Leichte Fahrlässigkeit bei Gefälligkeitsfahrt

Gericht

OLG Frankfurt a.M.


Art der Entscheidung

Berufungsurteil


Datum

18. 11. 1997


Aktenzeichen

17 U 103–96


Leitsatz des Gerichts

Ein Gefälligkeitsvertrag liegt vor, wenn es der Beauftragte, im ausschließlichen Interesse des Auftraggebers übernimmt, dessen Fahrzeug kostenlos in eine Werkstatt und anschließend zurück zu bringen. Bei einer reinen Gefälligkeit ist konkludent ein Haftungsverzicht für einen dabei mit einfacher Fahrlässigkeit herbeigeführten, nicht haftpflichtversicherten Sachschaden vereinbart. Der Haftungsverzicht gilt aber nicht für einen haftpflichtversicherten Personenschaden.

Tatbestand

Zum Sachverhalt:

Der Kl. beabsichtigte, sein Kfz zu verkaufen. Er bat deshalb den Bekl., es für ihn in die Werkstatt zu fahren, überprüfen zu lassen und dann zu ihm zurückzubringen. Auf der Rückfahrt zum Kl. erlitt der Bekl. einen schweren Unfall, der zum Totalschaden an dem Kfz führte. Der Kl. nimmt ihn deshalb auf Schadensersatz in Anspruch.

Das LG hat der Klage unter Berücksichtigung eines hälftigen Mitverschuldens des Kl. zum Teil stattgegeben. Dagegen haben beide Parteien Berufung bzw. Anschlußberufung eingelegt. Lediglich das Rechtsmittel des Bekl. hatte Erfolg.

Entscheidungsgründe

Aus den Gründen:

Entgegen der Ansicht des LG ist der Bekl. dem Kl. für den vom Bekl. am Pkw des Kl. am 15. 3. 1995 verursachten Totalschaden nicht schadensersatzpflichtig.

Das LG ist anscheinend davon ausgegangen, daß es sich bei der Überführung des Pkw des Kl. durch den Bekl. in eine Reparaturwerkstatt um ein reines Gefälligkeitsverhältnis handelte, welches allerdings die deliktische Haftung des Gefälligen wegen Eigentumsverletzung nach § 823 I BGB nicht ausschließt (vgl. Palandt–Heinrichs, BGB, 56. Aufl. [1997], Vorb. § 241 Rdnrn. 9, 10), und hat eine daraus folgende Haftung des Bekl. – unter Berücksichtigung eines gleichwohl mitwirkenden Verschuldens des Kl. – bejaht. Die der hälftigen Schadensersatzverpflichtung des Bekl. vom LG zugrunde gelegten Tatsachen und ihre Bewertung im Rahmen des § 254 I BGB sind zwar entgegen der Ansicht beider Rechtsmittelführer völlig zutreffend. Nach Ansicht des erkennenden Gerichts ist die Haftung des Bekl. jedoch aufgrund eines stillschweigenden Haftungsverzichts für einen Sachschaden bei einfacher Fahrlässigkeit ausgeschlossen.

Entgegen der Ansicht des Bekl. handelte es sich bei der Überführung des Pkw des Kl. in eine Werkstatt nicht um eine keine rechtlichen Verbindlichkeiten begründende Gefälligkeit, sondern um einen sogenannten Gefälligkeitsvertrag, nämlich einen Auftrag i. S. des § 662 BGB (vgl. dazu Palandt–Heinrichs, Vorb. § 241 Rdnr. 9). Nachdem der Kl. sein ursprüngliches Vorbringen, der Bekl. habe sich seit dem 14. 3. 1995 im Besitze des Fahrzeuges befunden, er habe ihn, den Kl., in der Nacht vom 14.–15. 3. 1995 um Überlassung des Fahrzeuges für eine sogenannte Spritzfahrt gebeten, er habe es am nächsten Morgen gegen seinen, des Kl., ausdrücklich telefonisch erklärten Willen in die Werkstatt gefahren, in der Berufungsinstanz nicht mehr aufrecht erhalten hat, ist davon auszugehen, daß der Bekl. sich auf Bitten des Kl. bereit erklärte, dessen Pkw am Vormittag des 15. 3. 1995 in eine Werkstatt zu bringen, um den Pkw vor dem am nächsten Tage beabsichtigten Verkauf vermessen und gegebenenfalls die Spur nachstellen zu lassen. Dies hat der Bekl. im Rechtsstreit von Anfang an so vorgetragen und ist durch die vom Senat durchgeführte Beweisaufnahme erwiesen. (Wird ausgeführt.)

