Vollkaskoschutz bei Bremsunfall wegen eines Hasen

Gericht

OLG Brandenburg


Art der Entscheidung

Berufungsurteil


Datum

20. 02. 2002


Aktenzeichen

14 U 56/01


Leitsatz des Gerichts

  1. Wer mit 80 km/h auf einer Bundesstraße fährt und eine Vollbremsung einleitet, um einen die Fahrbahn kreuzenden Hasen nicht zu überfahren, handelt nicht grob fahrlässig.

  2. Die Vollkasko muss den daraus entstehenden Schaden abdecken.

Tatbestand


Auszüge aus dem Sachverhalt:

Der Kl. hat die Bekl. als seinen Fahrzeugversicherer wegen eines Schadens an seinem Kraftfahrzeug in Höhe von 20461,75 DM in Anspruch genommen, weil er wegen eines die Fahrbahn kreuzenden Hasen eine Vollbremsung durchgeführt habe, dadurch ins Schleudern geraten und an einen Baum geprallt sei. Das LG hat der Klage stattgegeben.

Die Berufung der Bekl. hatte keinen Erfolg.

Entscheidungsgründe


Auszüge aus den Gründen:

I. Der Kl. kann seinen Schaden allerdings nicht aus der Teilkaskoversicherung i.V. mit § 12 Abs. 1 I lit. d AKB ersetzt verlangen, weil es unstreitig nicht zu einem Zusammenstoß oder einer Berührung mit Haarwild gekommen ist. Ein Zusammenstoß mit Haarwild ist jedoch Voraussetzung für einen Anspruch auf Ersatz des Fahrzeugschadens nach dieser Vorschrift (BGH, NJW 1997, 1012 = VersR 1997, 351; NJW-RR 1992, 469 = r + s 1992, 77 [82]; OLG Karlsruhe, r + s 1999, 404). Der Kl. kann den Schaden auch nicht als Rettungskostenersatz gem. den §§ 62 , 63 VVG geltend machen. Insoweit wird auf die zutreffenden Ausführungen des angefochten Urteils verwiesen.

Dem Kl. steht jedoch, wie das LG zutreffend ausgeführt hat, gegen die Bekl. ein Anspruch aus der Vollkaskoversicherung i.V. mit § 12 Abs. 1 II lit. e AKB zu. Der fragliche Schadensfall, bei dem das Fahrzeug des Kl. infolge einer Vollbremsung ins Schleudern geraten und gegen einen Straßenbaum geprallt ist, fällt zweifellos unter den Begriff des Unfalls, der von der Fahrzeugvollversicherung gedeckt wird. Dabei kommt es nicht darauf an, ob sein Verhalten durch einen die Fahrbahn querenden Hasen oder auch durch einen vorangegangenen Fahrfehler, etwa Fahren mit den Straßenverhältnissen unangepasster Geschwindigkeit, ausgelöst worden ist.

Die Bekl. kann diesem Anspruch des Kl. aus der Vollkaskoversicherung nur den allgemeinen Risikoausschluss des § 61 VVG - von der noch zu behandelnden Obliegenheitsverletzung abgesehen - entgegensetzen. Sie muss darlegen und ggf. beweisen, dass der Kl. den Unfall durch grobe Fahrlässigkeit herbeigeführt hat. Dies hat die Zivilkammer zu Recht verneint. Grob fahrlässig handelt, wer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt nach den gesamten Umständen in ungewöhnlich hohem Maße verletzt und unbeachtet lässt, was im gegebenen Fall jedem hätte einleuchten müssen. Dabei muss es sich im Gegensatz zur einfachen Fahrlässigkeit auch in subjektiver Hinsicht um ein unentschuldbares Fehlverhalten handeln, das ein gewöhnliches Maß erheblich übersteigt (BGH, NJW 1989, 1354 m.w. Nachw. = VersR 1989, 582).

