Bereitschaftsdienst der Ärzte

Gericht

BAG


Art der Entscheidung

Revisionsurteil


Datum

27. 01. 1994


Aktenzeichen

6 AZR 465/93


Leitsatz des Gerichts

Der Arbeitgeber ist durch § 17 BAT und Nr. 8 SR 2 lit. c BAT nicht gehindert, den ärztlichen Dienst im Krankenhaus zwischen dem Ende der täglichen Arbeitszeit und dem Beginn der Arbeitszeit des folgenden Tages teils als Überstunden und teils als Bereitschaftsdienst anzuordnen.

Tatbestand


Auszüge aus dem Sachverhalt:

Die Parteien streiten darüber, wie die von dem Bekl. im Anschluß an die regelmäßige Arbeitszeit angeordneten weiteren Dienste des Kl. zu vergüten sind. Der Kl. ist angestellter Arzt in einer Universitätsklinik des bekl. Landes. Auf das Arbeitsverhältnis finden kraft arbeitsvertraglicher Vereinbarung der Bundes-Angestelltentarifvertrag (BAT) vom 23. 2. 1961 sowie die diesen ergänzenden und ändernden Tarifverträge Anwendung. Der Kl. hat nach dem Ende der täglichen dienstplanmäßigen Arbeitszeit (16.30 Uhr) und vor dem Arbeitsbeginn des nächsten Tages (8.00 Uhr) Dienste im Krankenhaus zu leisten. Bis zum 31. 3. 1984 vergütete das bekl. Land diese Dienste als Überstunden. Seit dem 1. 4. 1984 teilt es die Dienste vergütungsmäßig auf. Bis 1.00 Uhr behandelt es sie als Überstunden, von 1.00 Uhr bis 7.00 Uhr als Bereitschaftsdienst und von 7.00 Uhr bis 8.00 Uhr wieder als Überstunden. In den Zeiten, die es als Bereitschaftsdienst vergütet, fallen durchschnittlich nicht mehr als 40 % Arbeitsleistung an. In dem gesamten Zeitraum zwischen 16.30 Uhr und 8.00 Uhr fallen durchschnittlich mehr als 49 % Arbeitsleistung an. Eine schriftliche Nebenabrede über die Zuordnung der Bereitschaftsdienste zu einer der Stufen nach Nr. 8 II lit. a SR 2 lit. c BAT haben die Parteien nicht getroffen. In einem Rechtsstreit, in dem der Kl. beantragt hatte festzustellen, daß das bekl. Land verpflichtet sei, die über die regelmäßige Arbeitszeit hinausgehende Arbeitszeit einheitlich als Überstunden zu behandeln, schlossen die Parteien einen Teilvergleich, in dem das bekl. Land sich verpflichtete, die streitigen Zeiten als Mehrarbeit abzurechnen und entsprechend zu vergüten, falls es in dem Rechtsstreit rechtskräftig unterliege. Der erkennende Senat wies die Klage durch Urteil vom 22. 3. 1990 mangels Feststellungsinteresses als unzulässig ab. Der Kl. hat für die Zeit seit dem 1. 4. 1984 die Zahlung des Unterschiedsbetrages zwischen der Vergütung für Bereitschaftsdienst der Stufe C und der tariflichen Überstundenvergütung verlangt.

ArbG und LAG haben die Klage abgewiesen. Mit der zugelassenen Revision verfolgt der Kl. seinen Klageantrag weiter. Die Revision hatte keinen Erfolg.

Entscheidungsgründe


Auszüge aus den Gründen:

I. Die Klage ist unbegründet. Das LAG hat zutreffend angenommen, daß der Kl. nicht für den gesamten im Anschluß an seine regelmäßige Arbeitszeit von dem bekl. Land angeordneten weiteren Dienst Überstundenvergütung verlangen kann. Für die Zeit zwischen 1.00 Uhr und 7.00 Uhr steht dem Kl. die Bereitschaftsdienstvergütung zu.

