Rücksicht auf Müllfahrzeuge
Gericht
OLG Braunschweig
Art der Entscheidung
Berufungsurteil
Datum
25. 11. 2002
Aktenzeichen
7 U 52/02
Ein Autofahrer hat auf erkennbare bzw. erkennbar bevorstehende Fahrmanöver von Müllfahrzeugen Rücksicht zu nehmen. Tut er das nicht, kann ihn ein Mitverschulden treffen, wenn es zu einer Kollision kommt.
Gründe:
Von der Darstellung des Sachverhalts wird gem. §§ 540 Abs. 2, 313a Abs. 1 ZPO abgesehen.
Die zulässige Berufung ist begründet.
Dem Kläger steht kein über die bereits erfolgte hälftige Schadensregulierung des Unfallereignisses vom 29.11.2000 hinausgehender Schadensersatzanspruch gegen die Beklagte zu.
Der Kläger hat den ihm im Rahmen des § 17 StVG obliegenden Unabwendbarkeitsbeweis nach § 7 Abs. 2 StVG nicht geführt. Ihm ist darüber hinaus gem. §§ 1 StVO, 254 BGB ein Mitverschulden anzulasten. Dies führt insgesamt zu einer hälftigen Mithaftung.
Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass der Müllwagenfahrer ggü. dem Kläger nicht dem verschärften Sorgfaltsmaßstab eines sich in den fließenden Verkehr einfädelnden Kraftfahrers gem. § 10 StVO unterlag. Der Kläger war mit seinem Fahrzeug noch nicht Bestandteil des fließenden Verkehrs, als es zu dem streitgegenständlichen Unfall kam. Die gesteigerten Sorgfaltspflichten nach § 10 StVO bestehen jedoch nur ggü. dem fließenden Verkehr (vgl. KG, Urt. v. 21.10.1993 – 12 U 1069/92, Juris-Nr. KORE446929300). Die Sorgfaltspflichten des wieder anfahrenden Müllwagenfahrers nach dem Anhalten zur Müllentsorgung richteten sich daher hier nach § 1 StVO und nicht nach § 10 StVO ggü. dem in gleicher Richtung vom Parkplatz wegfahrenden Kläger (vgl. KG, VerkMitt 1996 Nr. 27; OLG Braunschweig, Urt. v. 17.9.2001 – 6 U 38/00 – Bl. 84 d.A.).
Zwar ist dem Kläger kein verbotswidriges Rechtsüberholen vorzuwerfen; er ist an dem Müllwagen lediglich rechts vorbeigefahren, weil dieser nicht verkehrsbedingt, sondern zweckbestimmt durch die Müllentsorgung angehalten hatte (vgl. OLG Schleswig RuS 1995, 454 f.).
Entscheidend für die Mithaftung des Klägers ist, dass Kraftfahrer regelmäßig auf erkennbare bzw. erkennbar bevorstehende Fahrmanöver von Müllfahrzeugen Rücksicht zu nehmen haben (vgl. KG, Urt. v. 15.1.1996 – 12 U 5297/94, Juris-Nr.: KORE422239600). Gegen diesen Grundsatz hat der Kläger unter gleichzeitiger vorwerfbarer Zuwiderhandlung gegen die Gebote des eigenen Interesses verstoßen (vgl. RGZ 100, 44; BGHZ 3, 49; BGHZ 9, 318).
Entgegen der Auffassung des LG ist zur Prüfung der Frage der Unvermeidbarkeit des Unfalls nicht lediglich auf den Zeitpunkt der Kollision abzustellen. Es kommt also nicht darauf an, ob zu diesem Zeitpunkt der Kläger nur noch „die Flucht nach vorn” hätte antreten können. Nach dem Sorgfaltsmaßstab des § 7 Abs. 2 StVG (in der hier maßgeblichen, bis zum 1.8.2002 gültigen Fassung) ist unabwendbar ein Ereignis, welches durch äußerste mögliche Sorgfalt nicht abgewendet werden kann (BGH v. 17.3.1992 – VI ZR 62/91, BGHZ 117, 337 = MDR 1992, 647). Dazu gehört sachgemäßes, geistesgegenwärtiges Handeln über den gewöhnlichen und persönlichen Maßstab hinaus (BGH v. 23.9.1986 – VI ZR 136/85, MDR 1987, 132 = DAR 1987, 19; v. 13.12.1990 – III ZR 14/90, BGHZ 113, 164 = MDR 1991, 510; v. 17.3.1992 – VI ZR 62/91, BGHZ 117, 337 = MDR 1992, 647). Zur äußersten Sorgfalt gehört die Berücksichtigung aller möglichen Gefahrenmomente (OLG Stuttgart VR 1983, 252; OLG Frankfurt VR 1999, 771). Der Fahrer muss auch erhebliche fremde Fehler berücksichtigen (Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 36. Aufl., § 7 Rz. 30).
