Ersatzansprüche eines Landwirtschaftsbetriebs - Anwaltshaftung

Gericht

BGH


Art der Entscheidung

Revisionsurteil


Datum

21. 09. 2000


Aktenzeichen

IX ZR 127/99


Leitsatz des Gerichts

  1. Die für Ersatzansprüche der Kreispachtgeschädigten entwickelten Regeln (vgl. BGHZ 127, 285 = DtZ 1995, 93 = LM VwRehaG Nr. 1; BGHZ 127, 297 = NJW 1995, 600 = LM H. 3/1995 DDR-BewirtschaftungsVO Nr. 1; BGHZ 129, 282 = DtZ 1995, 280 = LM H. 11/1995 Art. 231 EGBGB 1986 Nr. 4) gelten grundsätzlich auch, wenn ein Landwirtschaftsbetrieb unter Einschaltung des Rats der Gemeinde einer Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaft zur Nutzung überlassen worden ist.

  2. Zum Umfang der Verpflichtung eines Rechtsanwalts, Rechtsprechung und Schrifttum bei der Bearbeitung einer Angelegenheit aus einem sich neu entwickelnden Rechtsgebiet zu berücksichtigen.

Tatbestand

Zum Sachverhalt:

Der Kl. nimmt den verklagten Rechtsanwalt auf Schadensersatz wegen Verletzung anwaltlicher Berufspflichten in Anspruch. Der Kl. war Eigentümer eines in der früheren DDR gelegenen landwirtschaftlichen Betriebs. Am 15. 3. 1954 unterzeichnete er folgendes als „Antrag“ bezeichnete Schreiben: „Ich möchte meinen 45 ha großen Hof, mit totem und lebenden Inventar, der LPG F. in U., zur Verfügung stellen. Der Grund meines Antrags ist: Sollrückstände, Futtermangel und Mangel an Arbeitskräften. Ich bitte, meinem Antrag stattzugeben.“ Die LPG „F“ in U. (im Folgenden: LPG) erklärte am gleichen Tage, dass sie sich verpflichtet sehe, die Wirtschaft zu übernehmen, da der Besitzer nach jahrelangen Erfahrungen nicht in der Lage sei, seinen Verpflichtungen gegenüber dem Staat nachzukommen. Auch der Rat der Gemeinde U. befürwortete den Antrag, „um damit eine ordnungsgemäße Bewirtschaftung und Ablieferung zu gewährleisten“. Der Rat des Kreises W. führte in einem Schreiben an den Rat der Gemeinde vom 2. 4. 1954 aus, dem Antrag könne nur stattgegeben werden, wenn hierfür einige im Einzelnen aufgeführte Voraussetzungen geschaffen würden. Weiter heißt es: „(Der Kl.) als Besitzer seines landwirtschaftlichen Vermögens bleibt für die Sollrückstände voll verantwortlich. Aus dem Antrag selbst, wie aus der Stellungnahme des Rates der Gemeinde und des Vorstands der LPG geht eindeutig hervor, dass der Besitzer selbst nicht in der Lage ist, seinen landwirtschaftlichen Grundbesitz ordnungsgemäß weiter zu bewirtschaften. Aus diesem Grunde kann der Rat des Kreises dem Abschluss eines Pachtvertrags zwischen dem Ast. und der LPG nicht zustimmen, und muss in diesem Falle zwischen dem Rat der Gemeinde und der LPG ein Nutzungsvertrag nach den gesetzlichen Bestimmungen der VO vom 3. 9. 53 und den II. Durchführungsbestimmungen vom 5. 2. 1954 in Höhe der Grund- und Vermögenssteuern mit dem Ast. abgeschlossen werden...“ Am 6. 7. 1954, genehmigt vom Rat des Kreises am 9. 7. 1954, schlossen der Rat der Gemeinde und die LPG „gem. § 7 der Verordnung vom 3. 9. 1953 über die Bewirtschaftung freier Betriebe und Flächen und die Schaffung von Betrieben der örtlichen Landwirtschaft“ einen Nutzungsvertrag über den landwirtschaftlichen Betrieb des Kl. für die Dauer von fünf Jahren. In dem Vertragsformular heißt es:

...

2. Die Nutzungsübergabe erfolgt mit dem in der Anlage zu diesem Vertrage aufgeführten lebenden und toten Inventar.

3. Der Nutzende verpflichtet sich, die übernommenen Flächen ordnungsgemäß zu bewirtschaften. Er genießt die Vergünstigungen nach § 7 der oben aufgeführten Verordnung nebst den hierzu ergangenen Durchführungsbestimmungen.

