Kein "Schmerzensgeld" im konkreten Fall trotz rechtswidriger Berichterstattung über einen Verdacht des sexuellen Missbrauchs Widerstandsunfähiger

Gericht

LG Landshut


Art der Entscheidung

Urteil


Datum

05. 07. 2001


Aktenzeichen

23 O 992/01


Tenor


  1. Die Klage wird abgewiesen.

  2. Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits.

  3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

  4. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung von 2.900,-- DM abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in dieser Höhe leistet.

  5. Der Streitwert wird auf 15.000,-- DM festgesetzt.

Tatbestand

Tatbestand:

Die Parteien streiten um Geldentschädigung (Schmerzensgeld) für die Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts des Klägers.

Die Beklagte ist Verlegerin der "...", die in der Stadt sowie im Landkreis Passau aufgelegt und verteilt wird. In der Ausgabe "..." Nr. 47/15 vom 19.11.1997 veröffentlichte die Beklagte auf Seite 1 und 4 einen Artikel über den Kläger.
Zum damaligen Zeitpunkt war der Kläger als Arzt beschäftigt bei der Fa. ... in ... .
Das wegen sexuellen Missbrauchs Widerstandsunfähiger und fahrlässiger Körperverletzung von der Staatsanwaltschaft Passau unter dem Az.: 209 Js 16830/95 durchgeführte Ermittlungsverfahren wurde mit der Begründung eingestellt, das nach Überzeugung der sachbearbeitenden Staatsanwältin gegebene sexuelle Verhalten des Klägers gegenüber seiner Patientin falle in eine Strafbarkeitslücke und eine fahrlässige. Körperverletzung könne mangels Kausalität der Gesundheitsbeeinträchtigung nicht nachgewiesen werden. Im berufsgerichtlichen Verfahren wurde der Kläger in 1. Instanz durch das Berufsgericht für die Heilberufe beim OLG München mit Urteil vom 21.04.1999 wegen Berufspflichtverletzung zu einer Geldbuße von DM 20.000,-- verurteilt. Das Bayer. Landesberufsgericht für die Heilberufe hob mit Urteil vom 23.02.2000 das Urteil auf und sprach den Kläger frei. Das Landgericht Passau erließ auf Antrag des Klägers eine einstweilige Verfügung dahingehend, die Beklagte dürfe die Behauptung nicht mehr verbreiten und über das Ermittlungsverfahren nicht mehr in identifizierender Weise berichten (Aktenzeichen: 1 O 1101/97). Das Urteil wurde durch das OLG München mit Urteil vom 08.07.1998 bestätigt (Aktenzeichen: 21 U 2234/98).

Der Kläger ist der Auffassung, er sei durch den Artikel in der "..." in seinem allgemeinen Persönlichkeitsrecht schwer verletzt. Insbesondere sei über ihn in identifizierender und reißerischer Weise berichtet worden.
Er trägt hierzu vor, der Artikel sei für seine Arbeitgeberin der Hauptanlass zur am 18.12.1997 ausgesprochenen Kündigung gewesen. Seine neue Arbeitsstelle im ... habe ihm ein wesentlich niedrigeres Gehalt bezahlt. Der ärztliche Kreisverband Passau habe wegen dieses Artikels die Einleitung eines berufsgerichtlichen Verfahrens beantragt.

Der Kläger beantragt daher:


Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger DM 15.000,-- zuzüglich 4 % Zinsen hieraus seit 18.05.2000 zu bezahlen.

Die Beklagte beantragt


Klageabweisung.

Die Beklagte behauptet, dem Kläger sei kein materieller Schaden entstanden. Er sei nicht Chefarzt in der ... und Verantwortlicher für die Betreuung von Patienten im ... und im ... gewesen.

Die Beklagte ist der Auffassung, sie habe in ausreichend anonymisierender Weise über den Kläger berichtet. Die Berichterstattung sei wahr gewesen, im übrigen nur Meinungsäußerung. Der Kläger habe nicht einmal versucht, z. B. eine Gegendarstellung oder einen Widerruf zu erreichen.

Bezüglich der Einzelheiten wird auf die gewechselten Schriftsätze einschließlich der Anlagen Bezug genommen.

Es wurde Beweis erhoben durch Beiziehung der Akten 1 O 1101/97 des Landgerichts Passau und 209 Js 16830/95 der Staatsanwaltschaft Passau, die zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht wurden. Bezüglich der Einzelheiten wird auf den dortigen Akteninhalt gewiesen.

