Erhöhtes Beförderungsentgelt wegen „Schwarzfahrt“ eines Minderjährigen

Gericht

AG Wolfsburg


Art der Entscheidung

Urteil


Datum

09. 05. 1990


Aktenzeichen

12 C 30/90


Leitsatz des Gerichts

  1. Von einem Minderjährigen kann wegen einer „Schwarzfahrt“ ein erhöhtes Beförderungsentgelt nur verlangt werden, wenn ein rechtswirksamer Beförderungsvertrag zustandegekommen ist.

  2. Fehlt es an einem wirksamen Beförderungsvertrag, hat der Minderjährige Wertersatz gem. § 818 II BGB in Höhe des üblichen Beförderungsentgelts zu leisten.

Tatbestand

Zum Sachverhalt:

Am Nachmittag des 15. 9. 1989 fuhr der damals 14-jährige Bekl. in einem Linienbus der Kl. von D. nach K. Obwohl er für diese Strecke nach den Tarifbestimmungen der Kl. einen Fahrausweis für drei Zonen hätte lösen müssen, befand er sich lediglich im Besitz eines Fahrausweises für zwei Zonen. Der Preisunterschied zwischen einem Fahrausweis für zwei Zonen und einem Fahrausweis für 3 Zonen belief sich nach den Tarifbestimmungen der Kl. nach dem unwidersprochen gebliebenen Vortrag des Bekl. auf 0,24 DM. Der Bekl. hat den Preis für den Fahrausweis für zwei Zonen von seinem Taschengeld bezahlt, das ihm auch für den Kauf von Fahrausweisen für einen Linienbus überlassen worden war. Eine Zustimmung zu einer Busfahrt mit einem nicht ausreichenden Fahrausweis hatten die Eltern des Bekl. diesem nicht erteilt. Sie haben die streitgegenständliche Fahrt des Bekl. mit dem Linienbus der Kl. auch nicht nachträglich genehmigt. Der Bekl. hat nach seinem von der Kl. nicht bestrittenen Vortrag bei der streitgegenständlichen Busfahrt nicht gewußt, daß der von ihm benutzte Fahrausweis für die von ihm mit dem Bus zurückgelegte Fahrtstrecke nicht ausreichte. Die Kl. verlangt mit ihrer Klage von dem Bekl. Zahlung eines sogenannten erhöhten Beförderungsentgeltes sowie Erstattung vorprozessualer Mahnauslagen (78,20 DM nebst 4 % Zinsen über dem Diskontsatz der Deutschen Bundesbank).

Die Klage war lediglich in Höhe von 0,24 DM nebst 4 % Zinsen erfolgreich.

Entscheidungsgründe

Aus den Gründen:
Die von der Kl. geltend gemachte Hauptforderung ist begründet in Höhe des Differenzbetrages zwischen dem Preis für den von dem Bekl. benutzten Fahrausweis für zwei Zonen und dem Preis für einen Fahrausweis von drei Zonen, den der Bekl. entsprechend den Tarifbestimmungen der Kl. für die von ihm durchgeführten Fahrt hätte benutzen müssen. Dieser Betrag beläuft sich nach dem von der Kl. nicht bestrittenen Vortrag des Bekl. auf 0,24 DM. Im übrigen ist die Klage unbegründet. Die Kl. ist nicht berechtigt, von dem Bekl. Zahlung eines sogenannten erhöhten Beförderungsentgeltes und Erstattung von vorprozessualen Mahnauslagen der Kl. zu verlangen.

Die Kl. kann dieses Verlangen nicht auf § 9 der Verordnung über die Allgemeinen Beförderungsbedingungen für den Straßenbahn- und Obusverkehr sowie den Linienverkehr mit Kraftfahrzeugen vom 27. 2. 1970 stützen, wonach ein Fahrgast verpflichtet ist, ein erhöh-tes Beförderungsentgelt zu entrichten, wenn er keinen gültigen Fahrausweis besitzt. Die Anwendbarkeit dieser Verordnung setzt voraus, daß zwischen der Kl. und ihrem Fahrgast ein wirksames Beförderungsvertrag zustandegekommen ist (vgl. dazu Harder, NJW 1990, 857 (861, 862); Winkler v. Mohrenfels, JuS 1987, 693, jeweils m. w. Nachw.).