4. Als Nutzungsgebühr wird die Zahlung der Grund- und Vermögensteuer zu Grunde gelegt sowie die Zahlung eines Altenteils in Höhe von 150 DM monatlich an Frau M.

Der Vertrag enthielt in seinem Eingang den Zusatz: „gemäß Verzichtserklärung des Eigentümers ... (Kl.) ...“. Ihm war eine auf den 15. 3. 1954 datierte Liste des übergebenen toten und lebenden Inventars beigefügt. Mit Schreiben vom 5. 12. 1958 teilte der Rat der Gemeinde dem Kl. mit, dass die LPG den Nutzungsvertrag gekündigt habe. Diese „wäre bereit, die Bewirtschaftung weiterhin durchzuführen, wenn der bestehende Vertrag eingehalten wird. Anderenfalls wird Ihnen der Hof einschließlich Wirtschaftsfläche nach Ablauf des Vertrags ab 1. 10. 1959 wieder zur Verfügung gestellt.“ Mit der „Einhaltung“ des Vertrags war der Umstand gemeint, dass der Kl. unter anderem eine nicht ihm, sondern seinem Großvater gehörende Mühle nicht mit übergeben hatte. Am 15. 7. 1959 richtete der Kl. folgendes Schreiben an den Rat der Gemeinde: „Ich erkläre hiermit, dass ich auch weiterhin nicht in der Lage bin, die Bewirtschaftung meines 45ha großen Betriebs auszuführen. Unter Berücksichtigung einer Altenteilzahlung in Höhe von 150 DM monatlich an meine Großmutter Frau M stelle ich meinen gesamten Betrieb einschließlich Wohnhaus, Mühle, Wirtschaftsgebäude sowie 39,82ha landwirtschaftliche Nutzfläche weitere fünf Jahre dem Rat der Gemeinde zur Verfügung.“ Daraufhin genehmigte der Rat des Kreises am 1. 9. 1959 einen weiteren Nutzungsvertrag zwischen dem Rat der Gemeinde und der LPG, in dem auf die schon im Vertrag vom 6. 7. 1954 erwähnte Verordnung vom 3. 9. 1953 und die dazu ergangene Zweite Durchführungsbestimmung vom 5. 2. 1954 hingewiesen wurde. Er wurde für die Dauer von fünf Jahren geschlossen und sollte sich - wie schon der erste Vertrag - jeweils um ein Jahr verlängern, sofern er nicht vorher gekündigt wurde. Das Vertragsformular enthält unter Nr. 2 folgende Angaben: „Inventar ist nicht mitübergeben worden. Das in der Anlage II zu diesem Vertrage aufgeführte lebende und tote Inventar ist mitübergeben worden*).*) Nichtzutreffendes streichen.“ Von diesem Text ist nichts gestrichen. Im Übrigen stimmt die Vertragsurkunde mit den Regelungen in Nrn. 3 und 4 des Vertrags vom 6. 7. 1954 inhaltlich im Wesentlichen überein. Mit Schreiben vom 3. 7. 1990 kündigte der Kl. gegenüber der Gemeinde U. „den seinerzeit durch die Gemeinde U. verfassten LPG-Nutzungsvertrag vom 9. 7. 1954, der seither jährlich stillschweigend jeweils um ein Jahr verlängert wurde, nunmehr fristgemäß ...“. Unter dem 3. 8. 1990 antwortete die „Gemeindeverwaltung“: „Der Nutzungsvertrag vom 1. 9. 1959 wurde von der Gemeinde U. ab sofort für ungültig erklärt. Die Gemeinde U. gibt somit die durch die Erklärung von Herrn ... (Kl.) vom 15. 3. 1954 erhaltene Verfügungsgewalt über sein Eigentum wieder an Herrn ... (Kl.) zurück.“ Die Rechtsnachfolgerin der LPG übergab dem Kl. den Betrieb am 13. 2. 1992 ohne Inventar. Im Jahre 1991 beauftragte der Kl. den Bekl. mit der Geltendmachung seiner Rechte im Zusammenhang mit dem landwirtschaftlichen Betrieb. Der Bekl. unterließ zunächst im Hinblick auf die unklare Rechtslage weitere Schritte und erhob erst im Dezember 1996 vor dem LandwirtschaftsGer. M. Klage gegen die Rechtsnachfolgerin der LPG auf Zahlung von 123370 DM Schadensersatz wegen der Nichtrückgabe des Inventars. Diese Klage wurde mit Urteil vom 15. 4. 1997 rechtskräftig mit der Begründung abgewiesen, etwaige Ansprüche des Kl. seien verjährt.

