"Verdeckte Tatsachenbehauptungen", Eindruck auf aufmerksamen Leser maßgeblich
Gericht
LG München I
Art der Entscheidung
Urteil
Datum
29. 08. 2001
Aktenzeichen
9 0 7644/01
Bei der Annahme einer verdeckten Tatsachenbehauptung, die nicht ausdrücklich, sondern nur "zwischen den Zeilen" aufgestellt wird, ist wegen der besonderen Bedeutung der in Art. 5 Abs. 1 GG verankerten Pressefreiheit Zurückhaltung geboten. Nur wenn der Autor durch das Zusammenspiel der offenen Äußerungen eine zusätzliche Aussage macht bzw. sie dem Leser als unabdingbare Schlussfolgerung nahe legt, kann die verdeckte Aussage einer offenen gleichgestellt werden.
Bei der Beurteilung von Textstellen darf nicht ohne weiteres auf den flüchtigen, oberflächlichen Leser abgestellt werden, der sich überhaupt nicht mit dem Inhalt des Artikels auseinandersetzt, sondern nur die Schlagzeilen samt Bildunterschriften liest. Das Grundrecht der Pressefreiheit aus Art. 5 Abs. 1 GG verbietet es, den Inhalt einer Information dann mit Hilfe des Maßstabs des flüchtigen Lesers zu bestimmen, wenn die Information im konkreten Fall ersichtlich aufmerksame Leser voraussetzt und sich auch an diese wendet, weil der Begriff des "flüchtigen Lesers" in derartigen Fällen zu einem unangemessenen Interpretationsmaßstab wird und seine Anwendung zu einem unzulässigen Eingriff in den verfassungsrechtlich geschützten Prozess freier Kommunikation führen würde.
Der Kläger verlangt von der Beklagten Richtigstellung sowie die Feststellung der Schadensersatzpflicht wegen einer Presseveröffentlichung.
Seit 1996 betreibt der Kläger in der Schlachthofgaststätte Karlsruhe einen eher kosmopolitisch ausgerichteten Irish-Pub mit regelmäßigen überregionalen Veranstaltungen unter Teilnahme von Deutschen, Iren, Engländern sowie Angehörigen anderer Nationalitäten. In der von der Beklagten verlegten Zeitschrift "FOCUS" wurde in der Ausgabe Nr. 47 vom 20.11.2000 in der Rubrik Deutschland auf S. 108 ff. ein Betrag mit der Überschrift "Ein Agent als Nazi" und der Unterüberschrift "Undercover soll ein Beamter des LKA die rechte Szene in Karlsruhe aufgebaut haben, um sie dann zu beobachten"; links neben der Überschrift befand sich das Schlagwort "Rechtsradikale". Der Beitrag schilderte die Aktivitäten eines "Axel Reichert". Dabei wurde über dessen Person unter anderem folgendes ausgeführt:
"Es ist eben jener angebliche "Axel Reichert", der zwischen 1993 und Anfang 1995 im Auftrag seiner Vorgesetzten als Verdeckter Ermittler (VE) die rechte Szene in Karlsruhe aufklären sollte ...Auf Seite 110 befindet sich rechts oben ein Bild der Gaststätte des Klägers mit der Bildunterschrift:Gegen Ende des Jahres 1994 erzählte er immer öfter, die Polizei sei wegen illegaler Waffengeschäfte hinter ihm her. Anfang 1995 verschwand er spurlos aus Karlsruhe ..."
"SKINHEAD-TREFFWegen der weiteren Einzelheiten des Artikels wird auf Anlage K 1 Bezug genommen.
Schlachthofgaststätte Karlsruhe. Im Hinterzimmer gab's zu Reicherts Zeit Kameradschaftsabende mit Bier und Ideologie."
Zur Begründung seiner Klage macht der Kläger im wesentlichen geltend, ihm stehe ein Anspruch auf Richtigstellung gegen die Beklagte zu, weil seine Gaststätte regelrecht an den Pranger gestellt werde als Treffpunkt von Skinheads in Karlsruhe. Aus der Verwendung eines aktuellen Fotos der Gaststätte und des Schlagwortes "Skinhead-Treff" werde das Lokal des Klägers abgestempelt. Die bildliche Darstellung in Verbindung mit dem darunter befin dlichen Text rufe beim Leser die Vorstellung hervor, in der vom Kläger betriebenen Gaststätte gebe es aktuell regelmäßig entsprechende Treffen von Skinheads. Die zumindest irreführende Darstellung stelle einen rechtswidrigen Eingriff in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb des Klägers dar. Zur Wiedergutmachung bestehe die Verpflichtung der Beklagten zur Richtigstellung. Da gegenwärtig noch nicht absehbar sei, welcher wirtschaftliche Schaden dem Kläger infolge der Berichterstattung entstanden sei, könne er auch die Feststellung der materiellen Schadensersatzpflicht begehren.