Ein wirksamer Beförderungsvertrag ist zwischen den Parteien am 15. 9. 1989 nicht zustandegekommen, da der Bekl. zu dieser Zeit minderjährig war und seine Eltern unstreitig dem Abschluß eines entsprechenden Vertrages nicht zugestimmt haben. Diese Zustimmung lag auch nicht darin, daß die Eltern des Bekl. diesem Taschengeld überlassen haben und sich grundsätzlich damit einverstanden erklärt haben, daß der Bekl. mit dem Taschengeld Busfahrkarten kaufte. Der Bekl. hat unwidersprochen - und im übrigen im Einklang mit der Lebenserfahrung jedenfalls für die große Mehrzahl der Fälle - vorgetragen, daß sich die Zustimmung seiner Eltern auf Benutzung von Linienbussen der Kl. und damit den Abschluß von Beförderungsverträgen nicht auf sogenannte „Schwarzfahrten“ ohne oder mit nicht ausreichendem Fahrausweis bezogen habe. Die Kl. kann sich hinsichtlich der Verweigerung der Zustimmung der Eltern des Bekl. hierzu auch nicht auf einen Verstoß der Eltern des Bekl. gegen Treu und Glauben gem. § 242 BGB berufen, weil die Anwendbarkeit dieser Norm das Bestehen eines Schuldverhältnisses voraussetzt und ein solches zwischen der Kl. und den Eltern des Bekl. im Hin-

AG Wolfsburg: Erhöhtes Beförderungsentgelt wegen „Schwarzfahrt“ eines Minderjährigen NJW-RR 1990 Heft 18 1143

blick auf die Busfahrt am 15. 9. 1989 nicht zustandegekommen ist (vgl. dazu Winkler v. Mohrenfels, JuS 1987, 694).

Das Zustandekommen eines Beförderungsvertrages zwischen den Parteien am 15. 9. 1989 kann auch nicht mit der Lehre vom „sozialtypischen Verhalten" oder vom „faktischen Vertrag" begründet werden, weil diese Lehre einen Verstoß gegen die Dogmatik des BGB darstellt und auf ein Unterlaufen des Minderjährigenschutzes hinausläuft und infolgedessen nach heute allgemeiner Meinung abzulehnen ist (vgl. dazu Harder, NJW 1990, 857 (858 Fußn. 8) m. w. Nachw.).

Eine vertragliche Anspruchsgrundlage für die Klageforderung besteht deshalb nicht. Gegen dieses Ergebnis läßt sich auch nicht einwenden, daß die gesetzlichen Vertreter eines Minderjährigen, wenn sie die Einwilligung zu Schwarzfahrten verweigern, das wirtschaftliche Risiko auf die Verkehrsbetriebe abwälzen. Das Gegenteil ist richtig: Mit der Vertragsstrafevereinbarung versuchen die Verkehrsbetriebe, das von ihnen durch die Abschaffung der Zugangskontrolle zu ihren Bussen geschaffene Risiko auf die Minderjährigen abzuwälzen. Dieses Vorhaben scheitert an den zwingenden Vorschriften des Minderjährigenrechtes, mögen die Belange der öffentlichen Verkehrsbetriebe auch noch so berechtigt sein (vgl. dazu Winkler v. Mohrenfels, JuS 1987, 695).

