihm anvertrauten Schlüssel der Hauptschließanlage zum Lager, und sei es nur für wenige Minuten, unbeaufsichtigt und damit für jeden Werkstattbesucher zugänglich in einem Türschloß stecken läßt. Für eine grob fahrlässige Verhaltensweise des Klägers, d.h. für eine ungewöhnlich gravierende und auch subjektiv schlechthin unentschuldbare Sorgfaltspflichtverletzung (vgl. BAG DB 1970 S. 1442 u. DB 1973 S. 1405 = AP Nr. 70, 72 a.a.O.), liegen indes keine hinreichenden Anhaltspunkte vor.
Ebenso wenig kann ernstlich ein Zweifel bestehen, daß der dem Beklagten somit anzulastende Verlust des Schlüsselbundes der Klägerin zwangsläufig einen Schaden verursachte, da sie im Interesse der bestmöglichen Absicherung ihres wertvollen Ersatzteillagers letztlich genötigt war, die Hauptschließanlage einschließlich aller dazugehörigen Einzelschlüssel auswechseln zu lassen und die hierfür angefallenen Kosten aufzuwenden.
Dieser Schaden der Klägerin konnte auch nicht deshalb entfallen, weil sie das Auswechseln der Schließanlage offenbar erst im Juli/Aug. 1986 und damit 10 Monate nach dem Bekanntwerden des Schlüssel-Verlustes vornehmen ließ. Ein derart später Schlüssel-Austausch besagt nämlich nur, daß die Klägerin während jener 10 Monate die mit dem Schlüssel-Verlust verbundenen Risiken für ihr Ersatzteillager, in der Hoffnung auf ein Wiederauffinden des Schlüsselbundes oder aus welchen Gründen auch immer, freiwillig auf sich nahm; eine Minderung des durch den Schlüssel-Verlust erwachsenen typischen Folgeschadens war jedoch hierdurch nicht eingetreten.
b) Nach Ansicht des Berufungsgerichts würde es jedoch dem das gesamte Arbeitsrecht beherrschten Grundsatz von Treu und Glauben sowie der dem Arbeitgeber allgemein obliegenden Fürsorgepflicht widersprechen, wenn der Beklagte im Rahmen des InnerbetriebIichen Schadensausgleichs in vollem Umfange mit den Folgekosten des Schlüssel-Verlustes belastet würde.
Es handelt sich hier um eine dem Beklagten arbeitsvertraglich auferlegte besondere Obhuts- und Bewahrungspflicht hinsichtlich der Schlüssel zur Schließanlage des Ersatzteillagers, welche zugleich mit seiner Position als Lagerleiter aufs engste verknüpft und insofern für letztere sozusagen berufstypisch war. Im Gegensatz zu sonstigen Obhuts- und Bewahrungspflichten, etwa hinsichtlich überlassener Werkzeuge oder Materialien, für deren ordnungsgemäß Rückgabe bzw. Abrechnung ein Arbeitnehmer grundsätzlich einzustehen hat, war jedoch mit der dem Beklagten obliegenden Führung des Schlüsselbundes für das Ersatzteillager ein über den objektiven Wert der einzelnen Schlüssel weit hinausgehendes Risiko, nämlich die im Verlustfalle zwangsläufig gebotene Auswechslung der gesamten Schließenlage des Ersatzteillagers verbunden. Ein derart weitgehendes Folgerisiko braucht jedoch selbst ein Lagerleiter, dem zwar die mit der Führung des Schlüsselbundes berufstypisch verbundene Überwachungs- und Sicherungsfunktion vertraglich auferlegt ist, nach Ansicht des LAG nicht allein zu tragen. Vielmehr erfordern der vorerwähnte Grundsatz von Treu und Glauben und die dem Arbeitgeber generell obliegende Fürsorgepflicht in solchen Fällen eine andere Verteilung der Risikosphären, wobei die Sicherung des Ersatzteillagers mittels einer Hauptschließanlage ganz eindeutig zur unternehmerischen Dispositionsbefugnis und damit grundsätzlich zur Risikosphäre des Arbeitgebers zählt.
Zu einem entsprechenden Ergebnis könnte man auch aus dem Aspekt eines arbeitgeberseitigen Mitverschuldens i. S. des § 254 Abs. 2 BGB gelangen. Zwar ist hier im Zusammenhang mit der Schadensentstehung als solcher, d. h. mit dem Verlust des Schlüsselbundes durch den Beklagten, irgendein unmittelbares Mitverschulden der Klägerin - etwa auf Grund unzulänglicher Arbeitsorganisation, mangelnder Aufsicht oder ähnlich - nicht zu erkennen, doch ist ihr zumindest anzulasten, daß sie es - entgegen der Vorschrift des § 254 Abs. 2 S. 1 (2. Alt.) BGB - verabsäumt hat, den für den Fall eines Schlüsselbund-Verlustes absehbaren Folgeschaden, hier also die Kosten des dann notwendigen Austauschs der Hauptschließanlage, durch geeignete zumutbare Maßnahmen in Grenzen zu halten; als solche Maßnahmen wären entweder andere Formen der Absicherung des Ersatzteillagers (z. B. Einbau mehrerer kleinerer Schließanlagen, nähere Weisungen zur gesonderten Schlüsselaufbewahrung usw.) oder auch versicherungsmäßige Lösungen (eigene Betriebs- oder Hausratsversicherung, Finanzierung einer etwaigen Haftpflichtversicherung des Beklagten usw.) in Betracht gekommen.
Insgesamt wird daher vom Berufungsgericht zugrundegelegt, daß die Klägerin den Beklagten aus Anlaß des ihm widerfahrenen Schlüsselbund-Verlustes allenfalls bis zur Hälfte des hieraus nachweislich erwachsenen Schadens in Anspruch nehmen kann.
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