Vertrauensschutz für Linksabbieger bei grünem Pfeil

Gericht

BGH


Art der Entscheidung

Revisionsurteil


Datum

03. 12. 1991


Aktenzeichen

VI ZR 98/91


Leitsatz des Gerichts

Ein Kraftfahrer, dem ein grüner Pfeil links hinter der Kreuzung das Abbiegen gestattet, darf darauf vertrauen, daß noch ankommender Gegenverkehr durch Rotlicht gesperrt ist und Fahrzeuge aus der Gegenrichtung das für sie geltende Haltegebot beachten.

Tatbestand


Auszüge aus dem Sachverhalt:

Der Kl. verlangt von den Bekl. 50 % des Schadens ersetzt, der ihm am 4. 4. 1989 in B. aufgrund eines Verkehrsunfalls entstanden ist. Der Kl. hatte stadteinwärts auf der D-Straße an der Kreuzung mit der N-Straße auf der Linksabbiegerspur wegen der für ihn rot zeigenden Ampel zunächst angehalten. Nach dem Farbwechsel auf Grün fuhr er ebenso wie die ihm vorausfahrenden Fahrzeuge in den Kreuzungsbereich ein und hielt dort wegen des entgegenkommenden Verkehrs an. Nachdem die vorausfahrenden Fahrzeuge bei Lücken im Gegenverkehr nach links abgebogen waren, setzte der Kl., als nach seiner Behauptung der für ihn maßgebliche, links hinter der Kreuzung befindliche grüne Pfeil für Linksabbieger aufleuchtete, seine Fahrt fort. Dabei stieß er mit dem entgegenkommenden Fahrzeug des Bekl. zu 1 zusammen.

Das LG hat nicht feststellen können, bei welchem Lichtzeichen der Bekl. zu 1 stadtauswärts die für ihn maßgebliche Ampel überquert hat und ob der Kl. erst bei Aufleuchten des für Linksabbieger geltenden grünen Pfeils in die Fahrspur für den Gegenverkehr eingefahren ist. Es hat ein unfallursächliches Verschulden des Kl. darin gesehen, daß er, selbst wenn zur Zeit des Abbiegens der grüne Pfeil aufgeleuchtet habe, blindlings im Vertrauen auf den grünen Pfeil losgefahren sei. Das LG hat dem Kl. deshalb nur den Ersatz von 20 % seines Schadens, nämlich 3523,86 DM zugesprochen und die Klage im übrigen abgewiesen. Auf die Berufung des Kl. hat das OLG der Klage im wesentlichen stattgegeben und die Bekl. zur Zahlung von 8809,66 DM verurteilt. Die - zugelassene - Revision der Bekl. hatte keinen Erfolg.

Entscheidungsgründe


Auszüge aus den Gründen:

I. Das BerGer. geht ebenso wie das LG davon aus, daß sich weder feststellen noch ausschließen lasse, daß der Kl. erst beim Aufleuchten des für Linksabbieger geltenden grünen Pfeils in die Fahrbahn für den Gegenverkehr hineingefahren sei. Ebensowenig hat es feststellen können, bei welchem Lichtzeichen der Bekl. zu 1 in die Kreuzung eingefahren sei.

Beide Parteien hätten demzufolge den ihnen jeweils obliegenden Beweis, daß der Unfall für sie unabwendbar gewesen sei (§ 7 II StVG), nicht erbracht. Auch könne weder gegen den Bekl. zu 1 noch gegen den Kl. ein Schuldvorwurf erhoben werden. Dem Kl. sei durch die entgegenkommenden, nach links abbiegenden Lkws die Sicht in die Geradeausspur des Gegenverkehrs nicht möglich gewesen, er habe aber den Kreuzungsbereich bis kurz hinter die dortige Haltelinie vor der Ampelanlage einsehen können. Bei dieser Sachlage könne dem Kl. nicht vorgeworfen werden, er habe als wartepflichtiger Verkehrsteilnehmer grundsätzlich damit rechnen müssen, daß entgegenkommende Fahrzeuge während der Gelb- und auch noch zu Beginn der Rotphase in die Kreuzung einfahren, so daß der Linksabbieger erst abbiegen dürfe, wenn er weder Nachzügler noch eine drohende Rotfahrt erkenne. Vielmehr könne der Linksabbieger darauf vertrauen, daß bei Aufleuchten des links hinter der Kreuzung angebrachten Grünpfeils der Gegenverkehr durch Rotlicht angehalten werde. Er dürfe deshalb auch dann anfahren, wenn ihm die Sicht auf den Gegenverkehr durch entgegenkommende und linksabbiegende Lastkraftwagen versperrt sei. Auf Kläger- und Beklagtenseite könne daher nur die Betriebsgefahr berücksichtigt werden, was zu einer hälftigen Schadensteilung führe.