Der Kl. nimmt den Bekl. auf Schadensersatz wegen des Prozessverlusts sowie ihm hierdurch entstandener Verfahrenskosten in Anspruch. Er macht ihm zum Vorwurf, dass er mit der gerichtlichen Geltendmachung der Ansprüche gegen die LPG bis nach Verjährungseintritt zugewartet und ihn sodann nicht über das Prozessrisiko der Verjährung belehrt habe. Seine auf Zahlung von zuletzt 149070,55 DM nebst Zinsen gerichtete Klage ist in den Vorinstanzen ohne Erfolg geblieben.

Die Revision war erfolgreich und führte zur Aufhebung und Zurückverweisung.

Entscheidungsgründe

Aus den Gründen:

Das BerGer. hat angenommen, der Bekl. habe zwar schuldhaft seine anwaltlichen Pflichten verletzt, weil er bei der an der Rechtsprechung zu den so genannten Kreispachtverträgen (BGHZ 127, 285 = DtZ 1995, 93 = LM VwRehaG Nr. 1; BGHZ 127, 297 = NJW 1995, 600 = LM H. 3/1995 DDR-BewirtschaftungsVO Nr. 1; BGHZ 129, 282 = DtZ 1995, 280 = LM H. 11/1995 Art. 231 EGBGB 1986 Nr. 4) ausgerichteten Klage gegen die Rechtsnachfolgerin der LPG nicht berücksichtigt habe, dass nach dieser Rechtsprechung ein derartiger Anspruch spätestens am 31. 7. 1995 verjährt sei; der Kl. habe jedoch durch die Pflichtverletzung des Bekl. keinen Schaden erlitten, weil ihm kein Schadensersatzanspruch wegen des Verlusts des Inventars zugestanden habe. Im letztgenannten Punkt hält das Berufungsurteil der Revisionsprüfung nicht stand.

I. Der Kl. hatte die rechtliche Möglichkeit, einen Anspruch auf Ersatz des von der LPG genutzten und ihm nicht zurückgegebenen Inventars durchzusetzen.

1. Nach Ansicht des BerGer. stand der Kl. nicht nur zur LPG, sondern auch zu den staatlichen Behörden in keiner vertraglichen, die Nutzung seines Hofs betreffenden Beziehung. Vielmehr sei, so hat das BerGer. ausgeführt, der „Antrag“ des Kl. vom 15. 3. 1954 als Verzichtserklärung behandelt oder doch in eine solche umgedeutet worden. Eine derartige Umdeutung sei nicht schlechthin abwegig gewesen, denn der Kl. habe sich der „Bürde“ des unter den damaligen Verhältnissen von ihm nicht mehr zu bewirtschaftenden Hofs entledigen wollen. Bei dieser tatrichterlichen Würdigung hat das BerGer., wie die Revision zu Recht rügt, wesentliche Teile des Prozessstoffs nicht berücksichtigt; es ist auch von einem teilweise unzutreffenden Verständnis der damals geltenden einschlägigen Bestimmungen des DDR-Rechts ausgegangen. Die den „Verzicht“ des Kl. betreffenden tatrichterlichen Feststellungen sind deshalb für das RevGer. nicht bindend.

a) Den Ausführungen des BerGer. ist nicht mit Sicherheit zu entnehmen, ob nach seiner Meinung der „Verzicht“ des Kl. für diesen den Verlust des Eigentums zur Folge gehabt haben soll. Das Eigentum am Grund und Boden konnte der Kl. nach den damals in der DDR noch geltenden Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs nicht ohne Eintragung im Grundbuch verlieren. Dafür ist es gleichgültig, ob eine Eigentumsaufgabe (§ 928 I BGB) oder eine Übertragung des Eigentums auf die LPG oder eine staatliche Stelle in Betracht gezogen wird. Wenn der Kl. aber Eigentümer des Grundstücks blieb, galt das nach §§ 926 I, 97 I, 98 Nr. 2 BGB grundsätzlich auch für das lebende und tote Inventar. Es ist nichts dafür ersichtlich, dass der Kl. sich unabhängig vom Grundeigentum einzig und allein des Inventars „entledigen“ wollte.

b) Möglicherweise hat das BerGer. gemeint, der Kl. habe auch dann keine vertraglichen Ansprüche auf Grund der Fremdnutzung des landwirtschaftlichen Betriebs erworben, wenn die Sachen in seinem Eigentum geblieben seien; dem Geschehensablauf im Jahre 1954 sei unter Berücksichtigung der damals geltenden Vorschriften zu entnehmen, dass im Verhältnis zum Kl. ein vertragsloser Zustand geherrscht habe. Auch in einer solchen Beurteilung kann dem BerGer. nicht gefolgt werden.