Danach hat sich der Bekl. bereit erklärt, wegen der Verhinderung des Kl. dessen Pkw in eine Werkstatt in H. zu überführen, dort den Auftrag zur Vermessung und gegebenenfalls Nachstellung der Spur zu erteilen, und das Fahrzeug dem Kl. zurückzubringen. Der Bekl. hat unbestritten weiter vorgetragen, daß er die Werkstattrechnung für den Kl. bezahlt habe, nach kurzer Fahrt nochmals in die Werkstatt zurückgefahren sei und eine nochmalige Überprüfung veranlaßt habe, weil der Wagen noch immer nach links gezogen habe. Die von dem Bekl. übernommene Tätigkeit ging danach über den Rahmen einer bloßen Gefälligkeit erheblich hinaus, er hatte es übernommen, für den Kl. unentgeltlich ein aus tatsächlichen – Überführungsfahrten – und rechtlichen Handlungen – Auftragserteilung, Überwachung und Abwicklung – bestehendes Geschäft zu besorgen.

Anlaß und Inhalt dieser Geschäftsbesorgung lassen den Schluß auf einen mit der Auftragserteilung verbundenen stillschweigenden Haftungsverzicht des Kl. als Auftraggebers für einen von dem Bekl. als Auftragnehmer verursachten, nicht von der Haftpflicht- oder Kaskoversicherung des Kl. gedeckten Schaden zu, soweit dieser nicht grob fahrlässig oder vorsätzlich verursacht wird. Der Gedanke eines solchen konkludenten Haftungsverzichts ist in der Rechtsprechung für sogenannte Gefälligkeitsfahrten entwickelt worden, bei denen der gefällige Fahrer den – nicht mehr fahrtüchtigen – Halter in dessen Pkw fährt und dabei verunglückt (vgl. etwa OLG Bamberg, NJW-RR 1986, 252; OLG Frankfurt a. M., NJW-RR 1986, 1350; Palandt–Heinrichts, § 254 Rdnrn. 70–73, 79–81). Im Unterschied zu den beiden zitierten obergerichtlichen Entscheidungen, bei denen sich der Gefälligkeitsfahrt zugrundliegende schuldrechtliche Sonderverbindungen nicht feststellen ließen, bestand im vorliegenden Falle – wie dargelegt – zwischen den Parteien ein Auftragsverhältnis i. S. des § 662 BGB. Die für einen ergänzenden stillschweigenden Haftungsverzicht maßgeblichen Umstände sind darin zu erblicken, daß die vom Bekl. übernommene Geschäftsbesorgung im ausschließlichen Interesse des Kl. lag, der Bekl. daraus keinerlei Vorteil erlangen wollte und konnte, und daß die Ausführung der Geschäftsbesorgung, nämlich die Überführung und Rückführung eines Kfz, stets mit einem gewissen Schädigungsrisiko verbunden ist, weshalb die Kraftfahrzeughaftpflichtversicherung besteht. Diese deckt nun gerade den hier streitigen Haftpflichtanspruch des Kl. gegen den Bekl. als „mitversicherte Person“ – berechtigter Fahrer i. S. des § 10 Nr. 2 c AKB – wegen Sach- oder Vermögensschäden nicht, § 11 Nr. 2 AKB. Da unstreitig der Kl. für den total beschädigten Pkw keine Fahrzeugvoll-(kasko)-versicherung abgeschlossen hatte, war der Bekl. hinsichtlich eines von ihm verursachten Unfallschadens an dem Pkw des Kl. nicht versichert. Die Frage eines eventuellen Versicherungsschutzes wurde nach dem Prozeßvorbringen beider Parteien zwischen ihnen offensichtlich bei der Erteilung des Auftrages an den Bekl. nicht erörtert; der Risikoausschluß nach § 11 Nr. 2 AKB wegen Sach- oder Vermögensschäden dürfte in der Bevölkerung auch wenig bekannt sein. Wenn sich der Bekl. bei der Auftragserteilung an ihn dieser versicherungsrechtlichen Situation bewußt gewesen wäre und den Kl. darauf hingewiesen hätte, wäre aufgrund der seinerzeitigen Freundschaft zwischen den Parteien mit großer Wahrscheinlichkeit ein entsprechender Haftungsverzicht des Kl. vereinbart worden. Hätte der Kl. dies abgelehnt, kann mit ebenso hoher Wahrscheinlichkeit angenommen werden, daß der Bekl. dann die Ausführung der ihm angesonnenen Geschäftsbesorgung abgelehnt hätte. Die dargestellte Interessenlage beider Parteien hinsichtlich der dem Bekl. übertragenen Geschäftsbesorgung und der fehlende Versicherungsschutz des Bekl. für Sachschäden am Pkw des Kl. rechtfertigen den Schluß auf einen konkludenten Haftungsverzicht hinsichtlich dieses Schadensrisikos, da nach der Lebenserfahrung davon ausgegangen werden kann, daß der Kl. bei Erörterung des Haftungsproblems einem solchen Haftungsverzicht zugestimmt hätte.