Unabhängig von der unter den Parteien streitigen Frage, ob die Bremsreaktion aus einem Reflex heraus erfolgte, lässt sich die nach dem Vorbringen des Kl. vollzogene Vollbremsung nicht als objektiv grob fahrlässiges Verhalten werten. Ein Kraftfahrer, der aus einer Fahrgeschwindigkeit von 80 km/h an Stelle der auf der Bundesstraße zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 100 km/h eine Vollbremsung einleitet, um einen Hasen nicht zu überfahren, verletzt seine Sorgfaltspflicht nicht in besonders hohem Maße. Das Risiko, dass ein ordnungsgemäß bereifter Pkw bei einer Vollbremsung auf gerader Strecke aus einer Geschwindigkeit von 80 km/h heraus infolge nasser und feuchter Blätter auf der Fahrbahn ins Schleudern gerät und unkontrollierbar wird, ist nicht so groß, dass bereits ein solches Bremsmanöver als unentschuldbares Fehlverhalten gewertet werden könnte. Hierzu müssen weitere Umstände hinzutreten.

Solche besonderen Umstände hat die Bekl. nicht hinreichend dargetan und unter Beweis gestellt. Soweit sie behauptet, der Kl. habe neben der Vollbremsung auch ein „Ausweichmanöver“ durchgeführt, ist ihr Vorbringen schon nicht substanziiert, um ein grob fahrlässiges Verhalten des Kl. begründen zu können. Sie verweist lediglich darauf, dass „ausweislich des Polizeiprotokolls … der Kl. ausgewichen (ist).“ Zu Einzelheiten dieses Ausweichmanövers, das der Kl. bei seiner Anhörung strikt in Abrede gestellt hat, trägt sie nichts vor. Nur bei einer plötzlichen, abrupten und deutlichen Fahrtrichtungsänderung und dem gleichzeitigen Abbremsen des mit hoher Geschwindigkeit fahrenden Pkws besteht ein besonders hohes Unfallrisikos, das „jedem Kraftfahrer einleuchten (muss)“ (BGH, NJW 1997, 1012 = r + s 1997, 98 [99]) und das er deshalb „nicht ohne Not eingehen darf, auch wenn es darum geht, einem Hasen auszuweichen, mit dem ein Zusammenstoß andernfalls unmittelbar bevorstünde“ (BGH, NJW 1997, 1012 = r + s 1997, 98 [99]). Dagegen hat eine nur leichte Lenkbewegung, wie sie im Übrigen auf Autobahnen auch bei hohen Geschwindigkeiten immer wieder stattfindet und nicht selten erforderlich ist, selbst dann nicht stets dieses enorm hohe Unfallrisiko zur Folge, wenn sie mit einer starken Bremsung verbunden ist. Es kommt jeweils auf den Einzelfall, insbesondere auf die Höhe der Geschwindigkeit, die Stärke des Lenkausschlags und der Bremsung, die Bereifung sowie die Bremsvorrichtung an. Zu dem Ausweichmanöver selbst verhält sich die Verkehrsunfallaufnahme, auf die sich die Bekl. bezieht, nur sehr ungenau. Wenn es darin heißt, „01 (der Kl.) versuchte mit seinem Pkw dem Hasen auszuweichen, kam dabei nach rechts auf den Seitenstreifen und verlor auf regennasser Fahrbahn die Kontrolle über seinen Pkw“, wird schon nicht deutlich, ob der Kl. bereits durch die Ausweichbewegung oder erst dadurch ins Schleudern geriet, dass er nach rechts auf den Seitenstreifen abkam. Es ist durchaus denkbar, dass der von der Bekl. behauptete Lenkeinschlag selbst noch nicht die Schleuderbewegung auslöste, sondern erst das Abkommen von der Fahrbahn. Deshalb war der von der Bekl. als Zeuge benannte Polizeibeamte, der erst nach dem Unfall an den Unfallort gerufen wurde und die „Verkehrsunfallaufnahme“ niederschrieb, zu dieser streitigen Ausweichbewegung nicht zu vernehmen.