Richtig ist allerdings, dass die LPG den Betrieb nicht auf Grund eines zwischen ihr und dem Kl. abgeschlossenen Pachtvertrags zur Nutzung erhalten hat. Solche Verträge mit Eigentümern landwirtschaftlicher Betriebe waren in § 2 der Verordnung über die Bewirtschaftung freier Betriebe und Flächen und die Schaffung von Betrieben der örtlichen Landwirtschaft vom 3. 9. 1953 (GBl DDR, 983; Bewirtschaftungsverordnung) und in § 2 I der Zweiten Durchführungsbestimmung zu dieser Verordnung vom 5. 2. 1954 (GBl DDR, 225) vorgesehen. Sie bedurften nach Art. VI des Gesetzes Nr. 45 des Kontrollrats vom 20. 2. 1947 der Genehmigung durch die zuständigen deutschen Behörden und wurden später durch § 2 der Verordnung über die einheitliche Bewirtschaftung landwirtschaftlicher Nutzflächen und die Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften vom 20. 1. 1955 (GBl DDR, 97) dahin umgestaltet, dass an Stelle der Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaft der zuständige Rat des Kreises und damit der Staat in sie eintrat (sog. Kreispachtverträge). Einen solchen Vertrag mag der Kl. seinerzeit angestrebt haben; er ist aber wegen der durch den Rat des Kreises am 2. 4. 1954 ausgesprochenen Versagung der Genehmigung nicht zu Stande gekommen.

Aus den im Schreiben des Rats des Kreises vom 2. 4. 1954 genannten Gründen hat an Stelle des Kl. der Rat der Gemeinde den Nutzungsvertrag mit der LPG geschlossen. Rechtsgrundlage hierfür waren § 7 der Bewirtschaftungsverordnung und § 7 II der Zweiten Durchführungsbestimmung. Nach diesen Vorschriften konnten die Räte der Gemeinden Grundstücke aus den „Betrieben der örtlichen Landwirtschaft“ unter anderem Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften im Wege von Nutzungsverträgen zur Verfügung stellen. Ein Betrieb der örtlichen Landwirtschaft umfasste neben volkseigenen Kreis- und Gemeindebetrieben auch solche „Betriebe, die von ihren Eigentümern bis zum 30. 9. 1953 nicht zurückgenommen worden sind und die sich in der Nutzung der Gemeinden befinden“ (§ 6 I der Bewirtschaftungsverordnung). Es kann mit dem BerGer. davon ausgegangen werden, dass der Hof des Kl. unter Hinweis auf seine „Verzichtserklärung“ dem „Betrieb der örtlichen Landwirtschaft“ einverleibt und sodann vom Rat der Gemeinde der LPG zur Nutzung überlassen worden ist.

Damit war indessen für den Kl. nicht, wie das BerGer. offenbar angenommen hat, notgedrungen ein Eigentumsverlust (s. dazu oben I 1a) oder ein dem in den Wirkungen gleichkommender Rechtsverlust verbunden. Das zeigt schon die Regelung in § 2 II der Zweiten Durchführungsbestimmung; danach konnten mit „Eigentümern von Betrieben, die sich in Nutzung von Betrieben der örtlichen Landwirtschaft befinden, ... Nutzungsverträge für die Dauer von mindestens fünf Jahren“ abgeschlossen werden; den Abschluss eines solchen Vertrags konnte der Eigentümer beim Rat des Kreises „anbieten“. Ein derartiger Vertrag ist zwar mit dem Kl. nicht ausdrücklich und jedenfalls nicht in schriftlicher Form geschlossen worden. Die - vom BerGer. nicht gewürdigten - Umstände dieses Falls zeigen jedoch in ihrer Gesamtheit, dass die Beteiligten damals nicht von einem vertragslosen Zustand, sondern von einem zumindest pachtähnlichen Rechtsverhältnis zwischen dem Rat der Gemeinde und dem Kl. ausgegangen sind. Das wird schon darin deutlich, dass im Schreiben des Rats des Kreises vom 2. 4. 1954 davon gesprochen wird, dass „zwischen dem Rat der Gemeinde und der LPG ein Nutzungsvertrag nach den gesetzlichen Bestimmungen ... in Höhe der Grund- und Vermögensteuern mit dem Ast.“ abgeschlossen werden müsse. Diese Ausdrucksweise ist zwar rechtlich unscharf; sie lässt aber doch hinreichend deutlich erkennen, dass der Kl. in irgendeiner Form in das Nutzungsverhältnis einbezogen war. Bestätigt wird dies durch die Übernahme der an sich vom Kl. geschuldeten Grund- und Vermögensteuern - das entsprach der Regelung in Nr. 3 der Ersten Durchführungsbestimmung zur Bewirtschaftungsverordnung vom 30. 9. 1953 (GBl DDR, 1013), wonach die Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften die Grund- und Vermögensteuern zu übernehmen hatten, gleichzeitig aber von deren Entrichtung an den Staat befreit wurden - und der Altenteilszahlungen zu Gunsten der Frau M. Entgegen der Ansicht des BerGer. war letzteres durch die Bestimmungen der von ihm selbst herangezogenen Anordnung über die Zahlung von Nutzungsgebühren für freie Betriebe und Flächen vom 7. 8. 1954 (ZentrBl, S. 423) gedeckt. Dort ist in Nr. 7 von der Befugnis der Räte der Kreise die Rede, über die Zahlung einer Nutzungsgebühr „an andere Personen als den Eigentümer“ zu entscheiden. Schließlich bringt auch die vom BerGer. zu Unrecht für seine gegenteilige Ansicht angeführte Bestimmung in Nr. 6 jener Anordnung zum Ausdruck, dass Flächen und Betriebe, die von den Räten der Gemeinde - im dortigen Zusammenhang an private Bauern - „in Nutzung gegeben“ worden waren, damit nicht aus der Rechtszuständigkeit des Eigentümers ausschieden; denn dort heißt es, dass „den Eigentümern dieser Betriebe oder Flächen in jedem Falle die eingezogenen Nutzungsgebühren unter Abzug einer (vom Rat der Gemeinde einbehaltenen) Verwaltungsgebühr von 10% gutzubringen“ seien.