II. Die dagegen gerichteten Angriffe der Revision sind nicht begründet.

1. Ohne Rechtsirrtum nimmt das BerGer. zunächst an, die Bekl. hätten nicht bewiesen, daß der grüne Pfeil für den Kl. nicht aufgeleuchtet habe; es sei unter Verschuldensgesichtspunkten deshalb zugunsten des Kl. zu unterstellen, daß er bei Aufleuchten des grünen Pfeils angefahren sei. Dieser Ausgangspunkt wird von der Revision auch nicht in Frage gestellt.

2. Aber auch die Begründung, mit der das BerGer. auf der Grundlage dieser Feststellungen ein Verschulden des Kl. verneint und mit Rücksicht auf die Betriebsgefahr beider Fahrzeuge zu einer hälftigen Schadensteilung kommt, ist aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden.

a) Der grüne Pfeil ist als amtliches Verkehrszeichen durch die Verordnung vom 24. 8. 1953 eingeführt worden, „um an besonders verkehrsreichen Punkten den Geradeausverkehr und den Abbiegeverkehr gesondert regeln zu können“ (amtl. Begr. zu § 2 III StVO, VkBl 1953, 439 (448)). Die StVO vom 16. 11. 1970 hat ihn beibehalten und sieht seit der Änderungsverordnung vom 21. 7. 1980 zusätzlich den links hinter der Kreuzung angebrachten grünen Pfeil vor (§ 37 II Nr. 1).

Gegenüber dem gewöhnlichen grünen Ampellicht mißt die StVO dem grünen Pfeil eine besondere Bedeutung bei. Befindet sich an einer Kreuzung lediglich grünes Licht, so bedeutet dies zunächst nur, daß der Kraftfahrer in die Kreuzung einfahren kann. Nach links abbiegen darf er unter Beachtung der Regeln des § 9 StVO erst, wenn er entgegenkommende Fahrzeuge hat durchfahren lassen, da diesen die Einfahrt in die Kreuzung aus der Gegenrichtung durch Rotlicht nicht verwehrt ist (insoweit zutr. OLG Karlsruhe, VRS 47, 464). Anders verhält es sich dagegen bei Verwendung eines grünen Pfeiles, gleichgültig ob dieser sich links vor oder hinter der Kreuzung befindet. Er gibt den Verkehr nicht nur in Richtung des grünen Pfeils frei, sondern bedeutet zugleich, daß der dem Pfeil folgende Verkehrsteilnehmer, wie die Begründung zur StVO ausdrücklich hervorhebt, „nicht mit'feindlichem' Verkehr zu rechnen hat“ (VkBl 1970, 797 (818)). Damit entfällt aber die sonst gebotene Wartepflicht gegenüber dem Gegenverkehr, wie sich aus der bei der Bedeutung des grünen Pfeils fehlenden Bezugnahme auf § 9 StVO in § 37 II Nr. 1 StVO ergibt (Begr. zur StVO, VkBl 1970, 818). Entsprechend der dem grünen Pfeil beigemessenen Bedeutung sind die Verkehrsbehörden durch die Allgemeine Verwaltungsvorschrift zur StVO (VwV-StVO) vom 16. 11. 1970 auch gehalten, die Signalanlagen so zu schalten, daß, solange ein grüner Pfeil aufleuchtet, „kein anderer Verkehrsstrom Grün hat, der den durch den Pfeil gelenkten kreuzt“ (VwV-StVO zu § 37 X Nr. 1, VkBl 1970, 758 (769)).

b) Bei dieser Sachlage hat sich das BerGer. mit Recht auf den Standpunkt gestellt, der dem grünen Pfeil folgende Linksabbieger könne darauf vertrauen, daß die Ampeln tatsächlich so geschaltet sind, daß der Gegenverkehr bei Aufleuchten des grünen Pfeils durch Rotlicht angehalten wird, wie dies der einhelligen Rechtsprechung entspricht (BGH, NJW 1972, 1806 = LM § 839 (Fg) BGB Nr. 32 = VersR 1972, 1127; KG, VRS 19, 59; 29, 211; 59, 357; DAR 1974, 190; VM 1990, 51; BayObLG, VRS 58, 147; OLG Karlsruhe, VRS 47, 464; das gleiche war für das früher geltende Diagonal-Gelb anerkannt: BayObLG, VRS 34, 385; 58, 147).

