Reiseminderung: Verspäteter Abflug bei Streik und Verschulden des Reiseveranstalters

Gericht

AG Schöneberg


Art der Entscheidung

Urteil


Datum

04. 06. 2002


Aktenzeichen

11 C 581/01


Leitsatz des Gerichts

  1. Ergreift der Reiseveranstalter keine Maßnahmen zur Vermeidung von Verspätungen, obwohl sechs Tage vor dem Abflug ein Busfahrerstreik am Urlaubsort bekannt ist, stellt eine 15 stündige Abflugverzögerungen einen Reisemangel dar.

  2. Dieser Reisemangel berechtigt zur Minderung.

  3. Diese Minderung braucht sich nicht auf die bloße Flugleistung zu beziehen.

Entscheidungsgründe


Auszüge aus den Gründen:

Den Kl. steht der geltend gemachte Anspruch auf Minderung des Reisepreises und Erstattung in Höhe von 242,57 DM pro Person zu. Denn die von den Kl. bei der Bekl. gebuchte Reise war gem. §§ 651b I , 651c I BGB mangelhaft, da sie durch den erst um 22.30 Uhr am 1. 7. 2001 stattgefundenen Abflug mit einem Fehler behaftet war, der den Wert und die Tauglichkeit zu dem nach dem Vertrag vorausgesetzten Nutzen der siebentägigen Reise minderte.

Die Kl. flogen erst 15 Stunden später ab Tegel in Richtung Mallorca als im Reisevertrag vereinbart war, so dass die Verspätung des Abfluges die bloße Unannehmlichkeitsgrenze des Massentourismus überschreitet. Denn Flugverspätungen von mehr als vier Stunden sind als Reisemangel anerkannt (Tonner, Der Reisevertrag, § 651 Rdnr. 7; Schmidt-Leffers, NJW 1998, 1911).

Die von den Kl. beanspruchte Höhe der Minderung ist nicht überhöht. Eine Minderung nur in Bezug auf die Flugleistung braucht nicht vorgenommen zu werden. Die Minderung ist, soweit erforderlich, durch Schätzung zu ermitteln und Tabellenwerte - insbesondere Werte nach der „Frankfurter Tabelle“ - sind nicht schematisch ohne Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls zu gebrauchen (Tonner, § 651c Rdnr. 7).

Es ist unstreitig, dass die Kl. einen Reisetag durch die Verspätung des Abfluges verloren haben, da sie in der Nacht erschöpft an ihrem Hotel auf Mallorca ankamen und ihren eigentlichen Urlaub erst am nächsten Tag, dem 2. 7. 2001 ab 14.00 Uhr beginnen konnten, so dass sie den einen Reisetag vom Gesamtwert der Reise in Abzug bringen konnten. Die Berechnung der Minderung muss sich im vorliegenden Fall am Gesamtwert der Reise orientieren, wenn der Reisemangel auf das Gesamtbild der Reise ausstrahlt und damit Nutzen und Tauglichkeit der Gesamtreise beeinträchtigt werden (LG Hannover, NJW-RR 1999, 1004). Dies ist bei einer siebentägigen Flugreise der Fall, wenn ein Reisetag verloren geht.

Des Weiteren steht den Kl. der Anspruch auf Entschädigung wegen nutzlos aufgewendeter Urlaubszeit gem. § 651f II BGB in Höhe von 100 DM pro Person zu. Denn die von ihnen gebuchte Reise wurde von dem genannten Mangel erheblich beeinträchtigt. Die Bekl. konnte sich insoweit nicht entlasten, so dass der Reisemangel auf einem Umstand beruhte, den sie zu vertreten hatte.

Es kann dahin gestellt bleiben, ob dieser Reisemangel auf höherer Gewalt beruhte und ob mindestens bei einem Erfüllungsgehilfen der Leistungsträger der Bekl. gestreikt wurde oder um das Verhalten der Flughafenleitung als zurechenbares Verhalten eines Erfüllungsgehilfen zu bewerten wäre (OLG Düsseldorf, NJW-RR 1992, 1330). Denn die Bekl. hat eine eigene vertraglich geschuldete Fürsorgepflicht verletzt, weil nach dem unstreitigen Sachverhalt der Streik bereits am 25. 6. für den 29. 6., 30. 6. und 1. 7. 2000 angekündigt war und die Bekl. gleichwohl keine Maßnahmen ergriffen hatte, um Beeinträchtigungen der Reise zu verhindern bzw. gering zu halten. Die Bekl. war jedoch gehalten, im Rahmen der ihr obliegenden Fürsorgepflicht notwendige und ihr mögliche Maßnahmen zu treffen, um die Beeinträchtigungen der Kl. möglichst gering zu halten (LG Hannover, NJW-RR 1989, 820).

Die Bekl. hätte sich beispielsweise erkundigen können, wie der angekündigte Streik ablaufen soll und wie die Flughafenleitung reagieren will. Als Reiseveranstalter ist die Bekl. nämlich verpflichtet, sich über die Gegebenheiten am Reiseort grundsätzlich zu erkundigen (Führich, ReiseR, Rdnr. 442).

Die Beeinträchtigung der Reise der Kl. ist auch gem. § 651f II BGB erheblich gewesen, denn die Kl. haben einen ganzen Urlaubstag ihrer nur siebentägigen Reise verloren. Auch dieser eine verlorene Urlaubstag muss bei einer Gesamtdauer der gebuchten Reise von 7 Tage berücksichtigt werden, da für die Erheblichkeit der Beeinträchtigung alle Umstände des Einzelfalles zu berücksichtigen sind (BGH, NJW 1983, 35; Führich, Rdnr. 143). So können mangelhafte Reiseteile nicht pauschal durch mangelfreie Reiseteile kompensiert werden, da der betroffene Reisende die Auswirkungen des Mangels nicht erst im Rückblick nach Beendigung der Reise durch das Ziehen einer Gesamtbilanz erlebt, sondern jeweils zeitgleich mit dem Auftreten des Mangels (Tempel, NJW 1999, 2012). Daraus folgt, dass dem Reisenden bei einer siebentägigen Reise der Verlust von 1 ½ Tagen auch dann erheblich erscheint, wenn die restlichen fünf Tage der Reise mangelfrei waren.

Für die Kl. war es nun die erste Reise nach Mallorca, von der sie auch jeden Tag „nutzen“ wollten, da die Reise ohnehin nur sieben Urlaubstage vorsah. Damit erscheint der durch den verspäteten Abflug verlorene Reisetag als nutzlos aufgewendete Urlaubszeit und den Kl. steht der Anspruch auf 100 DM pro Person als angemessene Entschädigung gegen die Bekl. zu. Denn der durchschnittliche Preis der Pauschalreise betrug 142,57 DM pro Tag, so dass die Entschädigung von 100 DM pro Tag jedenfalls nicht überhöht ist, § 287 ZPO.

Rechtsgebiete

Reiserecht