Der Kläger beantragt daher:
"Im Magazin Nr. 47 des Jahres 2000 vom 20.11.2000 haben wir auf Seite 110 in der Rubrik "Deutschland" in dem Artikel "RECHTSRADIKALE Ein Agent als Nazi" ein Foto der Gaststätte Am Schlachthof, Karlsruhe, veröffentlicht, das im Zusammenhang mit der Bildunterschrift "SKINHEAD-TREFF Schlachthofgaststätte Karlsruhe" geeignet ist, beim Leser einen falschen Anschein zu erwecken. Wir stellen hiermit richtig, dass mit der Bezeichnung "SKINHEAD-TREFF Schlachthofgaststätte Karlsruhe" nicht die seit dem Jahre 1996 als Irish Pub betriebene Gaststätte "Treacy's", Am Schlachthof, Karlsruhe, gemeint ist."
Die Beklagte beantragt demgegenüber
Klageabweisung.
Zur Begründung beruft sie sich im wesentlichen darauf, aus der erforderlichen Berücksichtigung des Inhalts des Artikels ergebe sich die Richtigkeit der Bildunterschrift. Diese verweise auf "Reicherts Zeit", die im gesamten restlichen Artikel erläutert werde. Die auf "Reicherts Zeit" Bezug nehmende Bildunterschrift könne demgemäß nur so verstanden werden, daß es die "Kameradschaftsabende" mit Bier und Ideologie nur zwischen 1993 und Anfang 1995 gegeben habe. Daher werde nicht der Eindruck erweckt, es fänden heute regelmäßig Skinhead-Treffs in der vom Kläger betriebenen Gaststätte statt. Da die wahre und rechtmäßige Veröffentlichung dem guten wirtschaftlichen Ruf des Klägers nicht schade, stelle sie keinen unzulässigen Eingriff in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb dar. Viele Monate nach der Veröffentlichung sei der Kläger auch in der Lage, einen wie auch immer gearteten materiellen Schaden zu beziffern; daher bestehe kein Feststellungsinteresse, weshalb die Feststellungsklage bereits unzulässig sei.
Zur Ergänzung des Tatbestandes wird Bezug genommen auf die gewechselten Schriftsätze samt Anlagen sowie das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 29.08.2001 (Blatt 18/20 d. A.).
Die auf Richtigstellung gerichtete Klage im Klageantrag I. ist zulässig, jedoch nicht begründet. Dem Kläger steht unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt der geltend gemachte Anspruch auf Richtigstellung zu.
1)
Ein derartiger Anspruch ergibt sich nicht aus § 823 Abs. 1 BGB wegen
Verletzung des absolut geschützten Rechts am eingerichteten und ausgeübten
Gewerbebetrieb. Dieser setzt nämlich einen unmittelbar. betriebsbezogenen,
zielgerichteten Eingriff voraus, der sich spezifisch gegen den betrieblichen
Organismus oder die unternehmerische Entscheidungsfreiheit richtet (vgl.
Staudinger-Hager, BGB, 13. Aufl., Rdn. D 11 zu § 823; Palandt-Thomas, BGB, 60.
Aufl., Rdn. 21 zu § 823). Davon kann jedoch bei der streitgegenständlichen
Berichterstattung nicht ausgegangen werden.
a)
Soweit der Kläger auf die Kombination zwischen dem Bild der Gaststätte
und der Bildunterschrift mit "Skinhead-Treff" in Großbuchstaben abstellt, liegt
darin kein betriebsbezogener, zielgerichteter Eingriff. Die Abbildung der
Gaststätte richtet sich nicht gegen die betriebliche Organisation des Klägers
oder dessen unternehmerische Freiheit. Vielmehr kann dadurch allenfalls der Ruf
im Allgemeinen beeinträchtigt werden; dieser ist indes durch das Recht am
eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb nicht geschützt.
b)
Ein unmittelbar betriebsbezogener Eingriff ergibt sich aber auch nicht
aus Tatsachenbehauptungen, wie sie im Text aufgestellt werden. Der Beitrag
stellt, was auch vom Kläger nicht in Abrede gestellt wird, nicht ausdrücklich
die Tatsachenbehauptung auf, die Gaststätte des Klägers habe in dem Zeitraum, in
dem er selbst die Schlachthofgaststätte betreibt, irgendwann als Skinhead-Treff
gedient.
Jedoch enthält der Beitrag ebensowenig eine entsprechende verdeckte Tatsachenbehauptung mit dem vom Kläger dargestellten Inhalt, die einen Eingriff in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb darstellen könnte. Bei der Annahme einer verdeckten Tatsachenbehauptung, die also nicht ausdrücklich, sondern nur "zwischen den Zeilen" aufgestellt wird, ist wegen der besonderen Bedeutung der in Art. 5 Abs. 1 GG verankerten Pressefreiheit Zurückhaltung geboten. Es ist hierbei zu unterscheiden zwischen den einzelnen mitgeteilten Fakten und der eigentlichen versteckten Aussage des Autors, mit der dieser durch das Zusammenspiel der offenen Äußerungen eine zusätzliche Aussage macht bzw. sie dem Leser als unabdingbare Schlußfolgerung nahelegt. Nur in diesem Fall kann die verdeckte Aussage einer offenen gleichgestellt werden (vgl. BGHZ 78, 9, 14 ff.; BGH AfP 1994, 295, 297).
