Zurechnung des Verschuldens eines Prozeßbevollmächtigten bei Versäumung der Klagefrist

Gericht

LAG Hamm


Art der Entscheidung

Beschluss über Beschwerde


Datum

27. 02. 1996


Aktenzeichen

5 Ta 106/95


Leitsatz des Gerichts

Der Arbeitnehmer muss sich das Verschulden seines Prozessbevollmächtigten, wenn dieser die Klagefrist zur Erhebung einer Kündigungsschutzklage nicht eingehalten hat, nicht zurechnen lassen. Die Kündigungsschutzklage ist nachträglich zuzulassen, da § 85 II ZPO ist im Rahmen des § 5 I KSchG nicht anwendbar ist.

Tatbestand


Auszüge aus dem Sachverhalt:

Die Parteien streiten um die nachträgliche Zulassung einer Kündigungsschutzklage. Der 35-jährige Kl. ist seit dem 4. 6. 1993 als Lkw-Fahrer bei der Bekl. eingestellt. Die Bekl. beschäftigt mehr als fünf Arbeitnehmer. Mit Schreiben vom 23. 8. 1994 kündigte die Bekl. das Arbeitsverhältnis der Parteien aus betrieblichen Gründen zum 30. 9. 1994. Das Schreiben ging dem Kl. am 25. 8. 1994 zu. Mit einem am 16. 9. 1994 beim ArbG eingegangenen Schriftsatz hat der Kl. dagegen Kündigungsschutzklage erhoben. Im Gütetermin vom 14. 10. 1994 schlossen die Parteien einen Vergleich, den die Bekl. innerhalb der dafür vorgesehenen Frist widerrief. In der Ladung zum Kammertermin wies der Kammervorsitzende darauf hin, daß die Klage "unter Verstoß gegen § 4 KSchG um einen Tag zu spät erhoben sein dürfte". Die Ladung wurde dem Prozeßbevollmächtigten des Kl. am 2. 11. 1994 zugestellt. Mit einem am 7. 11. 1994 beim ArbG eingegangenen Schriftsatz beantragte der Kl., die verspätete Kündigungsschutzklage nachträglich zuzulassen. Er hat vorgetragen, sein Prozeßbevollmächtigter habe den Klageschriftsatz schon am Morgen des 13. 9. 1994 zusammen mit der übrigen Gerichtspost des Vortages in die Gerichtsfächer der sogenannten Anwaltshalle des LG Hagen eingelegt. Zum Beweis hat er sich auf die anwaltliche Versicherung seines Prozeßvertreters berufen. Der Kl. hat die Ansicht vertreten, die Klage sei darum in Wahrheit nicht verspätet erhoben worden.

Mit Beschluß vom 9. 2. 1995 hat das ArbG die Klage nachträglich zugelassen. Die hiergegen gerichtete Beschwerde blieb erfolglos.

Entscheidungsgründe


Auszüge aus den Gründen:

II. 2. Das ArbG hat die Kündigungsschutzklage vom 13. 9. 1994 zu Recht nachträglich zugelassen.

2.1. Über den Antrag war gerichtlich zu befinden. Eine Kündigungserklärung als solche liegt zweifellos vor. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien findet nach Maßgabe der §§ 1 I, 23 I KSchG das Kündigungsschutzgesetz Anwendung. Die Klage ist ferner verspätet erhoben worden. Zwar hat sie der Prozeßbevollmächtigte des Kl. schon am 13. 9. 1994 in ein Gerichtsfach der "Anwaltshalle" des LG Hagen eingelegt. Selbst wenn er sie dabei in das für Post an das - im selben Gebäudekomplex untergebrachte - ArbG vorgesehene Fach gelegt haben sollte, ist sie damit noch nicht bei letzterem eingegangen. Die Gerichtsfächer der "Anwaltshalle" sind nicht etwa eine gemeinsame offizielle Briefannahmestelle und Empfangsvorrichtung der angeschlossenen Gerichtsbehörden. Dies folgt schon aus dem Umstand, daß dort eingelegte Schreiben keineswegs dem alleinigen Zugriff der zuständigen Gerichtsbediensteten unterliegen. Sie können vielmehr, solange sie sich in dem betreffenden Fach befinden, offenbar jederzeit sowohl vom Absender als auch von unbefugten Dritten wieder entnommen werden. Solange sie aber nicht in den alleinigen Machtbereich der Gerichte gelangt sind, sind sie bei diesen im Rechtssinne nicht eingegangen. Würde zwar andernfalls das Einlegen der Klage selbst in das Fach eines unzuständigen Gerichts die Frist des § 4 KSchG gewahrt haben, so vermochte dies unter den gegebenen Umständen sogar ein Einlegen in das für das ArbG vorgesehene Fach nicht. Die erst am 16. 9. 1994 tatsächlich in den Machtbereich des letzteren gelangte Klage wahrt die am 15. 9. 1994 endende Dreiwochenfrist nicht. Mangels irgendeines entsprechenden Anhaltspunktes kann nicht davon ausgegangen werden, daß die Klageschrift vor dem 16. 9. 1994 bereits bei einem anderen Gericht förmlich eingegangen wäre. Es befindet sich auf ihrem zu den Akten gelangten Exemplar keinerlei Eingangsstempel einer anderen Justizbehörde. Damit kann die Rechtzeitigkeit der Klageerhebung nicht angenommen werden. Über den Antrag auf nachträgliche Zulassung der Klage vom 13. 9. 1994 war gerichtlich zu entscheiden.

2.2. Der Antrag ist zulässig.

2.2.1. Gem. § 5 III 1 KSchG ist der Antrag auf nachträgliche Zulassung innerhalb zweier Wochen nach Wegfall des Hinternisses zu stellen, welches einer rechtzeitigen Klageerhebung im Wege stand. Der fristgerechten Erhebung der Kündigungsschutzklage stand die irrige Annahme des Kl. und seines Prozeßbevollmächtigten entgegen, die am 13. 9. 1994 in ein Gerichtsfach der "Anwaltshalle" eingelegte Klageschrift werde rechtzeitig bis zum 15. 9. 1994 beim ArbG eingehen. Der Umstand, daß die Klageschrift stattdessen um einen Tag verspätet einging, ist allen Beteiligten zunächst entgangen. Er ist offenbar selbst im Verlauf der Güteverhandlung vom 14. 10. 1994 nicht erörtert worden. Die Bekl. hat das Gegenteil zumindest nicht behauptet. Es ist deshalb anzunehmen, daß der Kl. erst durch den gerichtlichen Hinweis in der neuerlichen Ladung auf die Versäumung der Klagefrist aufmerksam wurde. Dieser ging ihm am 2. 11. 1994 zu. Sein fünf Tage später bei Gericht eingegangener Antrag wahrt die gesetzliche Zweiwochenfrist.

2.2.2. Der Antrag genügt den Erfordernissen des § 5 II KSchG. Danach ist mit ihm die Klageerhebung zu verbinden oder es ist auf die bereits eingereichte Klage Bezug zu nehmen. Letzteres hat der Kl. getan. Er enthält außerdem die Angaben der Tatsachen, die die nachträgliche Zulassung begründen sollen, und die der Mittel, sie glaubhaft zu machen. Zwar hat der Kl. im Antragsschriftsatz die Auffassung vertreten, die Klage sei nicht verspätet erhoben worden. Seinem Vorbringen ist jedoch zugleich die Ansicht zu entnehmen, eine mögliche Verspätung zumindest nicht vertreten zu müssen. Für die Richtigkeit des Geschehensablaufs hat er sich auf die anwaltliche Versicherung seines Prozeßbevollmächtigten bezogen.

2.3. Der Antrag ist begründet. Gem. § 5 I KSchG ist eine Kündigungsschutzklage nachträglich zuzulassen, wenn der Arbeitnehmer trotz Aufwendung aller ihm nach Lage der Umstände zuzumutenden Sorgfalt verhindert war, sie rechtzeitig innerhalb dreier Wochen nach Zugang der Kündigung zu erheben.

2.3.1. Den Kl. in Person trifft daran, daß die Klageschrift vom 13. 9. 1994 die Frist des § 4 KSchG nicht gewahrt hat, kein Verschulden. Er selbst hat seine Prozeßvertreter am 12. 9. 1994 rechtzeitig mit der Klageerhebung beauftragt. Er hat damit alles von seiner Seite aus Erforderliche für die Einhaltung der Dreiwochenfrist des § 4 KSchG getan.