Entscheidungsgründe

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist unbegründet.

I.

Dem Kläger steht ein Anspruch auf Geldentschädigung (Schmerzensgeld) nicht zu. Die Voraussetzungen hierfür bei Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts liegen nicht vor. Es fehlt an einer schweren rechtswidrigen Verletzung, welche eine Geldentschädigung wegen der Genugtuungsfunktion unbedingt erfordert.

1. Die Berichterstattung der Beklagten stellt einen rechtswidrigen Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Klägers dar im Sinne des § 823 Abs. 1 BGB in Verbindung mit §§ 847, 253 BGB. Insoweit hat das Landgericht Passau den Unterlassungsansprüchen des Klägers im Wege der einstweiligen Verfügung zu Recht stattgegeben. Doch selbst wenn die Voraussetzungen eines solchen Unterlassungsanspruches vorliegen, führt das nicht automatisch zur Zuerkennung einer Geldentschädigung.
Das weitere von der Rechtsprechung aufgestellte Erfordernis, daß anders keine Genugtuung erlangt werden kann, wäre im Übrigen gegeben.

1.1. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht

ist als Rechtsgut im Sinne des § 823 Abs. 1 BGB anzusehen. Es ist in § 823 BGB zwar nicht genannt. Es unterfällt § 823 Abs. 1 BGB jedoch als sonstiges Recht aufgrund einer inzwischen zu Gewohnheitsrecht erstarkten Rechtsprechung (vgl. Palandt-Heinrichs, BGB, 60. Auflage, § 253 Rz. 1, § 823 Rz. 29; Bundesverfassungsgericht 7, 198). Als solches genießt es den Schutz der absoluten Rechte.
Im Hinblick auf die berufliche Tätigkeit des Klägers und den Inhalt der Vorwürfe sind hier zwei geschützte Sphären berührt: die Individualsphäre und die Intimsphäre.

1.2. Deren rechtswidrige Verletzung

war nach Auffassung der Kammer gegeben.

1.2.1. Die Verletzungshandlung

ist eine nachteilige Beeinträchtigung eines der in § 823 Abs. 1 BGB genannten Rechte oder Rechtsgüter (Palandt-Thomas, BGB 60. Auflage, § 823 Rz. 2), also hier einer der vorgenannten Sphären. Zu berücksichtigen sind dabei Art und Intensität der Beeinträchtigung als auch Umfang und Tiefe der Wirkung auf den Adressaten.

Sie ist zu sehen im Inhalt des in der "..." erschienenen Artikels, dass der Kläger sein Sexualleben nicht von den beruflichen Pflichten trennen könne und sich an einer Patientin sexuell vergriffen haben soll. Der Artikel in der "..." stellt auf Seite 1 in der Überschrift die Behauptung auf "Sexspiele mit Patientin: Schwere Anschuldigung gegen "Hypnose-Papst" " und auf Seite 4 in der Überschrift die Behauptung "Prominenten-Arzt auf Abwegen: Sex-Spiele mit Patientin in Hypnose, Gesetzeslücke: Trotz unmoralischer Praxis keine rechtliche Handhabe gegen Mediziner". Auf Seite 4 ist darunter ein Foto, das den Kläger zeigt. Die gewählte Formulierung beinhaltet eine Tatsachenbehauptung. Diese Aufmachung wird noch verstärkt durch den Kontext, in den der Artikel in der "..." gestellt wurde. Auf Seite 1 über dem den Kläger belastenden Artikel befindet sich ein Widerruf in anderer Sache mit der in gleicher Größe und gleichem Schriftbild abgedruckten Überschrift: "Es tut uns aufrichtig leid!". Unter einem derartigen Widerruf plaziert kommt die Überschrift des streitgegenständlichen Artikels umso stärker zur Geltung.