Diese rechtliche Beurteilung wird durch die spätere, vom BerGer. ebenfalls außer Betracht gelassene Verfahrensweise bestätigt. Mit Schreiben vom 5. 12. 1958 unterrichtete der Gemeindebürgermeister den Kl., dass die LPG den Nutzungsvertrag zum 30. 9. 1959 gekündigt habe; gleichzeitig wies er daraufhin, dass dem Kl. „der Hof einschließlich Wirtschaftsfläche ... ab 1. 10. 1959 wieder zur Verfügung gestellt“ werde, wenn bestimmte Voraussetzungen für die weitere Bewirtschaftung durch die LPG (insb. Übergabe auch der Mühle) nicht erfüllt würden. Der Kl. antwortete mit Schreiben vom 15. 7. 1959, er stelle seinen gesamten Betrieb für weitere fünf Jahre dem Rat der Gemeinde zur Verfügung. Am 1. 9. 1959 wurde sodann ein erneuter Nutzungsvertrag zwischen dem Rat der Gemeinde und der LPG vom Rat des Kreises genehmigt. Daraus ergibt sich mit aller Deutlichkeit, dass sämtliche Beteiligten weder von einem Eigentumsverlust noch von einem Verzicht auf sonstige vergleichbare Rechte des Kl., sondern von einer zeitlich befristeten, pachtähnlichen Überlassung des Betriebs an den Rat der Gemeinde ausgingen.