2.3.2. Daß die Klage erst einen Tag nach Ablauf der Frist beim ArbG - und erst damit überhaupt bei einem Gericht - einging, beruht auf einem Verschulden seines beauftragten Prozeßbevollmächtigten. An dessen Verschulden dürfte es zwar fehlen, wenn mit Gewißheit feststünde, daß er die Klageschrift vom 13. 9. 1994 selbigen Tages in das für das ArbG vorgesehe Fach der "Anwaltshalle" des LG Hagen eingelegt hätte. Der Prozeßbevollmächtigte des Kl. hätte unter dieser Voraussetzung wohl davon ausgehen dürfen, daß die Klageschrift jedenfalls innerhalb der nächsten zwei Tage aus dem Fach entnommen und dem ArbG tatsächlich übermittelt würde. Doch hat der Prozeßvertreter des Kl. in der Beschwerdeinstanz eingeräumt, er könne nicht ausschließen, daß er die Klageschrift versehentlich in das falsche Gerichtsfach eingelegt habe. In diesem Falle durfte er zumindest nicht annehmen, der betreffende Schriftsatz werde auch das ArbG rechtzeitig erreichen. Er konnte zudem nicht ohne weiteres voraussetzen, der Schriftsatz werde überhaupt bei irgendeinem - und sei es bei einem unzuständigen - Gericht tatsächlich eingehen und dort die Klage fristwahrend anhängig machen. Die Unaufklärbarkeit des wirklichen Ablaufs und des Verbleibs der Klageschrift vor dem 16. 9. 1994 geht zu Lasten des Kl. Eben weil dies nicht mit Sicherheit ausgeschlossen werden kann, ist der Entscheidung über die nachträgliche Klagezulassung die Annahme zugrunde zu legen, die Überschreitung der Klagefrist beruhe auf dem Versehen und Verschulden des Prozeßbevollmächtigten des Kl. Der Antrag auf nachträgliche Zulassung der Klage vom 13. 9. 1994 ist gleichwohl begründet: Der Kl. hat das Verschulden seines Prozeßbevollmächtigten nicht zu vertreten.

a) § 85 II ZPO ist im Rahmen des § 5 I KSchG nicht anwendbar. Diese Auffassung hat das erkennende Gericht seit dem Beschluß vom 28. 10. 1971 (DB 1972, 1974) und von da an in ständiger Rechtsprechung vertreten. Es hat an ihr noch jüngst mit ausführlicher Begründung festgehalten (LAG Hamm, NZA 1994, 909 = LAGE Nr. 65 zu § 5 KSchG). Dieser Auffassung ist weiterhin beizupflichten. Auch neuere Gegenargumente überzeugen nicht. Das LAG Köln hat in seinem Beschluß vom 26. 7. 1994 (LAGE Nr. 67 zu § 5 KSchG) dahinstehen lassen, ob die Frist des § 4 KSchG als prozessuale oder als materiellrechtliche Ausschlußfrist anzusehen sei. Allemal handele es sich um eine Frist zur Vornahme einer Prozeßhandlung, auf die § 85 II ZPO über § 46 II ArbGG uneingeschränkt und - so darf aus dem Gesamtzusammenhang unterstellt werden - direkt anwendbar sei.

