Behebung einer Notlage durch Verwertung von Bausparvermögen

Gericht

VG Wiesbaden (Kammer Gießen)


Art der Entscheidung

Urteil


Datum

10. 09. 1986


Aktenzeichen

VII/2 E 832/84


Leitsatz des Gerichts

Nach § 88 III BSHG darf die Sozialhilfe nicht vom Einsatz oder von der Verwertung eines Vermögens abhängig gemacht werden, soweit dies für den, der das Vermögen einzusetzen hat, und für seine unterhaltsberechtigten Angehörigen eine Härte bedeuten würde.

Tatbestand


Auszüge aus dem Sachverhalt:

Die 1982 geborene Kl. ist geistig behindert (Morbus Down). Mit Antrag vom 29. 8. 1983 beantragten die Eltern als gesetzliche Vertreter Hilfe zur Pflege. Der Antrag wurde mit Bescheid vom 9. 7. 1984 abgelehnt, da die Eltern Eigentümer eines Grundstücks seien und über ein Bausparguthaben in Höhe von über 20000 DM verfügten. Der Wert des Bausparguthabens sowie der Wert des Grundstücks überschritten die Vermögensgrenze erheblich. Die Notlage sei durch Einsatz dieses verwertbaren Vermögens zu beheben. Hiergegen erhob die Kl. erfolglos Widerspruch. Die sodann erhobene Klage hatte Erfolg.

Entscheidungsgründe


Auszüge aus den Gründen:

Die Kl. hat gem. § 69 IV 1 BSHG einen Anspruch auf das von ihr begehrte Pflegegeld. Gem. § 28 BSHG ist der Anspruch u. a. davon abhängig, ob der Kl. oder ihren Eltern die Aufbringung der Mittel aus ihrem Vermögen nach Maßgabe der §§ 76 bis 89 BSHG zuzumuten ist. Im vorliegenden Fall steht das Vermögen der Eltern der Bewilligung des Pflegegeldes nicht entgegen. Zwar ist nach § 88 I BSHG grundsätzlich das gesamte verwertbare Vermögen einzusetzen. Davon bestimmen jedoch die §§ 88 II, III BSHG eine Ausnahme, wobei im vorliegenden Fall die Voraussetzungen des Abs. 3 gegeben sind. Danach darf die Sozialhilfe nicht vom Einsatz oder von der Verwertung eines Vermögens abhängig gemacht werden, soweit dies für den, der das Vermögen einzusetzen hat, und für seine unterhaltsberechtigten Angehörigen eine Härte bedeuten würde. Hier bedeutet der Einsatz des Vermögens für die Eltern der Kl. eine solche Härte. Dem steht nicht entgegen, daß § 88 II Nr. 2 BSHG, der das Vermögen schützen wollte, das nachweislich zur alsbaldigen Beschaffung oder Erhaltung eines kleinen Hausgrundstücks bestimmt war, durch das 2. Haushaltsstrukturgesetz vom 22. 12. 1981 (BGBl I, 1523) mit Wirkung zum 1. 1. 1982 ersatzlos gestrichen worden ist. Zwar hat der Gesetzgeber damit für die typischen Fälle zum Ausdruck gebracht, daß angesammeltes Vermögen für die Beschaffung eines kleinen Hausgrundstücks grundsätzlich nicht von einer Vermögensverwertung freigestellt bleiben soll. Nach der Rechtsprechung des BVerwG ist jedoch in atypischen Fällen die Härtevorschrift des § 88 III BSHG anzuwenden (BVerwGE 28, 149 (158 f. = NJW 1968, 1105), wobei dies auch für die vor dem 1. 1. 1982 in § 88 II Nr. 2 BSHG geregelten Sachverhalte gilt (Gottschick-Giese, BSHG, 9. Aufl. (1985), § 88 Anm. 5.2; Schellhorn-Jirasek-Seipp, 12. Aufl. (1985), § 88 Rdnr. 37).

Von einem solchen, eine Härte darstellenden atypischen Fall ist hier auszugehen. Der Einsatz des Grundstücks mit einem Wert von ca. 4890 DM und des Bauspardarlehens von 20000 DM würde die Eltern der Kl. in unzumutbarer Weise belasten und verhindern, eine behindertengerechte Wohnung für die Kl. zu schaffen, folglich eine Härte für die Eltern bedeuten (vgl. Schellhorn-Jirasek-Seipp, § 88 Rdnr. 37). Auch geistig behinderte Kinder sind auf Wohnraum, der ihren Bedürfnissen und körperlichen Gebrechen Rechnung trägt, angewiesen. Zwar ist dem Bekl. zuzustimmen, daß es Behinderungen gibt, die in besonders hohem Maße den Umbau von Wohnraum notwendig machen - wie etwa eine Querschnittslähmung. Aber auch im Falle der Kl. ist eine behindertengerechte Wohnung für sie nicht nur sinnvoll, sondern erforderlich, damit sich die Kl. auf Dauer auf die räumlichen Gegebenheiten einstellen kann und sich langfristig in den Wohnräumen zurechtfindet. Entgegen der Ansicht des Bekl. können die Eltern der Kl. auch nicht darauf verwiesen werden, eine Wohnung anzumieten. Abgesehen davon, daß es ohnehin schon schwierig ist, Mietwohnungen für Familien mit vier Kindern anzumieten, kommt hier hinzu, daß eines der Kinder geistig behindert ist und aus diesem Grunde die Anmietung von Wohnraum noch schwieriger ist. Weiter ist zu berücksichtigen, daß die Eltern der Kl. zur Versorgung der Kl. auf Verwandte und Eltern angewiesen sind und entsprechender Wohnraum daher in der Nähe der Familie gefunden werden müßte. Schließlich sprechen erhebliche wirtschaftliche Gründe für eine Härte. Bei Verwertung und Einsetzung der Vermögensgegenstände würde den Eltern der Kl. möglicherweise die einmalige Gelegenheit genommen - zumindest aber erheblich erschwert oder verzögert -, sich eigenen Wohnraum zu schaffen, den sie auch für ihr geistig behindertes Kind entsprechend einrichten können.

Rechtsgebiete

Sozialrecht

Normen

§ 88 III BSHG