Der Senat folgt dem BerGer. auch darin, daß der dem grünen Pfeil folgende Verkehrsteilnehmer grundsätzlich darauf vertrauen darf, daß entgegenkommende Fahrzeuge das für sie aufleuchtende Rotlicht beachten und vor der Kreuzung anhalten. Mit der Mißachtung des Rotlichts durch den Gegenverkehr braucht er, solange nicht konkrete Anhaltspunkte auf etwas anderes hindeuten, nicht zu rechnen (ebenso KG, DAR 1974, 190; VM 1990, 51; VRS 59, 367; BayObLG, VRS 34, 385; 58, 147). Insofern gilt nichts anderes als bei normalem Grünlicht: Ein Kraftfahrer, der bei Grün in eine Kreuzung einfährt, braucht im allgemeinen nicht damit zu rechnen, daß Querverkehr unter Mißachtung des für ihn geltenden Rotlichts von der Seite her in die Kreuzung einfährt (BGH, VRS 27, 350; BayObLG, VRS 48, 227). Dies entspricht dem im Straßenverkehr ganz allgemein geltenden Grundsatz, daß ein Kraftfahrer auf die Einhaltung der Verkehrsregeln durch andere Verkehrsteilnehmer, z. B. auf die Beachtung seines Vorfahrtsrechts vertrauen kann, solange die sichtbare Verkehrslage zu keiner anderen Beurteilung Anlaß gibt (BGHSt 7, 118 (121) = NJW 1954, 1493; BGHSt 13, 169 (172) = NJW 1959, 1547).

c) Etwas anderes läßt sich auch nicht der Entscheidung des 4. Strafsenats des BGH vom 4. 7. 1978 (VRS 55, 226; vgl. auch VRS 27, 350 (353)), wegen dessen vermeintlich anderer Auffassung das BerGer. die Revision zugelassen hat, entnehmen. Der 4. Strafsenat hat in jener Entscheidung, die keinen Grünpfeil-Fall betraf, nur in einem obiter dictum ausgeführt, der nach links weisende grüne Pfeil berechtigte nicht dazu, blindlings einzubiegen. Damit wollte der 4. Strafsenat, wie er auf Anfrage erklärt hat, nur zum Ausdruck bringen, daß der grüne Pfeil, wie § 37 II Nr. 1 StVO ausdrücklich sagt, nicht von der allgemeinen Sorgfaltspflicht entbindet und nicht dazu berechtigt, ohne Rücksicht auf die Verkehrslage in der Kreuzung loszufahren. Die von dem Linksabbieger aufzuwendende Sorgfalt muß sich bei Aufleuchten des grünen Pfeils in erster Linie auf Nachzügler richten, die berechtigterweise in die Kreuzung eingefahren sind (KG, VRS 19, 59; 59, 367; BayObLG, VRS 34, 385; 58, 147). Ein Kraftfahrer, dem ein grüner Pfeil links hinter der Kreuzung das Abbiegen gestattet, darf aber, auch wenn er keine freie Sicht auf die Gegenfahrbahn hinter der Ampelanlage hat, darauf vertrauen, daß noch ankommender Gegenverkehr durch Rotlicht gesperrt ist (BGH, NJW 1972, 1806 = LM § 839 (Fg) BGB Nr. 32 = VersR 1972, 1127) und Fahrzeuge aus der Gegenrichtung das für sie geltende Haltegebot beachten (KG, DAR 1974, 190; VRS 59, 367; VM 1990, 51; vgl. auch BayObLG, VRS 48, 227 (228)). Das bedeutet, daß er auch dann nach links abbiegen darf, wenn ihm die Sicht auf den Gegenverkehr hinter der Kreuzung durch Kraftfahrer auf der Kreuzung verstellt ist. Müßte er so lange warten, bis er freie Sicht hat, dann würde der grüne Pfeil weitgehend die ihm zugedachte Wirkung verfehlen und überflüssig sein (so zutr. KG, VRS 59, 367). Der Zweck des grünen Pfeils besteht gerade darin, dem in der Kreuzung befindlichen Verkehrsteilnehmer, dem von keiner Lichtzeichenanlage Gelb gezeigt und nicht mehr über Gelb zur Räumung der Kreuzung aufgefordert wird (Begr. zur Änderung der StVO v. 21. 7. 1980 - VkBl 1980, 518), die Entscheidung abzunehmen, ob er mit Rücksicht auf den Gegenverkehr sein Abbiegevorhaben vollenden kann, um dadurch eine zügigere Räumung der Kreuzung zu ermöglichen.

Auf Rotlichtfahrer aus der Gegenrichtung muß der dem grünen Pfeil folgende Linksabbieger daher nur Bedacht nehmen, wenn konkreter Anlaß dazu besteht. Da im Streitfall besondere Umstände, die auf eine etwaige Nichtbeachtung des Rotlichts durch den Bekl. zu 1 hindeuten, nicht feststellbar sind, und das BerGer. überdies ausdrücklich feststellt, daß der Kl. den Kreuzungsbereich bis kurz hinter die Haltelinie für den Gegenverkehr vor der dortigen Ampelanlage einsehen konnte und sich in diesem Bereich kein anderes Fahrzeug befand, kann dem Kl. kein Verschulden angelastet werden, wenn er dem grünen Pfeil gefolgt und nach links abgebogen ist.

Rechtsgebiete

Straßenverkehrs- und Straßenrecht