Zutreffend ist, daß § 4 KSchG eine Frist zur Vornahme einer Prozeßhandlung statuiert. Doch ist damit nicht schon die Anwendbarkeit von § 85 II ZPO im Rahmen der §§ 4, 5 KSchG zureichend dargetan. Richtig ist der Ausgangspunkt, wonach die Frage der Anwendbarkeit des § 85 II ZPO durch das Verständnis der Reichweite dieser Vorschrift selbst zu beantworten ist. Dazu gilt es sich zu vergegenwärtigen, daß die Zivilprozeßordnung ihrerseits eine Klagefrist - ausgenommen die klageförmig ausgestaltenen außerordentlichen Rechtsbehelfe etwa der Nichtigkeit- und Restitutionsklage - nicht kennt (so zutreffend und ausführlich Vollkommer, in: Festschr. f. Stahlhacke, 1995, S. 599 (607f.)). Dies führt zu der Feststellung, daß es innerhalb der ZPO keinen der Regelung des § 4 KSchG vergleichbaren Anwendungsfall des § 85 II ZPO gibt, der über § 46 II ArbGG in das arbeitsgerichtliche Kündigungsschutzverfahren übertragen werden könnte. § 85 II ZPO gilt nur im Zusammenhang mit bestimmten, ihrerseits innerhalb der Zivilprozeßordnung ausdrücklich normierten Einzelhandlungen, bei denen es auf ein Verschulden/Nichtverschulden des Handelnden ankommt, etwa für die Versäumung von Rechtsmittelfristen, Schriftsatzfristen u.ä. (vgl. Vollkommer, S. 606 (607)). Eine Klagefrist ist weder in der Zivilprozeßordnung noch im Arbeitsgerichtsgesetz normiert. Sie ist lediglich außerhalb des Prozeßrechts in § 4 KSchG konstituiert.

Eine über § 46 II ArbGG vermittelte "direkte" Anwendung des § 85 II ZPO auf ein Vertreterverschulden im Rahmen der §§ 4, 5 KSchG scheidet damit aus. Hinzu kommt, daß selbst der mit der Klageerhebung beauftragte Vertreter des Arbeitnehmers, bevor nicht die Klage bei Gericht anhängig geworden ist, nicht als Prozeßbevollmächtigter i.S. des § 85 II ZPO angesehen werden kann. Prozeßbevollmächtigter i.S. der §§ 78 KSchG ff. ist nur, wer als Vertreter des Kl. wirksam ein Prozeßrechtsverhältnis begründet hat. Die Erteilung der Prozeßvollmacht durch den Auftraggeber alleine reicht dazu nicht hin. So kann etwa Prozeßbevollmächtigter im Anwaltsprozeß nur der beim Prozeßgericht zugelassene Rechtsanwalt sein. § 85 II ZPO setzt das Bestehen eines wirksam begründeten Prozeßrechtsverhältnisses voraus. Ein solches wiederum entsteht in jedem Falle erst mit Klageerhebung. Das außer- und vorprozessuale Verhalten des künftigen Prozeßvertreters ist dem Vertretenen nicht über § 85 II ZPO zurechenbar (so auch Rieble, Anm. zu LAG Hamm, LAGE Nr. 65 zu § 5 KSchG).

Weniger bedeutsam ist aus dieser Sicht die Streitfrage, ob es sich bei der Frist des § 4 KSchG um eine materiellrechtliche oder um eine prozessuale Ausschlußfrist handelt. Auch wenn mit Blick auf die Vorschrift des § 7 KSchG für die erste Alternative die besseren Argumente sprechen, verlangt § 4 KSchG zur Fristwahrung eine Prozeßhandlung. Die normative Besonderheit der Konstellation besteht eben darin, daß die verschuldete Versäumnis einer Prozeßhandlung mit materiellrechtlichen Folgen bedacht wird. Dennoch ist § 85 II ZPO auf die von § 4 KSchG geforderte Prozeßhandlung weniger wegen ihrer materiellrechtlichen Folgen - deren materiellrechtlicher Charakter sich durch eine Zurechnung der vertreterverschuldeten Fristversäumnis nicht ändern würde - als vielmehr mangels der Existenz einer in der Zivilprozeßordnung selbst oder im Arbeitsgerichtsgesetz vorgesehenen Klagefrist und mangels Bestehens eines Prozeßrechtsverhältnisses schon vor Klageerhebung nicht unmittelbar anwendbar (so auch - nur im Ausgangspunkt, nicht im Ergebnis - BGH, NJW 1976, 1218).