2. Nach der Rechtsprechung des BGH bestehen in den Fällen der so genannten Kreispachtverträge keine Ansprüche des Eigentümers gegen die heutigen Landkreise oder das jeweilige Bundesland; die jetzt zuständige Kreisbehörde hat jedoch dem Eigentümer einen etwaigen Schadensersatzanspruch gegen die LPG, in deren Nutzung sich der Betrieb befand, (bzw. deren Rechtsnachfolger) abzutreten, wobei in der Entgegennahme einer Kündigung durch die Kreisbehörde in der Regel eine entsprechende stillschweigende Abtretung zu sehen ist (BGHZ 127, 285 [288ff.] = VIZ 1995, 171 = DtZ 1995, 93 = LM H. 4/1995 VwRehaG Nr. 1; BGHZ 127, 297 [305ff.] = NJW 1995, 600 = LM H. 3/1995 DDR-BewirtschaftungsVO Nr. 1; BGHZ 129, 282 [288] = DtZ 1995, 280 = LM H. 11/1995 Art. 231 EGBGB 1986 Nr. 4). Das kann dem Grundsatz nach nicht anders sein, wenn in das Nutzungsverhältnis nicht der Rat des Kreises, sondern, wie hier, der Rat der Gemeinde eingeschaltet war; denn auch dieser war nicht anders als der Rat des Kreises im System des „demokratischen Zentralismus“ ein nachgeordnetes Staatsorgan mit bestimmten Verwaltungszuständigkeiten. Im Streitfall war die LPG nach den Nutzungsverträgen vom 6. 7. 1954 und 1. 9. 1959 (dort jeweils Nr. 3) dem Rat der Gemeinde gegenüber zu einer - nach den in der DDR jeweils geltenden Maßstäben - ordnungsmäßigen Wirtschaftsführung verpflichtet (vgl. BGHZ 127, 297 [315] = NJW 1995, 600 = LM H. 3/1995 DDR-BewirtschaftungsVO Nr. 1). Der Rat der Gemeinde war seinerseits im Verhältnis zum Kl. als Pächter i.S. des § 596 BGB anzusehen (vgl. BGHZ 127, 297 [312ff.] = NJW 1995, 600 = LM H. 3/1995 DDR-BewirtschaftungsVO Nr. 1). Nach der Einführung der Selbstverwaltung der Gemeinden und Landkreise in der ehemaligen DDR durch Gesetz vom 17. 5. 1990 (GBl DDR, 255) fielen die Räte der Gemeinden und der Kreise weg. Nach der neuen Kommunalverfassung ist bei Kreispachtverhältnissen der Landkreis (Landrat) als „zuständige Kreisbehörde“ i.S. des § 51 LwAnpG (BGHZ 121, 88 [90]; BGHZ 127, 297 [317f.] = NJW 1995, 600 = LM H. 3/1995 DDR-BewirtschaftungsVO Nr. 1; vgl. auch BGH, VIZ 2000, 688 = WM 2000, 1764 [1765]) verpflichtet, in Abwicklung der früheren Rechtsverhältnisse zu Gunsten des Staates entstandene Schadensersatzansprüche an den Eigentümer abzutreten (BGHZ 127, 297 [314f.] = NJW 1995, 600 = LM H. 3/1995 DDR-BewirtschaftungsVO Nr. 1).

Es kommt hier nicht darauf an, ob dasselbe für die unter Mitwirkung des Rats der Gemeinde zu Stande gekommenen Nutzungsverhältnisse gilt oder ob in einem solchen Fall nunmehr die Gemeinde für die Abwicklung zuständig wäre. Im letzteren Fall wäre schon in der Entgegennahme der Kündigung des Kl. durch die Gemeinde U. und der im Schreiben der „Gemeindeverwaltung“ vom 3. 8. 1990 ausgesprochenen „Ungültigerklärung“ des Nutzungsvertrags eine stillschweigende Abtretung etwaiger Schadensersatzansprüche gegen die LPG bzw. deren Rechtsnachfolgerin zu sehen (vgl. BGHZ 127, 297 [318] = NJW 1995, 600 = LM H. 3/1995 DDR-BewirtschaftungsVO Nr. 1). Sicherheitshalber hätte auch die Abtretungserklärung des zuständigen Landkreises rechtzeitig vor Eintritt der Verjährung herbeigeführt werden können und müssen (s. dazu unten I 3 II). Der Landkreis hat später die Abtretung mit Schreiben vom 24. 3. 1997 nur im Hinblick auf die damals bereits eingetretene Verjährung abgelehnt.

3. Wie in den Fällen der Kreispachtverträge (vgl. dazu im Einzelnen BGHZ 127, 297 [315ff.] = NJW 1995, 600 = LM H. 3/1995 DDR-BewirtschaftungsVO Nr. 1) kam danach für den Kl. ein aus dem Vertragsverhältnis zwischen dem Rat der Gemeinde und der LPG oder deren Rechtsnachfolgerin hergeleiteter Schadensersatzanspruch wegen Nichtrückgabe des Inventars in Betracht. Die Erhaltungspflichten waren durch die Nutzungsverträge vom 6. 7. 1954 und 1. 9. 1959 auf die LPG übertragen. Dazu gehörte die Verpflichtung, das überlassene Inventar in den Grenzen ordnungsmäßiger Wirtschaftsführung zu erhalten und eine Schätzwertdifferenz bei Rückgabe auszugleichen („eisernes Inventar“; vgl. BGHZ 127, 297 [315] = NJW 1995, 600 = LM H. 3/1995 DDR-BewirtschaftungsVO Nr. 1). Da das Inventar bei der Rückgabe des Betriebs an den Kl. am 13. 2. 1992 unstreitig nicht mehr vorhanden war, stand diesem - aus dem Recht des Rats der Gemeinde oder des Rats des Kreises - ein Schadensersatzanspruch nach den §§ 104, 105 II des Vertragsgesetzes zu. Dieser Anspruch verjährte in sechs Monaten nach Rückgabe des Hofs an den Kl. Die Verjährung war jedoch wegen der zunächst ungeklärten Rechtslage bis zum 31. 1. 1995 gehemmt, so dass sie - erst - am 31. 7. 1995 eintrat (vgl. BGHZ 129, 282 [287ff.] = DtZ 1995, 280 = LM H. 11/1995 Art. 231 EGBGB 1986 Nr. 4).