Auf der anderen Seite ist zu berücksichtigen, dass die "..." bzgl. der Auflagenstärke und des Verbreitungsgebiets gegenüber bundesweit erscheinender Tageszeitungen oder Wochenzeitschriften nicht vergleichbar ist. Man wird die Zeitdauer der Nachwirkungen eines solchen Artikels beim Publikum bei einer Tages- oder Wochenzeitung geringer anzusetzen haben als bei Illustrierten, die ein Patient im Wartezimmer eines Arztes liest.
Soweit sich die Beklagte einlässt, im Artikel sei gar nicht behauptet worden, der Kläger habe eine Patientin unter Hypnose sexuell missbraucht, kann sie damit nicht gehört werden. In der Überschrift ist zwar nur die Rede von "Sex-Spielen". Eine solche abwertende und eventuelle Liebesbeziehungen ins Lächerliche ziehende Formulierung deckt aber den Missbrauch ab. Die Stoßrichtung des Artikels auf das Persönlichkeitsbild des Klägers ist damit eindeutig festgelegt und die Persönlichkeitsgeltung in Misskredit gebracht. Nachdem hier auch die absolut geschützte Intimsphäre betroffen ist, wird die Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts des Klägers auch nicht dadurch gegenstandslos gemacht, dass der weitere Artikel verhältnismäßig objektiv über den Fall berichtet, auch (in Spalte 3) ein Dementi des Klägers wiedergibt. Denn der eilige Leser liest zunächst die Überschrift, schaut das Foto an und liest allenfalls noch den Fettdruck unter der Überschrift.

1.2.2. Rechtswidrigkeit
des Eingriffs liegt vor. Die Grenzen sachlicher Berichterstattung sind nicht mehr gewahrt, wie sich aus der notwendigen Güter- und Interessenabwägung ergibt.

Rechtswidrig ist vorbehaltlich der Rechtfertigungsgründe in der Regel jede Verletzung eines der in § 823 Abs. 1 genannten Rechte und Rechtsgüter (BGH 74, 9). Ausgenommen ist das allgemeine Persönlichkeitsrechts als sog. offener Verletzungstatbestand, bei dem unter sorgsamer Würdigung aller Umstände, insbesondere des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit, eine Abgrenzung nötig ist, ob der Eingriff befugt war oder nicht.

1.2.2.1. Auf Seiten des Verletzten war in die Abwägung einzubringen, in welche Sphäre seiner Persönlichkeit eingegriffen wurde (Palandt-Thomas, a.a.O., Rz. 185). Hier sind betroffen die absoluten Schutz beanspruchende Intimsphäre (BGH NJW 88, 1984) und die keinen so weit gehenden Schutz genießende Individualsphäre; insbesondere die Betätigung im öffentlichen, politischen, wirtschaftlichen Leben (Bundesverfassungsgericht 7, 198; BGH 45, 296; NJW-RR 95, 301).

Desweiteren ist zu berücksichtigen die Schwere des Eingriffs, aber auch das eigene Verhalten des Verletzten, das dem Eingriff vorausgeht. Insoweit ist auf die Ausführungen der Kammer unter Ziff. 1.1.2.1. zu verweisen. Diese haben auch für die Beurteilung der Frage der Rechtswidrigkeit Gültigkeit. Darüberhinaus ist nachteilig für den Kläger zu werten, daß sich durch den Tod der Patientin der dem Kläger vorgeworfene Sachverhalt nicht mehr einer Aufklärung zuführen läßt.

1.2.2.2. Auf Seiten des Schädigers war in die Abwägung einzubeziehen zum einen ebenfalls die verletzte Persönlichkeitsphäre. Zum anderen sind ausschlaggebend das Motiv und der Zweck des Eingriffs. Insbesondere können die Verfolgung öffentlicher Interessen, die Aufklärung der Allgemeinheit, die Diskussion von Fragen des Gemeinwohls ..., eine Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts rechtfertigen (Palandt-Thomas, a.a.O., Rd.Ziff. 189). Dabei genießt grundsätzlich keiner der beiden Verfassungswerte Vorrang vor dem anderen, vielmehr ist im Einzelfall die Intensität des Eingriffs in den Persönlichkeitsbereich abzuwägen gegen das Informationsinteresse der Öffentlichkeit (BVerfG NJW 73, 1226). Dabei gilt der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, d.h. die dem einen Schutzbereich abverlangten Einschränkungen müssen noch in angemessenem Verhältnis zu dem Gewinn an Wertverwirklichung für den anderen Bereich stehen (BGH 78, 1797). Als dritter Gesichtspunkt es muß ein vertretbares Verhältnis bestehen zwischen dem erstrebten Zweck sowie Form, Art und Ausmaß (Geeignetheit) des Angriffs (Palandt/Thomas, a.a.O., Rz. 194). Diesen Anforderungen genügt die Beklagte nicht.