Beruht die Unanwendbarkeit des § 85 II ZPO im Rahmen der §§ 4, 5 KSchG auf dem Fehlen eines Prozeßrechtsverhältnisses, so hat dies Folgen für das Vertreterverschulden im Rahmen des § 5 III KSchG. Daß diese Vorschrift eine prozessuale Ausschlußfrist normiere, ist jedenfalls dann keine zureichende Begründung für die Anwendung des § 85 II ZPO mehr, wenn bei Ablauf der betreffenden Zweiwochen-/Sechsmonatsfrist ein Prozeßrechtsverhältnis weiterhin noch nicht bestanden hat. Es bewendet im Ergebnis dennoch bei der bisherigen Praxis. Die Versäumung der Zweiwochen-/Sechsmonatsfrist des § 5 III KSchG führt unabhängig von der Zurechnung eines Vertreterverschuldens deshalb zur Unzulässigkeit des Antrags auf nachträgliche Klagezulassung, weil eine Wiedereinsetzung in diese Frist gesetzlich schlechthin nicht vorgesehen ist. Auch dann, wenn weder ein eigenes Verschulden des Arbeitnehmers noch ein Verschulden seines Prozeßbevollmächtigten vorliegt, ist eine Wiedereinsetzung in diese Fristen nicht möglich. § 85 II ZPO ist in diesem Zusammenhang ohne Bedeutung, auf ein Verschulden kommt es nicht an. Darin - und ebenfalls weniger in deren materiellrechtlichem Charakter - liegt im übrigen die Parallele zur Ausschlußfrist des § 626 II BGB. Deren Versäumung führt allein deshalb zum Verlust des Rechts zur außerordentlichen Kündigung, unabhängig davon, ob der Kündigende oder sein Vertreter die Überschreitung der Zweiwochenfrist zu vertreten hat oder nicht, weil die Möglichkeit einer Wiedereinsetzung in sie gesetzlich nicht vorgesehen ist.

b) Eine analoge Anwendung des § 85 II ZPO im Rahmen des § 5 KSchG scheidet aus. Zur Begründung dieser Ansicht wird auf frühere Entscheidungen des erkennenden Gerichts verwiesen (vgl. nur LAG Hamm, DB 1972, 1974; LAG Hamm, NJW 1981, 1230 = EzA Nr. 8 zu § 5 KSchG). Der Normzweck des § 85 II ZPO besteht insbesondere in der Sicherung der Rechtskraft ergangener Entscheidungen. Um diese weitestgehend zu gewährleisten, bedarf es des Repräsentationsprinzips, wie es der Vorschrift des § 85 II ZPO zugrundeliegt (vgl. neuerdings Vollkommer, S. 610 m. w. Nachw.). Ein interessen- und wertungsjuristisch angeleiteter Vergleich der beiden Sachlagen – einmal der Versäumung der Klagefrist, das andere Mal der Versäumung z.B. einer Rechtsmittelfrist - verlangt keineswegs nach ihrer Gleichbehandlung unter dem Aspekt der Zurechnung des Vertreterverschuldens. Zwar würde durch dessen Zurechnung im Rahmen des § 5 KSchG nicht eigentlich bereits der Zugang des Arbeitnehmers zu Gericht verstellt, ohne daß die berechtigten Interessen des Arbeitgebers dies geböten: Die verspätete Kündigungsschutzklage ist nicht als unzulässig, sondern wegen § 7 KSchG als unbegründet anzusehen, sonstige, nicht auf § 1 II KSchG gestützte Unwirksamkeitsgründe können weiterhin vorgebracht werden. Es würde dem Arbeitnehmer jedoch jegliche Möglichkeit genommen, die gegen ihn gerichtete Kündigung auch nur erstmalig auf ihre soziale Rechtfertigung hin gerichtlich überprüfen zu lassen. Ein solches Ergebnis verlangen Sinn und Zweck des § 85 II ZPO in Verbindung mit dem Gleichbehandlungsgrundsatz auf der Basis einer genauen Interessenanalyse gerade nicht (LAG Hamm, DB 1972, 1974; LAG Hamm, NJW 1981, 1230 = EzA Nr. 8 zu § 5 KSchG; Vollkommer, S. 613ff.). Die analoge Anwendung des § 85 II ZPO auf das Vertreterhandeln im Rahmen der §§ 4, 5 KSchG ist nicht geboten.