Da ein wirksamer Beförderungsvertrag zwischen den Parteien nicht zustandegekommen ist, hat der Bekl. die Beförderungsleistung der Kl. ohne Rechtsgrund von dieser erlangt. Er ist infolgedessen gem. § 818 II BGB verpflichtet, Wertersatz zu leisten in Höhe des üblichen Entgeltes, also hier in Höhe des Differenzbetrages von 0,24 DM. Eine bereicherungsrechtliche Grundlage für darüber hinausgehende Ansprüche auf Zahlung eines erhöhten Beförderungsentgeltes ist nicht ersichtlich. Der Wert einer ohne Rechtsgrund erlangten Beförderung bestimmt sich nach ihrem objektiven Verkehrswert, nicht nach dem Schwarzfahrtpreis (vgl. dazu Winkler v. Mohrenfels, JuS 1987, 695 m. w. Nachw.). Diesem Ergebnis, wonach die Kl. (nur, aber jedenfalls) den regulären Fahrpreis von dem minderjährigen Bekl. verlangen kann, kann auch nicht durch den Hinweis auf den Minderjährigenschutz begegnet werden (so aber Harder, NJW 1990, 857 (863, 864)), weil die Einwilligung der Eltern des Bekl. sich darauf erstreckte, mit einem Linienbus der Kl. zu fahren und dafür von seinem Taschengeld den regulären Fahrpreis zu zahlen und deswegen insoweit Anlaß zu einem Minderjährigenschutz nicht besteht.

Die Kl. kann das von ihr verlangte erhöhte Beförderungsentgelt auch nicht aus dem Gesichtspunkt einer unerlaubten Handlung des Bekl. geltend machen. Ansprüche insoweit aus § 823 I BGB scheitern daran, daß kein absolutes Recht verletzt worden ist. Man hätte allenfalls den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb der Kl. als geschütztes Rechtsgut in Betracht ziehen können. Es ist aber nicht ersichtlich, inwiefern der Betrieb eines öffentlichen Verkehrsmittels durch Schwarzfahrer unmittelbar (betriebsbezogen) beeinträchitgt würde.

§ 823 II BGB i. V. mit § 265a StGB scheidet im vorliegenden Fall als Anspruchsgrundlage bereits deswegen aus, weil der Bekl. unwidersprochen vorgetragen hat, ihm sei bei der Busfahrt am 15. 9. 1989 nicht bewußt gewesen, daß der von ihm benutzte Fahrausweis nicht ausreichend gewesen sei.

Soweit die Kl. mit ihrer Klage darüberhinaus Erstattung vorgerichtlicher Mahnauslagen von dem Bekl. verlangt, ist die Klage deshalb unbegründet, weil die von der Kl. vorprozessual gegen den Bekl. geltend gemachte Forderung - mit Ausnahme eines Teilbetrages von 0,24 DM - nicht berechtigt gewesen ist und der Bekl. infolgedessen durch die vorprozessualen Mahnungen der Kl. nicht wirksam in Verzug gesetzt worden ist. Bei einer Zuvielforderung ist die Mahnung nur dann wirksam, wenn der Schuldner die Erklärung des Gläubigers nach den Umständen des Falles als Aufforderung zur Bewirkung der tatsächlich geschuldeten Leistung verstehen muß und der Gläubiger zur Annahme der gegenüber seinen Vorstellungen geringeren Leistung bereit ist (vgl. dazu Palandt-Heinrichs, BGB, 49. Aufl., § 284 Anm. 3c m. w. Nachw.). Angesichts des krassen Unterschieds zwischen dem der Kl. zustehenden Betrag und den von ihr vorprozessual angemahnten Beträgen können die vorprozessualen Mahnungen der Kl. bei Anlegung dieses Maßstabes nicht als verzugsbegründend gewertet werden. Infolgedessen können der Kl. gem. § 291 BGB auch nur Prozeßzinsen in Höhe von 4 % ab Zustellung des Mahnbescheides am 14. 12. 1989 zugesprochen werden. Der Mahnbescheid ist dem Bekl. zu Händen seines Vaters wirksam gem. § 171 ZPO zugestellt worden.

Rechtsgebiete

Allgemeines Zivilrecht

Normen

BGB § 108; BGB § 110; BGB § 812; BGB § 818 II