Da die Bekl. bereits in tatsächlicher Hinsicht nicht vorgetragen und unter Beweis gestellt hat, dass der Kl. neben der Vollbremsung auch eine gefahrgeneigte Fahrtrichtungsänderung vorgenommen und dadurch den Unfall ausgelöst hat, steht schon nicht fest, dass der Kl. bereits in objektiver Hinsicht in ungewöhnlich hohem Maße gegen seine Sorgfaltspflicht verstoßen hat. Da aber nur vom äußeren Geschehensablauf und dem Ausmaß des objektiven Pflichtverstoßes auf innere Vorgänge und deren gesteigerte Vorwerfbarkeit geschlossen werden kann (BGH, NJW 1997, 1012 m. w. Nachw. = r + s 1997, 98 [99]), ist der dem Kl. von der Bekl. gemachte Vorwurf, auch subjektiv unentschuldbar gehandelt zu haben, nicht gerechtfertigt. Deshalb braucht der Senat auch nicht der Frage nachzugehen, ob ein „Augenblicksversagen“ - das hier im Hinblick auf die Schnelligkeit der Verkehrsabläufe selbst nach dem Beklagtenvortrag anzunehmen wäre - überhaupt als grob fahrlässiges Verhalten bewertet werden könnte (so BGH, NJW 1997, 1012 m.w. Nachw. = r + s 1997, 98 [99]). Der Senat hält diese Ansicht für sehr bedenklich (ebenso OLG Frankfurt a.M., NVersZ 2001, 417 = VersR 2001, 1276), wobei er allerdings die Lösung nicht in einer unterschiedlichen Bestimmung des Begriffs „grobe Fahrlässigkeit“ sieht (vgl. OLG Frankfurt a.M., NVersZ 2001, 417 = VersR 2001, 1276 [1277]), es vielmehr darauf abstellt, dass ein „Augenblicksversagen“, eine „kurzfristige Geistesabwesenheit“ oder „schreckbedingte Fehlreaktion“ dem Versicherungsnehmer trotz objektiv groben Pflichtverstoßes nur dann auch subjektiv als unentschuldbar vorgeworfen werden können, wenn er dieses „Augenblicksversagen“ nicht selbst in hohem Maße vorwerfbar verursacht hat.

Soweit die Bekl. bestreitet, dass die Fahrgeschwindigkeit des Kl., wie von ihm behauptet, 70-80 km/h betragen habe, verkennt sie, dass sie die Voraussetzungen des § 61 VVG substanziiert darlegen, also angeben muss, mit welcher Geschwindigkeit der Kl. tatsächlich gefahren ist. Soweit sie Sachverständigenbeweis anbietet, handelt es sich um einen unzulässigen Ausforschungsbeweis. Der Bekl. muss schon eine konkrete (höhere) Fahrgeschwindigkeit des Kl. behaupten und unter Beweis stellen. Auch ihr Vorbringen, die vorhandenen Straßen- und Sichtverhältnisse hätten lediglich eine Geschwindigkeit von 50 km/h zugelassen, veranlasst keine Beweiserhebung, denn ohne Darlegungen der konkreten Umstände, insbesondere der Sichtweite infolge Nebels und des Fahrbahnzustands fehlt dem Beweisantritt die erforderliche Bestimmtheit der Anknüpfungstatsachen.

II. Die Bekl. ist auch nicht gem. § 7 V Abs. 4 AKB von ihrer Leistung frei geworden, weil dem Kl. eine nachträgliche Obliegenheitsverletzung nicht vorgeworfen werden kann.

Nach § 7 I Abs. 2 S. 3 AKB ist allerdings der „Versicherungsnehmer verpflichtet, alles zu tun, was zur Aufklärung des Tatbestands und zur Minderung des Schadens dienlich sein kann“. § 7 V Abs. 4 AKB bestimmt, dass dann, wenn „eine dieser Obliegenheiten in der Fahrzeug- oder Kraftfahrtunfallversicherung verletzt“ wird, Leistungsfreiheit nach Maßgabe des § 6 III VVG besteht. Nach dieser Vorschrift tritt Leistungsfreiheit jedoch nicht ein, wenn die Verletzung weder auf Vorsatz noch auf grober Fahrlässigkeit beruht. Bei grob fahrlässiger Verletzung bleibt der Versicherer insoweit verpflichtet, als die Verletzung Einfluss weder auf die Feststellung des Versicherungsfalls noch auf die Feststellung oder den Umfang der dem Versicherer obliegenden Leistung gehabt hat. Dabei muss zunächst der Versicherer die objektive Verletzung der Obliegenheit darlegen und ggf. beweisen; ist eine Angabe objektiv falsch, muss der Versicherungsnehmer beweisen, dass ihn kein oder nur ein geringerer Grad des Verschuldens trifft (BGHZ 122, 250 = NJW 1993, 1862 = VersR 1993, 828).