c) Gegen die Rechtsprechung des erkennenden Gerichts hat zuletzt Rieble vorgebracht, sie übersehe die Vorschrift des § 278 BGB. Der Arbeitnehmer habe seine Fehler in der Wahrung der Ausschlußfrist gegenüber dem Arbeitgeber zwar wegen des materiellrechtlichen Charakters der Frist nicht nach § 85 II ZPO, wohl aber nach § 278 BGB zu verantworten. "Zwischen Arbeitgeber und - vermeintlich sozialwidrig gekündigtem - Arbeitnehmer besteht zumindest ein nachvertragliches Schuldverhältnis ..., innerhalb dessen ... jede Seite für die Pflichtverletzung ihrer Erfüllungsgehilfen einzutreten (hat)" (Rieble, Anm. zu LAG Hamm, LAGE Nr. 65 zu § 5 KSchG). Zwar erfülle der Arbeitnehmer, indem er die Klagefrist des § 4 KSchG wahre, keine "Pflicht" gegenüber dem Arbeitgeber, sondern lediglich eine Obliegenheit sich selbst gegenüber. Doch sei § 278 BGB auch auf solcherart Obliegenheiten anzuwenden (Rieble, Anm. zu LAG Hamm, LAGE Nr. 65 zu § 5 KSchG m. w. Nachw. von Vertretern dieser für ihn "mittlerweile überwiegenden Meinung").

Der Ausgangspunkt Riebles ist verfehlt. Das Erfordernis der Fristwahrung i.S. des § 4 KSchG ist keine aus dem beendeten oder noch andauernden Arbeitsverhältnis resultierende Pflicht oder Obliegenheit des Arbeitnehmers. Es ist gewiß unzutreffend anzunehmen, der gekündigte Arbeitnehmer "schulde" dem Arbeitgeber aus vertraglicher Nebenpflicht die Rechtzeitigkeit einer Kündigungsschutzklage und sei es nur als Ausfluß der Pflicht zur "richtigen Abwicklung des Arbeitsverhältnisses".

Die Dreiwochenfrist des § 4 KSchG dient mit ihrem Ziel, möglichst bald Klarheit über die soziale Berechtigung einer Kündigung zu schaffen, zwar auch den Interessen des Arbeitgebers. Diese Interessen sind jedoch nicht aus dem Umstand abzuleiten, daß Arbeitnehmer und Arbeitgeber Parteien eines Arbeitsvertrages sind oder waren. Der Arbeitgeber wird durch § 4 KSchG nicht als Partei eines Arbeitsverhältnisses geschützt. Andernfalls wäre unverständlich, warum bei Nichtgeltung des Kündigungsschutzgesetzes etwa mangels erforderlicher Beschäftigtenzahl eine förmliche Klagefrist durch den Arbeitnehmer nicht einzuhalten ist. § 4 KSchG stellt vielmehr die Kehrseite des in § 1 KSchG normierten Bestandsschutzes dar. Die Vorschrift beruht auf einer rechtspolitischen Interessenabwägung des Gesetzgebers, die nicht an das Bestehen eines Arbeitsvertrages als solches, sondern an die durch § 1 KSchG erschwerte Auflösbarkeit des Vertrages anknüpft. Nun behandelt auch Rieble das Erfordernis rechtzeitiger Klageerhebung nicht als arbeitsvertragliche "Pflicht" des Arbeitnehmers, sondern als eine entsprechende Obliegenheit. Er hebt mit Recht hervor, daß der Hinweis, § 278 BGB gelte nur im Rahmen der Erfüllung von Verbindlichkeiten als regelrechten Leistungspflichten, zu kurz greift. Doch geht auch das Verständnis der rechtzeitigen Klageerhebung als Obliegenheit fehl. § 278 BGB kann - soweit überhaupt - Geltung nur für sogenannte schuldrechtliche Obliegenheiten beanspruchen. Eine schuldrechtliche Obliegenheit ist ein schuldrechtlicher Ausschlußgrund des Inhalts, durch ein bestimmtes Verhalten, ohne zu diesem verpflichtet zu sein, das Eintreten eines rechtlichen Nachteils vermeiden zu können (E. Wolf, Lehrbuch des SchuldR, 1. Bd., 1978, S. 27). Nur dort, wo Obliegenheitsverletzungen schuldrechtliche Konsequenzen haben, also das gegenseitige Rechte- und Pflichtengefüge eines vertraglichen oder gesetzlichen Schuldverhältnisses beeinflussen, ist Raum für eine Anwendung des § 278 BGB auch auf sie.