II. Der infolge der Verjährung des Ersatzanspruchs gegen die LPG eingetretene Rechtsverlust des Kl. beruht, wie das BerGer. im Ergebnis zu Recht angenommen hat und auch die Revisionserwiderung nicht in Zweifel zieht, auf einer schuldhaften Verletzung der Anwaltspflichten des Bekl.

1. Der Rechtsanwalt hat seine Tätigkeit für den Mandanten in erster Linie an der höchstrichterlichen Rechtsprechung auszurichten; denn diese hat richtungweisende Bedeutung für Entwicklung und Anwendung des Rechts (BGH, NJW 1993, 3323 [3324] = LM H. 2/1994 § 675 BGB Nr. 194). Der Anwalt muss sich deshalb über die Entwicklung der höchstrichterlichen Rechtsprechung nicht nur anhand der amtlichen Sammlungen, sondern auch der einschlägigen Fachzeitschriften unterrichten (BGHZ 85, 252 [259ff.] = NJW 1983, 820 = LM § 68 ZPO Nr. 7; BGH, NJW 1958, 825). Eine Pflicht des Rechtsanwalts, darüber hinaus die veröffentlichte Instanzrechtsprechung und das Schrifttum sowie hierbei insbesondere die Aufsatzliteratur heranzuziehen, besteht zwar grundsätzlich nur in beschränktem Maße; strengere Anforderungen sind jedoch zu stellen, wenn ein Rechtsgebiet ersichtlich in der Entwicklung begriffen und (weitere) höchstrichterliche Rechtsprechung zu erwarten ist. Dann muss ein Anwalt, der eine Angelegenheit aus diesem Bereich zu bearbeiten hat, auch Spezialzeitschriften in angemessener Zeit durchsehen (vgl. BGH, NJW 1979, 877 = LM § 85 ZPO Nr. 2). Ihm muss dabei freilich insgesamt ein „realistischer Toleranzrahmen“ zugebilligt werden (Vollkommer, AnwaltshaftungsR, 1989, Rdnr. 149; Zugehör, Hdb. der Anwaltshaftung, 1999, Rdnr. 576).