Zwar war nach dem eigenen Vorbringen des Kl. die Angabe in dem Zusatzfragebogen zur Laufrichtung des Hasen (Frage 2) objektiv falsch, so dass eine Vermutung für vorsätzliches Handeln des Kl. spricht (OLG Hamm, VersR 1994, 590; OLG München, VersR 1981, 1170). Allerdings wird ein Versicherer nach der Relevanztheorie, der der Senat folgt, nur dann von seiner Leistung völlig frei, wenn die Obliegenheitsverletzung generell geeignet ist, das berechtigte Interesse des Versicherers zu gefährden, und ein erhebliches Fehlverhalten des Versicherungsnehmers vorliegt. Das ist nicht der Fall. Die Angabe in dem Zusatzfragebogen vom 14. 11. 1999 zur Laufrichtung des Hasen war nicht generell geeignet, die berechtigten Interessen der Bekl. ernsthaft zu gefährden (fehlende Relevanz, vgl. BGH, LM § 7 AVB f. KraftfVers. Nr. 31 = VersR 1975, 752; VersR 1984, 228; OLG Köln, VersR 1984, 378; Stiefel/Hofmann, Kraftfahrtversicherung, 17. Aufl., § 6 VVG Rdnr. 33 m.w. Nachw.). Die Bekl. selbst hat in ihrem Schreiben vom 23. 11. 1999, mit dem sie jede Zahlung ablehnte, der Tatsache, dass ein „auf oder über die Straße laufende(r) Hase“ Unfallauslöser gewesen sein soll, nur insoweit Bedeutung zugemessen, als sie unter Hinweis auf von ihr zitierte Rechtsprechung zum Rettungskostenersatz in einem solchen Fall grobe Fahrlässigkeit annahm. Die Laufrichtung des Hasen spielte dafür keine Rolle. Das war immerhin ungewöhnlich, weil aus dem Umstand, dass ein Hase von links nach rechts die Fahrbahn querte, hätte geschlossen werden können, dass dem Kl. wegen der größeren Wegstrecke, die der Hase hätte zurücklegen müssen, noch ausreichend Zeit zu einer anderen Reaktion geblieben und jedenfalls eine starke Bremsung unter diesen Umständen auch für ihn erkennbar völlig überflüssig und (möglicherweise) leichtfertig gewesen wäre. Sah die Bekl. zu dieser denkbaren Schlussfolgerung, die bei einem Wildwechsel von rechts nach links ausgeschlossen gewesen wäre, keinen Anlass, dann liegt die Annahme nahe, dass sie der Richtung, aus der das Tier kam, tatsächlich keine Bedeutung beimaß. Es ist auch in der Tat nicht zu erkennen, welches berechtigte Interesse der Bekl. dadurch generell ernsthaft gefährdet wurde, dass der Kl. die Richtung dieses Wildwechsels unrichtig angab. Offenbar will sie aus dem Umstand, dass der Kl. bei seiner Anhörung durch das LG im Gegensatz zu einer schriftlichen Erklärung in dem Zusatzfragebogen angab, das Tier habe die Fahrbahn von rechts nach links überquert, generell seine Glaubwürdigkeit und seine Unfalldarstellung in Zweifel ziehen. Abgesehen davon, dass damit der Anwendung der Relevanzlehre nicht begegnet werden kann, besteht für derartige Zweifel auch kein Anlass, dies um so weniger, als die Polizei bereits kurz nach dem Unfall am Unfallort erschien und die Schäden am Pkw und dem Straßenbaum feststellte. Für eine alkoholische Beeinflussung des Kl. gab es keine Anhaltspunkte.

Rechtsgebiete

Straßenverkehrs- und Straßenrecht