Alles andere hieße, aus § 278 BGB den generellen Grundsatz abzuleiten, jeder Vertretene habe für ein Verschulden seines Bevollmächtigten oder sonstigen Vertreters in jedwedem Rechtszusammenhang einzutreten. Die Feststellung schon des RG (RGZ 158, 357 (360)), ein solcher Grundsatz sei dem geltenden Recht fremd, gilt weiterhin (vgl. erneutLAG Hamm, NJW 1981, 1230 = EzA Nr. 8 zu § 5 KSchG). Sämtliche von Rieble und der übrigen Literatur genannten Beispiele für eine Anwendbarkeit des § 278 BGB auf Obliegenheitsverletzungen stellen denn auch den Verstoß gegen solcherart schuldrechtliche Obliegenheiten dar. Dies gilt für die Versäumung der Klagefrist des § 4 KSchG nicht. Sie ist nicht nur keine schuldrechtlich begründete Pflicht, ihre Einhaltung ist auch keine schuldrechtliche Obliegenheit des Arbeitnehmers - darin völlig anders als die von Rieble zu Unrecht in den vergleichenden Blick genommenen (tarif-)vertraglichen Ausschlußfristen für die Erhebung bestimmter Ansprüche. Daß sich der Arbeitnehmer im Rahmen der letztgenannten, schuldrechtliche Ansprüche ausschließenden Fristen das Verhalten/Unterlassen eines Bevollmächtigten zurechnen lassen muß, beruht freilich nicht auf § 278 BGB, auch wenn dieser auf die entsprechende Obliegenheit durchaus anwendbar sein mag, sondern beruht erneut darauf, daß es auf ein Verschulden in diesem Zusammenhang regelmäßig nicht ankommt. Auch die unverschuldete Versäumnis (tarif-)vertraglicher Ausschlußfristen führt zum Anspruchsverlust.

Das Erfordernis, die Klagefrist des § 4 KSchG zu wahren, ist keine auf das Schuldverhältnis zum Arbeitgeber gegründete und dessen inneres Gefüge gestaltende Obliegenheit des Arbeitnehmers, auf welche die Vorschrift des § 278 BGB anwendbar wäre. Auch mit Blick auf § 278 BGB muß sich der Arbeitnehmer das Verschulden seines Prozeßbevollmächtigten an der Versäumung der Klagefrist i.S. der §§ 4, 5 KSchG nicht zurechnen lassen. Im übrigen wäre andernfalls zu prüfen, ob nicht eine Haftung des Arbeitnehmers für seinen mit der Klageerhebung beauftragten Rechtsanwalt deshalb entfiele, weil letzterer als sogenannter "Substitut" anzusehen wäre (zum Begriff vgl. nur Fikentscher, SchuldR, 8. Aufl. (1991), Rdnr. 517). Für das Verhalten einer fachkundigen Person, die völlig in die Verantwortung des Schuldners einrückt, haftet dieser nicht nach § 278 BGB. Er haftet lediglich für deren sorgfältige Auswahl. Mit dieser Frage setzt Rieble sich nicht auseinander. Er gelangt über § 278 BGB zu einer von ihm selbst so genannten "konsequenten Verantwortlichkeit des Arbeitnehmers für seine Hilfspersonen". Im Namen einer Rückversicherung des Arbeitsrechts am allgemeinen Zivilrecht geraten ihm die Besonderheiten und Differenzierungen aus dem Blick, die gerade letzteres macht. Der Auffassung Riebles kann nicht gefolgt werden. Der Kl. hat das Verschulden seines Prozeßbevollmächtigten an dem verspäteten Zugang der Klageschrift vom 13. 9. 1994 nicht zu vertreten. Sein Antrag auf nachträgliche Zulassung der Kündigungsschutzklage vom 13. 9. 1994 ist begründet.

Vorinstanzen

ArbG Hagen, 3 Ca 651/94, 09.02.1995

Rechtsgebiete

Arbeitsrecht