Dieser konkludente Haftungsverzicht war indessen beschränkt auf Sachschäden und sollte nicht Haftpflichtansprüche des Kl. wegen Personenschäden umfassen, wenn etwa der Kl. als Insasse mitgefahren wäre; insoweit genießt der Bekl. nach § 10 Nr. 2 c Versicherungsschutz, ein Haftungsverzicht käme insoweit lediglich dem Haftpflichtversicherer zugute und widerspräche dem wohlverstandenen Interesse der Beteiligten; deshalb kann nicht angenommen werden, daß sich ein stillschweigender Haftungsverzicht auf derartige durch Versicherungsansprüche gedeckte Schadensersatzverpflichtungen des gefälligen Fahrers erstrecken soll (vgl. OLG Frankfurt a. M., NJW-RR 1986, 1350; Palandt–Heinrichs, § 254 Rdnrn. 71, 80, 81).

Ebensowenig kann ein stillschweigender Haftungsverzicht für eine grob fahrlässige oder gar vorsätzliche Schadensherbeiführung – auch bei unversichertem Haftungsrisiko – angenommen werden (Palandt–Heinrichs, § 254 Rdnr. 71; Geigel, Haftpflichtprozeß, 20. Aufl. [1990], Kap. 12, Rdnr. 34). Auf das Ansinnen eines Haftungsverzichts auch für grobe Fahrlässigkeit wird sich ein Fahrzeughalter nicht einlassen und braucht es nach § 242 BGB auch nicht. Umgekehrt erscheint die Haftung des Beauftragten im Falle grober Fahrlässigkeit auch nicht unbillig, zumal ein bestehender Versicherungsschutz einer Kaskoversicherung bei grob fahrlässiger Herbeiführung des Versicherungsfalles durch den mitversicherten Fahrer gem. § 61 VVG entfallen würde.

Eine grobe Fahrlässigkeit des Bekl. bei der Herbeiführung des Unfalles kann indessen nicht festgestellt werden. Der Kl. ist für seine Behauptungen, der Bekl. sei in Kenntnis der völlig abgefahrenen Reifenprofile mit für die winterlichen Straßenverhältnisse weit überhöhter Geschwindigkeit gefahren und deshalb ins Schleudern und von der Fahrbahn abgekommen, beweisfällig geblieben. Der Bekl. hat behauptet, daß er die absolute Verkehrsuntauglichkeit der Reifen nicht habe erkennen können, denn die Reifenschultern hätten noch Profil aufgewiesen, während im Mittelbereich alle vier Reifen weniger als 1 mm Profiltiefe aufgewiesen hätten. Weder habe der Kl. ihn auf den absolut verkehrsuntüchtigen Zustand der Reifen hingewiesen, noch habe er, der Bekl., aus dem Hinweis des Mitarbeiters der Firma B, demnächst sei eine Investition in die Reifen fällig, erkennen können und müssen, daß die Reifen absolut verkehrsuntauglich gewesen seien und das Fahrzeug mit diesen Reifen im Straßenverkehr nicht mehr hätte bewegt werden dürfen. Bei dem von dem Sachverständigen S nach dem Unfall in seinem Gutachten festgestellten Profilzustand der Reifen „1-1-0-0 mm“ hätten entsprechende Feststellungen und Weisungen eines Reifenfachunternehmens erwartet werden können und müssen. Das Fahrzeug hätte in diesem festgestellten Zustand von der Werkstatt nicht zur Wegfahrt freigegeben werden dürfen. Die Feststellung des LG, der Bekl. sei auf regennasser Straße mit der zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 70 km–h oder knapp darüber gefahren, er sei angesichts der abgefahrenen Reifen ein Risiko eingegangen, rechtfertigt deshalb noch nicht die Bewertung des Verschuldens des Bekl. als grobe Fahrlässigkeit, nämlich als Verletzung der verkehrserforderlichen Sorgfalt in besonders schwerem Maße, dem Unterlassen einfachster, ganz naheliegender Überlegungen und dem Nichtbeachten von Verhaltensregeln, die im gegebenen Falle jedem einleuchten mußten (vgl. Palandt–Heinrichs, § 277 Rdnr. 2). Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen, daß der Bekl. Kenntnis davon hatte, daß der Kl. das Fahrzeug bis zuletzt regelmäßig fuhr und es am nächsten Tage einem Kaufinteressenten vorführen wollte. Danach brauchte sich dem Bekl. nicht die Möglichkeit aufzudrängen, daß dieses Fahrzeug nicht mehr verkehrssicher war und im öffentlichen Straßenverkehr nicht mehr hätte benutzt werden dürfen. Der Bekl. kann sich deshalb gegenüber der Schadensersatzforderung des Kl. auf den der übernommenen Geschäftsbesorgung für den Kl. zugrundeliegenden stillschweigenden Haftungsverzicht für infolge einfacher Fahrlässigkeit verursachte Schäden an dem Fahrzeug berufen, so daß seine Haftung entfällt.

Rechtsgebiete

Allgemeines Zivilrecht