Die Nennung und Darstellung einer Person in einer Druckschrift oder die damit erfolgte Mitteilung von Umständen über diese Person an die Öffentlichkeit stellt grundsätzlich eine widerrechtliche Verletzung des durch Art. 2 GG geschützten Persönlichkeitsrechts dar (KG NJW 89, 397). Wie bereits ausgeführt, befindet sich unter dem Artikel Seite 4 ein Foto, das den Kläger zeigt. Lediglich die Augen sind mit einem schwarzen Balken abgedeckt. Die Kammer hält es jedoch aufgrund der Bildschärfe für problemlos möglich, den Kläger mit diesem Foto zu identifizieren. Dies wird noch dadurch erleichtert, daß im Artikel mitgeteilt wird, daß es sich um den Arzt Dr. ..., ... Jahre alt, Praxis in ..., handle. Für Personen, die den Kläger kennen, gibt es keinen Zweifel, wer gemeint ist. Für Personen, die ihn nicht kennen, läßt sich dies sofort aus dem Telefonbuch entnehmen: Mit dem seltenen Vornamen ... und dem Anfangsbuchstaben ... gibt es dort nur einen einzigen Arzt, das ist der Kläger. Der Kläger war mit der Veröffentlichung seines Fotos auch nicht einverstanden (§ 23 KUG); auch nicht mit der Nennung seines Namens. Diese Sachdarstellung ist als völlig unzureichende Anonymisierung einzustufen. Sie hat zur Folge, daß der Artikel so zu behandeln ist, wie wenn der Kläger mit vollem Namen genannt worden wäre.
An die Anforderungen einer Berichterstattung über ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren hält sich die Beklagte nur bedingt. Es fällt ein Ungleichgewicht der Berichterstattung fällt auf. Zwei plakativen Überschriften und mindestens sechs Erwähnungen des sexuellen Mißbrauchs steht an einer einzigen Stelle ein Dementi des Klägers gegenüber. Eine korrekte Berichterstattung darf nicht einseitig und verfälschend darstellen (BGH 143, 199), muß den jeweiligen Erkenntnisstand der Ermittlungsbehörden zutreffend und ausgewogen wiedergeben, darf nicht einen Verdacht als Gewißheit hinstellen und nicht bekannte entlastende Umstände verschweigen (BGH, NJW 2000, 656) oder nur an versteckter Stelle mitteilen (OLG Düsseldorf, NJW 80, 599).
Auch eine Distanzierung der Beklagten von den Vorwürfen erfolgt im Artikel nicht. Dabei spielt es eine Rolle, inwieweit die Medien die Verdachtsäußerung mit Distanzierung als fremde darstellen oder als eigene mit der Wahrscheinlichkeit, daß sich der Verdacht als begründet und nachweisbar erweist (OLG München, NJW-RR 96, 1487 und 1493). Trotz der "Soll"-Formulierungen im Lauftext verbleibt der Eindruck einer Tatsachenbehauptung, da ein Abrücken von der ebenfalls mitgeteilten Überzeugung der sachbearbeitenden Staatsanwältin fehlt.