2. Der Bekl. war nach dem für die Revisionsinstanz als richtig zu unterstellenden Vortrag des Kl. seit 1991 in dieser Angelegenheit beauftragt. Er hatte sich wegen der infolge des Umbruchs in der ehemaligen DDR entstandenen unklaren Rechtslage zunächst abwartend verhalten und insbesondere von einer Klageerhebung abgesehen, ohne jedoch das Mandat zu beenden. In dieser Situation, die sich jederzeit durch einschlägige Gerichtsentscheidungen ändern konnte, war der Bekl. zur Wahrung der Interessen des Kl. verpflichtet, die Rechtsentwicklung besonders sorgfältig zu beobachten; dabei musste er insbesondere auch die für die Rechtsmaterie dieses Falls einschlägigen Fachzeitschriften im Auge behalten. In zwei Urteilen vom 4. 11. 1994 entschied der BGH, dass der Eigentümer eines Kreispachtbetriebs zwar gegen die jeweilige LPG keinen Schadensersatzanspruch aus eigenem Recht habe, dass er sich aber vom zuständigen Landkreis als unterer Landesbehörde etwaige Schadensersatzansprüche wegen Nichtrückgabe oder Verschlechterung der Pachtsache abtreten lassen könne (BGHZ 127, 285 = DtZ 1995, 93 = LM VwRehaG Nr. 1; BGHZ 127, 297 = NJW 1995, 600 = LM H. 3/1995 DDR-BewirtschaftungsVO Nr. 1). Der Bekl. hat, wie sein späterer Prozessvortrag in dem für den Kl. geführten Rechtsstreit gegen die Rechtsnachfolgerin der LPG zeigt, aus diesen Entscheidungen zu Recht den Schluss gezogen, dass die Annahme entsprechender Rechtsfolgen für einen unter Mitwirkung des Rats der Gemeinde geschlossenen Pachtvertrag zumindest nahe lag und dass darauf eine Klage für den Kl. gestützt werden konnte. In dem Urteil BGHZ 127, 297 = NJW 1995, 600 = LM H. 3/1995 DDR-BewirtschaftungsVO Nr. 1, das ab Januar 1995 in den Fachzeitschriften veröffentlicht wurde (ZIP 1995, 79 [13. 1. 1995]; AgrarR 1995, 15 [Januar 1995]; VIZ 1995, 165 [10. 3. 1995]; DtZ 1995, 88 [15. 3. 1995]), führte der BGH unter anderem aus, dass sich Pachtverhältnisse auf Grund von Verträgen, die vor dem Wirksamwerden des Beitritts der DDR zur Bundesrepublik geschlossen worden waren, von diesem Zeitpunkt an nach den §§ 581 bis 597 BGB richteten (BGHZ 127, 297 [312] = NJW 1995, 600 = LM H. 3/1995 DDR-BewirtschaftungsVO Nr. 1). Das lenkte den Blick auf die Vorschrift des § 591b BGB, wonach Ersatzansprüche des Verpächters in einer Frist von sechs Monaten nach Rückgabe der Pachtsache verjähren. Diese naheliegende Konsequenz wurde auch tatsächlich in einem im Januarheft der Zeitschrift „Agrarrecht“ erschienenen Aufsatz von Wenzel gezogen (AgrarR 1995, 1 [8f.]). Der Bekl. hätte deshalb nach dem Grundsatz des sichersten Wegs (vgl. BGH, NJW 1996, 2648 = LM H. 10/1996 § 675 BGB Nr. 231 = WM 1996, 1824 [1825]) von dieser kurzen Verjährungsfrist ausgehen müssen. Zwar wäre die sechsmonatige Frist seit der Rückgabe des Hofs an den Kl. im Jahr 1992 inzwischen längst verstrichen gewesen. Es musste sich jedoch der Gedanke aufdrängen, dass die Verjährung nicht beginnen konnte, bevor der Eigentümer den Anspruch frühestens geltend machen konnte (so ausdr. Wenzel, AgrarR 1995, 1 [8f.]). Dies führte später zu der Entscheidung des BGH vom 28. 4. 1995, wonach die Verjährung bis zum 31. 1. 1995 (angenommener Zeitpunkt der Veröffentlichung der oben erwähnten Urteile v. 4. 11. 1994) als gehemmt anzusehen ist (BGHZ 129, 282 [289f.] = DtZ 1995, 280 = LM H. 11/1995 Art. 231 EGBGB 1986 Nr. 4). Dass dieses Urteil erst ab Juni 1995 in den Fachzeitschriften abgedruckt wurde (ZIP 1995, 949 = AgrarR 1995, 205 = WM 1995, 1151), ist nach dem oben Gesagten ohne Bedeutung. Der Bekl. hätte auf der Grundlage des Wissensstands, den er sich in den ersten Monaten des Jahres 1995 hätte verschaffen müssen, noch ausreichend Zeit gehabt, die zur Verjährungsunterbrechung erforderlichen Maßnahmen (s.o. I 2a.E.) rechtzeitig vor Eintritt der Verjährung am 31. 7. 1995 zu treffen.

III. Das Berufungsurteil ist danach aufzuheben. Die Sache ist nicht entscheidungsreif und muss deshalb an das BerGer. zurückverwiesen werden. Dieses wird nunmehr die notwendigen Feststellungen zur Höhe des dem Kl. durch die Pflichtverletzung des Bekl. entgangenen Anspruchs zu treffen haben. Der Umfang, in dem eine rechtzeitige Klage gegen die Rechtsnachfolgerin der LPG Erfolg gehabt hätte, wird auch darüber entscheiden, zu welchem Anteil der Bekl. dem Kl. die Kosten des wegen der bei Klageerhebung bereits eingetretenen Verjährung nutzlosen Prozesses zu ersetzen hat. Ein Ersatzanspruch besteht insoweit grundsätzlich nur in Höhe der Quote, in der die Kosten bei rechtzeitiger Klageerhebung dem Kl. nicht auferlegt worden wären. Eine etwaige in dem Prozess geltend gemachte Zuvielforderung dürfte dem Bekl. nicht anzulasten sein, weil er sich grundsätzlich auf die Angaben des Kl. zum Wert der Inventargegenstände verlassen durfte.

Die Zurückverweisung gibt dem BerGer. auch Gelegenheit, sich mit der Behauptung des Bekl., das Mandat habe nicht durchgehend bis 1996 bestanden, sondern sei bereits im Jahre 1992 - vorübergehend - beendet worden, und der im Zusammenhang damit erhobenen Verjährungseinrede zu befassen.

Rechtsgebiete

Anwalts-, Notar-, Steuerberater- und anderes Berufsrecht

Normen

BGB § 591b; BGB § 675; LwAnpG § 51