1. Entgegen der Ansicht des bekl. Landes war das LAG an dieser Sachentscheidung weder durch das rechtskräftige Urteil des erkennenden Senats vom 22. 3. 1990 noch durch den im vorgenannten Rechtsstreit geschlossenen Teilvergleich gehindert.

a) Das genannte Urteil hat die damalige Klage mangels Feststellungsinteresse als unzulässig abgewiesen. Damit ist es nur insoweit in Rechtskraft erwachsen, als es über diese Prozeßvoraussetzung entschieden hat. Diese Rechtskraftwirkung steht der vorliegenden Leistungsklage nicht entgegen.

b) Der Teilvergleich, der vom Revisionsgericht als Prozeßhandlung unbeschränkt und selbständig ausgelegt werden kann (BAGE 42, 244 (249f.) = AP Nr.2 zu § 21 TVAL II (zu I)), regelt Zahlungsverpflichtungen, die das bekl. Land treffen, falls es im Rechtsstreit auf Feststellung des Anspruchs auf Überstundenvergütung unterliegt. Daraus kann nicht der Wille der Parteien hergeleitet werden, daß dem Kl. bei Unzulässigkeit seine Feststellungsklage verwehrt sei, einen weiteren Rechtsstreit auf Zahlung von Überstundenvergütung zu führen. Die Parteien haben in dem Teilvergleich nur eine Regelung für den Fall getroffen, daß das bekl. Land in der Sache verurteilt wird. Die bei Klageabweisung durch Prozeßurteil verbleibende Zulässigkeit einer Leistungsklage haben die Parteien nach dem Vergleichsinhalt weder bedacht noch einschränkend geregelt.

2. Der Kl. hat für die Zeit zwischen 1.00 Uhr und 7.00 Uhr keinen Anspruch auf Überstundenvergütung gem. § 17 I, V 4 i.V. mit § 35 III Unterabs. 2 BAT, weil es für diese Zeit an der Anordnung von Überstunden fehlt.

a) Das LAG hat bindend festgestellt, daß das bekl. Land an den fraglichen und im einzelnen unstreitigen Tagen im Klagezeitraum für die Zeiten von 1.00 Uhr bis 7.00 Uhr Bereitschaftsdienst angeordnet hat. Diese Anordnung war wirksam, weil der tatsächliche Arbeitsanfall während dieser Zeiten bei nur 40 % lag, so daß die Zeit ohne Arbeitsleistung überwog (vgl. Nr. 8 I 2 SR 2 lit. c BAT - in der bis 31. 3. 1991 geltenden Fassung - und § 15 VIa 2 BAT). Daran ändert die fehlende Nebenabrede über die Zuordnung zu einer Bereitschaftsdienststufe gemäß Nr. 8 V 1 SR 2 lit. c BAT nichts. Zwar hat der Abschluß einer derartigen Nebenabrede grundsätzlich konstitutive Bedeutung für den Vergütungsanspruch. Fehlt es jedoch an der Nebenabrede, so werden die geleisteten Bereitschaftsdienste nach der tatsächlichen Belastung abgerechnet (BAG, NZA 1990, 848 = AP Nr. 17 zu § 17 BAT; BAGE 66, 154 = NZA 1991, 378 = NJW 1991, 2987 L = AP Nr. 7 zu § 3 BAT). Es ist unstreitig, daß die Arbeitsbelastung des Kl. in der Zeit zwischen 1.00 Uhr und 7.00 Uhr der von ihm beanspruchten Gruppe C (vgl. Nr. 8 II lit. a SR 2 lit. c BAT) entspricht und entsprechend abgerechnet wurde.