Im übrigen hatte die Staatsanwaltschaft das Ermittlungsverfahren gemäß § 170 Abs. 2 StPO eingestellt. Es mag zwar ein Interesse der Öffentlichkeit geben, daß abstrakt über einen derartigen Fall und dessen Ausgang berichtet wird, vor allem weil es sich um einen Fall handelt, der mit einer geplanten Gesetzesänderung im Zusammenhang steht. Der Integritätsschutz und der Rang des Persönlichkeitsrechts sind aufgrund der auch betroffenen Intimsphäre absolut vorrangig. Es besteht kein ausreichender Anlaß, im Zusammenhang mit der Einstellung den Namen des "Täters" zu nennen. Das Bundesverfassungsgericht hat in der Lebach-Entscheidung festgestellt (BVerfG 35, 232), daß der Einbruch in die Persönlichkeitssphäre nicht weitergehen darf, als eine angemessene Befriedigung des Informationsinteresses dies erfordert. Die für den Täter entstehenden Nachteile müssen im rechten Verhältnis zur Schwere der Tat und ihrer sonstigen Bedeutung für die Öffentlichkeit stehen. Eine Namensnennung, Abbildung oder sonstige Identifikation des Täters sei keineswegs immer zulässig (ähnlich BGH 143, 199). Es ist zwar zunächst anzumerken, daß die Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts die Täter von Soldatenmorden betreffen. Im vorliegenden Fall handelt es sich um einen Vorwurf, der, wenn er zuträfe, in seiner Gewichtung keinesfalls und auch nicht annähernd mit mehrfachen Morden vergleichbar wäre. Der Antragsteller ist auch keine Person der Zeitgeschichte; es darf deshalb sein Name im Zusammenhang mit der Einstellung nicht in identifizierbarer weise veröffentlicht werden. Die Veröffentlichung des Artikels war schließlich mit ein Grund, daß der Kläger aus seinem Arbeitsverhältnis entlassen wurde.
Das Recht der Öffentlichkeit auf wahrheitsgemäße Information rechtfertigt nicht schlechthin jede wahre Mitteilung über eine Person, sondern nur eine solche, an deren Kenntnisnahme die Öffentlichkeit ein berechtigtes Interesse hat (KG, a.a.O.). Für eine vollständige Information der Öffentlichkeit über Vorgänge, die auch die Person des "Täters" einbezieht, könnte nur sprechen, daß die Öffentlichkeit vor diesem "Täter" gewarnt wird. Derartiges ist z.B. bei schweren Gewaltverbrechern anzuerkennen (BverfG 35, 231). Es kann sicherlich nicht in einem Fall gelten, in dem nur berichtet werden soll, daß ein Arzt mit einer Patientin sexuelle Kontakte hatte (oder auch: nicht hatte).
Von Angemessenheit im engeren Sinn kann im Hinblick auf die identifizierende Berichterstattung mit ihrer sensationellen Aufmachung, den plakativen Überschriften und der Brutalität der Sprache nicht die Rede sein. Bereits in der Vergangenheit wurden als rechtswidrig angesehen negativ entstellende Presseberichte (BGH 31, 308) oder die ehrverletzende Schlagzeile einer Tateszeitung (OLG Hamburg, NJW-RR 88, 737; ähnlich OLG Frankfurt, NJW-RR 90, 989). Auf den eiligen Leser, der lediglich die plakativen Überschriften und allenfalls den fettgedruckten Lauftext liest, wirken diese ähnlich einer Vorverurteilung. Nach Auffassung der Kammer handelt es sich hier nicht mehr um einen Pressebericht in überspitzter und herabsetzender Form, bei dem tatsächliche Verdachtsgründe bestehen, die ein Aufklärungsinteresse beteiligter Kreise rechtfertigen (wie in BGH, NJW-RR 95, 301).