Davon kann indes vorliegend nicht ausgegangen werden. Dem Leser eines Nachrichtenmagazins drängt sich nicht zwingend die Tatsachenbehauptung auf, unter der Inhaberschaft des Klägers habe die Gaststätte irgendwann als Treffpunkt für Skinheads gedient. Die Schlagzeile "Skinhead-Treff" kann nämlich bezüglich des Zeitpunkts nicht völlig isoliert bereits von der gesamten Bildunterschrift betrachtet werden. Bereits aus diesen drei weiteren Zeilen der Bildunterschrift ergibt sich der Bezug auf "Reicherts Zeit". Für den Leser wird dann bereits klar, daß sich die Oberschrift auf die in dem Artikel geschilderte Zeit bezieht, in der "Axel Reichert" in Karlsruhe aktiv war. Insoweit ist klargestellt, daß dies die Jahre zwischen 1993 und Anfang 1995 waren, weil nur in diesem Zeitraum nach den Ausführungen im gesamten Artikel diese Person in Karlsruhe in der rechten Szene aktiv war.
Dabei darf nicht auf den flüchtigen, oberflächlichen Leser abgestellt werden, der sich überhaupt nicht mit dem Inhalt des Artikels auseinandersetzt, sondern nur die Schlagzeilen samt Bildunterschriften liest. Das Grundrecht der Pressefreiheit aus Art. 5 Abs. 1 GG verbietet es nämlich, den Inhalt einer Information dann mit Hilfe des Maßstabs des flüchtigen Leser zu bestimmen, wenn die Information im konkreten Fall ersichtlich aufmerksame Leser voraussetzt und sich auch an diese wendet, weil der Begriff des "flüchtigen Lesers" in derartigen Fällen zu einem unangemessenen Interpretationsmaßstab wird und seine Anwendung zu einem unzulässigen Eingriff in den verfassungsrechtlich geschützten Prozeß freier Kommunikation führen würde (vgl. BVerfG NJW 1977, 799, 800) . Gerade bei einem gesellschaftspolitisch so wichtigen Gebiet wie der Bekämpfung rechtsextremistischer Aktivitäten und Strukturen kann ein Nachrichtenmagazin wie "FOCUS" voraussetzen, daß der Beitrag aufmerksam gelesen wird. Dem aufmerksamen Leser kann aber nicht entgehen, daß die Schlachthofgaststätte nur in dem in dem Artikel genannten Zeitraum von rechtsradikalen Skinheads als Treffppnkt benutzt wurde.
Demzufolge liegt kein zielgerichteter, unmittelbar betriebsbezogener Eingriff in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb vor.
2)
Ein Richtigstellungsanspruch ergibt sich gleichfalls nicht aus §§ 1004
Abs. 1, 823 Abs. 1 BGB analog wegen der Verletzung des allgemeinen
Persönlichkeitsrechts des Klägers. Dies gilt selbst dann, wenn durch die
aktuelle Abbildung der Gaststätte das allgemeine Persönlichkeitsrecht des
Klägers, der in dem Beitrag namentlich überhaupt nicht erwähnt wird, berührt
sein sollte. Voraussetzung für einen Richtigstellungsanspruch ist nämlich eine
unwahre Tatsachenbehauptung. Indes enthält der Beitrag keine Tatsachenbehauptung
des Inhalts, daß unter der Leitung des Klägers die Schlachthofgaststätte als
Skinhead-Treff diene. Somit fehlt es auch aus diesem Grunde an einem
Richtigstellungsanspruch des Klägers.
1)
Der Feststellungsantrag ist zulässig, insbesondere ist das von § 256
Abs. 1 ZPO geforderte Feststellungsinteresse zu bejahen. Geht es nach dem
Vortrag des Klägers um den Vorwurf der Verletzung eines absolut geschützten
Rechtsguts wie dem Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb oder
dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht, genügt es, wenn die spätere Verwirklichung
eines Schadens in absehbarer Zeit möglich erscheint und nicht gerade fernliegt
(vgl. BGH NJW 1993, 648, 653) . Davon ist vorliegend auszugehen, weil die Gäste
des Klägers nach ihrer Zusammensetzung - kosmopolitisches Publikum - sich
zweifellos nicht in ein Lokal begeben, das rechtsradikalen und nationalistisch
eingestellten Skinheads als Treffpunkt dient.
Von daher ist ein Schaden nicht fernliegend.
2)
Die Feststellungsklage ist jedoch nicht begründet, weil dem Kläger
bereits dem Grunde nach ein Schadensersatzanspruch zustehen kann. Es liegt weder
ein rechtswidriger Eingriff in den eingerichteten und ausgeübten Gewebebetrieb
noch in das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Klägers vor. Zur Vermeidung von
Wiederholungen wird auf die obigen Ausführungen unter I. verwiesen.
Angesichts dessen konnte die Klage insgesamt keinen Erfolg haben.
Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO; als Unterlegener hat der Kläger die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
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