b) Zu Unrecht leitet die Revision daraus, daß bei einheitlicher Betrachtung des gesamten Nachtdienstes die Zeit des tatsächlichen Arbeitsanfalls mehr als 49 % der Arbeitszeit beträgt und somit nicht der gesamte Nachtdienst Bereitschaftsdienst sein könne, einen tariflichen Anspruch auf Überstundenvergütung her. Entgegen der Ansicht der Revision ergibt sich weder aus Nr. 8 SR 2 lit. c BAT noch aus § 17 BAT, daß die an die regelmäßige Arbeitszeit anschließenden Dienste nur einheitlich als Bereitschaftsdienste oder als Überstunden angeordnet werden dürfen. Nr. 8 VII Unterabs. 1, 2 SR 2 lit. c BAT regelt, wieviele Bereitschaftsdienste in einem Kalendermonat angeordnet werden dürfen, und daß bei einem zusammenhängenden Wochenbereitschaftsdienst eine Ruhezeit von mindestens zwölf Stunden dienstplanmäßig vorzusehen ist. Unterabsätze 3, 5 regeln, daß dem Arzt unter den dort genannten Voraussetzungen eine Ruhezeit von mindestens acht Stunden oder in dem erforderlichen Umfang Arbeitsbefreiung zu gewähren ist. Tarifvertraglicher Schutzzweck dieser Regelungen ist somit, durch Begrenzung der Zahl der Bereitschaftsdienste und die Verpflichtung der Gewährung von Ruhezeiten eine Überbeanspruchung des Arztes zu vermeiden. Ein Verbot, Bereitschaftsdienst im unmittelbaren Anschluß an Überstunden anzuordnen, läßt sich diesen Bestimmungen nicht entnehmen.

Auch aus Nr. 8 VIII SR 2 lit. c BAT läßt sich die Unzulässigkeit der Aufteilung der Nachtdienste in Überstunden und Bereitschaftsdienste nicht herleiten. Die Tarifnorm geht für die Berechnung der tariflich erheblichen Zahl der Bereitschaftsdienste davon aus, daß Bereitschaftsdienste vor, zwischen oder nach der dienstplanmäßigen Arbeitszeit geleistet werden. Diese Regelung schließt nicht aus, daß Bereitschaftsdienst sowohl von regelmäßiger Arbeitszeit i.S. des § 15 BAT als auch von Überstunden i.S. des § 17 BAT umschlossen sein kann. Die Tarifvertragsparteien haben mangels anderer Anhaltspunkte in Nr. 8 VIII nur geregelt, wie die tariflich erhebliche Zahl von Bereitschaftsdiensten festgestellt wird. Zu der Frage, ob Bereitschaftsdienst nur auf regelmäßige Arbeitszeit folgen oder nur dieser vorangehen darf, haben sie keine Regelungen getroffen. Das bekl. Land ist auch nicht gem. des § 17 I Unterabs. 2 Satz 1 BAT verpflichtet, die Zeit zwischen 16.30 Uhr und 8.00 Uhr als Überstunden zu vergüten. Nach dieser Bestimmung sind Überstunden auf dringende Fälle zu beschränken. Eine dienstplanmäßige Aufteilung des im Anschluß an die regelmäßige Arbeitszeit notwendigen weiteren Dienstes in Überstunden und Bereitschaftsdienst wird durch diese Regelung nicht untersagt.

3. Der Kl. hat auch keinen vertraglichen Anspruch auf Weitergewährung der Überstundenvergütung in der Zeit nach dem 31. 3. 1984. Entgegen der Auffassung des Kl. bestehen für die von ihm behauptete betriebliche Übung keine tatsächlichen Anhaltspunkte. Der Arbeitnehmer des öffentlichen Dienstes muß in aller Regel davon ausgehen, daß ihm sein Arbeitgeber nur die Leistungen gewähren will, zu denen er rechtlich verpflichtet ist. Ohne besonderen Anlaß darf er deshalb auch bei langjähriger Gewährung einer zusätzlichen Vergütung nicht darauf vertrauen, sie sei Vertragsinhalt geworden (BAGE 49, 31 = NZA 1986, 604 = NJW 1986, 2593 L = AP Nr. 19 zu § 242 BGB Betriebliche Übung). Der Kl. konnte deshalb ohne zusätzliche Anhaltspunkte, die er hätte vortragen müssen, nicht davon ausgehen, das bekl. Land werde auf Dauer die Nachtzeit auch insoweit als Überstunden vergüten, als erfahrungsgemäß die Zeit ohne Arbeitsleistung überwiegt und daher die Anordnung von Bereitschaftsdienst zulässig ist.

Vorinstanzen

LAG München, 1 (3) Sa 607/91, 03.11.1992

Rechtsgebiete

Arbeitsrecht