1.3. Der Gesichtspunkt der Subsidiarität
kann aufgrund der Ausführungen unter Ziff. 1.2. dahinstehen.
Die Kammer sieht sich trotzdem zu folgenden Ausführungen veranlaßt. Die dem Kläger zur Verfügung stehenden übrigen Maßnahmen wie Berichtigung, Widerruf oder Gegendarstellung können den eingetretenen Schaden nicht in ausreichendem Maß beseitigen. Im übrigen hatte der Kläger im Wege der einstweiligen Verfügung bereits Unterlassung erreicht.

2. An einer schweren Verletzung des Persönlichkeitsrechts mangelt es jedoch aufgrund des nach Auffassung der Kammer unzureichenden Verschuldens der Beklagten. Unter Zugrundelegung der berechtigten Interessen der Öffentlichkeit sind die Interessen der Beklagten noch als billigenswert einzustufen und überwiegen daher das Ausmaß der Rechtswidrigkeit des Eingriffs.

Verschulden ist anzunehmen, wenn eine sorgfältige Abwägung der vorgenannten Aspekte nicht vorgenommen wurde. Für alle Publikationsmittel, auchHerausgeber und Verlage, besteht die Verpflichtung, einen gesetzlichen Vertreter oder ein Sonderorgan mit der Aufgabe zu betrauen, kritische Beiträge unter dem Gesichtspunkt des Rechtsschutzes Dritter zu prüfen (BGH 39, 124, 130; NJW 80, 2810). Bezüglich der durchzuführenden Abwägung ist auf den Zeitpunkt der Recherchen bzw. der Berichterstattung abzustellen.
Die Überschreitung der Grenzen der Berichterstattung ist nicht als so gravierender Verstoß gegen die Sorgfaltspflicht eines Journalisten einzustufen. In die Abwägung sind neben den berechtigten Belangen des Klägers auch die Interessen der Beklagten und der zu informierenden Öffentlichkeit einzustellen.
Zwar ist eine Berichterstattung über ein abgeschlossenes Ermittlungsverfahren in identifizierender Form rechtswidrig. Zum Zeitpunkt der Berichterstattung stand der Beklagten als Grundlage für Recherchen aber lediglich die Einstellungsverfügung der Staatsanwaltschaft Passau, die Patientin und der Kläger zur Verfügung. Hierauf beruft sich die Beklagte zu Recht. Grundsätzlich stellt es keine Verletzung journalistischer Sorgfaltspflicht dar, wenn sich der Journalist bei seiner Berichterstattung auf amtliche Pressemitteilungen verläßt (OLG Braunschweig, NJW 75, 651).
Vor der Verbreitung wahrer Tatsachen in der Presse muß in der Regel deren Wahrheit überprüft werden, wobei sich die Presse auf die Richtigkeit amtlicher Ermittlungen verlassen darf (Europ. GMR, NJW 00, 1015). In dem bewußten Artikel gab die Beklagte im Lauftext sowohl die Gründe der Einstellungsverfügung der Staatsanwaltschaft wieder als auch die Stellungnahme des Klägers zu dem Ermittlungsverfahren. Die Darstellung im Lauftext erfolgt durchwegs mit "Soll"-Formulierungen, soweit auf Mißbrauch durch den Kläger abgestellt wird. Die Berichterstattung als solche entsprach den damals bekannten Tatsachen. Im Kontext von Überschrift und Lauftext können der Beklagten keine wahrheitswidrige Aussagen bzgl. des sexuellen Verhaltens des Klägers vorgeworfen werden. Bei der Person des Klägers handelt es sich um den "Täter" des steitgegenständlichen Vorfalls (auch wenn sein Verhalten damals als noch nicht strafbar anzusehen war). Es gab zum damaligen Zeitpunkt eine Strafbarkeitslücke, die dem Kläger zugute kam. Dadurch bestand ein Informationsbedürfnis der Öffentlichkeit und zwar speziell für die Leser des Einzugsbereichs der "...", da der Kläger in ihrem Einzugsgebiet beruflich tätig war. Zugunsten dieser Bevölkerungsgruppe bestand Anlaß, über derartige Praktiken eines Arztes aufzuklären und vor diesen zu warnen.
Im Rahmen der Pressefreiheit ist die Rolle der Presse als Sachwalterin der demokratischen Gesellschaft zu bedenken (Palandt-Thomas, a.a.O., Rz. 189 f.). Es darf deshalb grundsätzlich das Ziel nicht unterbewertet werden, unter das die Veröffentlichung gestellt war. Entsprechend den damaligen überlegungen im Bereich der Gesetzgebung, diese Strafbarkeitslücke zu schließen, wurde später ein § 174 c StGB (sexueller Mißbrauch unter Ausnutzung eines Beratungs-, Behandlungs- oder Betreuungsverhältnisses) im Strafgesetzbuch eingeführt.
Bei Werturteilen und Meinungsäußerungen hat der Schutz der Persönlichkeit Vorrang, wenn sich die Äußerung als Angriff auf die Menschenwürde, Schmähkritik oder reine Formalbeleidigung darstellt (BVerfG, NJW 99, 1322). Das ist dann der Fall, wenn die persönliche Kränkung und Herabsetzung das sachliche Anliegen völlig in den Hintergrund drängt, wenn es nicht mehr um Auseinandersetzung in der Sache, sondern um Diffa?mierung der Person jenseits auf polemischer oder überspitzter Kritik geht (BVerfG, NJW 93, 1462; 95, 3303; 99, 1322; BGH, NJW 2000, 1036). Soweit der Artikel überhaupt eine Meinung des Verfassers zum Ausdruck bringt, liegt deren Formulierung weit unter dieser Grenze. Trotz der als reißerisch einzustufenden Aufmachung des Artikels lassen die vorrangigen Interessen einen Anspruch des Klägers nicht entstehen. Es war nicht allein Zweck des Artikels - wie bereits dargelegt - die Diffamierung des Klägers oder bloße kommerzielle Gründe der Beklagten.


II.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO.


III.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf 708 Nr. 11 ZPO.


IV.

Der Streitwert war entsprechend des Interesses des Klägers an der Höhe des begehrten Schmerzensgeldes gemäß § 3 ZPO auf 15.000,-- DM festzusetzen.


Weiss Wimmer Bulowski
Vors. Richter am LG Richterin am LG Richterin am LG

Rechtsgebiete

Presserecht