Unter Zugrundelegung dieses Maßstabes hätte der Kläger vor dem Vorbeifahren entweder durch deutliches Betätigen der Hupe auf sich aufmerksam machen oder aber von einer Vorbeifahrt gänzlich Abstand nehmen müssen. Für den Kläger war unstreitig erkennbar, dass das Müllfahrzeug im linken Bereich des Parkplatzes nur gerade so lange stehen würde, wie der bereits andauernde Müllentsorgungsvorgang noch andauern würde. Die Warnblinkanlage und die gelbe Rundumleuchte waren unstreitig angeschaltet. Diese Warnleuchten haben den Zweck, andere Verkehrsteilnehmer vor den typischen Gefahren des Müllentsorgungsvorganges und seiner Begleitumstände zu warnen. Zu diesen Gefahren gehört nicht nur das plötzliche Auftauchen der den Müllwagen beladenden Müllmänner im Straßenraum, sondern auch das Wiederanfahren des Müllwagens nach Beendigung des jeweiligen Entsorgungsvorganges. Diesen Warnungen hat sich der Kläger in Form eines Verstoßes gegen eigene Obliegenheiten verschlossen, indem er ohne eigene Warnung rechts an dem Müllfahrzeug in den erkennbar gefährdeten Bereich des toten Winkels ohne Not hereingefahren ist, und überdies noch bei einer hierfür zur Verfügung stehenden geringen Breite eines PKW. Dem Kläger wäre es zuzumuten gewesen, den Entsorgungsvorgang und die erkennbar unmittelbar bevorstehende Anfahrt des Müllfahrzeuges abzuwarten. Etwas anderes kann nur dann gelten, wenn ein Müllfahrzeug durch Müllentsorgungstätigkeit die Fahrbahn einer Straße benutzt und im gesamten Straßenverlauf in zahlreichen und kurzen Abständen durch sich wiederholende Anhalte- und Anfahrvorgänge der Verkehrsfluss gestört wird (vgl. OLG Düsseldorf DAR 2000, 477 f.). Hier lag der Sachverhalt jedoch gänzlich anders. Der Kläger brauchte eine längere Wartedauer nicht zu gegenwärtigen. Es war lediglich ein Müllentsorgungsvorgang abzuwarten. Auch die Betätigung der Hupe wäre dem Kläger möglich und zuzumuten gewesen.
Da auf der einen Seite der dem Müllwagenfahrer der Beklagten vorzuwerfende Sorgfaltsverstoß erheblich geringer ist, als vom LG angenommen, auf der anderen Seite der Kläger sich in besonders unnötiger Weise in eine erkennbar gefährliche Situation begeben hat, indem er mit seinem Fahrzeug – egal, wie langsam auch immer – sich rechts an dem Müllfahrzeug trotz des unmittelbar bevorstehenden Endes des Entsorgungsvorganges „vorbeigequetscht” hat, ist der Mitverursachungs- und Mitverschuldensanteil insgesamt mit 50 % zu bewerten.
Da die Beklagte den geltend gemachten Unfallschaden des Klägers bereits auf dieser Basis reguliert hat, steht dem Kläger ein weiter gehender Schadensersatzanspruch nicht zu.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 91 Abs. 1 ZPO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.
Gründe für die Zulassung der Revision gem. § 543 Abs. 2 ZPO liegen nicht vor.
Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus § 14 Abs. 1 GKG und entspricht dem geltend gemachten Interesse an der Abänderung der angefochtenen Entscheidung.
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